Zeitschrift-Artikel: Warum zeigen wir uns im Netz? Des Christen Umgang mit dem Internet

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Titel: Warum zeigen wir uns im Netz? Des Christen Umgang mit dem Internet
Typ: Artikel
Autor: Carsten Görsch
Autor (Anmerkung):

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Titel

Warum zeigen wir uns im Netz? Des Christen Umgang mit dem Internet

Vortext

Text

Er war sicherlich einer der ganz Großen in Israel: Hiskia, der von 725 v.Chr. bis 698 v.Chr. König von Juda war. Er tat die Höhen hinweg und zerschlug die Bildsäulen und rottete die Aschera aus und zertrümmerte die eherne Schlange, welche Mose gemacht hatte; denn bis zu jenen Tagen hatten die Kinder Israel ihr geräuchert, und man nannte sie Nechustan. Er vertraute auf den Herrn, den Gott Israels; und nach ihm ist seinesgleichen nicht gewesen unter allen Königen von Juda, noch unter denen, die vor ihm waren. (2Kö 18,4–5) Aber gegen Lebensende unterlief ihm ein folgen­reicher Fehler. Von schwerer Krankheit genesen, zeigte er der Gesandtschaft des babylonischen Königs Berodak-Baladan sein ganzes „Privatleben“, als dieser ihm Genesungswünsche nach überstandener Krankheit übermitteln lässt. Die Schrift berichtet „… es war nichts in seinem Hause und in seiner ganzen Herrschaft, was Hiskia ihnen nicht gezeigt hätte.“ (2Kö 20,13) Wir sollten allerdings nicht zu leichtfertig den Kopf über die Leichtsinnigkeit des alternden Königs schütteln. Denn alle diese Dinge sind zu unserer Belehrung geschrieben (Röm 15,4), auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist. (1Kor 10,11). Die Könige und Priester des Reiches der Himmel zeigen dem Gott dieser Welt gerne und noch leichtfertiger als Hiskia ihre tiefsten Geheimnisse und Schätze, nämlich dann, wenn sie im Internet surfen, kaufen und chatten. Sehen und gesehen werden Dies ist damals wie heute die Devise. Hiskia wollte in seinem Reichtum gesehen werden. Genauso, wie viele User heute gesehen werden wollen. Ihre Meinung ist gefragt, wenn sie ihre „(don’t) likes“ in den ratings des Internets geben. „Ihre Meinung ist uns wichtig“ wirbt die Spinne des World Wide Webs, für ihre Verhältnisse relativ aufrichtig. Und so fühlt sich auch der letzte „Nobody“ endlich gesehen und der kleinste Wicht wichtig. Die vaterlose Gesellschaft hat viele Narzissten geboren, die ihre Identität im Internet suchen und finden, ja sogar schaffen. Etliche von ihnen führen vor den Augen und Ohren Tausender von Mitbenutzern täglich minutiös Tagebuch auf ihren Plattformen. Ironie des Schicksals: Sie geben freiwillig her, wofür die Geheimdienste der ver­gangenen Diktaturen foltern und erpressen mussten – nämlich ihre Tagebücher. Der „gläserne Bürger“ ist in aller Munde. Aber das Schlimme ist: er macht sich selbst transparent. Das Armband unserer Fitness-Uhren, beispielsweise, liefert Lebensdaten, Puls, sowie dessen Abnormalitäten an denjenigen Dienst, dem wir vorher über unsere Freizeitgewohnheiten, unser Sexualleben und unsere Fettstoffwechsel-Störungen berichtet haben. Nicht nur sie liefern uns, sondern auch wir ihnen frei Haus. Aber nicht nur körperlich „lassen die Heiligen die Hosen herunter“. Auch seelisch decken sie vor dem „Gott dieser Welt“ freundschaftlichst alles auf, was sie noch nicht einmal dem besten Freund erzählen würden. Vertraulich und nicht einer gewissen Peinlichkeit bar, teilten mir zwei Geschwister unabhängig voneinander mit, dass sie ihren Partner über einen Situs namens „Feuer und Flamme“ kennengelernt hätten. Warum tun wir das? Man muss sich wirklich fragen, warum Hiskia zu seiner Zeit seine Torheit beging. Vielleicht weil er zu viel Zeit hatte. Aufschluss gibt uns der Bericht Jesajas in Jesaja 38,1–8. Gott gewährte ihm die Genesung von einer todbringenden Krankheit (Jes 38,1), indem er ihm weitere 15 Lebensjahre zugestand (Jes 39,5). Er ließ sich durch die Tränen des einstmals tapferen Königs erweichen (Jes 38,3). Von da an lebte der einstmalige Kämpfer Gottes ruhig und beschaulich (Jes 38,8). „Müßiggang ist aller Laster Anfang!