Zeitschrift-Artikel: Emerging Church - Abschied von der biblischen Lehre?

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Titel: Emerging Church - Abschied von der biblischen Lehre?
Typ: Buchbesprechung
Autor: Gerrit Alberts
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Titel

Emerging Church - Abschied von der biblischen Lehre?

Vortext

Emerging Church - Abschied von der biblischen Lehre?
Buchbesprechung des gleichnamigen Titels von D. A. Carson (CLV, Frühjahr 2008)

Text

Zunehmender Einfluss

Die Emerging Church-Bewegung bekommt zunehmend Einfluss im deutschsprachigen Bereich. Bücher ein- flussreicher Autoren aus dem angloamerikanischen Raum wie Brian McLaren, E. R. MacManus, Dan Kimball, Kester Brewin1 erscheinen in deutschen Verlagen. Auch deutschsprachige Autoren wie T. Faix, Th. Weißenborn2, Christina Brudereck3, F. Vogt4 nehmen sich des Themas an und verstehen sich mehr oder weniger als Teil der Bewegung. Auch auf überregionalen Tagungen rückt die Strömung in den Fokus: So war im November 2006 Erwin McManus Hauptreferent auf der Schweizer Jugendleiter-Konferenz „Newleaders“ (Neue Leiter) in St. Chrischona. Der jährlich stattfindende Kongress, der von großen Freikirchen-Verbänden (FEG, CHG, ETG und VFMG) getragen wird, dient als Motivations- und Schulungsveranstaltung für die Schweizer kirchliche Jugend. Ende November/ Anfang Dezember 2007 kommt einer der einflussreichsten Autoren und Mitbegründer der Emerging Church-Bewegung, Brian McLaren, zusammen mit Jason Clark nach Marburg, Erlangen und Hamburg. In Marburg sind sie die Hauptredner der Studientage des Theologischen Seminars Tabor und des Marburger Bibelseminars. Einer der Veranstalter der Tagung ist die Koalition für Evangelisation, die mit der Lausanner Bewegung Deutschland und der Deutschen Ev. Allianz (DEA) eng verzahnt ist.5 Die Entwicklung und Verbreitung des Gedankenguts der Emerging Church findet zu einem großen Teil im Internet statt. Auf sogenannten Blogs, Internetforen, werden Fragen der Theologie und Praxis diskutiert. Dadurch hat die Bewegung den Charakter eines weltweiten Netzwerkes. Auch im deutschsprachigen Bereich gibt es inzwischen eine ganze Reihe solcher Internetforen.6

Widersprüchliche Beurteilungen

Die Beurteilungen der Emerging Church-Bewegung reichen von begeisterter Zustimmung zu besorgter Ablehnung. F. Vogt erwartet ein geradezu goldenes Zeitalter für die Gemeinden: „In der Emerging Church werden wir auf Gott und unseren Glauben wieder stolz sein ... Wir werden uns nicht mehr für die kirchlichen Fehleinschätzungen der Vergangenheit schämen, sondern leidenschaftlichen Gottesdienst feiern, im Hier und Jetzt christliche Gemeinschaft erleben und uns mit ganzem Herzen, ganzer Seele und all unserer Kraft mit der Liebe Gottes identifizieren.“ 7 John MacArthur hingegen sieht in dieser Bewegung die allergrößte Gefahr für die Christen: „... der Sturmangriff der „Emerging Church“ gegen die unmissverständliche Klarheit der Schrift ist der gefährlichste Angriff, den ich je gesehen habe. Wenn die Bibel nicht mehr als klar und unmissverständlich anerkannt wird und ihre Bedeutung entsprechend nicht verstanden werden kann, was haben dann die Christen überhaupt noch zu sagen?“ 8

