Zeitschrift-Artikel: In der Schule des Gehorsams

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Titel: In der Schule des Gehorsams
Typ: Artikel
Autor: Ole Halesby
Autor (Anmerkung):

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Titel

In der Schule des Gehorsams

Vortext

Text

Unsere schwachen Stellen

Wenn sogar Jesus Gehorsam lernte (Hebr. 5,8), wundert es uns nicht, daß wir ihn lernen müs­sen. Und wenn Jesu Leben eine einzige Übung im Gehorsam war, dann ist unser Leben von Gott auch als eine Schule des Gehorsams ge­dacht. Wenn wir merken, wie wenig wir noch vom wahren und inneren Gehorsam gelernt ha­ben, soll es uns ein Trost sein, daß wir uns noch in der Schule befinden und daß wir in Jesus einen zuverlässigen und verständnisvollen Lehrer haben.

Zwei Mittel sind es, die Er besonders ge­braucht, wenn Er uns Gehorsam lehren will: Versuchung und Leiden. Er stellt unseren Ge­horsam auf die Probe. Das heißt, Er läßt Um­stände und Situationen eintreten, wo die Gele­genheit zum Ungehorsam verlockend gleichsam vor unseren Füßen liegt. Endweder so, daß wir durch Ungehorsam scheinbar einen großen Vor­teil gewinnen, oder so, daß wir durch einen kleinen Ungehorsam einer großen Gefahr ent­gehen.

Hier kann uns Jesu Verhalten zu Judas etwas lehren. Aus dem, was von Judas erzählt wird, geht deutlich hervor, daß sein schwacher Punkt das Geld war. Und man könnte sich denken, Jesus hätte in jeder Weise dafür gesorgt, daß Judas keine Gelegenheit gegeben würde, sich am Mammon zu vergreifen. Aber zu unserer Verwunderung sehen wir, daß Jesus ausge­rechnet Judas zum Kassierer des Geldes macht, das Er und Seine Jünger von guten Freunden zum Lebensunterhalt bekommen. Jesus will ihm also die Probe nicht ersparen. Und Er stellte ihn gerade in dem Punkt auf die Probe, in dem er es am nötigsten hatte.

Es ging schlimm aus; und es könnte uns ängst­lich und mutlos machen, wenn wir daran den­ken, der Herr könnte auch uns an unserem schwächsten Punkt prüfen. Aber dann sollen wir uns daran erinnern, daß Er sowohl die Versuchung als auch ihren Ausgang so gestal­ten will, daß "ihr sie ertragen könnt" (1. Kor. 10,13). Wenn Jesus Judas in diese Versuchung führte, so wußte Er, daß Er Judas in Seiner täglichen Fürbitte und liebevollen Fürsorge die Kraft zuführen konnte, die er benötigte, um die Probe zu bestehen. Wenn Judas fiel, so war es nicht, weil er fallen mußte, sondern weil er es wollte.

Etwas Ähnliches lernen wir von Petrus. Er war eine warme, frische, impulsive, rechtschaffene Natur, aber schwach und leicht zu erschrecken. Das sehen wir deutlich bei seinem feigen und heuchlerischen Auftreten in Antiochien (Gal. 2,11-14). Und ausgerechnet dieser schwache Jünger kam in jener schrecklichen Nacht in den Vorhof des Hohenpriesters, für eine solche Natur eine besonders gefährliche Situation. Noch schlimmer war, daß er und nicht Jo­hannes von der Magd gefragt wurde: Warst du nicht auch mit dem Nazarener? (Mark. 14,67). Auch er wurde in seinem schwächsten Punkt auf die Probe gestellt.

Wir erleben dasselbe. Der Herr erspart uns nicht die Gelegenheiten zur Versuchung. Im Gegenteil, Er läßt sie da eintreten, wo wir am schwächsten sind. Und wir erleben schwere Niederlagen wie Petrus. Da kommt es uns vor, als seien alle vorhergegangenen Übungen im Gehorsam vergeblich gewesen, und wir ver­sinken leicht in Verzagtheit. Aber dann ver­gessen wir, daß der Meister es ist, Der uns erzieht. Genau wie Petrus lernen wir oft mehr aus unseren Niederlagen als aus unseren Siegen. Die ehrliche Seele bekommt durch Niederlagen einen Blick für ihren angeborenen Ungehorsam und drängt sich an ihren Erlöser, um zu ver­meiden, daß Sein Herz betrübt und Seinem Namen Unehre gemacht wird.


