Alle brauchbaren Diener des Herrn im Lauf der ganzen Kirchengeschichte waren Beter. Die Reformation Dass der große Reformator Martin Luther ein Mann des Wortes Gottes war, ist allgemein bekannt, dass er ein Beter war, hingegen nicht so sehr. Luthers „Famulus“ Veit Dietrich, der mit diesem von April bis Oktober 1530 auf der Veste Coburg war, schrieb einmal an Melanchthon: „Ich kann mich nicht genug wundern, wie einzigartig in diesen harten Zeiten dieses Mannes Festigkeit, Freude, Glaube und Hoffnung sind. Er nährt sie auch ohne Unterlass durch eifriges Studium des göttlichen Wortes. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht zum mindesten drei Stunden – und gerade die zum Studium geeignetsten – auf das Gebet verwendet“ (Loewenich, S. 312–313) Von Hugh Latimer, einem der Reformatoren Englands, schreibt Spurgeon in einem Artikel von „The Sword and the Trowel“: „Wenn wir lesen, dass Hugh Latimer ununterbrochen auf seinen Knien lag und rief: ‚Gott, gib England das Evangelium wieder!‘; dass er zuweilen so lange betete, bis er sich nicht mehr erheben konnte, weil er ein alter Mann war; dass man ihn vom Fußboden des Gefängnisses aufheben musste und dass er trotzdem weiterflehte: ‚O Gott, gib England das Evangelium wieder!‘, dann wundern wir uns mit Recht darüber, weshalb nicht auch einige von uns so beten … Eine Erweckung ist vor der Tür. Die Wolke hängt über England, und wir wissen nicht, wie wir sie herunterbringen. O, dass Gott einige treue Geister finden möge, die als Blitzableiter fungieren, um das göttliche Feuer herabzuleiten. Wir sehnen uns danach, aber unser kümmerlicher Atem hat keine Kraft, reicht nicht aus, kommt nicht aus der Tiefe, kann sich nicht durchsetzen.“ (Hayden, S.40-41) Die Methodistische Erweckung im 18. Jahrhundert Das Jahr 1739 wird gewöhnlich als das erste Jahr jener Erweckung genannt, die im Lauf weniger Jahrzehnte die ganze angelsächsische Welt erfasste und bleibend veränderte. Die Hauptwerkzeuge waren Georg Whitefield und die Brüder John und Charles Wesley. „Das Treffen an der Fetter Lane wurde zu einem denkwürdigen Anlass. Außer den rund sechzig Herrnhutern waren da nicht weniger als sieben der Oxforder Methodisten, nämlich John und Charles Wesley, George Whitefield, Westley Hall, Benjamin Ingham, Charles Kinchin und Richard Hutchins, alles ordinierte Geistliche der Church of England. Wesley schreibt in seinen Tagebüchern: ‚Um drei Uhr morgens lagen wir vor Gott im Gebet, als die Kraft Gottes so stark über uns kam, dass viele vor unbändiger Freude laut riefen, während mehrere zu Boden fielen. Als wir uns ein wenig vom Schauer vor der überwältigenden Majestät der göttlichen Gegenwart erholt hatten, riefen wir alle laut wie mit einer Stimme: »Wir preisen Dich, o Gott; wir bekennen, dass Du Herr bist.«‘ Dieses Pfingsten an jenem Neujahrstag konnte nie mehr vergessen werden. Es war eine herrliche Vorbereitung auf die gewaltige Arbeit, in die Whitefield und die Wesleys eintreten sollten. Es kann uns nicht mehr verwundern, dass das Jahr, das so anfing, das bemerkenswerteste in der gesamten Geschichte des Methodismus werden sollte“ (Luke Tyerman: The Life of the Reverend George Whitefield, Bd. I, S. 155) Whitefield berichtet in seinen Tagebüchern von der ersten Zeit der Erweckung: „Wir hatten ein Liebesmahl mit den Brüdern an der Fetter Lane und verbrachten die ganze Nacht im dringlichen Gebet, mit Psalmen und Danksagung“ (Journals, 1. Jan 1739) „Der Geist der Fürbitte nimmt in