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Autor: Benedikt Peters
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Vortext

»Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist.« (Teil 1)

Text

Drei wichtige Wahrheiten sind in diesem Text aus Jakobus 5,16 enthalten:
1. Das Gebet: Es ist das Gebet, das viel vermag.
2. ... des Gerechten: Es muss das Gebet eines Gerechten sein.
3. ... wenn es ernstlich ist: Das Gebet muss ernstlich, d. h. mit Glauben sein. Wir wollen in der angegebenen Reihenfolge diese drei Wahrheiten untersuchen.

»Das Gebet ...«

Gebet vermag viel. Es ist keine schmückende Beigabe des Glaubenslebens, sondern der Drehund Angelpunkt des geistlichen Lebens. Bedenken wir: Der Herr lehrte die Jünger nie, wie sie predigen müssten, aber er lehrte sie wiederholt, wie sie beten sollten. Ein Diener des Herrn sagte einmal: „Bei keinem Christen ist das geistliche Leben tiefer als sein Gebetsleben!“ Stimmt dieser Satz? Er stimmt, weil wir im Gebet die einzig richtige Haltung vor Gott einnehmen:
Es ist recht, dass wir beten, weil wir Geschöpfe sind.
Es ist recht, dass wir beten, weil wir Sünder sind.
Es ist recht, dass wir beten, weil wir Erlöste sind.
Wenn wir beten bekennen wir, dass wir vollständig von Gott abhängig sind. Das Gebet ist Beweis und Bekenntnis, dass Gott Gott und wir bloße Geschöpfe sind, dass alles in Seiner Hand und gar nichts in unserer Hand ist. Das gilt für alles, was wir im irdischen Leben benötigen und noch mehr für alles, was wir für das ewige Leben brauchen. Wir sind aber in Sünde gefallen und haben damit alles verloren und können nichts tun, um das Verlorene wiederzugewinnen.
Die Errettung ist göttlich und himmlisch. Alles, was mit ihr zusammenhängt, muss uns von oben gegeben werden: »Ein Mensch kann nichts empfangen, es sei ihm denn aus dem Himmel gegeben« (Joh 3,27). In uns ist nichts Gutes: »Ich weiß, dass in mir nichts Gutes wohnt« (Röm 7,18). Und darum kann aus uns auch nichts Gutes kommen; vielmehr kommt uns alles Gute von Gott zu: »Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter« (Jak 1,17). Darum lautet die eröffnende Seligpreisung – jene Seligpreisung, welche die Tür aufstößt zu allen weiteren Seligkeiten des Reiches Gottes: »Glückselig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel« (Mt 5,3). Selig sind die Bettler im Geist, wie es im Griechischen wörtlich heißt. Ein Bettler hat nichts und vermag nichts; darum bettelt er. Selig ist, wer erkannt hat, dass er vor Gott bettelarm ist. Wir haben nichts und wir vermögen nichts; darum müssen wir von Gott alles erbeten. Und schließlich: Es ist recht, dass wir beten, weil wir Erlöste sind. Wir gehören als solche nicht nur zum Reich Gottes, sondern wir sind auch dazu berufen, an der Ausbreitung dieses Reiches mitzuwirken. Das geschieht vor allem durch Gebet. Das Reich, vom dem unser Herr in der Bergpredigt spricht, kommt durch die Gebete seiner Erwählten: »Dein Reich komme« (Mt 6,10). Das Reich kommt nicht durch Heer und Macht, also nicht durch die Mittel, die wir in Händen haben, sondern durch seinen Geist (Sach 4,6); den Geist und sein Wirken aber müssen wir erbeten (Mt 7,7–11; Lk 11,13; Apg 1,14; 2,1; 4,31; Eph 1,17).

»Lasst uns unser Herz samt den Händen erheben zu Gott im Himmel!« (Klg 3,41).

