Zeitschrift-Artikel: Kuba – ein Jahr nach Fidel Castro

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Titel: Kuba – ein Jahr nach Fidel Castro
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Kuba – ein Jahr nach Fidel Castro

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November 2017 – gemeinsam sind wir mit Rudi mal wieder in Kuba unterwegs. Mit „angezogener Handbremse“, aber die Türen sind noch offen. „FIDEL SEMPRE VIVIRA EN NOSOSTROS“ („Fidel wird immer in uns weiterleben“) – diese und ähnliche Sprüche, die in großen Buchstaben immer wieder an Wände gepinselt werden, begegnen uns laufend, wenn wir durchs Land reisen. Auch das patriotische Lied „Cabalgando Fidel“ („Reiten mit Fidel“), das nach Fidel Castros Tod am 25.11.2016 fast pausenlos im Radio zu hören war und in dem es heißt: „Vater, lass meine Hand nicht los. Ich weiß noch nicht, wie ich ohne dich laufen soll …“, kann man immer noch gelegentlich im Radio hören. Eigenartig, welche religiösen Untertöne auch auf den Plakaten mit dem Bild von Hugo Chávez, dem 2013 verstorbenen Präsidenten von Venezuela und Freund Fidel Castros, zu lesen sind. Diese Poster hängen oder kleben zur Zeit an den Wänden von staatlichen Behörden und vermitteln folgende Botschaft in deutscher Übersetzung: „Keiner denke, dass er nicht mehr da ist, er ist für eine kurze Zeit zur Messe und kommt zurück mit Sandino, Ché, Martí und Bolívar!“ (Gemeint ist die katholische Messe und genannt sind verstorbene politische Nationalhelden und Guerillaführer aus Lateinamerika.) Eher Resignation als Aufbruch Doch das Leben geht auch ohne Fidel Castro in Kuba weiter. Allerdings ist von der Euphorie und Aufbruchsstimmung während und nach dem Besuch Obamas im April letzten Jahres nichts mehr zu spüren. Mit Donald Trump ist das Klima des Kalten Krieges wieder ins Land zurückgekehrt und die Wirtschaftskrise Venezuelas – als wichtigstem Verbündeten und Geldgeber – wirkt sich spürbar auf Kubas Wirtschaft aus. Aber Kubaner sind Kämpfen gewohnt. Immerhin sieht man jetzt überall kleine Buden und Geschäfte, in denen etwas Obst, Gemüse, Fleisch, Fruchtsäfte usw. angeboten werden. Eine Zeit lang wurde sogar genehmigt, dass Pizzarias eröffnet werden konnten. Allerdings hat man die Erlaubnis kurze Zeit später wieder gestoppt – keiner weiß warum. Seltsam auch die Tatsache, dass für kurze Zeit bestimmte technische Geräte (Motorroller usw.) eingeführt und verkauft werden durften und wenige Monate später diese Geräte aus dem Handel verschwinden und nach einiger Zeit plötzlich samt Ersatzteilen im Schwarzmarkt zu überhöhten Preisen wieder auftauchen. Einige vermuten, dass das Militär, welches angeblich große Teile der Wirtschaft beherrscht, dahinter steckt. Salz? Nein! – Rum? Jede Menge! Als wir Anfang November Kuba besuchten, gab es in keinem Geschäft Salz zu kaufen. Die Regale waren proppevoll mit hochprozentigen Spirituosen zu günstigen Preisen. Aber Salz war nirgends offiziell erhältlich. Wohl aber auf der Straße. Dort zog ein Händler grinsend eine unter anderen Waren versteckte Plastiktüte mit ca. 500 Gramm Salz hervor und bot sie unserem kubanischen Gastgeber für etwa 1,50€ an. Offensichtlich scheint dieses „Geschäftsmodell“ so zu funktionieren: Irgendwelche Personen, die gute Beziehungen zu Schlüsselpersonen in der Regierung haben, kaufen große Mengen der aus dem Ausland importierten Waren auf, von denen dann nur ein kleiner Teil in die Geschäfte gelangt und nach Monaten auf dem Schwarzmarkt zu hohen Preisen angeboten wird. Aber