Zeitschrift-Artikel: Honduras – das Land krasser Gegensätze

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Titel: Honduras – das Land krasser Gegensätze
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
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Titel

Honduras – das Land krasser Gegensätze

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Das kleine und arme mittelamerikanische Land Honduras mit ca. 8,6 Mill. Einwohnern gehört zu den kriminellsten Ländern der Welt. Viele Jahre war die zweitgrößte Stadt des Landes – San Pedro Sula – „Weltmeister“ darin, was die höchste Mord-Rate pro 100.000 Einwohner betrifft. Heute steht sie weltweit nach Caracas (Venezuela) an zweiter Stelle. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in dieses Land, in dem selbst die Polizei in dem Ruf steht, kriminell und korrupt zu sein. Jugendbanden wie die „Mara Salvat- rucha“ und „Barrio 18“ mit jeweils über 40.000 Mitgliedern, die von Drogenhandel, Waffenhandel, Überfällen und Diebstählen leben oder Schutzgelder erpressen, ver- unsichern dieses landschaftlich schöne Land. Investoren und Touristen haben hier in den letzten Jahren teilweise schlechte Erfahrungen gemacht und so dümpelt Honduras auch wirtschaftlich vor sich hin und zählt nach Haiti zu dem ärmsten Land Mittelamerikas. Mehr als 80 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze ... › niemand ist hier sicher Seit 22 Jahren besuchen wir jedes Frühjahr mit einem kleinen Team dieses Land, um dort die zahlreichen Gemeinden zu besuchen, einheimische Missionare zu unterstützen und die Christen mit guter Literatur zu versorgen. Bisher wurde ich nur einmal geringfügig bestohlen. Allerdings wurde bei einer Gelegenheit unserem damals 19-jährigen Sohn Johannes – der das zunächst für einen schlechten Scherz hielt – am hellichten Tag eine Machete an die Kehle gedrückt, um Geld zu erpressen ... Jedes Jahr hören wir bei unseren Besuchen, dass bei Glaubensgeschwistern ein Auto gestohlen, Wohnungen ausgeraubt, Schutzgelder erpresst und Einzelne manchmal entführt wurden. Vor wenigen Wochen wurde in Coloma sogar der Sohn eines Evangelisten, eines guten Freundes von uns, auf der Straße angeschossen. Er überlebte, muss aber seitdem mit einer Kugel im Kopf leben, weil eine Operation lebensgefährlich wäre. Vor sämtlichen größeren Geschäften steht ein schwer- bewaffneter Sicherheitsbeamter, ein MG im Anschlag – kein angenehmer Job bei den tropischen Temperaturen. Banken werden sowohl am Eingang wie auch im Raum bewacht. › trotz allem ein ungewöhnlich „frommes“ land ... Das ist die Kehrseite dieses von Kriminalität und Armut gezeichneten Landes: Auf Schritt und Tritt begegnen einem Bibelverse. Die meisten verrosteten und verbeulten Autos, LKWs und Busse haben auffallend große Bibelverse auf ihrer Windschutzscheibe. Fast jedes zweite Hotel oder Restaurant hat einen biblischen Namen wie „Bethesda“, „Elim“, „Kanaan“ „Hebron“ usw. Aus den Häusern oder in Geschäften hört man christliche Radio- oder Fernsehprediger. Und überall ndet man kleinere oder größere Gemeinden – allerdings meist Charismatiker oder Pfingstler. Selbst aus katholischen Kirchen hört man evangelikale Chorusse und Aufrufe, die Bibel zu lesen und sich zu „bekehren“. Laut offiziellen Angaben gehören 47 % der Honduraner zur katholischen Kirche, während 41 % zu den Evan- gelikalen gerechnet werden. Straßenprediger auf öffentlichen Plätzen sind alltäglich und immer wieder sieht man junge und ältere Leute, die eine Bibel mit Gebrauchsspuren aufgeschlagen