Zeitschrift-Artikel: Hiskia

Zeitschrift: 129 (zur Zeitschrift)
Titel: Hiskia
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 2038

Titel

Hiskia

Vortext

Im ersten Jahr seiner Regierung, im ersten Monat, öffnete er die Türen des Hauses des Herrn
und besserte sie aus. Und er ließ die Priester und die Leviten kommen und versammelte sie
auf dem Platz im Osten, und er sprach zu ihnen: Hört auf mich, ihr Leviten! Heiligt euch
nun, und heiligt das Haus des Herrn, des Gottes eurer Väter und bringt die Unreinheit
aus dem Heiligtum hinaus! Denn unsere Väter haben treulos gehandelt und getan was
böse ist in den Augen des Herrn, unseres Gottes, und haben ihn verlassen ...“
(2Chron 29,3-6)

Text

Nachdem wir uns bisher mit den Reformen im Leben und Umfeld des jungen Königs im 2.Buch der Könige beschäftigt haben, wollen wir nun darüber nachdenken, was in 2. Chronika 29 über die ersten Aktivitäten dieses gottesfürchtigen Mannes berichtet wird.
Während in 2. Könige 18 mehr die moralischen und politischen Veränderungen in Juda unter Hiskia beschrieben werden, berichtet der Text in 2. Chronika von der Reinigung des Tempels und
der Wiederherstellung des Gottesdienstes in Jerusalem. Davon ist in 2. Könige interessanter
Weise mit keinem Wort die Rede.
Es ist nicht leicht, die chronologische Reihenfolge der Ereignisse im Leben Hiskias zu erkennen – möglicherweise fanden die moralischen und politischen Reformen zeitgleich mit der Reformation des Gottesdienstes statt.
Tatsache ist, das beide Berichte – vom Heiligen Geist inspiriert – jeweils den Fokus auf eine Entwicklung richten, die der andere Schreiber verschweigt. Offensichtlich sind beide Reformen
Hiskias so wichtig, dass sie ausführlich beschrieben werden.


Keine „geistliche Schizophrenie“!

Sicher liegen in dieser Beobachtung auch wichtige Lektionen für unsere gegenwärtige Situation
im Volk Gottes: Niemals darf ein Bereich unseres Lebens von der Herrschaft Jesu ausgeklammert
werden. Sowohl unser Leben in den familiären, beruflichen und sonstigen sozialen Beziehungen, wie auch unser Gottesdienst und unser Gemeindeleben muss unter den Augen unseres Herrn und nach den Vorgaben des Wortes Gottes ausgerichtet werden. Man kann seinen Beruf oder sein Geschäft nicht vom Glaubensleben trennen, ohne unglaubwürdig zu werden und den Herrn als Gebieter zu verleugnen.
Hier scheint eine Ursache des allgemeinen geistlichen Tiefstandes zu liegen. Es gibt Christen,
die in ihrem Alltagsleben vorbildliche Nachfolger und Jünger Jesu sind, aber was das Gemeindeleben betrifft „Kröten schlucken“ – z.B. eindeutig heidnische, säkulare oder sogar
okkulte Ansichten und Praktiken in ihren Gemeinden tolerieren oder sich damit abfinden.
Auf der anderen Seite gibt es Christen, die großen Wert auf neutestamentliche Gemeindeprinzipien legen und sich von jeder Art religiöser Verunreinigung abzusondern suchen, sich aber im Privat- und Geschäftsleben schlimmer als die Heiden benehmen und offen sagen, dass die Bergpredigt Jesu und seine Bedingungen für Jüngerschaft im Alltagsleben nicht gelten bzw. nicht gelebt werden können.
„Ein Staat, der mit unseren Steuern Abtreibung finanziert, wird von mir keinen Euro Steuern bekommen!“ sagte mir letztens ein gläubiger Geschäftsmann, der ansonsten großen Wert auf
Heiligung legt.
Eine geistliche Erweckung kann nur dann geschehen, wenn alle Bereiche des Lebens an den Maßstäben der Heiligen Schrift gemessen und danach ausgerichtet werden.
Auch darin ist Hiskia ein leuchtendes Vorbild!


Eine kurze Rückblende...