„Beten lehrt uns unsere ganze Unwürdigkeit, und das ist eine heilsame Lektion für so stolze Wesen wie wir es sind. Gäbe uns Gott seine guten Gaben ohne dass wir darum hätten beten müssen, wüssten wir nie, wie arm wir sind. Wahres Gebet ist aber ein Inventar unserer Mängel, ein Katalog unserer Nöte, eine Enthüllung unserer verborgenen Armut. Während das Gebet sich an Gottes Reichtümer wendet, bekennt es gleichzeitig die menschliche Nichtigkeit. Das ist der einzige wirklich gesunde Zustand des Christen, dass er in sich selbst immer leer und beständig auf den Herrn angewiesen ist, dass der ihm gebe, was er selbst nicht hat, dass er in sich selbst arm und allein in Jesus reich ist ... Darum ist Gebet so heilsam: Indem es Gott bewundert, erniedrigt es das Geschöpf dahin, wohin es gehört: in den Staub. So ist das Gebet schon ganz abgesehen von der Erhörung ein großer Segen für den Christen. Wie der Läufer durch sein tägliches Üben für den Wettlauf immer tüchtiger wird, so gewinnen wir für unseren großen Lebenslauf täglich Kraft in der heiligen Arbeit des Gebets. Gebet lässt den Jungadlern Gottes die Flügel wachsen, so dass sie lernen aufzufahren über die Wolken. Gebet gürtet den Streitern Christi die Lenden und sendet sie in den Kampf mit gestählter Brust. Der Gebetskämpfer erscheint aus dem Kämmerlein wie die Sonne im Osten aufgeht und freut sich wie ein Held zu durchlaufen die Bahn. Gebet, das sind jene erhobenen Hände Moses, welche die Amalekiter wirksamer zurückdrängen als das Schwert Josuas. Es ist der Pfeil, der aus der Kammer des Propheten entsandt wird und den Syrern Niederlage ankündigt. Gebet gürtet menschliche Schwäche mit göttlicher Stärke, macht menschliche Torheit zu göttlicher Weisheit und gibt bekümmerten Sterblichen den Frieden Gottes. Wir wissen nicht zu sagen, was Gebet nicht vermöchte! Wir danken Dir, großer Gott, für den Gnadenthron, diesen erlesenen Beweis deiner Liebe und Güte!“
(C.H. Spurgeon, Morning and Evening, 11. Oktober, Morgen).

Ein unbekannter Christ, der etwas von der Bedeutung des Gebets verstanden haben muss, schrieb einmal: „Die verborgene Ursache für unser Versagen ist unser Versagen im verborgenen Umgang mit Gott!“ (The Kneeling Christian)

Gebet hat Vorrang

Gebet stand am Anfang der Errettung Israels aus Ägypten (2Mo 2,23.24; 5Mo 26,7). Gebet findet sich am Anfang des neuen Lebens einer jeden geretteten Seele (Ps 107,6.13.19.28; Röm 10,12.13). Gebet war am Anfang einer jeden geistlichen Bewegung im Volk Gottes.
D. L. Moody sagte zu Recht: „Jede große Bewegung, die Gott schenkte, lässt sich auf einen Beter auf den Knien zurückverfolgen“ (zitiert bei E. F. Harvey: Sieghaftes Beten, S. 9).

Die Richterzeit wird meist als eine Zeit des Niedergangs bezeichnet, und das war sie wohl. Sie war aber auch eine Zeit der Erweckungen, die Gott immer wieder schenkte und durch die der Niedergang oft über Jahrzehnte aufgehalten wurde. Das Buch Richter lehrt uns besonders deutlich, dass jede Erweckung damit begann, zu Gott im Himmel um sein Eingreifen für sein Volk zu schreien (Ri 3,9.15; 4,3; 6,7; 10,10). Das hat sich in der Geschichte des neutestamentlichen Gottesvolkes seit Pfingsten unzählige Male wiederholt.
Hier ein Beispiel: „Bitte, betet um Erweckung in Hingwah!“ Das hatte eine Missionarin aus dem südchinesischen Hingwah an Freunde in Amerika geschrieben. Zwei ältere Schwestern in ihrer Heimatgemein- de nahmen den Aufruf ernst und begannen um diese Erweckung zu beten. Nach einer längeren Zeit der innigen täglichen Fürbitte gab Gott ihnen die Gewissheit, dass Er am kommenden Karfreitag (es war im Jahre 1911) die Gemeinde heimsuchen werde. Die beiden Beterinnen schrieben der Missionarin in Hingwah, sie solle sich bereithalten, am Karfreitag werde in ihrer Gemeinde eine Erweckung ausbrechen. Der Brief kam zu spät an, aber die Erweckung kam am Karfreitag, wie Gott den beiden Beterinnen verheißen hatte: „Der Prediger jenes Karfreitags hatte nicht den Ruf, ein Evangelist zu sein noch besondere Gaben zu besitzen. Aber er war ein hingegebener Mann, den Gott gebrauchen konnte, ohne dass es ihm in den Kopf stieg. Während er die Leiden des Herrn schilderte, brach er zusammen und begann zu weinen, weil er seine Sündhaftigkeit in einem grelleren Licht sah als je zuvor. Das Überführtsein griff auf die ganze Versammlung über und bald lag jedermann auf dem Gesicht und bekannte Gott seine Sünden. Es folgten Aussöhnungen und Wiedergutmachungen. Gemeindeglieder, die jahrelang Feinde gewesen waren, wurden Freunde. Eine gereinigte Gemeinde wurde zu einer missionarischen Gemeinde, und innerhalb von wenigen Monatenkam es zu 3000 Bekehrungen. Viele Gemeindehäuser wurden im ganzen Distrikt gebaut und die Gemeinden von Hingwah wurden aus einem Leben der Lauheit und der eingespielten Formen auf eine Ebene neuer christlicher Realität gehoben. Zum ersten Mal war es zur Erweckung in dieser Gemeinde gekommen.“ (Leslie T. Lyall: John Sung – A Flame for God in the Far East, S. 8).