haben und darin lesen. Selbst die Bosse der brutalen und grausamen Jugendbanden zeigen eine Spur von Frömmigkeit: Als im Jahr 2013 im Gefängnis von San Pedro Sula ein Friedensschluss unter den verfeindeten Banden verkündigt wurde, konnte man in der öffentlichen Erklärung lesen, dass man „Frieden mit Gott, mit der honduranischen Gesellschaft und den Autoritäten anstrebe“. Uns ist kein anderes Land bekannt, wo äußere Merk- male des Christentums wie Bibeln, Bibelverse, Kreuze, Predigten, Gemeinden, Gebete und christliche Lieder so zur Selbstverständlichkeit gehören, wie in Honduras. Wie einfach und problemlos Evangelisation in diesem Land aussehen kann, zeigen folgende Beispiele: › der „Klinik-Prediger“ im Morgengrauen Dass die Erweckungsprediger White eld und Wesley im 18. Jahrhundert bereits morgens um 6:00 Uhr unter freiem Himmel vor großen Menschenmengen evangelisiert haben, dürfte vielen bekannt sein. In Honduras wurden wir Zeugen, dass bereits schon um 5:30 Uhr – wenn es draußen noch dunkel ist – das Evangelium gepredigt wird! Im Februar dieses Jahres – gleich am ersten Tag unserer Ankunft in Honduras – erzählte unser Gastgeber Arnulfo, bei dessen Familie in Coloma wir fast jedes Jahr einige Tage zu Gast sind, dass Gott ihm ein neues evan- gelistisches Arbeitsfeld gezeigt habe. Nur etwa 100 Meter von seinem Haus entfernt befände sich eine große ambulante Klinik. Als er eines Tages in aller Frühe joggen ging, sah er eine Menge Menschen in „Reihe und Glied“ vor der Klinik stehen, die auf Einlass warteten. „Welch eine Gelegenheit, das Evangelium zu verkündigen!“, schoss es ihm durch den Kopf. Am nächsten Morgen sah er sich die Sache näher an und stellte fest, dass schon um 5:00 Uhr in der Frühe dort eine Anzahl Patienten Schlange standen. Um 5:30 Uhr wurde von Wächtern das Tor zum Innenhof der Klinik geöffnet, wo sich die Leute aufstellten, bis pünktlich um 6:00 Uhr die Türen der Klinik geöffnet wurden und die Besucher dort die verschiedenen Ärzte aufsuchen konnten. Von diesem Zeitpunkt an erscheint Arnulfo nun jeden Tag um 5:20 Uhr – außer Sonntags – mit einigen Helfern, eine Bibel unterm Arm und einer Kanne Kaffee in der Hand am Tor der Klinik. Er begrüßt zunächst die Wächter mit heißem Kaffee und etwas Gebäck, betritt um 5:30 Uhr mit den 70 – 120 Patienten den Innenhof, tritt dann in den Halbkreis, begrüßt die Leute, spricht ein Gebet und hält dann eine evangelistische Ansprache. Anschließend kommen seine Helfer von beiden Seiten und drücken den Schlange stehenden Leuten jeweils einen schön gestalte- ten Bibelvers mit einigen evangelistischen Anmerkungen in die Hand. Eine Minute nach 6:00 Uhr ist dann der Innenhof wie leergefegt. Nur mit den paar Wärtern, mit denen sich Arnulfo inzwischen angefreundet hat, wechselt er noch ein paar freundliche Worte und verabschiedet sich. Auf diese Weise – so berichtete er – erreicht er mit seinen Freunden jede Woche etwa 500 neue Zuhörer, weil vor der ambulanten Klinik selten die gleichen Patienten öfter erscheinen. Er macht das jetzt schon seit Juli letzten Jahres! Am nächsten Morgen waren wir Augenzeugen dieser Prozedur. Um 4:00 Uhr Aufstehen, 5:20 Uhr zur Klinik, 5:30 Uhr wurden wir mit etwa 120 wartenden Patienten in den Innenhof gelassen. Noch ist es draußen dunkel. Ziemlich still und diszipliniert warten die Leute auf den Einlass in die Klinik, während Arnulfo die Leute mit einem lauten „Buenos tardes“ auf sich aufmerksam macht und einen deutschen Prediger – der Spanisch spricht – vorstellt. Dann kann nach einem