Zeitschrift-Artikel: "Licht leuchtet auf..." Ein Reisebericht über Bolivien

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Titel: "Licht leuchtet auf..." Ein Reisebericht über Bolivien
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 2025

Titel

"Licht leuchtet auf..." Ein Reisebericht über Bolivien

Vortext

Text

Das Einchecken im Frankfurter Flughafen erwies sich als Albtraum! Obwohl wir am 11.11. bereits 2,5 Stunden vor Abflug eintrafen, hatte Rudi Rhein mit Frau und Kindern schon einen Großteil der Halle belegt: eine Reihe Gepäckwagen mit insgesamt 23 schweren Koffern und Kisten plus ein E-Piano mussten nach Bolivien eingecheckt werden. Die Dame am Schalter der TAM schien völlig überfordert und fast hilfos. Die übrigen Fluggäste standen Schlange und wurden ungeduldig, während Thomas aus Augustdorf – ein „Kurzzeitler“ – und ich mehr oder weniger hil os zusahen, wie Rudi als erfahrener Bolivien-Missionar in aller Seelenruhe und Geduld die zögerliche Abfertigung hinter sich brachte ... Nichts für schwache Nerven! In Sao Paulo (Brasilien) angekommen, begann das Drama von vorne: Wir mussten das gesamte Gepäck für die Weiterreise über Brasilia nach Porto Velho neu einchecken und kamen dann nach etwa 22 Stunden Flugzeit endlich am Ziel-Flughafen an, wo das Prozedere von neuem begann: Nun waren die zwei Dutzend Gepäckstücke plus sieben Personen in drei Vans zu quetschen und nach Guayaramirin, der Grenzstadt von Bolivien, zu transportieren. Um es kurz zu machen: Nachdem das Auto – in dem ich eingeengt und mit einem Koffer auf dem Schoß saß – unterwegs zwei Pannen hatte und schließlich den „Geist aufgab“, mussten wir auf ein weiteres Taxi warten. Nach weiteren sechs Stunden Fahr- und Wartezeit kamen wir am Grenz uss zu Bolivien an, wo die Ladung in ein kleines Boot gepfercht werden musste und wir dann endlich am anderen Ufer von den Mitarbeitern der Missionsstation freundlich empfangen wurden. Etwa 32 schlaflose Stunden lagen hinter uns, als wir müde und dankbar im Missionshaus eintrafen ... Auf nach Cochabamba Zeit zur Erholung blieb leider nicht: Am nächsten Morgen ging es mit einem kleinen Propeller-Flugzeug der „Aerocon“ nach Cochabamba, wo wir zu einer dreitägigen Konferenz der „U.C.E.“ eingeladen waren, einer konservativen Gruppe evangelikaler Gemeinden in Bolivien. Von den etwa 800 Gemeinden dieser Gruppe sind in den letzten Jahren etwa 30% in die Charismatische Bewegung abgewandert. Daher erwarteten die Teilnehmer zehn Vorträge allein zu diesem Themenbereich. Etwa 500 Älteste und Gemeinde-Mitarbeiter (teilweise mit ihren Frauen) waren angereist – die meisten von ihnen waren bekehrte und bunt gekleidete Ketchua-Indianer aus dem Hochland. Die Aufmerksamkeit war erfreulich groß, es gab viele Fragen zu beantworten und in den Pausen fand am Büchertisch fast buchstäblich eine Schlacht statt, wie ich es bisher noch nicht erlebt hatte: Hunderte standen Schlange,um einige der angebotenen Exemplare zu ergattern, die wir – durch Spenden subventioniert – sehr preisgünstig zu einem Drittel des Normalpreises anbieten konnten. Da die Bolivianer sehr arm sind und es zudem in großen Teilen des Landes keine einzige christliche Buchhandlung gibt, war das Interesse natürlich extrem groß. Wir hoffen sehr, dass durch diese Aktion ein ansteckender Lesehunger nach guter, geistlicher Literatur entstanden ist. Jedenfalls hatten mein Freund und Übersetzer Rudi und der mitgereiste Thomas alle Hände voll zu tun, um ein Chaos zu verhindern und die Wünsche einigermaßen zu befriedigen. Allerdings waren die meisten Titel schon nach wenigen Minuten völlig ausverkauft, weil wir nicht genügend Vorrat mitbringen konnten. Ein fröhliches Getümmel Es war ein fröhliches Getümmel auf dieser Konferenz – bei heißen Temperaturen. Die Teilnehmer schliefen des Nachts in den großen Räumen auf Matratzen oder Matten in voller Kleidung, weil man die Schwestern nicht separat unterbringen konnte. Zum Essen stellte man sich in einer langen Schlange auf und nach dem Dankgebet erscholl der Ruf: „Attacke!