meinem Herzen Tag für Tag zu“ (5. Jan). „Wir hatten wieder ein Liebesmahl und verbrachten die ganze Nacht in Gebet und Danksagung an der Fetter Lane“ (7. Jan). „Dann begab ich mich zu einem Liebesmahl an die Fetter Lane, wo ich die ganze Nacht im Gebet verbrachte“ (4. Feb). Über G. Whitefield sagt der Biograph Philips: „Das große Geheimnis der Kraft im Leben Whitefields war seine Gebetsfreudigkeit. Er war außerhalb des Heiligtums ein Fürst unter den Predigern, aber nur deshalb, weil er im Heiligtum wie ein Jakob gerungen hatte. Sein Antlitz leuchtete, wenn er vom Berg herunterkam, weil er oben lange mit Gott allein gewesen war“ (zitiert bei E. F. Harvey: Sieghaftes Beten, S. 12). Whitefield sagte einmal in einem Brief von sich selbst: „Ich weiß gar nicht zu sagen, wie oft ich mich ins Gebetskämmerlein flüchte. Täte ich es nicht, ja, betete ich nicht in einem gewissen Sinne ohne Unterlass, könnte ich nie jene innere Zuversicht und Festigkeit behalten, deren ich mich durch Gottes Segen täglich erfreue.“ Erweckungen im 19. Jahrhundert Über den großen Evangelisten D. L. Moody sagt R. A. Torrey: „Ich war mit D. L. Moody persönlich gut bekannt und kann es bezeugen, dass er ein wesentlich größerer Beter als Redner war. Immer wieder wurde er mit schier unüberwindlichen Hindernissen konfrontiert, aber er wusste den Weg, auf dem alle Schwierigkeiten gelöst und überwunden werden können … Er wusste und glaubte von ganzem Herzen, dass nichts zu schwierig ist für den Herrn und dass das Gebet alles vermag, was Gott vermag“ (zitiert bei E. F. Harvey, S. 16). Bevor die Erweckung im Jahre 1859 die Gemeinde heimsuchte, sagte C. H. Spurgeon in einer Predigt: „Wenn Gott sein Angesicht verbirgt, können wir nichts tun, um sein Reich auszubreiten. Keine Erkenntnis, kein Eifer, keine Begabung schaffen es. Brüder, was wir tun können, ist dies: Wir wollen so lange zum Herrn schreien, bis er uns wiederum sein Angesicht enthüllt. Alles, was uns fehlt, alles, was wir brauchen, ist Gottes Geist. Geht nach Hause und betet darum. Gönnt euch keine Ruhe, bis Gott sich offenbart. Bleibt nicht stehen, wo ihr seid, seid nicht zufrieden mit dem ewig gleichen Trott, seid nicht zufrieden mit dem immer gleichen Ablauf von Formalitäten. Erwache, Zion, erwache, erwache, erwache! … Was für eine Veränderung gab es in den Gebetszusammenkünften! Jedermann schien ein ‚Kreuzritter‘ zu sein, der das himmlische Jerusalem belagerte, ein jeder schien gewillt, die himmlische Stadt ‚im Sturm‘ einzunehmen durch die Gewalt der Fürbitte. Und bald kam der Segen über uns, er kam in solcher Überfülle, dass wir keinen Raum hatten, ihn aufzunehmen … Was hatten wir für Gebetsversammlungen! … der Heilige Geist war in so furchterregender Weise gegenwärtig, dass wir in den Staub gebeugt wurden … Der Heilige Geist kam wie ein Regenschauer, der den Erdboden erweicht, welcher sich nun willig pflügen lässt. Es dauerte nicht lange, bis wir von links und von rechts den Ruf hörten: ‚Was muss ich tun, um errettet zu werden?‘“ (Iain Murray: The Forgotten Spurgeon, S. 42. 