Zeitschrift-Artikel: Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist (Teil 3)

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Titel: Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist (Teil 3)
Typ: Artikel
Autor: Benedikt Peters
Autor (Anmerkung):

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Titel

Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist (Teil 3)

Vortext

Text

Unser Herr und die Apostel waren Beter

Wenn irgend jemand ein Beter war, dann unser Herr! Das wird am deutlichsten in jenem Evangelium, das uns Jesus als den vollkommenen Menschen zeigt – im Lukasevangelium. Neunmal finden wir dort den Herrn im Gebet. Ehe der Herr seine erste Predigt hielt und noch bevor er irgend ein Wunder gewirkt hatte, betete er, nämlich bei der Taufe (Lk 3,21), was uns nur Lukas überliefert hat. Damit zeigte er, dass Gebet den Vorrang hatte in seinem Dienst. Er begann auch jeden Tag mit Gebet (Mk 1,35). Bevor er ein Wunder wirkte (Joh 11,41.42) und nachdem er Wunder gewirkt hatte, betete er (Lk 5,15–17). Er berief die zwölf Apostel, nachdem er eine ganze Nacht im Gebet verharrt hatte (Lk 6,12). Er betete für seine Jünger, dass Gott sie erleuchten möge (siehe Mt 16,17), ehe er die Frage nach seiner Identität an sie richtete (Lk 9,18). Er betete, bevor er auf dem Berg verklärt wurde (Lk 9,29). Er betete für Petrus, sonst wäre dieser nach seinem erbärmlichen Versagen nicht mehr zum Herrn zurückgekehrt (Lk 22,32). Er betete im Garten Gethsemane und wurde so gestärkt, den Kelch aus der Hand des Vaters entgegenzunehmen, und schließlich: Selbst noch am Kreuz praktizierte er Fürbitte (Lk 23,34). Sein ganzer Dienst war vom Anfang bis zum Ende von Gebet durchdrungen. An seinem Gebetsleben wurde deutlich, dass er der vollkommene Mensch, aber auch, dass er der vollkommene ewige Gottessohn war (Ps 2,8; Joh 11,41.42), der als Einziger zum Vater sagen konnte: „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, mein“ (Joh 17,10).

Paulus war ein Beter!

Das erste, was der Himmel über ihn bemerkt, ist: „Siehe, er betet“ (Apg 9,11). Der Apostel arbeitete und wirkte sein ganzes Leben lang – er arbeitete sogar mehr als alle andern (1Kor 15,10). Und er betete und betete und betete … Nur deshalb konnte er so viel arbeiten, weil er so viel betete, und nur deshalb war sein Arbeiten nicht fruchtlos. Paulus betete unablässig für die Heiligen (Röm 1,9) – aus großer Liebe zu ihnen und mit großem Verlangen nach ihnen (Röm 1,10). Er betete für sie mit Freuden (Phil 1,4), er betete für sie Tag und Nacht (2Tim 1,3). In fast allen seinen Briefen (Galater ausgenommen) spricht er von seinen Gebeten und von seinem Gebetsleben. Wann werden wir es endlich akzeptieren und beherzigen, dass wir an unserem Herrn und mit den Aposteln lernen müssen, zu beten, und dass all unsere Pläne, Strategien und Programme wenn überhaupt frühestens an dritter oder vierter Stelle kommen dürfen? Aber wir nehmen es nicht ernst und machen darum das Unwichtigere zum Wichtigsten und das Wichtigste zur Nebensache. So rennen wir und organisieren und bringen wenig, sehr wenig ein (vgl. Hag 1).

Die Apostel waren Beter!