Der Mut und die Entschiedenheit Hiskias bekommen besonderes Gewicht, wenn man sich bewusst macht, in welcher Bosheit und Niedertracht sein Vater Ahas jeden Rest von Frömmigkeit und Gottesfurcht aus seinem Land „ausgefegt“ hatte:
- Ahas hatte in Juda „zügellos gehandelt und sich ganz treulos gegen den Herrn erwiesen“ (2Chron 28,19).
- Er „opferte den Göttern von Damaskus, die ihn geschlagen hatten, und sprach: Da die Götter der Könige von Syrien ihnen helfen, so will ich ihnen opfern, und sie werden mir helfen ...“ (28,23).
- Ahas war so beeindruckt von dem Götzenaltar in Damaskus, dass er seinen Priester Urija (seine Name bedeutet ausgerechnet „der Herr ist mein Licht“!) nach Damaskus schickte, um
nach einer Kopie diesen Altar bauen und ihn im Tempel in Jerusalem aufstellen zu können. Dafür
musste der eherne Brandopferaltar, der nach Gottes Vorschrift gebaut wurde und im Vorhof
des Tempels stand, weichen (2Kö 16,10-16).
- Schließlich „beraubte Ahas das Haus des Herrn ... und gab das Geraubte dem König von Assyrien“ (2Chron 28,21). Auch zerschlug er nach diesem vergeblichen Bestechungsversuch in seiner Wut die „Geräte des Hauses Gottes“ und schloss die Türen des Tempels (28,21+24).
- „Er reizte den Herrn, den Gott seiner Väter“ (28,25) – das ist das Letzte, was von diesem gottlosen Führer des Volkes Gottes berichtet wird.
Ein geplünderter Tempel, verschlossene Türen am Haus Gottes, Götzen-Altäre „in jeder einzelnen Stadt von Juda“ (28,25). Das war das Erbe, das Ahas seinem Sohn Hiskia hinterließ.


Ein radikaler Neuanfang

Irgendwie wird man an die Reformation im 16. Jahrhundert erinnert, wenn nun der Eifer Hiskias
auf dem dunklen Hintergrund des finsteren väterlichen Erbes aufleuchtet.
Er greift selbst zum Brecheisen, zu Zange und Hammer und „öffnet die Türen des Hauses des
Herrn und bessert sie aus“. Anstatt Diener zu schicken, die sich die Hände schmutzig machen
sollen, legt er selbst Hand an – anscheinend im Alleingang – und schafft die Voraussetzung
dafür, dass der Zugang zu Gott geöffnet wird und das Tageslicht die Verwüstung und die Trümmer im Tempel Gottes allen sichtbar werden lässt, die ein Interesse an diesem Haus haben.
Da denkt man an Luther in Wittenberg, an Calvin in Frankreich und in der Schweiz, an Zwingli und die anderen Schweizer Reformatoren, die zunächst als Einzelkämpfer ihre Überzeugungen umsetzten. Oder man erinnert sich an die leidgeprüften englischen Reformatoren, die fast alle erdrosselt oder verbrannt wurden, weil sie es wagten, das Licht des Evangeliums inmitten der mittelalterlichen Finsternis aufleuchten zu lassen und damit allen heidnischen Aberglauben bloßstellten.


Ein Vorbild zieht Kreise...

Man kann sich auch gut vorstellen, mit welch kritischen und ängstlichen Blicken und Gefühlen das entschiedene Handeln Hiskias von seinen Untertanen begleitet wurde. Aber geistliche Entschiedenheit ist immer mit geistlicher Autorität verbunden, die erfrischend, herausfordernd und
ansteckend auf die Umgebung wirkt. Die Priester und Leviten, die unter der Regierung Ahas
arbeitslos waren oder ihren Beruf wechseln mussten, folgten der Einladung des jungen Königs, der sie auf dem „Platz im Osten“ versammelte und ihnen eine kurze, aber deutliche und vollmächtige Botschaft brachte: „Heiligt euch nun, und heiligt das Haus des Herrn, des Gottes eurer Väter ... denn unsere Väter haben treulos gehandelt ...“
Es fällt auf, dass er in der folgenden Schilderung des desolaten Zustandes des Hauses Gottes nicht den Namen seines Vaters Ahas als Hauptschuldigen nennt, sondern in der Mehrzahl
von „unseren Vätern“ redet. Er prangert die Sünde in aller Deutlichkeit an, ohne das Gebot „Ehre deinen Vater ...“ zu verletzen. Auch diese Haltung zeigt eine geistliche Reife, die uns oft fehlt, wenn wir uns mit den Sünden vergangener Generationen und deren Folgen auseinandersetzen
müssen.
Paul Humburg schreibt dazu in seiner wertvollen Betrachtung „Der Gesang des Herrn“:
„Man merkt es dem König Hiskia an, welcher Schmerz es ihm ist, dass er die Übertretungen seines Volkes hervorheben muss (Verse 6-7). Mit vollem Wahrheitsernst stellt er die Tatsachen fest, aber man vernimmt in seiner Rede kein hartes und scharfes Wort.
Wie anders ist es bei den Leviten, die erst durch seinen Wächterruf aus ihrem Schlaf erwacht waren.
Es ging damals, wie es so oft später gegangen ist, dass Leute, die selbst schuld waren an dem bösen Zustand im Reich Gottes, wenn sie nun erweckt werden, schärfer zufahren und härter urteilen als der gottgeweihte Mann, durch den sie aus ihrer sündigen Gleichgültigkeit aufgeschreckt worden sind. Es ist hier, als ob die Leviten mit Fleiß ein schroffes, verletzendes, absichtlich kränkendes Wort gewählt hätten, als sie von den Geräten sprachen ´die der König
Ahas während seiner Regierung in seiner Treulosigkeit entweiht hat´ (Vers 19)...
Wie anders steht da vor uns der König Hiskia! Ihm fuhr kein hartes Wort heraus, denn er hatte ein gebeugtes Herz. Er war nicht selbstsicher, weil er wusste, dass er auch noch in Prüfungen
hineinkommen würde. Ihm waren seine eigenen Sünden bekannt, und darum urteilte er milde
über andere. Und war es nicht sein Vater, den die anderen mit ihrem ätzenden Wort so scharf
verurteilten? Er hatte ihn doch lieb gehabt.
Es war doch sein Vater...“ (1)


Heiligung muss bei mir anfangen!