ziemlich langen Gebet Freund Alois Wagner eine etwa 15 Minuten lange Predigt halten. Keiner protestiert, alle hören still zu und nehmen das abschließend verteilte Traktat brav an und verschwinden um 6:00 Uhr in die Wartezimmer der Klinik. Kein Protest, keine Ablehnung, auch keine Begeisterung – aber man hat den Eindruck, dass die Zuhörer in keiner Weise überrascht oder peinlich berührt waren. totenwache Wenige Tage später waren wir in Tela an der Nordküste. Obwohl es von der Jahreszeit her keine Regenzeit war, hatte es Tage lang wie aus Eimern gegossen. In einem Nachbardorf hatte eine Gemeinde eine Tageskonferenz für Jung und Alt geplant und wir fragten uns während der Anfahrt, ob bei diesem Wetter und Schlamm die Konferenz nicht abgeblasen würde. Aber unsere Sorge war völlig unbegründet. Der Gemeindesaal war nicht nur rappelvoll, sondern man hatte draußen noch Bänke aufgestellt, not- dürftig mit Plastikplanen überdacht und die Leute kamen in Stiefeln oder Barfuß, mit Regenkappen und dürftigem Regenschutz. Sie blieben den ganzen Tag, auch wenn sie draußen kaum etwas von den Predigten verstehen konn- ten, weil der Regen auf das Wellblechdach prasselte. Am Abend hörten wir die erschütternde Nachricht, dass der wahrscheinlich nicht bekehrte Schwiegervater eines Freundes nicht weit von uns entfernt mit seinem Auto – wahrscheinlich durch Aquaplaning – von einer Brücke in den Fluß gestürzt und ertrunken war. In derselben Nacht – so ist das in diesen Ländern üblich – wurde die Totenwache gehalten, wozu etwa 150 Verwandte, Bekannte und Nachbarn erschienen. Spon- tan wurde unser langjähriger Freund Walter Altamirano, ein hingegebener Evangelist, eingeladen, um den vielen Trauergästen den Ernst der Ewigkeit vorzustellen und das Evangelium zu verkündigen. Auch das gehört in Honduras ganz selbstverständlich zu einer Totenwache, bevor am nächsten Tag die Beerdigung statt findet. › Ein buchstäblich „fahrender Reiseprediger“ Wieder ein paar Tage später saßen wir mit einem etwas älteren Bruder zusammen, der uns als etwas kautzig und nicht besonders taktvoll bekannt war. So p egte er z. B. während der Predigt, wenn ihm eine Bemerkung des Ver- kündigers angebracht schien, lautstark „Amen!“ zu brüllen, was immerhin den positiven Nebeneffekt hatte, dass manche Zuhörer jeweils aus ihrem Schlummer geweckt wurden. Jedenfalls hatte man ihn aus verschiedenen Gründen gebeten, sich in den Versammlungen mit Gebe- ten und Wortbeiträgen zurück zu halten. (Vielleicht war das ein weiterer Grund für ihn, um so lauter wenigstens „Amen!“ zu rufen ...) Nun saß er etwas zerknirscht vor uns und berichtete von seiner Misere. Als wir ihn fragten, ob er denn zur Zeit keiner geistlichen Arbeit nachgehe, leuchtete sein Gesicht auf und er bekannte uns freudig, er sei ein Evangelist. Auf unsere erstaunte Bitte nach mehr Informationen betreffs seiner Tätigkeit erzählte er uns, dass er regelmäßig auf Totenwachen, vor allem aber in den Linienbussen evangelisiere! In Honduras donnern zahlreiche, von den USA ausrangierte gelbe Schulbusse über die Pisten, in denen 60–70 Personen von Ort zu Ort reisen. Unser Evangelist betritt dann an einer Haltestelle den Bus, fragt den Busfahrer, ob er während der Reise zur nächsten Station den Insassen das Evangelium verkündigen dürfe, was ihm in der Regel nicht verwehrt wird. Er zahlt dann artig seinen Obolus für die nächsten Kilometer, schlägt dann die Bibel auf und predigt den Reisenden während der Fahrt mit lauter Stimme das Evangelium. Auf unsere Frage, ob es dann