Zeitschrift-Artikel: Was aus der "Little Flock" in China geworden ist ...

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Titel: Was aus der "Little Flock" in China geworden ist ...
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
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Titel

Was aus der "Little Flock" in China geworden ist ...

Vortext

Text

Es hat viele Jahre gedauert, bis wir in China auch erste Kontakte zu einer Gemeindebewegung bekamen, die uns aus den Büchern von und über Watchman Nee schon gut bekannt war. Diese Geschwister leben ziemlich isoliert und „abgesondert“ und sind gegenüber ausländischen Besuchern aus verständlichen Gründen sehr kritisch und vorsichtig. Vor zwei Jahren hatten wir bereits erste Kontakte zu leitenden Brüdern und Gemeinden der „Little Flock“- Bewegung in China bekommen. Jetzt, im Juli dieses Jahres, hatten wir Zeit und Gelegenheit, eine dieser Gemeinden zu besuchen, um auch etwas mehr aus der interessanten neueren Geschichte dieser Bewegung zu erfahren. In den ersten Tagen unseres Besuches in China hatten wir bereits eine Freizeit mit etwa 30 Studenten durch- geführt, die alle jung im Glauben standen. Anschließend konnten wir einige uns vertraute Gemeinden mit vorwiegend jungen Christen und jüngeren Ehepaaren besuchen, mit denen wir nun schon viele Jahre eine sehr vertraute und freundschaftliche Beziehung haben. › Die „Kleine Herde“ In den beiden letzten Tagen unserer Reise waren wir schließlich zu Besuch in einer „Little Flock“- Gemeinde, die wir letztes Jahr kennengelernt hatten. Und hier hatte einer der verantwortlichen Brüder nach unserem letzten Vortrag tatsächlich Zeit für uns. So saßen wir in einem Hinterzimmer dieser Gemeinde, gut versorgt mit Bananen, Trauben, Melonen und anderen exotischen Früchten und konnten Fragen stellen, die uns von diesem lieben Bruder bereitwillig beantwortet wurden. Wir wollten vor allem aus erster Hand etwas aus der Vergangenheit und Gegenwart dieser Gemeindebewegung erfahren, die nach Einschätzung einiger ausländischer Beobachter etwa 25 % der sog. „Untergrundkirche“ in China ausmacht. (Wenn diese Zahl stimmen sollte, würde es sich um ca. 20–25 Millionen Mitglieder dieser Gemeinschaft handeln, was wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen ist!) Bevor wir etwas von den neueren Entwicklungen wei- tergeben, möchte ich kurz für solche Leser, die mit der Kirchengeschichte Chinas nicht so vertraut sind, etwas über diese relativ junge Bewegung und ihre Entstehung mitteilen. ›Ein kurzer Rückblick In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erschienen die ersten Bücher von Wachtmann Nee in deutscher Sprache. Er saß zu diesem Zeitpunkt als Gefangener seine etwa 20 Jahre lange Haftstrafe in einem Gefängnis ab. Am 1. Juni 1972 starb er einsam – kurz nach seiner Entlassung. Durch seine lange Inhaftierung wurde W. Nee weltweit unter den Christen bekannt. Es wurde viel für ihn gebetet und seine Predigten und Bücher wurden nach und nach in viele andere Sprachen übersetzt. Die „Christlichen Versammlungen“, die durch den Dienst von W. Nee entstanden, wurden bald in China als „Little-Flock“-Gemeinden bezeichnet, weil sie aus dem gleichnamigen Liederbuch „Lieder der kleinen Herde“ sangen, das W. Nee zusammengestellt und herausgegeben hatte. Als er im Jahr 1952 von den Kommunisten angeklagt und verhaftet wurde, gab es in China etwa 400–450 Gemeinden dieser damals sehr jungen Bewegung, wobei sich eine der größten Gemeinden – mit etwa drei- bis viertausend Besuchern am Sonntag-Vormittag – in Shanghai versammelte. (Leider gibt es keine exakten Angaben über die Anzahl der Gemeinden damals wie heute, weil es keine überörtliche Zentrale oder Institution gibt und keine Auf- listungen der nicht registrierten Gemeinden existieren.) Soweit die Vorbemerkungen – die folgenden Ausführungen hörten wir nun aus dem Mund unseres Gastge- bers, der ein Zeitzeuge ist. › Turbulenzen