Leiden

Leiden ist das andere Mittel, das der Herr anwendet, um uns Gehorsam zu lehren. Auch von Jesus steht geschrieben, daß Er Gehorsam durch das lernte, was Er litt (Hebr. 5,8). Dann wundern wir uns nicht, daß auch wir durch die Schule des Leidens müssen, um gehorsam zu werden. Leiden ist das beste Mittel, uns im Gehorsam zu üben. Und den Gehorsam, den jeder von uns hat lernen müssen, haben wir sicher in den großen und kleinen Leiden er­worben, die der Herr uns auferlegt hat.
Wir haben eine angeborene Furcht davor, zu leiden. Darum wird unser Gehorsam so schwer auf die Probe gestellt, wenn Gott durch das Leid zu uns kommt. Der Gläubige muß sich wie alle anderen in das Leid finden. Aber die Gesinnung, mit der er ihm begegnet und es trägt, enthüllt ihm das Mißtrauen gegen Gott, das in seinem Herzen steckt. Dieses Mißtrauen empfinden wir nicht, solange wir Glück und gute Tage haben. Aber nun, da Leib und Seele durch Leiden erschöpft werden, wo alle unsere Pläne von Gottes unerbittlichem Willen durch­kreuzt werden, nun ist es schwer, zu vertrauen. Und nun fängt das Mißtrauen an.

Warum verfährt Gott so' mit mir? Meine Freunde und Bekannten leben froh und unan­gefochten.
Wird das Leiden nun schwer, entweder beson­ders heftig oder besonders lang, dann wird der Gehorsam an der Wurzel geprüft. Man wendet sich in seiner Not an Gott und bittet Ihn, das Leid zu lindern oder es wegzunehmen. Man weiß, Gott braucht nur Seinen Finger zu rüh­ren, und man wird sein Leiden los. Aber Gott tut es nicht. Das Leiden nimmt seinen natür­lichen Lauf. Da wird sowohl der Glaube als auch Gehorsam geprüft. Wie kann Gott das zulassen? Ist er nicht barmherzig? Warum lindert er das Leiden nicht bei Seinem hilflo­sen Kinde, das Ihn so innig darum bittet?

Aber das Vertrauen und der Gehorsam werden in Gottes Augen erst wertvoll, wenn Sein Kind sich unter Seine gewaltige Hand beugt. Denn nun vertraut es auf Gott, nicht auf seine Ga­ben. Nun liebt es Gottes Willen, selbst wenn Er den eigenen zerbricht. Das ist in Wahrheit Glaubensgehorsam.


Blinder Gehorsam

Das ist die höchste Stufe im Glaubensgehorsam. Wir nennen ihn blinden Gehorsam, weil er nicht das Geringste sieht oder versteht von Gottes Absicht oder Plan mit den Leiden und Schwie­rigkeiten, die Er den Menschen schickt. Auch Jesus mußte diesen Gehorsam lernen. In Gethsemane und am Kreuz durfte der Versu­cher Seinen sonst so klaren Blick verdunkeln, so daß Er nicht die Absicht des Vaters mit den unerträglichen Leiden, die Er Seinem Sohn auferlegte, verstehen konnte. Zuerst bat Er: Mein Vater, wenn es möglich ist, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen. Und in der höch­sten Not rief Er: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Aber Er war gehorsam und blieb es. Seinem Gebet um Erlösung fügte Er die wunderbaren Worte hinzu: Doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst. Hier ist der Gehorsam vollendet. In dieser Seiner tiefsten Erniedrigung verstand Jesus nicht den Willen des Vaters. Ja, es kam Ihm vor, als habe Ihn der Vater verlassen. Doch auch hier wird Sein Gehorsam nicht erschüttert. Was auch der Vater mit Ihm tut, Er un­terwirft sich Seinem Willen. Das ist der voll­endete Glaube an Gott. Und auch der vollen­dete Gehorsam. Glaubensgehorsam in seiner Vollendung. Das ist, wie die Schrift sagt, der innerste und eigentliche Kern der Erlösung: "...indem er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze. Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben" (Phil. 2,9). "...so werden auch durch den Gehorsam des Einen, die Vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden" (Röm. 5,19).

Auch Abraham mußte blinden Gehorsam lernen. Sein Glaube und sein Gehorsam wurden auf verschiedene Proben gestellt. Er war aus sei­nem Land und Volk ausgewandert, weil Gott ihm gebot, in ein Land zu reisen, das seinen Nachkommen gehören sollte. Dort wollte Gott sein Geschlecht und seine Nachkommen segnen.

