Zeitschrift-Artikel: Mehr Evangelium in unserer Umgebung - "Afrika ist hier . . . !"

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Titel: Mehr Evangelium in unserer Umgebung - "Afrika ist hier . . . !"
Typ: Artikel
Autor: A. Peratoner
Autor (Anmerkung):

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Titel

Mehr Evangelium in unserer Umgebung - "Afrika ist hier . . . !"

Vortext

Text

Dieser Ausspruch - als Überschrift meines nachstehen­den Berichtes gewählt, stammt nicht von mir, sondern von dem ehemaligen Zuchthäusler und späteren - leider heimgegangenen - Evangelisten Wolfgang Dyck. Aber er ist nach meiner inzwischen gemachten Erfahrung so zutreffend, daß ich nicht umhin konnte, mit demselben meinen Bericht zu überschreiben. Ich möchte diesen Ausspruch noch erweitern, nämlich: "Afrika ist hier…in den Knästen unseres deutschen Vaterlandes!"

Damit bin ich schon mitten im Thema…

Ich bin hier am 1. November 1980 "eingefahren" - Ent­schuldigung! … "Eingefahren" ist Knastjargon für "in diese Justizvollzugsanstalt als Untersuchungsgefangener eingeliefert worden", um für eine Weile von der Außen­welt isoliert zu werden,… durch sichere Verwahrung des Beschuldigten die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten oder der Gefahr weite­rer Straftaten zu begegnen" - so heißt es in der Nr. 1 der Untersuchungshaftvollzugsordnung.

Auch unter dem Stichwort "Seelsorge" steht etwas, näm­lich, daß der Gefangene u.a. das Recht hat, den Zu­spruch eines Seelsorgers seines Bekenntnisses zu empfan­gen (Nr. 48 der UVo11z0). Von diesem Recht durfte ich Gebrauch machen, als mich der hiesige Anstaltsseelsor­ger alsbald nach dem Einnehmen meines "festen Wohn­sitzes" unaufgefordert aufsuchte.

Nach vielen Einzelgesprächen mit diesem evangelischen Seelsorger durfte ich eine Generalbeichte ablegen, um einen Schlußstrich unter meine Vergangenheit zu ziehen und mich dem Herrn Jesus zu überliefern.

Bei den Hofgängen wurde ich auch mit meinen Mitgefan­genen bekannt, insbesondere mit Fixern und Dealern, hauptsächlich jungen Leuten, die mit dem Betäubungs­mittelgesetz "Bekanntschaft" gemacht haben. Ich habe also die wahrhaft innere Not dieser Leute, aber auch de­rer, die "herkömmliche" Kriminaldelikte begangen ha­ben, z.B. Diebstahl usw., kennenlernen "dürfen". Sehr bald wurde mir klar, daß hier ein reiches und reifes Ern­tefeld ist. Mir war von Anfang an klar, daß hier meine Aufgabe war, aber die Realisierung meiner "Schau" im Sinne von Johannes 4,35 konnte nicht von heute auf morgen eintreten, sondern schrittweise. Ich mußte also erst einmal saubere Verhältnisse in Bezug auf meine Straftaten schaffen, indem ich die Hauptverhandlung hinter mich zu bringen hatte.

Natürlich habe ich im Stillen meine Studien betrieben und mir Gedanken darüber gemacht, wie der "Ackerbau" hier im Knast vollzogen werden könnte. Einerseits frag­te ich mich, ob es wirklich einen Sinn hatte, hier eine missionarische Arbeit anzufangen, zumal mir der Anstaltsseelsorger einmal erzählt hatte, daß früher Gottesdienste durchgeführt wurden, die dann allmählich in "die Binsen gegangen" sind.