Profil der Bewegung

Die Emerging Church-Bewegung nahm ihren Anfang Mitte der 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Amerika. Das englische Partizip emerging heißt so viel wie „im Entstehen begriffen sein“ und wird im Englischen in verschiedenen Bedeutungsvarianten verwendet. Es soll andeuten, dass die Bewegung im Fluss ist, sich ständig entwickelt und sich selbst als unfertig ansieht. Durch die vielfältigen Erscheinungsformen sind die Grenzen sehr unscharf. Deswegen ist es auch nicht leicht, die Emerging Church fair zu portraitieren. Um den Eindruck einer homogenen Bewegung oder eines einheitlichen Gemeindetypus zu vermeiden, bevorzugen viele den Ausdruck emerging conversation. Trotz dieser Vielfalt lassen sich nach mehr als einem Jahrzehnt der Entwicklung Grundlinien und gemeinsame Ansatzpunkte aufzeigen. D. A. Carson, Professor für das Neue Testament an der Trinity Evangelical Divinity School in Chicago, veröffentlichte 2005 eine umfangreiche Analyse und vorläufige Bewertung der Bewegung. 9 Das Buch wird unter dem Titel »Emerging Church - Abschied von der biblischen Lehre?« voraussichtlich Ende März 2008 im CLV erscheinen. Da mir keine deutsche Übersetzung im Druck vorliegt, zitiere ich aus der amerikanischen Ausgabe. Das Buch beginnt mit einer Darstellung des Profils der Bewegung und einer Würdigung ihrer Stärken. In den folgenden drei Kapiteln beschäftigt sich Carson ausführlich mit dem Verhältnis der Emerging Church zur Postmoderne. Anhand von zwei bedeutsamen Büchern (Brian MacLaren: A Generous Orthodoxy (deutsch etwa: Eine großzügige Rechtgläubigkeit) und Steve Chalke, Alan Mann: The Lost Message of Jesus (Die verlorene Botschaft von Jesus), beide erschienen bei Zondervan, 2004 und 2003) illustriert er im 6. Kapitel die Schwächen der Bewegung. In den abschließenden zwei Kapiteln analysiert er biblische Texte, die zeigen, dass wir in Gottes Wort durchaus zuverlässig biblische Wahrheiten erkennen und durch Erfahrung bestätigen können. Die Frage, ob Menschen überhaupt universell gültige, zuverlässige, absolute Wahrheit erkennen können, ist eine zentrale Frage der Postmoderne und der Emerging Church. Carson zeigt, dass viele Autoren der Bewegung einen dreifachen Protest zum Ausdruck bringen:

 ◆ Protest gegen den traditionellen Evangelikalismus:

 Viele Ideengeber kommen aus theologisch konservativen Gemeinden, einige wie Brian McLaren und Dave Tomlinson10 aus der Brüderbewegung. Am Beispiel von Spencer Burke macht er das Unbehagen und die Absetzbewegung mancher Autoren vom konservativen Evangelikalismus deutlich. Burke war Pastor in einer großen kalifornischen Gemeinde und legte sein Amt nieder. Er fasst seine Unzufriedenheit u. a. unter dem Begriff „geistlicher McCarthianismus“ zusammen. (Senator McCarthy war ein führender Vertreter des intensiven Antikommunismus in der amerikanischen Nachkriegsgeschichte. Sein Name wird häufig verbunden mit Gesinnungsschnüffelei und Bevormundung). Burke argumentiert, dass sich durch die Geschichte hindurch herausstellt, dass Christen in vielen Angelegenheiten Fehler gemacht haben: Sklaverei, Wahlrecht für Frauen u.v.m.: „Hier stellt sich die Frage: Ist es wirklich so ketzerisch, sich vorzustellen, die evangelikalen Kirchen hätten sich geirrt in der Frage der Homosexualität? Ist es nicht weise, wenigstens von Zeit zu Zeit die ´Was-wäre-wenn- Frage´ zu stellen? Und wenn es nur aus dem Grunde wäre, unsere gegenwärtige Einstellung zur Schrift zu hinterfragen?“ 11

 ◆ Protest gegen die Moderne:

Die Moderne als Epoche, welche auf die Aufklärung zurückgeht, ist geprägt von dem Optimismus, die Natur einschließlich der Natur des Menschen durch Vernunft erklären und beherrschen zu können. Der Mensch schien einer endlichen Menge von möglichen Erkenntnissen gegenüber zu stehen, die er durch Wissenschaft mehr und mehr erschließen könnte. Inzwischen ist dieser Optimismus einer Ernüchterung gewichen. Mit zunehmendem Wissen wächst auch die Verunsicherung. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt scheint es sich so zu verhalten wie mit einem Luftballon: Je mehr die Hülle des Wissens wächst, um so umfangreicher wird auch das Volumen der unbeantworteten Fragen. Die Postmoderne als philosophische Richtung verkündet das Ende der „Meta-Narrative“, der Übergeschichten, d. h. der übergeordneten, universell gültigen Erklärungsmodelle. Erkenntnis ist immer eine subjektive, durch die jeweilige Kultur bedingte Einsicht und kann deswegen keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Die Mehrheit der Emerging Church-Autoren denkt, „dass das grundlegende Thema der Entwicklung von der Moderne zur Postmoderne die Erkenntnistheorie ist - d. h., wie können wir etwas wissen oder warum denken wir, etwas zu wissen? Die Moderne wird oft dargestellt als Streben nach Wahrheit, Absolutheit, linearem Denken, Rationalismus, Gewissheit, Denken im Gegensatz zu Gefühlen. Zuweilen führt dies zu Arroganz, Unbeweglichkeit, Rechthaberei und Kontrollsucht. Im Gegensatz dazu betont der Postmodernismus, wie sehr unser Wissen durch die Kultur geprägt und durch die Gefühle, Vorlieben und Vorerfahrungen beeinflusst wird. Deswegen sollte es sinnigerweise nur für ein Produkt der gesellschaftlichen Tradition gehalten werden, ohne den anmaßenden Anspruch, wahr oder richtig zu sein.“ Der Modernismus, so die Autoren der Emerging Church, habe seine prägende Wirkung auf das Verständnis des Christentums im Evangelikalismus entfaltet: Die Schwerpunkte liegen auf Lehrsystemen, auf der Verteidigung von Wahrheit, auf Absolutheitsansprüchen. Das Christentum müsse darum neue Wege entwickeln, um das Evangelium zu beschreiben und zu verteidigen, die weniger im Bereich der Lehre und Verkündigung, als im Erleben und subjektiven Bezeugen lägen. Der Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein, wird grundsätzlich bezweifelt. McLaren geht davon aus, dass der Postmodernismus solche gigantischen und unwiderruflichen Wechsel im Denken des Menschen hervorbringt, dass die Kirche entweder auf die Postmoderne antworten müsse oder in Irrelevanz versinke.12

◆ Protest gegen die Sucher-orientierten Megakirchen:

Dieser letzte Aspekt ist sicher am wenigsten allgemein ausgeprägt bei den Emerging Church-Autoren. Kritikpunkte an den Megakirchen sind, dass sie sich aus den Innenstädten heraushalten und in die Isolation der Vorstädte ziehen, wo sie mittelschichtsorientierte Kirchen bilden und mit dem gesellschaftlichen Elend nicht konfrontiert sind. Die Megakirchen würden sich als Servicebetrieb verstehen, Emerging-Kirchen hingegen Wert auf die aktive Teilnahme aller Anwesenden legen usw.

Die Stärken

Unbestritten hat die Emerging Church- Bewegung eine Reihe von Stärken, die D. A. Carson im 2. Kapitel beschreibt:

◆ Den Menschen in seiner Kultur verstehen:

Die Werte und das Lebensgefühl unserer Zeit sind einem ständigen und schnellen Wandel unterworfen. Auch haben sich innerhalb der Gesellschaft zahlreiche Milieus und Subkulturen gebildet, die nur begrenzt miteinander kommunizieren können. Diejenigen, die sich auf die Bewegung der Emerging Church einlassen, versuchen, unsere sich schnell verändernde Zeit, die Fragen und das Lebensgefühl der Menschen zu verstehen. Sie wollen das Evangelium so kommunizieren, dass es auf die Fragen und Nöte der Adressaten eingeht. Im Neuen Testament finden wir auch dieses Bemühen: Wenn Paulus in einer jüdischen Synagoge im pisidischen Antiochien das Evangelium verkündigt (siehe Apg 13), dann hört sich das ganz anders an, als wenn er den intellektuell trainierten Heiden in Athen predigt (siehe Apg 17,16-34).

◆ Um Echtheit bemüht:

Mike Yaconellis Buch „Stories of Emergence“ erschien mit dem Untertitel „Moving from Absolute to Authentic“ (etwa: Sich vom Absoluten zum Echten bewegen). Ob dies wirklich ein Gegensatz ist, sei hier einmal außer Acht gelassen. Fakt ist jedoch tatsächlich, dass das Evangelium nur dann ansteckend ist, wenn Christen nicht nur bestimmte Lehrsätze intellektuell für richtig halten, sondern von der Wahrheit Gottes durchdrungen sind und eine tiefe und echte Beziehung zu ihm leben.