43) Erweckungen im 20. Jahrhundert Bei einigen dieser Erweckungen kann man zurückverfolgen, dass sie eine Frucht von Gebetsversammlungen waren, die schon im 19. Jahrhundert begonnen hatten. E. T. Koshy schreibt zu den Wurzeln einer späteren Erweckung auf dem indischen Subkontinent: „Im Jahr 1898 wurde die Gebetswoche des Moody Bible Institute in einer Gebetsversammlung an jedem Samstag Abend fortgesetzt, in der man um weltweite Erweckung betete. Es entstanden Gebetsversammlungen in Indien, in Ostasien, in verschiedenen Ländern Afrikas und in Lateinamerika. Die Gebetsversammlungen in Chicago standen in besonderer Verbindung zu einer Kette von Gebetsversammlungen, die in Melbourne stattfanden, und einem Gebetskreis von mehreren Tausenden, der von der Keswick Convention ausstrahlte. Alle diese Faktoren trieben die Christen in Indien zum Gebet um Erweckung“ (E. T. Koshy: Brother Bakht Singh of India, S. 90). John „Praying“ Hyde war amerikanischer Missionar, der von der Presbyterianischen Kirche nach Nord-Indien ausgesandt wurde. Er war als Beter das Hauptwerkzeug einer Erweckung unter den Hindus, die so weit um sich griff, dass man diese später „The Punjab People‘s Movement“ nannte (Die Punjabi Volksbewegung). Es kamen dabei Zehntausende zum Glauben. Im Frühjahr 1904 schloss sich John Hyde mit anderen Missionaren der gleichen Region (Punjab) zur Punjab Prayer Union zusammen. Die Mitglieder dieser Vereinigung beantworteten folgende fünf Fragen mit Ja und bekräftigen das mit ihrer Unterschrift: Betest Du um Erweckung 1. in Deinem eigenen Leben, im Leben Deiner Mitarbeiter und in der Gemeinde? 2. Sehnst Du Dich nach größerer Kraft des Heiligen Geistes in Deinem Leben und deiner Arbeit und bist Du davon überzeugt, dass Du ohne Seine Kraft nicht weiterkommst? 3. Wirst Du darum bitten, dass Du dich des Namens Jesus nicht schämst? 4. Glaubst Du, dass Gebet das wichtigste Mittel ist, um diese geistliche Erweckung zu erreichen? 5. Bist Du bereit, jeden Tag so bald wie möglich nach 12 Uhr Mittags eine halbe Stunde zu reservieren für das Gebet um diese Erweckung? Bist Du bereit, so lange zu beten, bis die Erweckung kommt? (Carré, Praying Hyde) Bakht Singh kam am 6. Juni 1903 in Sargodha im Punjab zur Welt. Ein Jahr nach seiner Geburt entstand die oben genannte Punjab Prayer Union. Etwa zwanzig Jahre später kam Bakht Singh zum lebendigen Glauben. Man kann mit Recht sagen, er sei eine späte Frucht jener Gebetsbewegung. Aber es beteten auch andere Christen für Indien: „Es ist erstaunlich, was in Honour Oak geschah in den 30er Jahren, zur gleichen Zeit, da Gott in Indien anfing Bakht Singh in außergewöhnlicher Weise zu gebrauchen. Der Geist Gottes gab der Gemeinde in Honour Oak eine Last, mit besonderem Ernst für Indien zu beten. George Patterson, einer der Ältesten, war von Indien zurückgekehrt mit einer schweren Bürde für Indien, und diese legte sich auf alle Gläubigen in Honour Oak, bis sie anfingen zu Gott zu schreien um sein Eingreifen in Indien. Sie flehten ihn auf Grund von Jesaja 43,19 an, in Indien ein Neues zu wirken. Zweimal in der Woche lagen über hundert Gläubige auf den Knieen und riefen zu Gott, Er möge ein Werk in Indien tun und seinen Namen verherrlichen“ (Koshy, S. 92). Eine Antwort auch auf diese Gebete war die Berufung, Ausrüstung und Sendung Bakht Singhs zu seinem außergewöhnlichen Dienst in Indien. Er war das Hauptwerkzeug einer Gemeindebewegung, die in den Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts anfing und durch die in ganz Indien sechs- oder siebenhundert Gemeinden entstanden sind. Sie sind, weitgehend bedingt durch das Vorbild von Bakht Singh, geprägt von der apostolischen Maxime „wir wollen im Gebet und im Wort Gottes verharren“. Der Gründung der ersten dieser Gemeinden ging viel Gebet und zuletzt eine ganze Gebetsnacht voraus: „Wir suchten einen stillen Ort für eine Gebetsnacht auf … Wir knieten