Wir können noch folgende zwei Gründe nennen, warum Gebet im Leben des einzelnen Gläubigen und im Gemeindeleben Vorrang haben muss:
- Gebet öffnet den Himmel über uns (Lk 3,21)
- Gebet öffnet dem Heiligen Geist alle Türen, in und durch uns zu wirken (Lk 3,22)

Selbstverständlich ist die Taufe unseres Herrn und das damit verbundene Geschehen einmalig. Wir können aus ihm aber Prinzipien ablesen, die wir auf alle anwenden können, die dem Herrn gehören. Gebet öffnete einem jeden von uns den Himmel, als wir zum ersten Mal in unserer Sündennot zum Herrn riefen und er uns erhörte (vgl. Ps 107,6.13.19.28). Seitdem ist uns der Himmel rechtlich aufgeschlossen. Aber faktisch öffnet sich uns der Himmel jedesmal dann, wenn wir im Gebet das Angesicht dessen suchen, der im Himmel thront (siehe Ps 123,1; Heb 4,16). Und als wir wiedergeboren wurden und Gott uns als seine Kinder annahm, sandte er den Geist der Sohnschaft in unsere Herzen (Gal 4,7), der seither in uns wohnt (2Tim 1,14). Aber dann und in dem Maß, wie wir uns im Gebet vor Gott niederwerfen und uns unter seine Hand demütigen und uns seinem Willen ergeben, gehen dem Heiligen Geist alle Türen auf, uns zu erfüllen, wie das auch bei den Aposteln der Fall war: »Als sie beteten, bewegte sich die Stätte, wo sie versammelt waren, und sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimütigkeit« (Apg 4,31). Gebet muss Priorität haben, denn: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh 15,5). Wenn das stimmt, dann müssen wir mehr als alles andere nach Gottes Beistand, Gottes Gegenwart, Gottes Hilfe, Gottes Geben trachten. Was heißt das anderes, als zuerst beten, dann arbeiten; und nach dem Arbeiten wieder beten (wie es unser Herr tat; siehe Joh 11,41.42; Lk 5,15.16). Wir haben erkannt (Ps 118,8.9) und wir haben erfahren (Ps 60,13), dass Menschen weder helfen noch trösten, weder stärken noch retten können (Ps 69,18–21). Im Lauf der Jahre wächst das Bewusstsein unserer vollständigen Ohnmacht, wenn es darum geht, Problemgeschwister zurechtzubringen und Sünder zur Buße zu bewegen. Wir erkennen immer klarer, dass wir nichts in der Hand haben; dass wir alles von Gott erbeten müssen. Wer nicht betet, scheint zu glauben, er habe sich, die Umstände, die Menschen und die Zukunft in seiner Hand. Welcher Wahn! Welcher Hochmut! Welche Sünde! Wundern wir uns noch, dass der Herr dann nicht mit uns ist?
(wird fortgesetzt)

Nachtext

Quellenangaben