„Heiligt euch nun und heiligt das Haus des Herrn“ – mit dieser Aufforderung beginnt Hiskia seinen Appell.

Hüten wir uns davor, mit schmutzigen Händen oder mit unbereinigter Vergangenheit Gott dienen und die Gemeinde Gottes reinigen und renovieren zu wollen. Kein Chirurg wird mit ungewaschenen Händen und mit nicht sterilisierten Skalpellen eine eiternde Wunde behandeln
wollen. Die Heiligung muss bei mir selbst, in meinem Herzen, in meinen vier Wänden, in
meiner unmittelbaren Umgebung beginnen, bevor ich den Schmutz im Leben meiner Mitgeschwister und den Schutt in der Gemeinde aufzudecken und zu beseitigen versuche. Nur wer
die Bosheit und den Schmutz seines eigenen Herzens erkannt, vor Gott bekannt und verurteilt
hat, wird in der Lage sein, das Heiligtum Gottes in einer demütigen Haltung von Schmutz zu befreien.


Heiligung muss eine Sache des Herzens sein!


Hiskia ging es nicht nur um eine äußere Renovierung der Fassade, um ein schönes Bild nach außen, sondern um ein an Gott hingegebenes Herz. Seine ergreifende Ansprache an die Leviten
endete mit den Worten:
„Nun ist es in meinem Herzen, einen Bund zu schließen mit dem Herrn, dem Gott Israels ... Meine Söhne, seid nun nicht lässig; denn der Herr hat euch erwählt, damit ihr vor ihm steht, um ihm zu dienen und um seine Diener und Räucherer zu sein“ (Verse 10-11).
Nachfolge Jesu und Dienst für den Herrn müssen immer eine Sache des Herzens sein, wenn sie Bestand haben sollen. Äußere Formen und Verhaltensweisen mögen ihre Berechtigung haben,
aber wenn sie nicht aus einem liebenden Herzen kommen, werden sie in einem kalten Formalismus und in einem abstoßenden Pharisäismus enden. Vielleicht wird noch eine Zeit lang die Fahne der Rechtgläubigkeit hochgehalten, während der Segen und die Zustimmung Gottes längst verloren gegangen sind.

Heiligung bedeutet kein „Solo-Christentum“

Hiskia wollte einen „Bund mit dem Herrn“- eine „ Bindung“ oder „Verbindlichkeit“. Solche Verbindlichkeiten haben heute nicht nur in der Gesellschaft, sondern leider auch unter Christen
Seltenheitswert. Irgendwie hat sich bei uns eine Unverbindlichkeit, eine Beliebigkeit eingeschlichen und etabliert, die ein gemeinsames, zielstrebiges und verlässliches Arbeiten in der
Gemeinde schwer macht.
„Bünde“ spielen im Alten Testament eine große Rolle. Denken wir an die Patriarchen, an David und Jonathan, an die Könige Salomo, Asa und Josia, an Esra und Nehemia. Aber auch in der Kirchengeschichte finden wir solche Verbindungen. Graf Nikolaus von Zinzendorf, der Dichter des
bekannten Liedes „Herz und Herz vereint zusammen ...“ hat in seinem Leben immer wieder Bünde geschlossen. Im Alter von 16 Jahren gründete er mit seinem jungbekehrten Freund Friedrich von Wattewille „einen Bund zur Bekehrung der Heiden“ (2) und später den „Senfkorn-
Orden“. Auch wenn man heute über die damaligen Treuegelöbnisse lächelt, so wird daran doch die heutige Beziehungsarmut deutlich, die oft in Einsamkeit oder herzlosem Individualismus
endet.
Erfreulich, dass durch den aktuellen Bestseller „Blutsbrüder“ der seltene Wert und die Schönheit
solcher Freundschaften und Beziehungen wieder zur Sprache kommt.
Eine echte Erweckung wird immer von solchen Beziehungen begleitet sein. Sie sind durch den Heiligen Geist in Herzen bewirkt, die vor allem für den Herr Jesus selbst schlagen.

Nachtext

Quellenangaben

(1)  Paul Humburg: „Der Gesang des Herrn“, Aussaat, S. 9-11
(vergriffen).
(2)  Erich Beyreuther: „Der junge Zinzendorf“, Francke, S. 117