Zeitschrift-Artikel: Einige Überlegungen zur Teestubenarbeit

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Titel: Einige Überlegungen zur Teestubenarbeit
Typ: Artikel
Autor: Gerrit Alberts
Autor (Anmerkung):

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Einige Überlegungen zur Teestubenarbeit

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Seit etwa vier Jahren versucht eine Gruppe junger Christen, zu der ich auch gehören darf, in Neukirchen-Vluyn Menschen durch Teestu­benarbeit mit dem Evangelium zu erreichen.

Einmal in der Woche, freitagsabends, treffen wir uns mit unseren Gästen in einem gemütlich eingerichteten Raum, um uns bei Tee und Ku­chen zu unterhalten, miteinander zu singen und Gottes Wort zu hören. An einem weiteren Abend treffen sich die Mitarbeiter, um für je­den einzelnen Gast zu beten und die Veran­staltungen zu planen. Es ist für uns ein Wun­der, daß Gott - soweit ich mich erinnern kann - an jedem Teestubenabend ungläubige Men­schen in die Teestube geführt hat.

Nun möchte ich an dieser Stelle weniger über unsere Erfahrungen und Probleme berichten, sondern vielmehr einige grundsätzliche Über­legungen äußern, die vielleicht Geschwistern, die eine ähnliche Arbeit durchführen oder be­ginnen möchten, eine Hilfe sind.


»Teestubenarbeit« in der Bibel


Finden wir in der Heiligen Schrift eine Grund­lage für diese Methode, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen?

Wörtlich ist in der Bibel natürlich nicht von Teestubenarbeit die Rede, schon allein des­wegen nicht, weil Tee zu der damaligen Zeit in den Kulturkreisen, über die die Bibel ausführ­licher berichtet, kein gebräuchliches Getränk war. Aber der Grundsatz, mit ungläubigen Menschen an einem Tisch zu sitzen, mit ihnen zu essen und zu trinken und ihnen dabei das Wort Gottes zu sagen, finden wir in der Bibel sehr deutlich, besonders in dem Leben unseres Herrn und Meisters, Dessen Schüler oder Jünger wir ja sein möchten.

Der Evangelist Lukas, der besonders den Cha­rakter des Menschen Jesus Christus in seiner Weisheit, seinem tiefen Mitgefühl und seiner Menschenliebe entfaltet, richtet auf diesen Aspekt ein besonderes Augenmerk. In diesem Evangelium finden wir den Herrn Jesus minde­stens fünfmal mit Ungläubigen zu Tische liegen (Luk. 5,28; 7,36; 14,1; 15,1; 19,6).

Ein schönes Beispiel für die Absicht unserer Teestubenarbeit ist das Mahl Levis (Luk. 5).
Er hat alles verlassen, um dem Herrn Jesus nachzufolgen. Vorher als Zöllner hat er wahr­scheinlich die Leute "ausgenommen", sie be­raubt; jetzt aber wird er freigiebig. Vorher versuchte er sein Hab und Gut zu mehren, jetzt setzt er es ein: Er machte ein großes Mahl in seinem Haus, und daselbst war eine große Menge Zöllner und anderer, die mit ihnen - nämlich mit dem Herrn Jesus und seinen Jüngern - zu Tische lagen.

Welche Absicht hatten sie mit diesem Mahl? Wollten sie bei allem Einsatz zur Abwechslung einmal ein zünftiges Fest feiern? Haben sie lange Tischreden über die Speisen oder über die Qualität der Weine gehalten? Der Herr Selbst begründet, warum sie mit Zöllnern und Sündern aßen und tranken: "Die Gesunden be­dürfen nicht eines Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße" (Luk. 5,33). Ein gemeinsames Mahl war ihnen offensichtlich ein geeigneter Anlaß, Sünder zur Buße zu rufen.


Welche Bedürfnisse werden durch Teestuben­arbeit besonders angesprochen?

Veranstaltungen mit dem Ziel, das Wort Gottes zu verbreiten, sprechen, jenachdem wie sie ge­staltet werden, verschiedene Menschen unter­schiedlich an. Wenn wir in einem Universitäts­hörsaal eine Vortrags- und Diskussionsveran­staltung zum Themenbereich "Wissenschaft und Glaube" durchführen, wäre es nicht sinnvoll, vorwiegend Grundschüler oder Menschen, die überhaupt nicht mit wissenschaftlichen Frage­stellungen vertraut sind, einzuladen. Man wird sich vorwiegend an Akademiker, Studenten usw. werden.

Welchem Bedürfnisprofil kann aber eine Tee­stube besonders gut gerecht werden?

Die meisten Leute, die eine christliche Tee­stube besuchen, gehen dorthin, um Geselligkeit zu pflegen, Kontakt zu finden, sich aussprechen zu können, oder einen entspannenden, gemütli­chen Abend zu verleben. Sicherlich wird in vie­len Fällen auch ein Informationsbedürfnis eine Rolle spielen. Im Unterschied zu anderen öf­fentlichen Evangeliumsveranstaltungen kann aber der zwischenmenschliche, sozial-emotionale Aspekt eine größere Rolle spielen. Die Kom­munikation ist hier weniger eine Einbahnstraße von einem Redner zu vielen Hörern, sondern Gespräche sind ein wesentliches Element der Arbeit. In der Teestubenarbeit besteht also die Möglichkeit, besonders auf Einsamkeit, Unver­standensein, Kontaktarmut und mangelnde menschliche Zuwendung einzugehen.


