Zeitschrift-Artikel: "Jesus 2000" - Der Schulterschluß der Charismatiker

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Titel: "Jesus 2000" - Der Schulterschluß der Charismatiker
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 1922

Titel

"Jesus 2000" - Der Schulterschluß der Charismatiker

Vortext

Text

Eindrücke von dem "Kongreß Charismatischer Bewegungen in

Deutschland" vom 13. - 16. Mai in Nürnberg

Zahlen

Zu diesem bisher größten Kongreß Charismatischer Bewegungen in Deutschland kamen etwa 4.000 Besucher, darunter ca. 750 Kinder und Jugendliche, für die in separaten Räumen ein Programm stattfand.

Die Teilnehmer kamen aus dem gesamten Bundesgebiet, wobei die Bayern den erstaunlich hohen Prozentsatz von 40% ausmachten. Die jüngere Generation war nicht so stark vertreten, die meisten Teilnehmer schienen zwischen 30 und 50 Jahre alt zu sein.

Obwohl zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus den neueren und teilweise extrem-charismatischen Gruppen als Redner und Seminarleiter anwesend waren (darunter Peter Wenz, Walter Heidenreich, Hermann Riefle, Rudi Pinke, Gerri Keller, Martin Dreyer usw.), kam der überwiegende Teil der Besucher aus der katholischen und evangelischen Kirche -etwa 80%. Dementsprechend war die Atmosphäre auch weniger emotional als auf früheren Kongressen in der gleichen Frankenhalle.

Die Kongreßgebühren betrugen für die drei Tage zwischen DM 160.- und DM 230.-, für eine Tageskarte mußte man DM 70.- bezahlen.

Hauptredner

Als Hauptreferent wurde Nicky Gumbel aus London vorgestellt, der die "Alpha-Kurs-Arbeit" in Großbritanien lei-tet, die inzwischen eine weltweite Verbreitung gefunden hat und von vielen Konfessionen eingesetzt wird.

Ein weiterer Redner, der den Kongreß aus meiner Sicht entscheidend prägte, war der Prediger des Vatikans - Raniero Cantalamessa -, der als Repräsentant des Vatikan und der kath. Erneuerung am Freitag eine Rede hielt, die mit minutenlangem Beifall bedacht wurde.

Zu erwähnen wäre auch noch Pfarrer Gerri Keller aus Winterthur, der Leiter der "Schleife", einem charismatischen Zentrum in der Schweiz, der am ersten Abend einen Rückblick auf 30 Jahre Charismatische Bewegung im deutschsprachigen Raum hielt und dessen Predigt über Offb. 1,9-20 erstaunlich selbstkritische Töne enthielt. Hätte er nicht im Anschluß an seine Ansprache einen "Zungengesang" angestimmt, hätte man sich von der Atmosphäre her fast wie auf einer evangelikalen Konferenz fühlen können.

"Verschieden - aber versöhnt"

Höhepunkt der Konferenz war sicher der symbolische Versöhnungsakt am Freitag, der im Anschluß an die Vorträge von Ingolf EIlßel, dem Präses der Pfingstgemeinden, und Pater Cantalamessa als eine "prophetische Handlung" vollzogen wurde. Während 1991 an dieser Stelle der "Schulterschluß der Evangelikalen und Charismatiker" demonstriert wurde, sollte jetzt die Einheit der Charismatiker innerhalb der verschiedenen Konfessionen proklamiert werden. Zu diesem Zweck trat je ein Repräsentant der verschiedenen Kirchen auf die Bühne. Nach einem Sündenbekenntnis salbte nun jeder seinen Nachbarn mit Öl in Form eines Kreuzzeichens, um die "versöhnte Verschiedenheit" zu demonstrieren.

Neue Töne

Im Gegensatz zu früheren Konferenzen trat man bescheidener auf. Sätze wie "Gott hat einen Fuß auf London und einen Fuß auf Berlin gestellt" waren hier nicht zu hören. Statt dessen wurde geäußert, die Charismatische Bewegung habe einen "Reifeprozeß" durchgemacht (G. Keller). Im Gegensatz zur ursprünglichen Strategie der Charismatischen Bewegung äußerte Wolfgang Simson: "Wir sollten nicht mehr nur die verfassten Kirchen durchdringen, sondern auch neuen Wein in neue Schläuche gießen." Gemeint war die Bildung neuer charismatischer Gemeinden außerhalb der etablierten Denominationen.

Man verschwieg nicht Ermüdungs- und Verschleißerscheinungen, wertete sie aber als Indiz dafür, daß man jahrelang gearbeitet habe. Vom "Triumphalismus sei man weit entfernt", zwar höre man einerseits von Goldfüllungen, andererseits aber auch von nicht geheilten Krebskranken in den eigenen Reihen. Diese Bemerkung von G. Keller war eine Anspielung auf jüngste Berichte aus Toronto, wo angeblich der Heilige Geist Zähne mit Goldfüllungen versehen haben soll.

Natürlich hörte man auch Sätze wie "Ich bin unzufrieden, daß der prophetische Dienst zurückgewiesen wird... keine Propheten werden angestellt" (Ingolf Ellßel), aber zumindest im Plenum trat man gemäßigt auf.