“, sagt das alte deutsche Sprichwort. Wahrscheinlich gilt dies auch für unsere „Mentalreisen“ im Internet. Auf jeden Fall macht es einen nachdenklich, wieviel Zeit Alt und Jung im Netz sind. „Im Durchschnitt verbringen die Deutschen täglich zwei Stunden und acht Minuten im Netz – 20 Minuten mehr als im Vorjahr. Unter 30-Jährige bringen es auf fast doppelt so viel Internetzeit: Sie surfen täglich etwas mehr als vier Stunden.“ (DIE ZEIT, 2016) Es scheint so, als ob der moderne Mensch die virtuelle Welt mit der reellen getauscht hätte. Ein Patient berichtet mir jedes Mal wenn er die Depot-Spritze eines Anti­psychotikums bekommt davon, dass er wieder eine neue Identität in einem nächtlichen Cyberspiel angenommen hätte. Im täglichen Leben funktioniert er ganz gut. Aber es gelingt ihm nicht, Bekanntschaften zu machen, sich zu unterhalten und endlich mal eine Frau anzusprechen. Das tut er nachts im Netz. Noch „beeindruckender“ war allerdings der Älteste einer Gemeinde, der sich vor 20 Jahren aus seinem Dienst verabschiedete. Einige Wochen danach traf ich ihn. Er berichtete mir freudestrahlend, dass er nun Sonntagsmorgens an Online-Gottesdiensten der „Grace Community“ in Amerika teilnähme. Dort wurde er dann nicht mehr von Mundgeruch, Widerspruch und Dummheit seines Banknachbarn geplagt. Tatsächlich hat die Flucht ins Netz auch etwas mit der „schönen neuen Welt“, der Hygiene und der Perfektion zu tun, die wir uns so sehr wünschen. Eine neue Epoche Das war vor 20 Jahren, als die PCs aufkamen. In der Zwischenzeit haben die internetfähigen Handys eine neue Epoche eingeleitet. „Das Smartphone belegt einer Studie zufolge 2016 erstmals den Spitzenplatz bei den meistgenutzten Geräten für den Internetzugang. Wie aus der ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 hervorgeht, gehen 66 Prozent der Deutschen per Mobiltelefon ins Netz – und nahezu jeder 14- bis 29-Jährige.“ (DIE ZEIT, Okt 2016) Ich möchte sie den Hausgötzen des AT vergleichen. Jeder hat eins: personalisiert und vielseitig. Ich meine jetzt nicht die Möglichkeit, Pokemons zu jagen. Vielmehr die heimlichen Möglichkeiten zur Sünde. Auf jeder Toilette in jedem Hotelzimmer kannst du dir alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit aber unter Aufsicht des „großen Bruders“ anschauen. Und wir Christen vergessen dabei schnell und gerne, dass Gott ein Gott ist, der uns sieht. (1Mo 16,13) Mit unseren heiß geliebten „Alleskönnern“ wird die Organisationswut des Mannes gestillt. Für sie verderben wir uns gerne unsere Augen und unsere Ohren und vielleicht sogar unser Gehirn. Denn der Elektrosmog ist durch sie bestimmt nicht kleiner geworden. Aber was viel schlimmer ist, wir verderben auch unsere Seelen. Wir spielen Schach an ihnen, chatten uns dumm und dämlich, geben unsere Aufenthaltsorte bekannt und schauen uns „wie Lämmer, die zur Schlachtung geführt werden“, alles willig an, womit die Spinne uns ins Netz lockt. Welchen Preis bezahlen wir? „Da sprach Jesaja zu Hiskia: Höre das Wort des Herrn der Heerscharen! Siehe, es kommen Tage, da alles, was in deinem Hause ist und was deine Väter aufgehäuft haben bis auf diesen Tag, nach Babel weggebracht werden wird; es wird nichts übrigbleiben, spricht der Herr. Und von deinen Söhnen, die aus dir hervorkommen werden, die du zeugen wirst, wird man nehmen, und sie werden Kämmerer sein im Palaste des Königs von Babel. Und Hiskia sprach zu Jesaja: Das Wort des Herrn ist gut, das du geredet hast; und er sprach: Es wird ja Friede und Bestand sein in meinen Tagen.