Zeitschrift-Artikel: Wenn Führer vom Beifall der Masse berauscht sind...oder: Von der Schwäche eines >guten< Charakters

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Titel: Wenn Führer vom Beifall der Masse berauscht sind...oder: Von der Schwäche eines >guten< Charakters
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Wenn Führer vom Beifall der Masse berauscht sind...oder: Von der Schwäche eines >guten< Charakters

Vortext

Text

"Und Mose sah das Volk, daß es zügellos war, denn Aaron hatte es zügellos gemacht, zum Gespött unter ihren Widersachern."
2Mose 32,25

Aaron ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der Bibel, denen Gott ein besonderes Zeugnis ausstellt. Bevor wir auf sein Versagen eingehen, möchte ich kurz seine positiven Charaktereigenschaften zeigen.

Ein Beter

In Ps 99,6 wird Aaron gemeinsam mit Mose und Samuel hervorgehoben als einer "der den Namen des Herrn anrief" und dessen Gebete erhört wurden. Wie oft lesen wir im 2. und 4. Buch Mose, daß er gemeinsam mit Mose auf sein Angesicht fiel und fürbittend zu Gott schrie.

Ein Hirte

In Ps 77,20 lesen wir das schöne Zeugnis: "Du hast dein Volk geleitet wie eine Herde, durch die Hand Moses und Aarons."

Offensichtlich war es Aaron ein wichtiges Anliegen, daß Israel dem Herrn folgte und das von Gott bestimmte Ziel erreichte. Mit einem Hirtenherzen ging er voran und sorgte sich um das geistliche Wohl der ihm anvertrauten Herde.

Ein Hoherpriester

Sicher waren die eben genannten Eigenschaften eine Voraussetzung dafür, daß Aaron zum Hohenpriester erwählt, gesalbt und eingesetzt wurde. Er trug die 12 Stämme auf seinem Herzen und auf seinen Schultern (vgl. 2Mo 28,11-43), um für das Volk vor Gott einzutreten. Und damit ist Aaron eines der schönsten Vorbilder auf unseren Herrn Jesus, wie es der Brief an die Hebräer deutlich zeigt.

Ein Mann, der die "zweite Geige" spielen konnte

Schließlich sollten wir nicht übersehen, daß Aaron die unter dem Volk Gottes selten gewordene Gabe hatte, die "zweite Geige" spielen zu können, was bekanntlich das schwerste Instrument in einem Orchester ist.

Obwohl er der ältere Bruder Moses war, ordnete er sich ihm unter und war ihm eine Stütze und Hilfe, wenn Mose müde wurde (2Mo 17,12). Er murrte nicht, daß er stets neben oder hinter Mose erwähnt wurde und es scheint so, daß er sich neidlos über die Gaben seines jüngeren Bruders freuen konnte.

Natürlich, wir lesen in 4Mo 12 davon, daß er sich einmal gegen Mose empörte, aber wahrscheinlich hatte ihn dazu seine Schwester Miriam angestachelt. Jedenfalls wird bei der Schilderung dieser Geschichte in 4Mo 12 ihr Name zuerst genannt und sie wird von Gott mit Aussatz bestraft. Aber auch hier tritt Aaron fürbittend für seine Schwester ein und scheut sich nicht, ihre gemeinsame Schuld als "Sünde" und "Torheit" zu bezeichnen.

Die Gefahr eines "guten" Charakters

Jede ausgeprägte positive Charaktereigenschaft birgt aber auch Gefahren in sich. Männer, die die "erste Geige" spielen, neigen schnell zur Herrschsucht und Dominanz, wenn sie nicht nah beim Herrn bleiben. Doch Persönlichkeiten wie Aaron, die sich durch eine gewisse Bescheidenheit und Zurückhaltung auszeichnen, neigen in bestimmten Situationen zu einem Verhalten, wie wir es in 2Mo 32 beobachten können:

Aaron agiert nicht - sondern reagiert

Während Mose auf dem Berg die Anweisungen Gottes bekommt, wird das Volk am Fuß des Berges ungeduldig. Bisher konnte sich Aaron an Mose anlehnen. Nun steht er plötzlich als Führer im Rampenlicht und muß eine Entscheidung treffen, als das Volk ihn auffordert, einen Gott zu machen.