Aber er und sein Weib Sara bekamen keine Kinder. Die Zeit verstrich, und Sara wurde 90 Jahre alt. Wir können uns vorstellen, auf welch harte Probe Glaube und Gehorsam in diesen langen Jahren gestellt wurden.

Dann schenkte Gott endlich durch ein Wunder diesen beiden betagten Menschen einen Sohn. Die Freude war natürlich groß, und sie fühlten sich doppelt belohnt für die langen Jahre des Wartens und der Drangsal.

Dann geschah das Schreckliche. Als der Knabe halberwachsen war, offenbarte sich Gott dem Abraham abermals. Die himmlische Stimme sprach die rätselhaften Worte: "Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und ziehe hin in das Land Morija, und opfere ihn daselbst als Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir sagen werde" (1. Mose 22,2). Unverständlich! Sinnlos! Erst gibt Gott ihm einen Sohn in seinem hohen Alter, und dann will Er sein Leben, noch ehe er er­wachsen ist. Wo bleiben da Gottes Verspre­chungen vom Geschlecht und vom Segen für alle Geschlechter auf Erden? Oder war Gottes Zorn entfacht? Hatte Abraham oder Sara sich versündigt? Und warum sollte das seinen Sohn treffen, ja, sogar sein Leben?

Lies das 22. Kapitel im 1. Buch Mose, dann wirst du sehen, was es bedeutet, an Gott zu glauben. Abraham wird in der Bibel der Vater der Gläubigen genannt (Röm. 4,11-12). Diese Erzählung zeigt, was es ihn gekostet hat. Ab­raham war weder vollkommen noch sündlos, aber trotzdem war für ihn, an Gott zu glau­ben, dasselbe, wie Gott zu gehorchen. Darum gehorcht er Ihm auch jetzt, ohne zu wanken, ohne Einwendungen. Er nahm seinen Sohn und ging mit ihm in das Land Morija, um zu tun, was der unerforschliche Gott ihm befohlen hatte. In der ganzen Heiligen Schrift finden wir kein ähnliches Beispiel von bedingungslo­sem menschlichem Gehorsam gegen Gott.

Jedes Gotteskind wird früher oder später in seinem Leben den Tag erleben, da Gott ihm die Forderung nach blindem Gehorsam stellt.
Wir alle hegen einen angeborenen Ungehorsam gegen Gott. Darum kostet es uns immer einen Kampf, Gott zu gehorchen, sogar dann, wenn wir die Absicht Seines Befehls verstehen, weil wir die Bedeutung ahnen, die es für uns oder andere hat, wenn wir uns freiwillig unter Got­tes mächtige Hand beugen. Die Versuchung zum Ungehorsam ist jedoch viel stärker, wenn wir keinen Sinn oder Plan in dem sehen, was uns Gott auferlegt.

Es gehört zu Gottes Wesen, unbegreiflich zu sein (Röm. 11,33; Jes. 55,8-9). Er ist so groß, daß kein Geschöpf Ihn richtig verstehen kann. Darum kann kein Mensch Gott erleben, ohne auf Seine Unbegreiflichkeit zu stoßen.

Wir können viel und verhältnismäßig still er­tragen, wenn wir nur einen Grund für unser Leiden sehen oder einen Sinn darin finden. Aber das Unbegreifliche, das uns so leicht sinnlos erscheint, irritiert uns und bringt uns mehr als alles andere gegen Gott auf. An nichts anderem stoßen wir uns so leicht wie an dieser Unbegreiflichkeit. Denken wir an das Wort Jesu: "Glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird" (Matth. 11,6).


Zerbruch

Nichts zerbricht unser Selbstvertrauen stärker als diese Eigenschaft Gottes. Solange wir nicht gelernt haben, uns dem unbegreiflichen Gott zu übergeben, ist unser ganzes Menschenwesen noch in Aufruhr. Das Unbegreifliche erfüllt uns immer mit lähmender Angst. Aber wer dieser Angst standhält, ohne vor Gott und seinem eigenen Gewissen zu flüchten, wer vor dem unbegreiflichen Gott stehenbleibt, der er­lebt das Wunder, daß Gott das Selbstvertrauen zerbricht. Ohne zu verstehen, wird der hilflose Sünder von dem unbegreiflichen Gott angezogen. Gott Selbst in Christus hilft ihm dazu, sich vor Gottes Unbegreiflichkeit zu beugen, sich auf den unbegreiflichen Gott zu verlassen und in Ihm zu ruhen.

