Zeitschrift-Artikel: Deserteur des Lebens: Die Bekehrungssgeschichte eines Legionärs (Fortsetzung)

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Titel: Deserteur des Lebens: Die Bekehrungssgeschichte eines Legionärs (Fortsetzung)
Typ: Artikel
Autor: Kurt Becker
Autor (Anmerkung):

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Titel

Deserteur des Lebens: Die Bekehrungssgeschichte eines Legionärs (Fortsetzung)

Vortext

Text

Ich konnte nicht mehr ausweichen. Die Sinnfrage des Lebens, vor der ich jahrelang geflüchtet war, hatte mich wieder eingeholt und stellte sich jetzt in seiner ganzen Breite mir gegenüber. Es gab kein Vorbei mehr.

Einmal muß jeder von uns den Finger durch die Tapete des Lebens stecken und sich fragen: was ist denn eigentlich dahinter? Habe ich mein Leben gelebt oder habe ich es zerstört? Ist das ei­gentlich alles, womit mich diese Welt füttern will?

Bin ich nur dazu da, um einigen Leistungsprozessen zu genügen? Und - diese Frage nach dem Sinn des Lebens ist ja schließlich kein Zufall, sie ist uns auferlegt. Sie stellt sich einem jeden von uns. Solange wir diese Frage nicht beantwortet haben, solange diese Frage ungelöst bleibt, weil wir sie beiseite schieben oder zu vergessen versuchen - in der Arbeit, im Hobby, in Liebesaffären, im Alkohol, in Drogen, oder auch, wie ich, im Abenteuer - solange wir keine Antwort auf diese Frage haben, werden wir sie nicht aus der Welt schaffen, sondern diese ungelöste Sinnfrage wird unser Leben vernichten.

Und da kamen diese Leute mit ihrem Jesus zu mir und behaupteten: die einzige Antwort, die auch dann noch Bestand hat, wenn alles andere umgefallen ist, wenn andere Imanenzantworten, d.h. von Menschen und deren Vorstellungen angebotene Antworten, bis zu dem Punkt erfahren worden sind, wo man dem Tod gegenübersteht, da behält d e r Recht, der im Absolutheitsan­spruch der ganzen Welt zuruft: 

„ICH bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" — JESUS CHRISTUS.

Die Schläue eines Bürgermeisters fiel mir ein, der sein Amt in einem kleinen Dorf ausübte. Es hatten sich dort zwei Frauen gestritten, und die erste ging zum Bürgermeister und erzählte ihm alles was war und wie es war. Dieser hörte sich das an und meinte anschließend: „Gnädige Frau, wenn das so ist, dann muß ich Ihnen in diesem Streit Recht geben." Die Frau war sehr erfreut und strahlend ging sie nach Hause.

Aber kurz darauf kam die andere Frau herein und erzählte dem Bürgermeister alles aus ihrer Sicht. Wiederum hörte er sich alles an und als sie ausgeredet hatte, meinte er: „Wenn das so war, gnädige Frau, dann sind Sie natürlich im Recht."

Die Sekretärin, die dabeisaß, schüttelte den Kopf und meinte zum Bürgermeister: „Aber Herr
Bürgermeister, das können Sie doch nicht machen. Sie können doch nicht beiden Frauen Recht
geben!" Da legte er seine Hand auf ihre Schulter und antwortete: „Da haben Sie auch Recht!"

Ich glaube, daß wir gerade heute in der Gefahr leben, jedem Recht zu geben, nur um unsere Ruhe zu haben. Wir werden mit so vielen Informationen beschossen, daß viele von uns mehr und mehr das Bedürfnis haben, alle Kommunikationen abzuschalten, um wieder einen emotionellen Freiraum zu erhalten. Aber wir können uns ihrem Einfluß nicht entziehen. Denken wir nur an Radio, Fernsehen, Illustrierte und Drucksachen. In uns schreit es laut: „Aufhören! Laßt mich doch endlich in Ruhe!" Wir können auf einmal nicht mehr auf neue Informationen reagieren, wir können sie nicht mehr in unser Leben integrieren, selbst wenn sie Leben oder Tod betreffen. Eine Folge dieser beängstigenden Entwicklung ist, daß sich die Art unseres Zuhörens geändert hat. Um uns vor der Flut des Lärms zu schützen, haben wir unbewußt ein psychisches Abwehr­system entwickelt, eine Art Sieb oder Filter. Dieser Filter läßt automatisch nur die Informa­tionen hindurch, die den Eindruck erwecken, daß sie uns helfen, unsere eigenen bedrängenden Bedürfnisse zu befriedigen und unsere persönlichen Ziele zu erreichen.