nicht zu Protesten komme, meinte er, dass sei ihm noch nie passiert. Schließ- lich lasse er nach seiner Predigt ja keinen Kollektenbeutel herumgehen, wie es manche andere Kollegen praktizieren würden. An der nächsten Haltstelle steigt er dann aus und wartet auf den nächsten Linienbus, um darin seine Arbeit fortzusetzen ... › Beschämende treue! Vor zwei Jahren haben wir in „fest&treu“ von der jungen Schwester Ricci berichtet, die zum Glauben kam, jeden Morgen von 4:00 – 6:00 Uhr „Stille Zeit“ unter einer Palme macht und dabei jeden Tag einen neuen Bibelvers aus- wendig lernt. Mit ihrer Schwester begann sie dann in ihrer Umgebung von Dorf zu Dorf Traktate zu verteilen und zu Kinderstunden einzuladen. Ein stillgelegtes kleines Ver- sammlungshaus wurde aktiviert, wo seitdem jeden Samstag 30 – 40 Kinder aus der Umgebung eintreffen. Um etwas Unterstützung zu bekommen und auch Erwachsene zu erreichen, haben sie dann ja den urigen Evangelisten Oscar Savalla eingeladen, der seitdem jeden Samstag etwa 2 Stunden mit dem Auto unterwegs ist, um dieses abgelegene Dorf zu erreichen und die Schwestern zu unterstützen und zu ermutigen. Auf einer weiteren Familien-Konferenz Samstags in Tela erschienen die drei. Um 4:00 Uhr in der Frühe waren die beiden Schwestern schon mit dem Bus losgefahren, damit sie um 9:00 Uhr zum Konferenzbeginn dabei sein konnten. Evangelist Oscar kam mit seinem Pick-up angereist. In der Mittagspause saßen wir zusammen und sie erzählten uns, dass Oscar treu jeden Samstag zu ihnen kommt um das Evangelium zu verkündigen, aber leider keine Erwachsenen erreicht würden. Nun hatten sie sich aber entschlossen, gemeinsam von Haus zu Haus zu gehen. Wenn die Leute sich scheuen zu ihnen kommen, dann wollten sie sich aufmachen und sie aufsuchen. Als wir Oscar fragten, seit wann er jeden Samstag diese lange und umständliche Fahrt unternehme, meinte er: „Etwa ein Jahr lang!“ Und als wir ihn weiter fragten: „Und wie lange wirst Du das durchhalten?“ meine er lachend: „Bis alle bekehrt sind oder der Herr kommt!“ Und dann schauten sie auf ihre Uhr und meinten: „Es ist 13:00 Uhr. Leider müssen wir jetzt schon wieder abrei- sen, denn die Kinder warten um 16:00 Uhr auf uns!“ „Jeden Morgen um 4 Uhr ...!“ Wie Treue aussehen kann, wurde uns auch am Abend nach Konferenzschluss bei einer anderen Gelegenheit deutlich. Juan Carlos Amaja mit seiner Frau Reina waren auch zur Konferenz gekommen. Sie dienen dem Herrn seit vielen Jahren in einer abgelegenen Gegend, nahe der Grenze nach Guatemala. Durch ihren Dienst sind einige kleine Gemeinden entstanden. Juan Carlos ist ein sehr begabter Evangelist mit einer ausgeprägten Lehrgabe. Gott hat ihm viele Türen in Schulen und Fachschulen geöffnet, wo er in den vergangenen Jahren Tausende von evangelistischen Büchern verteilen konnte. Als wir uns am Abend bei einer Pizza trafen und aus- tauschten, beklagte er, dass in den kleinen Gemeinden trotz vieler Unterweisung wenig geistliches Wachstum zu erkennen sei. Deshalb habe er vor etwa einem Monat begonnen, sich mit fünf weiteren Brüdern jeden Morgen um 4:00 Uhr zum Gebet und zur Fürbitte zu treffen, was die geistliche Atmosphäre in den Versammlungen bereits spürbar positiv verändert habe ... An diesem Abend waren wir die Beschämten und Beschenkten, die Nachhilfe-Unterricht darin bekamen, wie Hingabe und Treue im Dienst für unseren Herrn aussehen kann. Betet bitte weiter für die vielen und oft sehr treuen Geschwister in Honduras!

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Quellenangaben