Ich regte dann eine "Gesprächsgruppe" an. Es blieb zunächst bei der Anregung, denn meine Verhandlung war ja immer noch nicht… Ich mußte also erst einmal mit mir selbst klar sein. Deshalb hatte mir der Herr auch bis dato noch kein "Zeichen" gegeben, also die

"Ampel" noch nicht auf "Grün" geschaltet. Im Septem­ber '81 "bekam" ich dann meinen Prozeß, den ich mit ei­nem "Paket" von zwei Jahren und neun Monaten verließ. Damit war schließlich alles klar, sowohl in der Öffent­lichkeit als auch - so möchte ich doch sagen - gegen­über Gott: vor Gericht habe ich durch das Geständnis meiner Straftaten voll aufgeräumt und "tabula rasa" (=reinen Tisch) gemacht. Damit war der Weg frei für das, was, wie ich glaubte, mir der Herr eingegeben hat­te; aber w i e, darüber war ich mir noch nicht im kla­ren. Deshalb betete ich und bat IHN, mir doch zu zei­gen, ob ich hier in dieser Anstalt wirklich einen Missionsauftrag hatte. "Wenn ja…", so betete ich, "…so zeig mir doch bitte, wie ich das bewerkstelligen soll."

Dies Gebet wurde auch fast im "Handumdrehen" erhört. Meine Verhandlung war im September 1981, und am 19. Oktober 1981 wurde die Bücherei dieser Anstalt frei, weil der bisherige Bücherwart in eine andere Anstalt verlegt wurde. Da ich einmal Beamter war, war ich der Anstalt natürlich als neuer Bücherwart ein "gefundenes Fressen". Deshalb mußte ich sofort umziehen von mei­nem Haftraum im Erdgeschoß in den Bücherei-Haftraum im zweiten Obergeschoß. Ich habe - innerlich - einen Luftsprung gemacht bei dem Gedanken, in eine Einzel­zelle zu dürfen, denn Einzelzellen kann man sich heute mit der Lupe suchen; die Gefängnisse in Deutschland sind heute noch genauso überfüllt wie in den sechziger Jahren. Ich hoffte nun, meine Strafe hier in dieser Bü­cherei voll verbüßen zu dürfen, also ohne in einen ande­ren Knast verschoben zu werden, denn die Büchereiar­beit ist eine feine Sache. Hier richtete also der Herr meine "Schaltzentrale" ein für das, was ER für mich vorgesehen hatte: nämlich das Verteilen missionarischer Bücher im Rahmen der vollzugstechnischen und vollzugs­rechtlichen Möglichkeiten.

Das Ganze begann mit zwei Büchern, die mir der Pfar­rer dieser Anstalt mitgebracht hatte. Es handelte sich dabei um die Bücher "Vom Knast zur Kanzel" von oben erwähntem Bruder Wolfgang Dyck, der selber rund 11 Jahre im Knast, sogar im Zuchthaus gesessen hatte, und "Fessel der Freien" zusammengestellt aus Erlebnisberich­ten (Bekehrungsgeschichten) von im Leben Gestrauchel­ten oder alkoholabhängigen Leuten. Diese Bücher haben mir noch den letzten "Schuß" gegeben und vor allem die Zuversicht, daß es einen Neuanfang gibt, wenn man nur immer auf den Herrn schaut und IHM vertraut.

Mir war klar, daß ich neben den regulären Büchern der Anstaltsbücherei auch diese Bücher "unterjubeln mußte, wovon ich dann auch reichlichst Gebrauch machte; das heißt "reichlichst" konnte ich noch keinen Gebrauch ma­chen, denn ich hatte von diesen Büchern bisher "eine Garnitur". Mir fehlten also noch weitere Exemplare. Ich schrieb an den Verfasser, der auch sehr bald "spurte", indem er mir, entsprechend meinen Angaben, mehr Bü­cher mit diesen Titeln und auch noch mit andere Titel zuschickte. Ich muß aber sagen, daß gerade diese Bücher den absoluten "Renner" machen. Warum? Ganz einfach, weil sie gerade die Situation derer ansprechen, die diese Bücher lesen.