“ und dann wurde das übliche Nationalgericht ausgeteilt. Eine schöne Erfahrung war für uns, das Gemeinschaftsgefühl dieser Geschwister zu erleben: Da sich kaum einer eine Kranken- Versicherung leisten kann, wurde dann abends z.B. für einen Bruder gesammelt, von dem man erfahren hatte, dass er eine Nierenerkrankung hat und regelmäßig zur Dialyse muss. Unterwegs in Santa Cruz ... Am letzten Tag der Konferenz flogen wir dann nach Santa Cruz, wo wir abends in der uns bereits bekannten „Brüderversammlung“ „Ebenezer“ einen Vortrag zu halten hatten, wie auch am folgenden Sonntag-Vormittag. Das Wiedersehen mit vielen Freunden dort und die schöne Gemeinschaft mit ihnen sorgte für große Freude auf beiden Seiten. Ein kurzer Abstecher in die Einkaufsstraße der „Mennoniten“ war – wie schon im letzten Jahr – ein interessantes Erlebnis. Hier waren sie wieder zu sehen: die vielen dieser traditionellen Mennoniten, die aus den umliegenden Kolonien zum Einkauf kamen. Die Männer in ihren langen, blauen Latzhosen und die Frauen in teilweise bunten Kleidern und Hüten luden geradezu zum Fotografieren ein. Das habe ich auch gerne genutzt – wunderte mich aber, dass die Köpfe der Männer mitsamt ihren Hüten runtergingen und die Frauen grimmig dreinschauten, wenn ich verlegen lächelnd eine Anzahl Fotos machte. Das Lachen verging mir aber, als zwei bullige Männer in Latzhosen auf mich zukamen und versuchten, mir die Fotokamera mit Gewalt zu entwenden. Ich hatte gerade ein Foto von Rudi gemacht, wie er mit einer Obsthändlerin um den Preis für Erdbeeren feilschte, als diese Männer nach der Kamera griffen und ich diese mit aller Kraft verteidigen musste. Sie schienen sehr zornig zu sein, fragten mich nach meiner Herkunft und wollten die Bilder sehen, die ich gemacht hatte. Glücklicherweise konnte ich ihnen mein letztes Foto mit Rudi und den Erdbeeren auf dem Display zeigen, was sie aber nicht unbedingt beruhigte. Leider versäumte ich in der Hektik, ihnen das Gebot „Du sollst nicht stehlen!“ zuzurufen. Allerdings erfuhr ich erst hinterher, dass diese „frommen“ Männer Wert auf das zweite Gebot legen: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“ und daher keine Fotos oder Bilder in ihren Häusern dulden. Als Rudi – immerhin ein Hühne von 1,90 Metern – sich umwandte, lockerten sie ihren Griff nach der Kamera langsam und zogen dann etwas verunsichert fort ... Aufbruch in die Vergangenheit Dieses kleine Erlebnis war der Auftakt zu einer Reise in eine alte, für mich aber ganz neue, unbekannte Welt: Die Kolonien der „Alt-Mennoniten“ – etwa 150 km von Santa Cruz entfernt. Herbert Schönke, der vor einigen Jahren mit seiner Frau Deutschland verlassen hat, um als Missionar unter diesen Alt-Mennoniten zu arbeiten, hatte uns eingeladen, um ihn zu besuchen und ebenfalls eine neu entstandene Gemeinde aus ehemaligen Alt-Mennoniten. Er holte uns in Santa Cruz mit seinem alten Wagen ab, in dem die Klimaanlage nicht funktionierte. Und so fuhren wir bei hohen Temperaturen über staubige, unglaublich schlechte Straßen und unbefestigte Pisten in Richtung „Morgenland“, wo Herbert mit seiner Familie sein neues Zuhause hat. Unterwegs und in seinem Haus wurden wir dann in die Geschichte und Lebensweise der „Alt-Mennoniten“ eingeweiht, die mir bisher weitgehend unbekannt war: In weitläufigen Kolonien haben sich hier vor Jahrzehnten Mennoniten angesiedelt, sehr viel Land gekauft und große Bauernhöfe gebaut, die von der Außenwelt völlig isoliert aber weit verstreut liegen und teilweise pro Familie 50, 100 in einigen Fällen bis zu 5.000 Hektar Land bearbeiten! Dort wird meist Soja und anderes Getreide angebaut oder Viehzucht betrieben. Sie sprechen fast ausschließlich nur Plattdeutsch und lernen auch kein Spanisch – unter anderem mit folgendem Argument: „Die Bibel ist schließlich in Deutsch geschrieben worden.