Wir versuchen in einer von der Werbung versprochenen Lebensfreude zu leben. Aber wir sind nicht wirklich froh. Trotzdem wird uns weiter eingehämmert, daß Produkt X und System Y uns glücklich machen. Haben wir dann zugegriffen und fühlen uns trotzdem nicht wohl, ver­zweifeln wir an uns selbst. Das darf aber kein anderer merken und darum bemühen wir uns, unter allen Umständen nett, gepflegt und ausgeglichen zu wirken, egal wie einsam, leer und hoff­nungslos wir uns fühlen. Wie man als der gewandte und aufgeschlossene Mensch der 80er Jahre aufzutreten hat, wird uns ja überall vorexerziert.

Da jeder von uns durch Anschauungsunterricht weiß, wie man glücklich und ausgeglichen erscheint, wird das Gefühl der Einsamkeit noch schmerzhafter, wenn man dem Nächsten begegnet, denn er hat ja auch die Maske der Lebensfreude aufgesetzt.

Ich erkannte sehr bald, daß es hier um vielmehr ging, um mit einem „vielleicht haben Sie auch Recht" zu antworten. Zu lange war ich schon auf der Suche, zu oft hatten meine Finger ins Leere gegriffen, um einer letzten Täuschung zu erliegen oder um die gesuchte Wahrheit nicht zu erkennen.

Die Behauptung dieser Christen: „Jesus Christus ist auferstanden, Er lebt, Er ist uns näher als die Luft, die wir einatmen" - diese Behauptung war zu herausfordernd, um zu antworten: „Sie könnten ja Recht haben."

Entweder ist Jesus Christus eine Märchenfigur und die Christen sind Lügner, oder in diesem Mann ist Gott Mensch geworden und die Menschen haben vom Islam bis zum Katholizismus soviel im Grund der Tatsachen umgegraben, gepflanzt und ausgerissen, so daß wir in dieser Wüste, in diesem Chaos, das Zentrale nur noch schwer erkennen können; so daß wir vor lau­ter Lügen und Irrlehren nur immer dann die Wahrheit erfahren, wenn wir uns Jesus Christus selbst zuwenden, wenn wir auf das Kreuz blicken.

Das Kreuz Jesu Christi war es auch, was mich besonders faszinierte. Denn dort wurde nach Got­tes Aussage die Belohnung für mein Leben ausgezahlt. Die Belohnung für mein und unser aller Leben: der Tod!

Als ich die Kreuzigung in der Bibel las und einige andere historischeberichte über die Kreuzi­gung, da wurde mir dieses Geschehen sehr lebendig. Es war mir zumute, als würde sich alles vor meinen Augen abspielen.
Der Verurteilte wurde, auf ebener Erde liegend, an den Querbalken genagelt. Bei der Anna­gelung wurden die Nägel zwischen den Knochen des Handgelenkes hindurchgetrieben und ver­ursachten unerträgliche Schmerzen. Dann wurde er auf dem gut drei Meter hohen Pfahl, der auf dem Strafplatz stand, hochgezogen. Danach trieb man den langen Nagel durch die übereinanderliegenden Füße. Die Kleider der Ge­kreuzigten fielen dem Hinrichtungskommando zu. Den Aufgehängten quälten furchtbarer Durst, rasende Kopfschmerzen und heftiges Fieber. Die Hängelage verursachte Atemnot und der Ver­urteilte konnte dem Erstickungstod nur entgehen, wenn er sich, gestützt auf den Nagel, der die Füße durchbohrte, vorübergehend aufrichtete. Im abwechselnden Heben und Senken des Körpers, in Atemnot und Atemschöpfen vollzog sich der Todeskampf.

Ich konnte nicht mehr sagen, ich war damals nicht dabei. Keiner von uns kann das sagen, denn wenn Jesus damals schon für uns heutige Leute gestorben ist, dann kreuzigen wir Ihn heute schon seit damals, wir, die wir nichts von Ihm wissen wollen. Dann ist jeder unserer Wünsche und Ziele, unserer Worte und Taten ein Hammerschlag auf einen der Nägel des Kreuzes. Dann ist unser gesamtes Leben, das wir ohne Ihn leben, unser Todesurteil.

 

(Fortsetzung folgt)

Nachtext

Quellenangaben