Auf dem Hof wurde ich dann von verschiedenen angesprochen, ob man mal mit mir sprechen könnte. Ich vernahm sichtbares Echo auf diese Literatur, verbunden mit der Frage, ob man nicht miteinander eine Gesprächsgruppe machen könnte, worauf ich antwortete, daß dies vom Anstalts-Seelsorger und von der Anstalt abhinge. Ich versprach, dieser Anregung nachzugehen, und triumphierte im Innern, daß mein, d.h. eigentlich des HERRN Plan Gestalt anzunehmen begann. Ich sprach mit dem Anstalts-Seelsorger, und wir fingen mit einem Mann (außer mir) an, und zwar erst einmal in "meiner" Bücherei. Es folgten weitere Mitgefangene, so daß wir in den Besuchsraum ausweichen mußten. Wir be­schlossen, daß uns der Seelsorger mit der Bibel bekannt­machen sollte, und begannen einfach mit dem 1. Buch Mose. Wir merkten bald, daß die Leute nicht nur an der Gesprächsgruppe teilnahmen, um aus der Zelle herauszu­kommen, nein, es bestand ein echtes Bedürfnis danach, denn sehr viele verzichteten freiwillig auf den Fernseh­film, der ja parallel zur Gesprächsgruppe lief, also war das alles noch nicht "ganz ohne".

In meinen Gesprächen auf dem Hof gelingt es mir im­mer wieder, aber ich muß ausdrücklich betonen - n u r mit des Herrn Hilfe -, also gelingt es dem Herrn, Leute ausfindig zu machen, die das Gespräch mit dem Seelsor­ger suchen, die ich dann dem Anstalts-Seelsorger weiter­empfehle, und zwar gleich ganz konkret mit bestimmten Anliegen. So ist der Anstalts-Seelsorger immer gleich vorbereitet, wenn er die bestimmte Zelle betritt, um mit dem Gefangenen zu reden. Denn diese Anstalt ist mit ca. 50 Leuten belegt. Wo soll der Seelsorger da zu­erst beginnen? S o kann er gleich gezielt ein Gespräch mit dem Mitgefangenen beginnen und in "medias res" ge­hen.

Inzwischen darf sonntags ein Häftling zu mir für etwa 1 bis 1 1/2 Stunden in die Büchereizelle, weil er seine Probleme bei mir abladen möchte: ein ehemaliger Fixer und Dealer.

Mit diesem war das so: Ein Beamter sagte zu mir: "Also Herr P., dann bereiten Sie mal eine Bibel für den Herrn M. vor. Er möchte gern in der Bibel lesen!" Gesagt, ge­tan.

Ich gab diesem Mithäftling eine Anstaltsbibel und gleich auch ein paar "einschlägige" Bücher dazu und fragte ihn: "Wie kommt es, daß du plötzlich auch anfängst in der Bibel zu lesen?" - Antwort: "Durch 'deine' Bücher bin ich jetzt doch neugierig geworden, und ich will mich jetzt einmal genau damit befassen!" - Es dauerte gar nicht lange, und dieser junge Mitgefangene kam auch zum Gesprächskreis. Jetzt - der Anstalts-Seelsorger ist in Urlaub - hat sich gerade dieser junge Mann für den Herrn entschieden und IHM sein Leben überge­ben.