Welche Zielgruppen sind besonders gut durch Teestubenarbeit erreichbar?

Einsamkeit und Mangel an sozialer Bindung sind verbreitete Probleme unserer heutigen Gesell­schaft. Sie hängen zum Teil mit der Zersetzung überkommener Familienstrukturen zusam men. Viele Famlien zerbrechen. Jugendliche verlassen oftmals die Familie schon früh, um an anderen Orten eine Ausbildung zu beginnen. Auch solche Familien, die äußerlich intakt scheinen, sind manchmal durch eine innere Beziehungsarmut gekennzeichnet.

In Übereinstimmung mit den oben genannten Überlegungen hat sich in unserer bisherigen Erfahrung gezeigt, daß bestimmte gesellschaft­liche Gruppen besonders gut auf das Teestube­nangebot ansprechen. Es sind eben Leute mit besonderem Mangel an bereichernden mensch­lichen Beziehungen: Jugendliche, die aufgrund ihrer Ausbildung von ihren Familien getrennt sind, also Lehrlinge in Lehrlingsheimen sowie Studenten; Jugendliche,- die sich ihren Familien entfremdet haben und keinen Anschluß an ir­gendeine Clique gefunden haben; Behinderte, die in speziellen Einrichtungen untergebracht sind oder auch alleine wohnen; soziale Randgruppen wie Menschen im Obdachlosenasyl; Arbeitslose, nicht zu vergessen die Asylanten und Asylbe­werber, die oftmals in einer furchtbaren Isola­tion leben.


Welches Umfeld ist für eine Teestube förder­lich?

Man wird leicht verstehen, daß eine Veranstal­tung, die einmal in der Woche stattfindet, nicht alle angesprochenen Nöte abdecken kann. Viele Menschen, zum Beispiel aus dem Ob­dachlosenmilieu oder Alkoholiker, sind so ka­putt, daß sie ihr Leben, selbst wenn sie sich bekehren, nicht gleich in allen Bereichen än­dern können. Wir finden das bei den drei Men­schen, die der Herr Jesus aus den Toten auf­erweckt, bildlich dargestellt: Die Tochter des Jairus war erst unmittelbar gestorben, als der Herr sie auferweckte. Sie war also noch nicht von der Verwesung gekennzeichnet. Als der Herr sie ins Leben zurückrief, lief sie unmit­telbar herum. Der Herr Jesus ordnete an, ihr zu essen zu geben, so wie auch jeder, der aus dem geistlichen Tod ins Leben gerufen wird, geistliche Nahrung benötigt (Mark. 5,35-43).

Der gestorbene Jüngling von Nain (Luk. 7,11-­17) wird schon zu Grabe getragen. Er ist schon mehr durch Tod und Verwesung gezeichnet. Als der Herr ihn lebendig machte, setzte er sich auf und begann zu reden. Das ist also ein geringerer Grad an Mobilität als umherzulaufen. Der Herr Jesus gab ihn seiner Mutter. Das können wir geistlich so anwenden, daß manche Menschen nach ihrer Bekehrung "mütterliche" Pflege im Sinne von 1. Thess. 2,7 benötigen.

Bei dem dritten Gestorbenen schließlich, bei Lazarus von Bethanien, finden wir, daß sein Körper bereits im Gab lag und einen intensi­ven Verwesungsgeruch verbreitete. Als er von dem Herrn Jesus auferweckt wurde, konnte er sich überhaupt nicht bewegen. Er war an Hän­den und Füßen mit Leichentüchern gebunden. Die Jünger mußten ihn losbinden, damit er gehen konnte (Joh. 11,44). So sind manche Menschen auch nach ihrer Bekehrung oft durch alte Gewohnheiten gebunden und brauchen in­tensive Hilfe. Jeder Ungläubige ist zwar geist­lich tot, aber die Persönlichkeit ist unter­schiedlich stark durch die Sünde zersetzt.

Somit ist es notwendig, daß manche Menschen nach ihrer Bekehrung fast ununterbrochen von reifen Gläubigen betreut werden müssen. So­genannte Help-Center, die auf biblischer Grundlage arbeiten, sind in dieser Hinsicht geeignete Einrichtungen, von denen es leider viel zu wenige gibt. Für eine Teestubenarbeit, die sich auch an psychisch sehr kaputte Men­schen richtet, ist es wichtig, solche Institutio­nen zu kennen. Darüber hinaus ist es wichtig, daß christliche Familien ihre Häuser öffnen, um Menschen, die unter Einsamkeit und Kontakt­armut leiden, zu helfen.

Es ist nicht einfach, an einem oder auch an mehreren Abenden miteinander warm zu wer­den und eine einigermaßen ausgewogene Dar­stellung vom Evangelium zu geben. Deswegen können z.B. Wochenendfreizeiten sinnvolle Er­gänzungen zur Teestubenarbeit sein. Wenn Menschen zum Glauben kommen, sind oft Hausbibelkreise eine Hilfe, sie gezielt in Got­tes Wort zu unterweisen. Wichtig ist auch, daß in den Versammlungen der Gläubigen eine Ge­sinnung herrscht, die der des Vaters vom Ver­lorenen Sohn entspricht (Luk. 15,20) und nicht der des älteren Bruders, der sich über die Rückkehr des Verlorenen Sohnes ärgert.

Nachtext

Quellenangaben