auch ein anderes, legales Geschäft breitet sich aus: Einige Freunde von uns fliegen in regelmäßigen Abständen nach Mexiko oder Moskau, kaufen dort preisgünstig technische Geräte oder irgendwelche Kleinteile, die dann bei der Einfuhr verzollt werden und dann mit einem entsprechenden Aufschlag Interessenten zum Kauf angeboten werden. So verdient der Staat, der Händler und die Kunden bekommen auf diesem Weg Gegenstände, die sonst gar nicht in Kuba erhältlich sind; oder nur zu Wucherpreisen auf dem Schwarzmarkt angeboten werden. Allerdings gibt es seit einigen Wochen in den etwas größeren Städten Internetempfang. Zwar zu einem Preis von pro Stunde umgerechnet einen Euro, was für Kubaner eigentlich unerschwinglich ist. Dennoch hat sich das Straßenbild dadurch verändert: Überall stehen ältere und jüngere Leute und starren ins Handy. Im Februar 2018 gibt es Neuwahlen. Raul Castro hat seinen Rücktritt angekündigt und zum ersten Mal seit fast 60 Jahren wird kein Castro an der Spitze der Regierung stehen. Ob Miguel Díaz-Canel – die gegenwärtige Nummer Zwei der Staatsführung – an seine Stelle tritt wird sich zeigen. Damit würde jedenfalls ein Vertreter der jüngeren Generation an die Macht kommen. Katastrophale medizinische Versorgung Wir besuchten ein Ehepaar – beide überzeugte Christen. Die Frau ist Ärztin im Krankenhaus, der Mann im Auftrag der Regierung für die Zuteilung von Medikamenten für eine bestimmte Provinz zuständig. Er erzählte uns, dass seit Wochen über 70 wichtige Medikamente nicht mehr geliefert werden können. Wahrscheinlich ist der Staat so verschuldet, dass bestimmte Grundsubstanzen, die zur Herstellung von Medikamenten in Kuba dienen, nicht mehr importiert und bezahlt werden können. Die Folge: Plötzlich tauchen auf dem Schwarzmarkt Medikamente mit angeblich gleichen Inhaltsstoffen gegen bestimmte Krankheiten auf. Als unser Bruder ein solches Medikament kaufte und im Labor prüfen ließ, stellte sich heraus, dass es sich um in Tablettenform gepresstes Fußpuder gegen Schweißfüße handelte! Diese kriminellen Methoden auf dem Schwarzmarkt können lebensgefährlich sein. Jedenfalls ist die medizinische Versorgung zur Zeit katastrophal. Krankenhäuser werden teilweise geschlossen, weil sie zu marode und baufällig sind, um dort Notfälle behandeln zu können. Unsere Koffer mit Medikamenten, die wir aus Deutschland ohne Beanstandung durch den Zoll gebracht hatten, waren angesichts dieser Not nicht einmal der „Tropfen auf dem heißen Stein“ … Die geistliche Grundversorgung sieht nicht viel besser aus Aber auch auf geistlichem Gebiet scheint die Situation mangelhaft zu sein. Obwohl wir seit über 20 Jahren regelmäßig – meist zwei Mal im Jahr – Kuba besucht haben, wurde uns erstmals das beantragte „Missionsvisum“ verweigert, mit dem uns bisher erlaubt wurde, in gewissen Gemeinden zu predigen, Seminare zu halten usw. Ein offizieller Grund wurde nicht angegeben, aber auf Nachfragen sickerte durch, dass uns irgendjemand bei der zuständigen religiösen Behörde angezeigt hatte: Wir würden durch unsere Besuche Streit und Unruhe in manchen Gemeinden verursachen! So reisten wir also „nur“ mit einem Touristen-Visum ein. Immerhin hatten wir nun Zeit, an zahlreichen Orten Besuche bei Freunden, Geschwistern und Gemeinden abzustatten und uns nach dem geistlichen Wohl zu erkundigen. Leider machten wir meist folgende Erfahrung: In vielen Familien werden die Kinder und Jugendlichen völlig vernachlässigt, weil man Tag für Tag mit Lebenssorgen beschäftigt und stundenlang unterwegs