In Zeiten, wo das Volk Gottes zum Götzendienst tendiert, sind Führer aufgefordert, eindeutige, unüberhörbare Signale zu geben. Sie haben Standhaftigkeit und Unbeugsamkeit zu zeigen, wenn es um die Ehre Gottes geht.

Aber genau an dieser Stelle versagt Aaron. Anstelle von Gottesfurcht wird das Stimmungsbarometer des Volkes zum Maßstab seines Handelns.

Wenn natürliche Bescheidenheit und Nachgiebigkeit nicht mit Gottesfurcht verbunden sind, kann aus einem Führer ein Irrlicht werden.

Aaron war kein Draufgänger, sondern eher ein passiver, harmoniebedürftiger Typ - ein Mann des Friedens. Darum entspracht er dem Wunsch des Volkes nach einem Gottesdienst mit Spiel und Spaß und wurde so mitschuldig an dem Tod von 3.000 Männern.

Er wehrte der Sünde nicht

Aaron wurde die Menschenfurcht zum Fallstrick (Spr 29,25). Man kann nicht Gott und Menschen zugleich gefallen wollen (Gal 1,10). Es gibt Situationen, wo wir nicht schweigen dürfen, auch wenn wir uns damit gegen ein Volksbegehren stellen. Timotheus - auch ein scheuer, schüchterner Charakter - wurde von Paulus fast feierlich beschworen: "...überführe, strafe, ermahne mit aller Langmut und Lehre. Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen..." (2Tim 4,3).

Vom Volk beeinflußt, drückt Aaron dem Götzendienst Israels den Stempel "Gottesdienst" auf. Hier wird die größte Schuld Aarons deutlich, als er angesichts des goldenen Kalbes und der religiösen Begeisterung des Volkes einen Altar baute und ein "Fest des Herrn" ausrief. Damit war auch der letzte Zweifel beseitigt: der Führer des Volkes hatte das Kalb abgesegnet! Und so finden wir hier die Anfänge der uns heute so vertrauten Vermischung von "Gottesdienst" und Götzendienst.

Aaron machte das Volk "zügellos"

Allem Anschein nach war das Fest buchstäblich berauschend. Einerseits stand man am Tag des Festes früh auf, opferte Brand-und Friedensopfer, um aber dann zu essen, zu trinken und sich zu belustigen. Die erste große fromme Unterhaltungs- und Vergnügungsveranstaltung hatte begonnen. Tanz, Musik und Spaß, - alles natürlich "im Namen" und "zur Ehre" Gottes.

Der Gegenwartsbezug liegt auf der Hand. Christliches Entertainment, umrahmt von stimmungsvollen "Anbetungs-zeiten" und unter dem Motto "Feiert Jesus!" bestimmen heute viele evangelikale Großveranstaltungen. Die zahlreichen christlichen Kabarettisten, Trickkünstler, Musiker, Tänzer usw. leiden nicht unter Arbeitslosigkeit. Abgesegnet und empfohlen von evangelikalen Führern bieten sie ihr Bestes. Die 10,- oder 20,- DM Einritt zahlt man gerne für eine christliche Show, - schließlich würde man bei einem "weltlichen" Gegenstück das Doppelte zahlen. "Was nix kostet, ist auch nix wert!"

Es scheint so, daß viele heutige Führer der Christen sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie Gott dieses fromme Theater beurteilt. Unnüchtern gemacht durch Anerkennungssucht entspricht man dem Bedürfnis des Volkes nach Unterhaltung, und man bietet das, was verlangt wird, anstatt das zu sagen, was Gott in dieser Situation gesagt haben möchte.