◆ Den eigenen sozialen Standort zur Kenntnis nehmen:

Jeder von uns ist geprägt durch die Umgebung und Traditionen, auch in christlicher Hinsicht. Wir sind Teil unserer (christlichen) Kultur mit allen Stärken, aber auch Einseitigkeiten und blinden Flecken. Sich dies bewusst zu machen, ist Voraussetzung einer ausgewogenen Entwicklung.

◆ Evangelisation Außenstehender:

Die biografischen Angaben verschiedener Autoren der Emerging Church zeigen, dass sie sich an Menschen wenden, die zumindest häufig vom christlichen Zeugnis nicht erreicht werden. Für Spencer Burke sind dies die Künstler, Dave Tomlinson denkt an Menschen, die sich am liebsten in einem Londoner Pub versammeln. Chris Seay arbeitet in einem Künstler-Distrikt in Houston.

Einseitigkeiten in der Analyse

In den folgenden drei Kapiteln geht Carson auf die Sicht der Emerging Church-Protagonisten von Moderne und Postmoderne ein. Er wirft ihnen manche Einseitigkeiten vor: Die Moderne war nicht so absolutistisch wie die Autoren glauben machen wollen. Auch die nahezu universale Verurteilung des Bekenntnis-Christentums und der Moderne hält Carson für historisch verdreht, ethisch undankbar, theologisch verbogen, argumentativ flach und intellektuell nicht gradlinig.13 Auch findet man bei den Emerging Church-Autoren keine Fundamentalkritik der Postmoderne. Vielmehr wird sie überbewertet und idealisiert. Carson setzt sich ausführlich mit den Voraussetzungen und Unzulänglichkeiten der modernen und postmodernen Erkenntnistheorien auseinander. Für einen auf diesem Gebiet wenig vorgebildeten Leser sind die Ausführungen sicherlich langatmig und nicht leicht zu verstehen.

Die Schwächen

◆ Das Christentum und die anderen Religionen: Der Absolutheitsanspruch des Herrn Jesus und die exklusive Heilslehre des Evangeliums ist natürlich jedem postmodern denkenden Menschen ein Dorn im Auge. Wie gehen nun die Leiter der Emerging Church damit um? Sicherlich sind ihre Antworten unterschiedlich, aber meistens nebulös. Brian McLaren schreibt: „Die Kirche hat den christlichen Glauben zu präsentieren, nicht wie eine religiöse Armee im Krieg gegen alle anderen religiösen Armeen, sondern als eine unter vielen Armeen, die gegen das Böse, Falschheit, Zerstörung, Dunkelheit und Ungerechtigkeit kämpfen.“ 14 An anderer Stelle zitiert McLaren zustimmend Bosch, der schreibt: „Wir können keinen anderen Weg der Erlösung zeigen als Jesus Christus. Gleichzeitig können wir Gottes rettende Kraft nicht begrenzen.“ McLaren fügt hinzu: „Dies bedeutet, dass Verfluchungen und Verdammungen nur schwerlich ausgesprochen werden können, wenn überhaupt.“15 Carson kommentiert: „Ich möchte sicherlich Verfluchungen und Verdammungen nicht über die Heilige Schrift hinaus aussprechen und wenn, dann immer mit Tränen, wie sie Jesus über Jerusalem geweint hat. Aber ich frage mich, wie treu ich den Aussagen Gottes in seinem Wort bin, wenn ich mich McLarens „wenn überhaupt“ anschließe. Wie weit entfernt ist McLarens Standpunkt von Paulus Urteil über die götzendienerischen Religionen seiner Tage: ‚In der Vergangenheit hat Gott diese Unwissenheit übersehen, aber jetzt gebietet er allen Menschen allenthalben, Buße zu tun’ (Apg 17,30)? Und wo im Alten oder im Neuen Testament wird die geoffenbarte Wahrheit Gottes auf eine Stufe gestellt mit den anderen Religionen, um das Böse zu bekämpfen? Ist es nicht viel bibeltreuer, andere Religionen als unterschiedliche Formen des Götzendienstes anzusehen?“ 16

◆ Verschobene Fundamente:

McLarens Buch „A Generous Orthodoxy“ hat den Untertitel: „Warum ich ein missionaler, evangelikaler, postprotestantischer, liberal/konservativer, mystisch/poetischer, biblischer, charismatisch/ kontemplativer, fundamentalistisch/ calvinistischer, wiedertäuferisch/ anglikanischer, methodistischer, katholischer, grüner, inkarnatorischer, depressiver, aber hoffnungsvoller, neu entstehender, aber unfertiger Christ bin.“ Allein diese Selbstbeschreibung würde man unter normalen Umständen für den Ausdruck eines ziemlich verwirrten Denkens halten. Wie auch immer – warum hält McLaren sich für einen Fundamentalisten? Dazu sagt er: „Für mich lassen sich die Fundamente des Glaubens zusammenfassen durch jene, die Jesus gegeben hat: Gott und unsere Nachbarn zu lieben.“ 17 Manchmal verliert Prof. Carson seine gelehrte Zurückhaltung. An dieser Stelle beklagt er: „Ich denke, dies gehört zu den flachsten und entartetsten Ausle- gungen von Mk 12,28-34, die zurzeit im Angebot sind. Jesus bezeichnet diese Gebote als die wichtigsten im Gesetz, nicht als die Grundlagen des Glaubens. ... Zu behaupten, diese zwei Gebote seien die Fundamente des Glaubens, baut nicht nur den Kontext dieser Passage falsch zusammen, sondern übersieht die zentralen Themen der biblischen Evangelien und sogar des ganzen Neuen Testamentes. Schließlich sagt Jesus zwei Kapitel vorher: Ich bin nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und mein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45).

◆ Gebrochenes Verhältnis zur Verbal- Inspiration der Heiligen Schrift:

Leider haben weite Teile der Emerging Church-Bewegung mit dem ‚sola scriptura’ der Heiligen Schrift gebrochen. Gegenüber Begriffen wie ‚Autorität der Schrift’, ‚Unfehlbarkeit’, ‚Irrtumslosigkeit’, ‚Wahrheitsgehalt’ oder ‚Offenbarung’ äußert McLaren große Vorbehalte. Solche Begriffe seien der Schrift selbst fremd.18 Obwohl sich Schriftausleger weitgehend darüber einig sind, dass sich der Begriff theopneustos in 2Tim 3,16 auf das Einhauchen von Schriftaussagen bezieht, begreift McLaren ‚Inspiration’ im Sinne von ‚schöpferisch gegeben’. Die Schrift sei von Gott inspiriert, aber nicht wörtlich eingegeben.19

◆ Preisgabe des Evangeliums:

Ein zentraler Kritikpunkt Carsons sowohl an McLaren als auch an Chalke ist ihre Haltung zur Lehre vom stellvertretenden Leiden des Herrn Jesus am Kreuz: „Also, stellvertretende Sühne beantwortet nicht die Frage, warum Gott, wenn er uns vergeben will, es nicht einfach tut. Wie kann die Bestrafung einer unschuldigen Person die Lage besser machen? ‚Das hört sich nach einer weiteren Ungerechtigkeit in der kosmischen Gleichung an. Es hört sich an wie eine göttliche Kindesmisshandlung. Verstehst du?’“ 20 Ähnlich ist die Wortwahl bei Steve Chalke, einem englischen Vertreter der Emerging Church, dessen Buch von McLaren wärmstens empfohlen wird: „Tatsache ist, das Kreuz ist eine Form von kosmischem Kindesmissbrauch, indem ein rächender Vater seinen Sohn für Vergehen bestraft, die er nicht einmal begangen hat. Verständlich, dass Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche diese verwickelte Sicht der Dinge moralisch zweifelhaft und als große Hürde für den Glauben ansehen. Schwerer wiegt noch, dass solch ein Konzept in völligem Gegensatz steht zu der Aussage „Gott ist Liebe“. Wenn das Kreuz ein Akt persönlicher Gewalt ist, ausgeführt von Gott gegen die Menschheit, aber erlitten von seinem Sohn, dann macht das einen Witz aus Jesu eigener Lehre, deine Feinde zu lieben und nicht Böses mit Bösem zu vergelten.“ 21 Carson kommentiert in seiner höflichen, manchmal etwas komplizierten Art: „Ich muss sagen, so freundlich, aber auch so kraftvoll wie ich kann, dass meines Erachtens, wenn Worte irgend etwas bedeuten, sowohl McLaren als auch Chalke das Evangelium weithin verlassen haben.“ 22 Die Liste der schwerwiegenden Bedenken ist damit leider noch längst nicht erschöpft. Es würde zu weit führen, hier weitere Punkte ausführlicher darzulegen. Dazu zählen die – vorsichtig gesagt – nebulöse ethische Bewertung der Homosexualität 23, überhaupt das weitgehende Ausklammern des Themas „Sünde“, die Leugnung der Personalität des Satans, der für McLaren lediglich „eine furchtbar reale Metapher für eine furchtbar reale Macht im Universum“ 24 ist und das Drumherumreden um das Thema „Hölle“25. MacArthur schreibt: „Wenn du bis heute noch nichts von der ´Emerging Church´ gehört hast, dann wirst du es bestimmt in der Zukunft noch tun. Die ´Emerging Church´ Bewegung breitet sich vor allem dort aus, wo Menschen mit der unverfälschten Lehre, der dogmatischen Verkündigung und dem traditionellen Gottesdienst unzufrieden sind.“ 26 Das Buch von Carson ist die bislang ausführlichste und gründlichste Untersuchung der Emerging Church-Bewegung und es ist zu hoffen, dass es manchem die Augen öffnet für das Verführungspotential dieser Bewegung. ■