"Unser Bruder im Vatikan" - Raniero Cantalamessa

Wie erwähnt war der Prediger des Papstes die Persönlichkeit, die am meisten beeindruckt hat. Friedrich Aschoff, der Vorsitzende des GGE, bezeichnete sein Auftreten als "Highlight ersten Ranges". Sein freundliches, bescheidenes und gewinnendes Auftreten in der Franziskanerkutte, sein in deutscher Sprache gelesener Vortrag strahlte "ökumenische Spiritualität" aus und begeisterte das Publikum. Ein besseres Aushängeschild für den Vatikan kann man sich nur schwer vorstellen. Er wurde von Rudi Pinke unter Beifall vorgestellt als "unser Bruder im Vatikan, der wöchentlich dem Papst und den KardinäIen das Wort Gottes predigt".

In seiner Ansprache schilderte er zunächst seine bisherige Lebensgeschichte, die ich hier kurz skizzieren möchte:

Studium der Theologie in den Jahren 1954-59. Seine theologischen Gegner waren die Protestanten. Danach Promotion in Freiburg/Schweiz. Das 2. Vatikanische

Konzil war für ihn wegbereitend. Man sprach nun von den Protestanten als den "getrennten Brüdern" und schließlich von "Brüdern". Seine Haltung zu den Christen anderer Konfessionen hätte sich aber nicht aufgrund theologischer Erkenntnisse geändert, sondern durch die Erfahrung der "Geistestaufe" 1977 in den USA.

"Ökumene des Glaubens"

Während man in Holland von der "Ökumene des Herzens" schreibt und spricht, war in Nürnberg die Rede von der "Ökumene des Glaubens" und der "spirituellen Ökumene" (R. Cantalamessa), die von denen gebildet wird, die "Jesus als Sohn Gottes" und "Jesus als Herrn" bekennen. Dieser Glaube begünstige auch den "Dialog mit anderen Religionen".

R. Cantalamessa lehrte als Theologieprofessor in Mailand und bekam 1979 die Erlaubnis, den Lehrstuhl aufzugeben, um als Verkündiger umherzureisen. Im Vatikan, am "Grab des Petrus", habe er um die "Gabe des Glaubens" gebetet und wenige Monate später sei er zum Hofprediger des Papstes berufen worden, um zu bestimmten Zeiten dem Papst und den Kardinälen zu predigen.

1984 habe der Pfingstprediger David du Plessis einen Vortrag von ihm zum Thema "Die Kirche - das Sakrament der Einheit" gehört und ihn dann als Vertreter des Vatikan für den kath.-pfinstlerischen Dialog vorgeschlagen. 10 Jahre habe er an den Konsultationen teilgenommen und dabei erlebt, wie sich die Gesichtspunkte auf beiden Seiten verändert hätten. Schließlich sei er auch in das vom Papst ausgerufene "Jahrzehnt der Evangelisation" einbezogen worden. Nach Aufgabe seines Lehrstuhles habe er Luther entdeckt und schätzen gelernt. Seine Bücher stünden für ihn griffbereit und der Papst habe durch ihn die Worte Luthers gehört.

Ein Schaf im Wolfspelz - oder ein Wolf im Schafsfell?

Als R.Cantalamessa schließlich in seinem Vortrag an die Lutheraner appellierte, die "Verkündigung der Rechtfertigung aus Glauben nicht aufzugeben", waren sicher auch die letzten Bedenken der wenigen Skeptiker auf diesem Kongreß ausgeräumt, die dann auch keine Bauchschmerzen bekamen, als er Papst Paul II. für sein Vorbild dankte.

Da der Verdacht nahe lag, daß der Prediger des Vatikan aus taktischen Gründen seine Wertschätzung Luthers ausgedrückt habe, ohne seine Schriften wirklich gelesen zu haben, habe ich ihm auf der Pressekonferenz die Testfrage gestellt, welche Schriften Luthers er für besonders wertvoll halte. Die Antwort kam umgehend: "Die Sonntagspredigten", "Die Auslegung des Magnifikat", "Die Vorrede zum Römerbrief" usw. Leider habe ich versäumt zu fragen, wie er z.B. Luthers Aufsätze "Vom unfreien Willen", "Von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes" und "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" beurteilen würde.

Die große Verwirrung

Der anglikanische Pfarrer Nicky Gumbel zitierte bei seiner Vorstellung der "Alpha-Kurse" laufend Papst Johannes Paul II, und der Prediger des Papstes drückte seine Hochachtung Martin Luther gegenüber aus, dessen Schriften für ihn immer griffbereit lägen.

Hat sich Rom verändert, oder haben die Protestanten die Reformation vergessen?

Wurde dem begeisterten Publikum in Nürnberg Sand in die Augen gestreut, oder spiegelten die Hauptredner den Geist der "neuen Toleranz" unserer lauwarmen, postmodernen Christenheit wider, die keine verbindliche, absolute Wahrheit mehr kennt?

Ist das die "spirituelle Ökumene", die keine Dogmen mehr kennt und in der "Spiritualität" das einigende Element ist?

Cantalamessas ausdrückliche Warnung vor einem "falschen Fundamentalismus", der die Bibel ohne entsprechende Hermeneutik wörtlich nehme, als hätte sie "niemand vorher gelesen", hätte jeden aufmerksamen Zuhörer alarmieren sollen. Aber die Tragweite dieser Warnung wurde - so fürchte ich - nicht wahrgenommen.

Dem Vatikan ist in Nürnberg ein Meisterstück gelungen und die Protestanten haben eifrig applaudiert.

Nachtext

Quellenangaben