Schuld an dieser Entwicklung sind nicht in erster Linie die oft gutmeinenden, begabten Unterhaltungskünstler, noch das zahlende Volk, sondern Männer wie Aaron, die es besser wissen, aber durch eine weiche Anpassungsfähigkeit, Nachgiebigkeit und Menschengefälligkeit nicht mehr Gott als Propheten, sondern dem Publikum als "Anstandswauwau" zur Verfügung stehen.

So wird aus der Nachfolge Jesu ein "Spiel ohne Grenzen" mit einem hohen Unterhaltungswert, weil Führer der Evan-gelikalen die Zügel schleifen lassen. Und eine aufmerksame, skeptische Welt hat mal wieder einen Grund mehr für spottende, zynische Bemerkungen.

Kein eindeutiges Schuldbekenntnis

Als Aaron Stunden später einem erschütterten Mose gegenübersteht, stellt sich Aaron nicht eindeutig zu seiner Schuld. Erstaunlich und eigenartig, wie verächtlich Aaron plötzlich das Volk Gottes bezeichnet, in dessen Gunst er sich soeben noch gesonnt hatte: "Du kennst ja das Volk, daß es im Argen ist...". Und dann noch die fast peinlich klingende Erklärung, daß das Kalb wie von selbst, wie durch einen evolutionären Prozeß "aus dem Feuer hervorgegangen" ist (Vers 24). Er entschuldigt und verniedlicht sein Versagen mit dem Hinweis auf "das böse Volk".

Moses Urteil blieb unbeeindruckt: "Aaron hatte das Volk zügellos gemacht, zum Gespött unter seinen Widersachern."

Geistliche Größe bei geistlichen Führern erkennt man in einem uneingeschränkten, eindeutigen Schuldbekenntnis und nicht in krampfhaften Schuldverschiebungen. Wie ganz anders reagierte David, als er nach seiner großen Sünde, die den Zorn Gottes herausforderte, ausrief:

"Siehe, ich habe gesündigt, und ich habe verkehrt gehandelt; aber diese Schafe, was haben sie getan? Es sei doch deine Hand wider mich und wider meines Vaters Haus." (2Sam 24,17)

Gottesfurcht - das Gebot der Stunde

Der bekannte Pioniermissionar C.T. Studd sagte einmal: "Ich bin Jesus untertan und gebe keinen Pfifferling für meinen guten Ruf. Ich werde pfeilgerade vorangehen, einerlei, was es kostet."

Seine Mitarbeiter ließ er folgenden Satz als Bekenntnis unterschreiben:

"Hinfort kümmert mich alles andere einen Dreck, außer der Verherrlichung Christi, dem Gehorsam gegen Gott und der Evangelisierung der Welt."

Jim Elliot schrieb kurz vor seinem Märtyrertod in sein Tagebuch:

"Es war eine lange Lehrzeit, bis ich das gelernt hatte: nur vor Gott zu leben, sich das Gewissen nur von Ihm formen zu lassen und nichts zu fürchten als das Abweichen von Seinem Willen."

Abschließend ein Zitat von C.H.Spurgeon, der am Ende des letzten Jahrhunderts seine Stimme gegen die Oberflächlichkeit und Kompromißfreudigkeit der Evangelikalen erhob:

"Ich betrachte alles unter dem Gesichtspunkt, wie es in Beziehung zur Ehre Gottes steht. lch sehe zuerst Gott - und den Menschen weit unten in der Liste. Wir haben eine zu hohe Meinung von Gott, um diesem Zeitalter nach dem Munde zu reden."

Aaron hatte in dieser entscheidenden Situation des Volkes Israel versagt. Seine falsche Blickrichtung hatte schreckliche Folgen für diejenigen, denen er Vorbild und Wegweiser zur Gottesfurcht sein sollte.

Nachtext

Quellenangaben