“ Vor allem geht es aber darum, dass man die Vermischung mit den Einheimischen vermeiden möchte. In ihren eigenen Schulen lernen die Kinder von unausgebildeten Lehrern anhand der Heiligen Schrift das ABC. Nach vier bis fünf Schuljahren verlassen die Kinder die Schule, um mit 12 oder 13 Jahren im Haushalt oder in der Landwirtschaft mitzuhelfen. Der Fluch formaler Frömmigkeit Ihre traditionelle Frömmigkeit verbietet ihnen Autos zu besitzen und so bewegen sie sich mit selbstgebauten Kutschen, die sogar Gummireifen haben dürfen, weil sie von Pferden gezogen werden. Die Trecker dagegen dürfen sich allerdings nur auf Eisenreifen bewegen, weil sie von einem Motor angetrieben werden. Natürlich ist Radio und Fernsehen streng verboten und die Frömmigkeit besteht aus dem regelmäßigen Kirchenbesuch, wo allerdings meist auf Hochdeutsch eine Predigt aus dem 19. Jahrhundert gelesen wird, die vielfach nicht verstanden und daher oft verschlafen wird ... Aus Furcht, falschen Lehren oder neuen Gewohnheiten Einlass zu gewähren, werden keine Gespräche über geistliche Dinge geduldet. Selbst innerhalb der Familie wird kaum über den Inhalt der Bibel gesprochen, weil die Ältesten der Gemeinde absolute Autorität sind und jede kleinste Abweichung der Tradition mit äußerster Strenge ahnden. Das Interessante dabei ist: Wenn man als Außenstehender eine Möglichkeit zu einem Gespräch unter vier Augen bekommt, erlebt man eine unerwartete Offenheit und viele Fragen. Sobald aber eine weitere Person erscheint – selbst wenn es der Ehepartner ist – hört sofort jedes Gespräch auf. Bibelkenntnis ist kaum vorhanden. Allerdings ein Bibelvers, der wohl bei jeder möglichen Gelegenheit zitiert wird und jede weitere Diskussion sofort erstickt, ist allen bekannt: „Bleibe bei dem, was du gelernt hast ...!“ (2Tim 3,14). Als Rudi einmal einen dieser Mennoniten nach seinem wichtigsten Bibelvers fragte, bekam er die verblüffende, aber ernst gemeinte Antwort: „Du darfst kein Auto fahren!“ Und die Frage nach dem zweitwichtigsten Vers wurde so beantwortet: „Du darfst keinen Schnurbart haben!“ Unter dieser äußerst gesetzlichen, formalen „Frömmigkeit“ verbirgt sich vielfach eine erschütternde Heuchelei: Alkohol, Nikotin, sexuelle Unmoral schlimmster Art und nicht selten Gewalttätigkeit an solchen, die „nicht gehorsam“ sind oder sich dem biblischen Evangelium zuwenden. Ein weiteres Beispiel dieser verlogenen Gesetzlichkeit: Man fährt zwar kein Auto, lässt sich aber von „ungläubigen“ Bolivianern per Mietwagen oder Taxi fahren – was nicht verboten ist ... Ein unvergesslicher Abend im „Morgenland“ Nun sind aber in den letzten Jahren u.a. durch die treue und fleißige Arbeit der deutschen Missionare Peter Giesbrecht, Viktor Neufeld und Herbert Schönke eine große Anzahl jüngerer und älterer „Alt-Mennoniten“ zum lebendigen Glauben an den Herrn gekommen. Diese im Glauben jungen Geschwister werden von ihren traditionellen Eltern oder Verwandten konsequent ausgestoßen und wie Aussätzige behandelt. Es bleibt ihnen oft keine andere Möglichkeit, als die gewohnte Umgebung zu verlassen und so sind z.B. die Kolonien „Morgenland“ und „Chiuaua“ entstanden, wo zum Glauben gekommene Mennoniten mit ihren Familien leben. Am Abend unserer Ankunft in „Morgenland“ waren wir nun zu einer sehr jungen Gemeinde eingeladen. Sie wollten einen Bericht über die Erweckung in China hören und so hatten sie auch in der Nachbarschaft eingeladen. Statt der erwarteten 100 Gäste kamen etwa 250, die natürlich in dem neuen Gemeindehaus nicht alle Platz fanden. Aber man übertrug den Vortrag nach draußen, wo dann der größte Teil der Zuhörer saß und frische Luft genoss. Der Abend stand unter dem Motto: „Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen“ (Jes 9,1), was sowohl auf die Chinesen, als auch auf die „Morgenländler“ zutraf. Die Atmosphäre war zunächst ungewohnt steif: Ernste, kritische Gesichter, kaum ein Lächeln zu sehen und eine sehr distanzierte Körpersprache. Fast