“ (Jes 39,5–8) Die Antwort Hiskias ist erschreckend, weil egoistisch und kurzsichtig. Möglicherweise war er froh, dass er noch einmal mit einem „blauen Auge“ davongekommen war. Seine Zeigefreudigkeit sollte nicht von ihm, sondern von seinen Kindern bezahlt werden. Dieser Sachverhalt sollte uns ins Nachdenken bringen. Kann es sein, dass vielleicht nicht wir selbst sondern unsere Kinder den Preis für unseren Leichtsinn im Cyber-Space berappen müssen? Ich werde nie die enttäuschte Tochter eines Bruders vergessen, die ihren Vater bei beschämenden Manövern am Computer ungewollt über die Schultern geschaut hatte, als sie überraschend in sein Arbeitszimmer kam, um ihn etwas zu fragen. Sie erzählte mir darüber unter Tränen auf einer Bibelstudierfreizeit, weil sie Bitterkeit gegen ihren Erzeuger im Herzen hatte und diese nicht loswurde. Google vergisst nicht Auch nicht auf Jahre und Jahrzehnte hin. Wir hinterlassen unauslöschliche Spuren. Sollte es tatsächlich zu einer Christenverfolgung kommen, wären wir erpressbar. Oder besser gesagt: unsere Kinder, die vielleicht den Weg mit dem Herrn gehen wollen. Gott vergibt und vergisst unsere Sünden. Der Gott der Welt, in der wir leben, geht unbarmherziger mit uns um. Ich habe einige Male erlebt, dass Brüder Vorträge widerrufen haben, die sie vielleicht vor 10 oder 20 Jahren gehalten hatten. Man konnte die Vervielfältigung ihrer Kassetten dann einstellen, ihre Bücher nicht mehr auflegen. Da wir alle einem Erkenntnisfortschritt unterworfen sind, ist dies durchaus verständlich. Das Internet graviert den Moment unserer Publikation in Marmor. Mit Pilatus werden wir sagen müssen: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. (Joh 19,22) Viele unserer Kinder werden ihre Väter nicht mehr mit Bibeln in der Hand gesehen haben. Eine neue Generation von Predigern hantiert mit Laptops, Tablets und Beamern auf der Kanzel. Es sind, (im Großen und Ganzen) auch die, welche im Zug nicht mehr die Bibel aufschlagen (und so zum Zeugnis werden), sondern ihre Stille Zeit auf der App eines Android- oder iOS-Handys halten. Ist schließlich bequem und erspart „blöde Blicke“. Auf jeden Fall bezahlen unsere Kinder den Preis unserer Abwesenheit. Ich weiß nicht, wie viele unzählige Stunden ich mit Updates, Synchronisationen und Installationen verbracht habe. Allein an meinem Schreibtisch, gebetslos. Wenn Zeit wirklich Gnade ist, dann treten wir sie mit Füßen. Der obligatorische Laptop in jedem Zimmer kostet nicht nur Geld und Nerven, sondern auch eine ganze Menge Zeit, die wir nicht mehr für die Familie und die Gemeinde haben. Ein Letztes, auch wenn Sie es nicht mehr hören können: Durch den leichtsinnigen Umgang der Schafe Gottes mit dem Netz der Spinne ist auch die Privacy endgültig hin. Ich meine nicht die eigene, sondern die der anderen. Mir wird manchmal mehr als schwindlig, wenn die vielen Details, die früher noch unter der seelsorgerlichen Schweigepflicht gehandhabt wurden, nun bei WhatsApp in die Gruppe gezwitschert werden. Da sind wir nicht weniger naiv und selbstsüchtiger als Hiskia. Hauptsache, es wird Friede und Bestand sein in unseren Tagen …

Nachtext

Quellenangaben