ist, um irgendwo etwas legal oder illegal zu besorgen. Keine Zeit und Kraft, um Kinder zu erziehen, zu prägen, mit ihnen zu spielen und ihre Herzen für den Herrn, Gottes Wort und geistliche Dinge zu gewinnen. Entweder man überlässt sie sich selbst, oder man stellt sie vor dem Fernseher ab und überlässt Kinder und Jugendliche irgendwelchen billigen, schlüpfrigen amerikanischen DVDs oder Programmen. Kein Wunder, wenn die Kinder dann irgendwann auch nicht mehr bereit sind, einen Fuß in die Gemeinde zu setzen und bereits als Teenie Beziehungen zum anderen Geschlecht eingehen … Ähnlich sieht es auch in den Gemeinden aus. Oft nur vereinzelte Jugendliche, manchmal gar keine. Oder – in größeren, traditionellen Gemeinden – haben die Jugendlichen ihre eigenen Kreise und keinen Draht zur älteren Generation. Sie sind in den Veranstaltungen der Gemeinde nicht zu sehen. Wenn Gott keine Erweckung schenkt, werden diese Gemeinden aussterben. Erfreuliche Lichtblicke Aber es gibt auch positive Ausnahmen. Wir wurden erst­mals eingeladen, in einer Nachbarstadt eine kleine, illegale, neu gegründete „Bibelgemeinde“ zu besuchen. Nachmittags um 16 Uhr warteten hier etwa 40–50 Leute in einem kleinen, schlichten Anbau auf uns. Blechdach, keine Instrumente, keine Verstärkeranlage, keine Klimaanlage, aber mit brennenden Herzen für den Herrn und das Evangelium. Und endlich junge, hellwache Brüder dabei, die uns „Löcher in den Bauch“ fragten und dringend um gute Biografien baten, die auf Kuba bisher leider nicht gibt. Einer von ihnen stellte sich mit strahlendem Gesicht als der Gründer einer kleinen Fußballmannschaft vor: die „Eagles“. Auf ihren Trikots ist Jesaja 40,31 zu lesen und wir erfuhren, dass es vor jedem Spiel eine evangelistische Andacht und Gebet gibt. Inzwischen sei eine Anzahl Jungs von der Straße zum Glauben gekommen. Einige von ihnen standen neben und hinter ihm und bestätigten seine Worte mit leuchtenden Augen. Es war außerordentlich erfrischend für uns, diese jungen Kerle zu erleben, die Initiative entwickeln, um außenstehende, gelangweilte und frustrierte Altersgenossen mit dem Evangelium zu erreichen. Unser Eindruck ist, dass die Zukunft der Gemeinde in Kuba von solchen Geschwistern abhängt, die nicht mit allen möglichen abgekupferten Unterhaltungsprogrammen die Besucher bei Laune zu halten versuchen, sondern in der „ersten Liebe“ zum Herrn glaubwürdig leben und Initiative ergreifen, um Menschen in ihrer Umgebung mit dem Evangelium bekannt zu machen. Der Einfluss guter Literatur Da es in Kuba offiziell so gut wie keine andere außer politische Literatur gibt, besteht großes Interesse an den evangelistischen, erbaulichen und lehrmäßigen Büchern, die wir seit einigen Jahren in Kuba drucken lassen und kostenlos abgeben. Leider ist Erik, unser Drucker, noch nicht in der Lage, die Menge der Bücher, die benötigt werden, zügig herzustellen. Außer einem alten Drucker und einer noch älteren Schneidemaschine gibt es keine Geräte, die zusammentragen und binden. Das alles muss mühsam per Hand gemacht werden und das braucht viel Zeit. Allerdings sind dafür die Herstellungskosten äußerst preisgünstig … Für uns ist es überaus ermutigend, wie gerne gelesen wird, wie Bücher wertgeschätzt werden und wie das Leben vieler Christen durch gute Literatur verändert wurde. Leider sind wir aus den genannten technischen Gründen noch nicht in der Lage, den riesigen Bedarf zu decken. Auch das wäre ein wichtiges Gebetsanliegen.

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Quellenangaben