Mitte September 1982 bekam ich im Hause einen neuen Mitarbeiter an die Seite gestellt, der hier eine zweimo­natige Strafe absitzen muß. Ich muß einfügen: die Büchereiarbeiten erledige ich immer abends nach Einschluß, tagsüber bin ich Hausreiniger, Toilettenreiniger und Küchengehilfe (Kartoffelschäler und Geschirrspüler). Dieser neue Mitarbeiter löste einen verschubten Mitar­beiter ab. Ich "klopfte" ihn einmal etwas auf sein Ge­müt ab, gab ihm das "Knast…" - und das "Fesseln…" -Buch zum Lesen. Darauf verlangte er eine Anstaltsbi­bel. Die Folge war: er suchte das Gespräch mit mir (der Anstaltspfarrer ist beim Abfassen dieses Berichtes im­mer noch in Urlaub). Weitere Folge: dieser Mitgefange­ne übergibt sein Leben dem Herrn. Er war zwar schon durch einen katholischen Priester innerlich vorbereitet, trotzdem ging er mit einer "Heiden"-Angst in den Knast als Selbst-Steller. Kaum hatte er diesen Knast betreten, bekam er schon die "Stelle" als Hausreiniger und Kü­chengehilfe und wurde mir damit zur Seite gestellt. Nun, nach seiner Entscheidung für Jesus, sagt er: "Jetzt weiß ich, warum ich als Ersttäter wegen lumpiger 'zwei Monate' keine Bewährung gekriegt habe, während doch andere, die schon x-mal im Knast waren, immer wieder Bewährung kriegen! . .. Mensch, A., jetzt weiß ich: es ist der Wille des Herrn. Das mußte so sein. Ich bin froh, daß ich dich hier getroffen habe.

Anderer "Fall": Beim Brotschneiden schaut jemand von oben in die Küche herein und fragt, ob er mich ge­legentlich sprechen könnte. "Warum nicht…?", ant­wortete ich. Dieser Junge Mann wurde kurz vor seinem Abitur wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittel­gesetz verhaftet und hat mit einem "Fünfer" (= 5 Jahre) zu rechnen. Auf dem Hofgang werde ich zunächst mei­nen Kontakt zu diesem Mitgefangenen haben. Zum "An­wärmen" habe ich ihm zunächst den "Knast . . ." und die "Fesseln . . ." gegeben, und zwar mit einem kleinen Randschreiben dazu. Der junge Mann, der innerlich total "müde" ist angesichts der wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt drohenden "5 Jahre", ist nun froh, daß er seine Last irgendwo loswerden kann, und zwar bei ei­nem, der selber "Knastologe" ist, aber mit seinem Pro­blem fertiggeworden ist; denn jeder weiß hier, daß es mit meiner Beamtenlaufbahn zu Ende ist und ich mit 45 Jahren ein erledigter Mann bin. Aber man weiß hier auch, daß es mit Gottes Hilfe für mich trotzdem einen Neuanfang gibt, der sich inzwischen sehr deutlich herauskristallisiert hat. Es würde zu weit führen, wollte ich das an dieser Stelle ausführen.

Unsere Gesprächsgruppe ist also im Wachsen begriffen, aber was viel wichtiger ist, daß sich so schnell hinter­einander Gefangene für IHN entscheiden und ihr Leben dem HERRN übergeben.

Für die beiden jungbekehrten Mitgefangenen und für mich ist es übrigens schon beschlossene Sache: wenn je­der seine Angelegenheit in Ordnung gebracht hat, sei es durch Strafverbüßung, durch Therapie oder andere Maß­nahmen, werden wir neben unseren Hauptberufen in Ge­fängnissen evangelisieren. Unabhängig voneinander und zeitlich nacheinander haben mir gerade diese beiden Jungbekehrten gesagt, daß sie sich zu einem solchen Dienst berufen wissen. Zu diesem Zweck wollen sie die Verbindung mit mir auch nach unserer irgendwann statt­findenden räumlichen Trennung fortsetzen. Nach mei­nem entsprechenden Hinweis korrigierten sie sich aber dahingehend, daß sie die Verbindung mit dem Herrn nicht verlieren dürften, denn draußen, in der sogenann­ten Freiheit, das haben beide erkannt, sind die Anfech­tungen mit Sicherheit größer als hier in der Isolierung, in der scheinbaren Abgeschlossenheit, was aber nicht ei­ne Abgeschlossenheit von Gott bedeutet, wenn man IHN nur sucht, und sich IHM anvertraut.

"Siehe, ich sage euch: Hebet eure Augen auf und schau?
et die Felder an, denn sie sind schon weiß zur Ernte!"

(Johannes 4,35).

 

 

Nachtext

Quellenangaben