Gebet ging dem Pfingstgeschehen voraus (Apg 1,5.12; 2,1). Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellten, wurden durch Gebet überwunden (Apg 4,24–31; 6,4–6; 16,16.25). Die Aussendung von Missionaren geschah nach Gebet (Apg 13,2.3), und die Einsetzung von Ältesten geschah unter Fasten und Beten (14,23). Für die Apostel war Gebet so wichtig wie die Bibel. Beides, Gebet und Dienst am Wort, war für sie volle und vollwertige Arbeit: „Wir werden im Gebet und im Dienst des Wortes verharren“ (Apg 6,4), Wie es bei den Aposteln war, so war es auch in den von ihnen gegründeten Gemeinden: Das Gebet kam zuerst, dann das Lehren und Evangelisieren (siehe 13,1–3) – nicht umgekehrt. Heute muss man schon dankbar sein, wenn Dienst am Wort und dann Gebet und dann Organisieren und Rennen kommt. Aber das ist ja schon sehr, sehr selten. In den allermeisten Gemeinden geht es vorrangig um das Ausbrüten von Programmen und Strategien, das Besuchen von Kongressen und Seminaren, dann das Diskutieren darüber, wie man die Strategien am besten umsetzt, dann Werbung, und dann das Einüben von Musik etc. Daran zeigt sich ja eben, dass man genau dafür am meisten Zeit und Energie aufwendet. Vielleicht bleibt auch ein wenig Zeit für Bibelstudium und (wenn überhaupt) Bibellehre, und dann, als last and least, als Letztes und auch Unwichtigstes: Gebet – falls man unser seichtes Geplapper überhaupt Gebet nennen darf. In allzu vielen Fällen sind unsere Gebete nicht mehr als ein Aufwärmen von Standardwünschen, die so halbherzig gesprochen werden, dass niemand sie ernstnehmen kann. Hier muss der wirkliche Grund für unsere Kraftlosigkeit, Fruchtlosigkeit, Lieblosigkeit, Wirkungslosigkeit, Harmlosigkeit, Lauheit und Fadheit liegen. Ganz anders sah es im Leben der ersten Christen aus …

Die Urgemeinde war eine betende Gemeinde

In Apg 4,24 zeigt sich der uns inzwischen wohlbekannte Reflex: Die Jünger hören, wie die Obersten sie mit Verboten und Drohungen vom Predigen abhalten wollen. Einmütig und wie mit einem Mund rufen sie sofort zum Herrn. Wir hätten wohl gerufen: „Empörend! Das lassen wir uns nicht gefallen! Wir protestieren beim Bürgermeister! Wir schreiben an die Zeitung etc.“ In 12,5 sehen wir es wieder. Petrus ist im Gefängnis, und die ganze Gemeinde weiß sofort: Jetzt müssen wir beten, so lange zum Herrn schreien, bis er handelt. „Es ist unmöglich, sich mehrere Monate eingehend mit diesem Buch zu beschäftigen, ohne tief bewegt und auch, um ehrlich zu sein, aufgewühlt zu werden. Der Leser ist bewegt, weil er zum ersten Mal in der Geschichte das Christentum sieht, das echte und wirkliche, wie es in Aktion tritt. Die neugeborene Gemeinde, die so verwundbar ist wie jedes Menschenkind, wie sie ohne Geld, ohne Einfluss, ohne Macht im gängigen Sinn freudig und kühn auszieht, die heidnische Welt für Christus zu gewinnen … Aber wir sind nicht nur bewegt, sondern auch aufgewühlt, denn wir sehen hier die Gemeinde, wie sie der Herr gedacht hatte … Diese Leute haben nicht ‚ihre Gebete gesprochen‘, sondern sie beteten. Sie hielten nicht Konferenzen über psychosomatische Erkrankungen, sondern sie heilten die Kranken. Wenn sie nach heutigen Maßstäben unkompliziert und naiv waren, müssen wir doch bekennen, dass sie auf der Seite zu Gott hin in einer Weise offen waren, die wir heute kaum mehr kennen“ (Der britische Bibelübersetzer J. B. Phillips, nachdem er die Apostelgeschichte übersetzt hatte). „Auf der Seite zu Gott hin offen“, das ist das Entscheidende! Wenn wir in unseren Tagen anfangen, die apostolische Reihenfolge einzuhalten: Zuerst Gebet, zuerst der Himmel, zuerst der Thron Gottes, dann die Erde, die Werkzeuge und das Arbeiten – dann dürfen wir hoffen, dass vielleicht eine geistliche Erweckung im Anzug ist. So erlebten es zahlreiche Missionare in China in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. „In jenen Missionsstationen waren viele Missionare, die treu gearbeitet hatten, aber müde geworden waren. Warum? Der Grund war folgender: Man hatte sich ursprünglich vorgenommen, ‚im Gebet und im Dienst des Wortes zu verharren‘, hatte die Reihenfolge aber in Dienst des Wortes und Gebet verkehrt. Dem Gebet war nur das Minimum an Zeit gewährt worden, weil die Arbeit so drängte, aber auch, weil man noch nicht verstand und es nicht glaubte, dass Gebet im Werk des Herrn an erster Stelle stehen muss. Aber nun hatte Gebet angefangen, den ersten Platz einzunehmen. Die Missionare waren ‚arm im Geist‘ geworden und waren an dem Punkt angekommen, wo sie verstanden: ‚Ohne mich könnt ihr nichts tun‘, wenn es darum geht, von Sünde zu überführen und Sünder zu retten“ (Marie Monsen: „The Awakening“. Revival in China 1927–1937, S. 88). Dieses Erwachen zum Gebet, von welchem die norwegische Missionarin Marie Monsen berichtet, war ein Vorbote der bald hereinbrechenden Erweckung, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts China heimsuchte und die Gemeinden so belebte, dass sie nur deshalb die mit der kommunistischen Revolution beginnende Verfolgung überstanden,1 und nicht nur überstanden, sondern geläutert und so gestärkt aus ihr hervorgingen, dass die Gemeinden nirgends auf der Welt so schnell wachsen wie im heutigen China.