Wie Abraham, erhalten auch wir die Aufforde­rung von Gott, unseren Isaak zu opfern, das Liebste und Teuerste, was wir besitzen, an das sich alle unsere Hoffnungen knüpfen, vielleicht sogar gerade das, was wir von Gott bekommen haben, um ein Segen zu sein.

Für ein ehrliches Gotteskind ist die Gebets­kammer ein harter Kampfplatz, wo es in Ein­samkeit viele Hoffnungen und Pläne begräbt.

Jesus spricht an einer Stelle von Menschen, die sich selbst verschnitten haben um des Himmel­reiches willen. Und Er fügt die merkwürdigen Worte hinzu: "Wer es zu fassen vermag, der fasse es!" (Matth. 19,12).

Eine junge gläubige Bauersfrau erlebte eines Tages das Schreckliche, daß man ihren Mann tot ins Haus brachte. Er hatte auf dem Felde einen Herzschlag bekommen. Dieser Schlag wirkte zunächst fast betäubend auf sie. Lange Zeit ging sie wie irre umher. Aber ihr einziges Kind, ein kleiner Knabe, gab ihr nach und nach den Lebensmut zurück. Und da er seines Vaters Ebenbild war, wurde er ihr doppelt lieb.

Nach einigen glücklichen Jahren bekam der Kleine Diphterie. Der Arzt behandelte ihn so­fort. Zunächst ging es gut, aber die Krankheit nahm eine ernste Wendung, und der Arzt sagte der Mutter, daß der Junge nur noch Stunden zu leben habe. Da ging die Mutter in ihre Kammer und rief Gott in ihrer Not an. Der Knabe war das Teuerste, was sie auf Erden besaß, das Einzige, wofür sie lebte, und sie bat Gott, ihn behalten zu dürfen. Als sie ins Krankenzimmer zurückkam, war der Knabe eingeschlafen. Der Arzt sah sofort, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war. Begrei­fen konnte er das nicht. Als der Knabe nach mehreren Stunden erwachte, war er frisch, aß, spielte und sprach wie sonst. Die Freude der Mutter war unbeschreiblich. Sie hatte nicht nur ihren Knaben behalten dürfen, sondern Gott hatte auch ihr Gebet erhört und ein Wunder getan. Der Knabe blieb gesund.

Da kam der Mutter plötzlich der Gedanke: Was hast du getan? Gott wußte, daß es das Beste für das Kind war, jetzt zu sterben. Vielleicht war es der einzige Weg, ihn zu erlösen. Und wenn du nun in deiner Eigenliebe bei Gott deinen Willen durchgesetzt hast, bist du dann nicht Schuld an seinem Unglück?

So kämpfte die Mutter mehrere Tage und schwankte hin und her zwischen Dank für das Wunder und Furcht wegen ihrer Eigenwilligkeit. Schließlich ging sie wieder in ihre Kammer. Sie mußte Gott den Knaben zurückgeben, obwohl es ihr Herz fast zerriß. Was würde aus ihrem Le­ben ohne das Kind werden? Sie vermöchte nicht daran zu denken. Sie verschloß Augen und Ge­danken und legte den Kleinen in Gottes Hände zurück und sagte: Habe ich durch mein Gebet erzwingen wollen, den Knaben gegen Deinen Willen zu behalten, so bitte ich nun, mit ihm nach Deinem Willen zu tun und nicht nach meinem.

Danach wurde sie ruhig und legte sich am Abend so zufrieden nieder wie seit langem nicht.

Der Kleine schlief friedlich. Als sie am näch­sten Morgen erwachte, lag er tot in seinem Bett.

Heldentaten vor des Herrn Angesicht werden in der Stille vollbracht. In den Zeitungen steht nichts davon, wohl aber weiß der Herr von diesen Kämpfen und Siegen. Und Er lohnt es nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden. Denn wer sein Leben verliert, der wird es fin­den. Er wird den eigentlichen Sinn des Lebens finden, der darin besteht, an Gott zu glauben und Ihm zu gehorchen. Das bedeutet Glaubens­gehorsam.

(Aus: "Warum ' ich nicht religiös bin", siehe Buchbesprechung)

Nachtext

Quellenangaben