Sowohl vor wie auch nach W. Nee’s Inhaftierung gab es in der „Kleinen Herde“ seit der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1949 viele Probleme. Verlockende Zugeständnisse der Regierung führten dazu, dass ein Teil der Gemeinden sich zeitweise der staatlich gelenkten „Drei- Selbst-Bewegung“ anschlossen, bald aber auch wieder austraten. Selbst W. Nee hatte anfangs die Zusammenarbeit mit dieser Organisation empfohlen bis deutlich wurde, dass sie dort ihre biblischen Überzeugungen nicht ausleben konnten. So kam es damals zu drei Strömen der „Kleinen Herde“: 1. Gemeinden, die sich der „Drei-Selbst-Bewegung“ unterstellten und sich registrieren ließen und damit faule Kompromisse eingingen. 2. Gemeinden, die konsequent jede Zusammenarbeit mit dieser Organisation ablehnten und sich illegal als Hausversammlungen trafen. Dabei nahmen sie Denunzierung und Verfolgung in Kauf. 3. Gemeinden, die sich nicht registrieren ließen, aber dennoch Kontakte zu den beiden anderen Gruppen suchten und teilweise pflegten, wobei sie allerdings von der zweiten Gruppe als „untreu“ oder „verunreinigt“ verurteilt und meist gemieden wurden. Auch sie werden als „Untergrundkirchen“ bezeichnet, obwohl diese Bezeichnung heute nicht mehr ganz zutreffend ist. Dieser dritte „Strom“ scheint heute zahlenmäßig die größte Gruppe zu sein. (Wer ein wenig die Geschichte der sog. „Brüderbewegung“ der letzten 80 Jahre in Deutschland kennt, wird hier erstaunliche Parallelen feststellen!) › Schwere Zeiten Besonders während der „Kulturrevolution“ (1966–1977) gab es eine grausame Verfolgungswelle gegen alle Christen, die nicht zur staatlichen „Drei-Selbst-Bewegung“ gehörten. Teilnahme an verbotenen Hausversammlungen und der Besitz einer Bibel wurde teilweise mit dem Tod bestraft und Tausende wurden verhaftet und in Arbeitslager gesteckt. Die echten Christen konnten ihren Glauben nicht mehr öffentlich bekennen, versuchten aber durch ihr vorbildliches Leben ein Zeugnis zu sein, indem sie besonders in Zeiten der Hungersnot ihren Mitmenschen halfen und auch dem Staat das gaben, was sie selbst nicht zum Über- leben brauchten. Gott segnete das in vielen Fällen, indem er solchen Familien einen auffällig großen Erntesegen gab. Nach dem Ende der Revolution und dem Tod Maos entspannte sich die Situation. Manche inhaftierte Christen wurden sogar rehabilitiert, die Verfolgungswelle ließ zumindest in vielen Provinzen nach. › Erweckung 1991 schenkte Gott innerhalb der „Kleinen Herde“ einen gewaltigen Aufbruch. Uns wurde berichtet, dass damals in der Provinz Zhejiang um die 100.000 Menschen zum Glauben kamen und sich den illegalen Versammlungen anschlossen. Nicht nur in den Großstädten wuchsen die Gemeinden, sondern fast in jedem kleinen Dorf. In Fällen von dämonischer Besessenheit wurden die Gläubigen um Hilfe gebeten, viele wurden befreit und kamen zum lebendigen Glauben. Die Vorgeschichte dieser Erweckung: In Xiaoshan (Großraum Hangzhou) kamen damals die Gläubigen zusammen und überlegten unter Gebet, welche missionarischen Aufgaben Gott für sie vorgesehen habe. Daraus ergab sich folgender Plan, der dann auch ausgeführt wurde: Man wurde einig, Brüder, die begabt und bereit waren, wie zur Zeit Jesu jeweils zu zweit auszusenden. Ausgerüstet mit einer Landkarte und einem Kompass und ohne Geld für die Rückreise sollten sie in alle Richtungen ausschwärmen um vor allem in den kleinen Dörfern, die sie antreffen würden, das Evangelium zu verkündigen. Im Vertrauen auf den Herrn sind dann tatsächlich viele Brüder aufgebrochen und wurden zu Werkzeugen einer gewaltigen Erweckung, die Gott in einem großen Radius schenkte und zur Bildung einer Menge neuer Versammlungen der „Kleinen Herde“ führte. In dieser gesegneten Zeit entstanden Gemeinden mit 20 oder 30 Gliedern, aber vereinzelt auch Versammlungen, die heute aus zwei- oder dreitausend Geschwistern bestehen. Daher kann man in diesem Fall auch nicht mehr von einer „Untergrundkirche“ reden. › Welche aktuellen Probleme und Gebetsanliegen gibt es? Diese Frage wurde uns mit großer Sorge beantwortet: Ja, die Gemeinden wachsen auch heute noch. Aber die Zahl der Brüder, die bereit sind in diesen Gemeinden zu dienen und zu arbeiten, nimmt überall ab. Es gibt viele junge, begabte und durch neue Medien auch gut informierte Brüder, die eine Menge Wissen gespeichert haben, aber denen oft die Hingabe an den Herrn fehlt. Dazu kommt noch ein für uns Westler schwer nachvollziehbares Problem: Die Erwartungen der Geschwister an einen „Vollzeitler“ sind so hoch, dass viele jüngere Brüder davor zurückschrecken: Ein solcher Mann Gottes muss neben völliger Hingabe an den Herrn bereit sein, in Armut und Verzicht zu leben und für das Evangelium zu leiden. Und dazu ist in einem immer materialistischer werdenden und aufstrebenden China kaum noch jemand bereit. Bewusst auf einem gesellschaftlich niedrigen Niveau zu leben, auf Karriere und Wohlstand zu verzichten und damit in den Augen der Nichtchristen und auch vieler Christen (!) ein Versager und Verlierer zu sein, ist auch für einen aufrichtigen Christen in China ein für uns kaum vor- stellbarer Gesichtsverlust und eine Schande. Chinesen sind bereits als Kinder auf Erfolg und Karriere getrimmt und vorprogrammiert. Auf der Karriereleiter freiwillig einige Stufen herabzusteigen ist für sie eine derartige Demütigung, dass nur wenige sich ihr auszusetzen bereit sind. Selbst für ein gläubiges Ehepaar mit einem, oder unter bestimmten Umständen zwei Kindern, ist es völlig unnormal, dass sich die Mutter von ihrem Beruf zurückzieht und ihre Aufgabe nun in der Erziehung ihrer Kinder und der Unterstützung ihres Mannes sieht. Jedenfalls haben wir in den vergangenen Jahren in China nicht ein einziges Beispiel dafür festgestellt. (Nebenbei bemerkt: Eine Entwicklung, die auch unter Christen in Deutschland immer auffälliger und vom Staat unterstützt wird: Die Kinder so früh und so lange wie möglich nicht von den eigenen Eltern, sondern vom Staat zu dessen Zielen erziehen und prägen zu lassen!) › Was wird aus dem Potenzial der vielen jungen Christen in China? Diese Frage bewegt nicht nur die ältere Generation der „Kleinen Herde“, sondern auch alle anderen bibelgläubi- gen Christen in China. Das Thema „Mission“ rückt immer mehr in den Mittelpunkt und so wurden wir auch gebeten, auf der letzten Versammlung – wenige Stunden vor unserer Rückreise – vor etwa 300 engagierten, meist jüngeren Geschwistern illegaler Gemeinden einen Vortrag über dieses Thema zu halten. Die meisten Zuhörer besaßen eine akademische Bildung, waren bestens informiert und auch meist gut vernetzt. Sie waren geschult in den Themen „Jüngerschaft“ und „Hingabe“, sind umgeben von muslemischen und hinduistischen Ländern – also ein riesiges Aufgabengebiet sowohl im eigenen Land, wie auch hinter ihren Außengrenzen vor Augen. Wozu werden sie sich entscheiden: Karriere – oder Selbstverleugnung? Materielle Sicherheit – oder gelebte Abhängigkeit? Anerkennung – oder Verachtung? Fragen, die in China, wie auch in Europa gestellt werden müssen und auf deren Antwort unser Herr wartet. Sie werden unser einmaliges, kurzes und nicht wiederholbares Leben prägen.

Nachtext

Wer mehr Einzelheiten über die Geschichte der „Kleinen Herde“ und mehr Informationen über die Situation der Christen in China sucht, sollte folgende Bücher lesen: (Angus Kinnear) Watchmann Nee Ein Leben gegen den Strom CLV, 224 S. (Ken Anderson) Niemals allein Samuel Lamb – Verfolgung und Erweckung im Land des roten Drachen CLV, 224 S. »Er sprach aber zu allen: Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme täglich sein Kreuz auf und folge mir nach. Denn wer irgend sein Leben erretten will, wird es verlieren; wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erretten. Denn was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst aber verliert oder einbüßt.« Lk 9,23–24

Quellenangaben