Nachtext

Quellenangaben

 

Anmerkungen:

1 B. D. McLaren: Die Geheime Botschaft von Jesus, c+p Verlag, Gerth Medien 2007, E. R. MacManus: Eine unaufhaltsame Kraft, Gerth Medien 2005, Dan Kimball:
Emerging Church - die postmoderne Kirche, Gerth Medien 2005, K. Brewin: Der Jesus-Faktor – eine leidenschaftliche Theologie der Veränderung, c+p Verlag, 2005
2 T. Faix, Th. Weißenborn (Hg.): Zeitgeist – Kultur und Evangelium in der Postmoderne, Francke 2007
3 Ch. Brudereck: Weht den auch der Zeitgeist, wo Gott will? In: Faix, Weißenborn (Hg), S. 25 ff
4 F. Vogt: Das 1x1 der Emerging Church, c+p Verlag, 2006
5 http://emergent-deutschland.de/, Topic Nr. 09/2007
6 Z. B. http://emergent-deutschland.de/
7 F. Vogt: Das 1x1 der Emerging Church, c+p Verlag, 2006, K. 4.5
8 J. MacArthur: http://www.auslegungspredigt.org/cms/upload/Material_Artikel/Emerging_Church.pdf
9 D. A. Carson: Becoming Conversant with the Emerging Church – Understanding a Movement and Its Implications,
Zondervan, 2005
10 D. Tomlinson: The Post-Evangelical, Zondervan, 2003
11 in: Mike Yaconelli (Hrsg): Stories of Emergence: Moving from Absolute to Authentic, Zondervan, 2003, zitiert in Carson, S. 16
12 B. D. McLaren: The Church on the Other Side, Zondervan, 2003, S. 165 ff., zitiert in Carson S. 127
13 Carson, S. 68
14 McLaren, The Church on the Other Side, S. 83, zitiert in Carson, S. 134
15 McLaren, A Generous Orthodoxy, S. 262, zitiert in Carson S. 135
16 Carson, S. 135
17 McLaren, op.cit. S. 184, zitiert in Carson S. 177
18 McLaren, op.cit., S. 182-183, zitiert in Ron Kubsch, Das Ende der Eindeutigkeit, in factum7/07
19 McLaren, op.cit., S. 179-180, zitiert in R. Kubsch, S. 13
20 McLaren, op.cit., S. 102, zitiert in Carson, S. 166. Diese Betrachtungen legt McLaren in den Mund von Kerry, einem
Ungläubigen, der etwas über den Glauben herausfinden möchte. Aber die Überlegungen werden nirgends von McLaren richtig gestellt noch macht er den Versuch, das stellvertretende Leiden Christi aus der Sicht der Schrift zu verteidigen.
21 S. Chalke: The Lost Message of Jesus, Zondervan 2003, S. 182 f
22 Carson, S. 186
23 Carson S. 169 f
24 McLaren, op.cit., S. 103, zitiert in Carson, S. 181
25 Carson, S. 168
26 http://www.auslegungspredigt.org/cms/upload/Material_Artikel/Emerging_Church.pdf