nieder und begannen zu beten … Wir kamen in den Genuss einer ungestörten Gebetszeit bis morgens um sechs. Der Geist Gottes stand uns bei und gab große Freimütigkeit. Es schienen die Mächte der Finsternis vor den Heerscharen des lebendigen Gottes gewichen zu sein. Wie die Stunden verstrichen, wurden wir immer tiefer in seine Gemeinschaft gezogen und damit unserer quälenden Sorgen entrückt. Bei Tagesanbruch schauten wir hinab auf das unter uns liegende Land … Die Sonne ging auf und tauchte ganz Madras in ein goldenes Licht. Uns war, als wollte der Herr sagen: ‚Seht, die Stadt liegt vor euch; geht und nehmt sie für mich in Besitz!‘ … Schließlich beteten wir gemeinsam den Herrn an und brachen das Brot. Das war ein für Madras bedeutsamer Tag, weil an jenem Tag die Versammlung, wie wir sie jetzt kennen, ins Leben gerufen wurde. Als wir dann den Zug nach Madras wieder bestiegen, war uns, als ob das Abteil in Flammen stünde, so sehr war die Kraft und Gegenwart Gottes unter uns. Bei jedem Halt kamen die aussteigenden Passagiere neugierig vor unser Abteil um zu sehen, was da vor sich ging, während wir immer wieder den Chorus ‚Du Herrlicher von Golgatha‘ sangen“ (Rajamani, R. R.: Durchbruch – Geistliches Erwachen in Südindien, S. 91–93). Im Herbst 1976 hatte ich das Vorrecht, Bakht Singh persönlich kennen zu lernen, als er die Schweiz besuchte. In einer Predigt, die er damals in der Bethel Kapelle in Zürich hielt, sagte er: „Im Westen gibt es ganz wenige Christen, die beten können. Sie können gut predigen, sie können schön singen, sie können viel Aktivität entfalten, sie können harte Arbeit verrichten, sie können viel Geld ausgeben für das Werk des Herrn, sie können um die Welt reisen und das Evangelium predigen, und doch wissen nur sehr wenige, richtig zu beten … Der Herr hat gemäß Lukas 6,12 die ganze Nacht gebetet … Es ist möglich, eine ganze Nacht zu beten. Wir haben es in Indien getan. Und immer, wenn wir befähigt wurden, eine ganze Nacht zu beten, haben wir erlebt, wie der Himmel sich auftat. Wir haben gesehen, wie die mächtige Kraft Gottes wie Feuer fiel. Wir haben gesehen, wie harte Herzen weich wurden, und wir haben gesehen, wie Ketten der Sünde zerrissen. Wir haben gesehen, wie Leben verändert wurde – nicht durch Botschaften, nicht durch Bibelwissen, nicht durch andere Mittel, sondern durch Gebet, durch ausharrendes Gebet, durch Gebetskampf, durch Gebetsnot!“ John Sung: Er war der große Evangelist der Erweckung 1927–1937 in China. Tausende und Abertausende kamen in den 13 Jahren seines Wirkens in China zum Glauben. Über ihn schrieb der Missionar Boon Mark, der ihn während zweier Evangelisationen aus der Nähe kennengelernt hatte: „Er redet wenig, er predigt mehr, aber am meisten betet er“ (Lyall, S. 168). Martyn Lloyd-Jones: Er war der vielleicht größte Verkündiger und Evangelist Großbritanniens im 20. Jahrhundert. Man kann mit einem gewissen Recht sagen, er sei für die englischsprachige Welt in seinem Jahrhundert das gewesen, was Spurgeon für das 19. war. Über ihn sagte seine Frau Bethan einmal: „Niemand wird meinen Mann wirklich verstehen, ehe er begriffen hat, dass er zu allererst ein Mann des Gebets ist, erst dann ein Evangelist.“ 1974 sagte M. Lloyd-Jones während einer Pastorenkonferenz in Bala (Wales): „Die beiden größten Zusammenkünfte meines Lebens waren beides Gebetsversammlungen. Um alles in der Welt würde ich sie nicht verpasst haben wollen.“
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