Zeitschrift-Artikel: Im Abteil statt in der Abtei

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Titel: Im Abteil statt in der Abtei
Typ: Artikel
Autor: Andreas Fett
Autor (Anmerkung):

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Titel

Im Abteil statt in der Abtei

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Text

Im ICE-Zugabteil von Hamburg nach Rostock setzt sich ein junger Mann mir gegenüber. Weil ich meine dicke Arbeitsbibel auf dem Schoß habe, schaut er öfter neugierig auf mein Buch, spricht mich aber nicht an. Da öffnet sich die Schiebetür und eine Ordensschwester in schwarzer Tracht gesellt sich als Dritte zu uns. Sie, vielleicht 70 Jahre alt, holt ebenfalls ein Buch hervor – „Mit Gott auf Du“ – und beginnt zu lesen. Ganz unvermittelt frage ich die Nonne: „Entschuldigen Sie, wenn ich beim Lesen störe, aber was müsste geschehen, dass wieder mehr junge Menschen Interesse an Gott finden – oder gibt es in Ihrer Ordensgemeinschaft keine Nachwuchsprobleme?“ Sie legt ihr Buch beiseite und antwortet: „Es geht den meisten zu gut. Das macht oberflächlich. Der Wohlstand treibt unsere Gesellschaft weg von Gott. Man meint ohne Ihn auskommen zu können.“ Ich stimme ihr zu und ergänze: „Und unsere dauerpräsenten Medien lenken uns von den wichtigsten Fragen ab. Wer denkt heute noch über ewige Dinge nach.“  Neben dem Zugfenster auf dem Bahnsteig laufen über ein Werbe-Display die aktuellsten Nachrichten. „Ja, da sieht man es ja wieder: Attentate in Spanien“, sagt der junge Mann. „Wir werden rund um die Uhr abgelenkt. Selbst auf den Sterbezimmern hängen Fernseher über den Krankenhausbetten!“ „Und was studieren Sie da?“ fragt mich die Nonne und deutet auf meine Bibel hin. „Ich lese gerade Psalm 90.“ –„O, das ist aber schön! Diesen Psalm beten wir in unserem Kloster jeden Abend!“ Da schaltet sich wieder der junge Mann ein. Er ist Geschichtsstudent im letzten Semester, Altgriechischkenner und bei mehreren Ausgrabungen im Nahen Osten beteiligt. Er heißt Valentin und kommt aus Rostock. „Als 9-Jähriger habe ich unsere alte Familienbibel in wenigen Monaten durchgelesen – aus reiner Wissbegier. Meine Eltern waren zwar nicht christlich, aber ich wollte herausfinden, was es mit dem Glauben auf sich hat.“ Schwester Margit, die Nonne, meint: „Das ist sicher kein geeigneter Zugang für ein Kind, die Bibel durchzulesen, um Gott zu finden. Bestenfalls das Evangelium oder die Apostelgeschichte sind für Laien verständlich. Aber dafür gibt es die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, um gemeinsam zu beten und im Gottesdienst durch den Priester die Gegenwart von Christus zu erleben.“ Unterdessen hat eine vierte Person das Abteil betreten. Eine Frau um die sechzig. Sie nimmt in der Ecke Platz und hält bewusst Distanz. Unsre Gespräche scheinen sie nicht zu interessieren. Daher fragt die Nonne: „Fühlen Sie sich durch unsere Unterhaltung gestört?“ – „Nein, reden Sie nur weiter. Ich bin aber Atheistin. Mir sagt das alles nichts. Ich denke nicht, dass nach dem Tod noch irgendetwas kommt. Uns fressen die Würmer und damit ist Ende.“  Noch immer die Bibel bei Psalm 90 geöffnet haltend spreche ich die Hinzugekommene an: „Darf ich Ihnen dazu etwas aus diesem Lied von Mose vorlesen? – ‚Du lässt zum Staub zurückkehren den Menschen und sprichst: Kehrt zurück, ihr Menschenkinder!‘ – Was Sie sagten steht außer Frage. Unser Körper wird innerhalb kurzer Zeit von Würmern gefressen. Er zerfällt zu Staub und Erde. Aber hier wird uns etwas Weiteres mitgeteilt. Das ist nicht alles! Gott ruft: Kehrt zurück! Unsere Persönlichkeit geht eben nicht verloren. Gott zitiert uns als Personen vor seinen Thron. Etwas später in der Bibel in Prediger 12, Vers 7 heißt es, dass ‚der Staub zur Erde zurückkehrt, so, wie er gewesen ist, aber unser Geist zu GOTT zurückkehrt, der ihn gegeben hat‘. Das ist es ja eben, was uns von Tieren unterscheidet. Wir Menschen haben einen Geist, ein Gottesbewusstsein – und damit auch Verantwortlichkeit und Kommunikationsfähigkeit mit Gott, was kein Tier hat.“ Der junge Historiker sagt: „Das ist ein interessanter Gedanke. Der Geist als eine Art Schnittstelle zu Gott …“ Dann unterhalten wir uns über die Erschaffung des Menschen, wie Gott seinen Atem – seinen Geist – als einzigem Geschöpf dem Menschen eingehaucht hat und ihn damit zu seinem Ebenbild machte, denn Gott ist Geist. Im Verlauf der zweistündigen Unterhaltung wird die distanzierte Dame immer aufgeschlossener. Sie ist unverheiratet und kinderlos – ebenso wie die Nonne. Aber sie hat ihr Leben ganz für sich gelebt. Sie war viel auf Reisen. Sehr gerne hat sie sich weltweit Kirchen und Kathedralen angeschaut. Dann bekräftigt die Nonne ihren Standpunkt: „Da können Sie Gott finden. Denn Kirchen sind das Haus Gottes. Dort finden Sie Einkehr und Heimkehr.“ Ich stelle etwas provokant die Frage: „Sind Sie tatsächlich der Überzeugung, dass Gott in Häusern aus Steinen wohnt? Lehrt uns nicht Jesus und das Neue Testament, dass Gott in uns Menschen wohnen möchte, dass Christen lebendige Steine sind, die gemeinsam das Haus Gottes bilden?“ Aber Schwester Margit beharrt auf ihrem Standpunkt: „Jesus ging jedenfalls in den Tempel und sagte: Das ist das Haus meines Vaters!“ – „Aber sagte dieser Jesus nicht auch: Brecht diesen Tempel ab – und ich werde ihn wieder aufrichten in drei Tagen – und er sprach von seinem Leib – seinem Tod und seiner Auferstehung, einem Tempel im Geist, nicht aus Steinen.“ Ich wende mich an Valentin und frage ihn sehr persönlich: „Können Sie als Historiker das glauben, dass Jesus gestorben und nach drei Tagen auferstanden ist? Halten Sie die Aussagen der Evangelien für glaubwürdig und seine Auferstehung für ein historisches Ereignis?“ – „Ja, ich anerkenne, dass da mehr dahinter steckt. Ich möchte das glauben. Aber mein Glaube ist schwach, sehr schwach. Ich wünschte, er wäre stärker. Vielleicht sind wir uns ja deshalb begegnet.“ Dann muss er aussteigen.

Nachtext

Quellenangaben