keine Gespräche zu hören. Auch während des Vortrags eine gespannte Zuhörerschaft, aber kaum ein Echo. Offensichtlich steckt die Vergangenheit noch in ihren Knochen. Erst nach dem Vortrag lockerte sich die Stimmung langsam, man bediente sich sogar vorsichtig, aber interessiert am Büchertisch mit deutschen Büchern. Aber als die ersten Männer ihre Mate-Tee-Utensilien hervorkramten, gruppenweise auf den Bänken und Stühlen Platz nahmen und dann den Mate-Becher mit dem Saugrohr kreisen ließen, begannen auch die ers- ten vorsichtigen Gespräche. Überwältigende Gastfreundschaft in „Chihuahua“ Ganz anders an den nächsten Tagen in „Chihuahua“. Warum die Kolonie den Namen dieser eigenartigen Hunderasse trägt, ist mir bis heute unbekannt. Diese Siedlung ist erst etwa 20 Jahre alt. Hier wohnen vor allem ehemalige Alt-Mennoniten, die zum Glauben kamen. Zu den Vorträgen an den folgenden beiden Tagen kamen jeweils etwa 700 – 800 Geschwister in das schmucke Gemeindehaus. Leider hat auch in dieser Siedlung die Charismatische Bewegung für Trennungen und Spannungen gesorgt, sodass wir auch hier zu diesen Themen Vorträge halten sollten. Aber auch die Themen „Jüngerschaft“ und „Hingabe“ standen auf dem Programm. Hier war die Atmosphäre viel entspannter, fast fröhlich-familiär. Die meisten verstanden Hochdeutsch und für diejenigen, die nur „Plattdütsch“ verstanden, stand ein extra Saal mit Übersetzer zur Verfügung. Der Büchertisch war nach dem ersten Vortrag schon fast wie leergefegt – wir hätten ein Vielfaches an Büchern verkaufen können. Zu allen Mahlzeiten wurden wir in verschiedene Familien eingeladen, so dass wir einen sehr lebendigen Einblick in das Alltags- und Glaubensleben dieser treuen Geschwister bekamen. Hier hörten wir auch bewegende Zeugnisse von solchen, die aus der Kolonie der „Alt-Mennoniten“ iehen mussten und viel körperliches und seelisches Leid erlebt haben. Wirtschaftlich geht es diesen Geschwistern meist sehr gut. Sie wohnen in sehr geräumigen, großen Höfen, verfügen über modernste landwirtschaftliche Geräte, womit sie ihre riesigen Acker ächen bearbeiten. Gerne wären wir noch ein paar Tage bei diesen aufgeschlossenen Geschwistern geblieben, aber der Flug zu einer letzten Konferenz in Riberalta auf dem schönen und großen Gelände des Missionswerkes „Mitternachtsruf“ wartete auf uns, das dort von dem Ehepaar Harnisch geleitet wird. Auch hier waren wir drei Tage mit einer kleineren Gruppe von Geschwistern zusammen, um uns über aktuelle Themen und Gottes Wort auszutauschen, bevor wir dann am letzten Wochenende zur Missions-Station in Guayaramerin aufbrachen, um von dort aus in zwei Gemeinden der U.C.E. die letzten Vorträge zu halten. Abschied in Guayaramerin Der letzte, „dienstfreie“ Tag vor dem Rückflug erschien mir beinahe wie ein Vorgeschmack des Himmels. Die frohe, inzwischen vertraute Gemeinschaft mit den drei Missionsfamilien und ihren vielen jungen Mitarbeitern, der gesegnete und sehr offene Austausch, das gemeinsame Singen und Beten, das leuchtende Vorbild von Rudi und seiner Familie, den in ich auch nicht ein einziges Mal in den vergangenen Tagen aufgeregt oder ärgerlich erlebt hatte, hat mich sehr an Psalm 133 erinnert. Wie gut, dass unsere junge Schwester Rahel aus unserer Gemeinde in Schoppen hier einige Monate in dieser von Liebe und Segen geprägten Atmosphäre dienen und lernen kann: Sowohl in der inzwischen begonnenen Freizeit-Saison mit zehn Kinderfreizeiten, wie auch im christlichen Buchladen „Liberia Lapalabra“ und vielleicht bald auch bei den Missionseinsätzen in den Dschungel-Dörfern, die von dort aus von Rudi und seinen Mitarbeitern organisiert und durchgeführt werden. Bitte betet mit für dieses Land, für die hingegebenen Missionare, für die teilweise angefochtenen Gemeinden und für den geistlichen Aufbruch in den Kolonien, wo ein großes Potential an zukünftigen Mitarbeitern vorhanden ist und auf Vorbilder und Anleitung wartet.

Nachtext

Quellenangaben