Alle Kinder Gottes sind Beter

– sofern sie als Kinder Gottes gesund sind. Gebet ist ein Beweis, dass der Geist der Sohnschaft in ihnen wohnt, durch den sie vertrauensvoll ‚Abba, Vater‘ rufen (Röm 8,14–15; Gal 4,6). Da Gott ihr Vater ist, aus dem sie geboren sind, lieben sie ihn und können darum nicht anders und wollen auch nicht anders, als immer wieder vor ihm zu liegen, zu ihm zu rufen, auf sein Reden zu harren. Und weil Gott als ihr Vater auch ihr Erhalter und Bewahrer ist, sind sie jede Sekunde auf sein Geben, Ernähren, Tragen, Befähigen und seinen Schutz angewiesen. Darum lehrte der Herr und lehrten auch die Apostel die Jünger beten: „zu aller Zeit, mit allem Gebet … für alle Heiligen“ (Eph 6,18); „in allem“ (Phil 4,6); „unablässig“ (1Thes 5,17); „für alle Menschen“ (1Tim 2,1). Ein Petrus ermahnt die Männer, Rücksicht und Verstand im Zusammenleben mit ihren Ehefrauen zu zeigen, und nennt dann den Hauptgrund dafür: damit die Gebete nicht verhindert werden (1Petr 3,7). Paulus sagt, dass man die Heiligen daran erkennt, dass sie den Namen des Herrn anrufen (1Kor 1,2), dass sie eben beständig und immer wieder gemeinsam beten. Wenn das Volk und das Haus Gottes degeneriert, finden die Seelen der Treuen zueinander. Und was nennt der Apostel als das besondere Kennzeichen dieser Treuen? Sie „rufen den Namen des Herrn an aus reinem Herzen“ (2Tim 2,22); sie sind Leute, die mit Glauben beten können.

Nachtext

Quellenangaben

1 Wie die chinesischen Christen selbst immer wieder bezeugt haben.