Zeitschrift-Artikel: Hiskia

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Titel: Hiskia
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang B
Autor (Anmerkung):

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Titel

Hiskia

Vortext

Bibeltext: 2Kö 20, 12-19; 2Chr 32, 22-31; Jes 39,1-8

Text

In den vergangenen Betrachtungen haben wir gesehen, wie das Vertrauen Hiskias auf die Probe
gestellt wurde. Abgesehen von einer schwachen Phase während der Belagerung der Assyrer hatte
sich der Glaube Hiskias bewährt. Er durfte mit seinem Volk erfahren, dass Gott sich auch in der
militärisch aussichtslosesten Situation verherrlichte.
Während der König Hiskia und der Prophet Jesaja im Tiefpunkt ihrer großen Not „beteten und zum Himmel schrien“ (2Chr 32,20), leitete Gott den Untergang Assyriens ein und tötete durch einen Engel 185.000 Soldaten: „… alle tapferen Helden und Fürsten und Obersten im Lage des Königs von Assyrien“. Welch eine Erfahrung der Treue und Macht Gottes! Innerhalb weniger Stunden stellte er nicht nur die damaligen politischen Machtverhältnisse auf den Kopf, sondern wendete auch die materielle Not des Volkes Gottes buchstäblich über Nacht!

Das Gefährliche an guten Zeiten …
Die unerwartete Zerschlagung der gefürchteten und bisher als unbesiegbar geltenden assyrischen
Streitkräfte sprach sich natürlich wie ein Lauffeuer in der damaligen Welt herum. Gottesfürchtige
Juden drückten ihre Dankbarkeit und Freude darin aus, dass sie „Gaben für den Herrn nach Jerusalem und Kostbarkeiten für Hiskia, den König von Juda“ brachten (2Chr 32,23), während die heidnischen Völker – die in der Vernichtung der Assyrer nicht Gottes Hand erkannten – Hiskia mit allen Ehren und Lobenshymnen überhäuften.
Die kurze, aber inhaltsschwere Bemerkung des Chronisten „… und er wurde erhoben in den Augen aller Nationen“ lässt aber schon ahnen, welche Schlangen sich unter den ausgeteilten Lorbeeren versteckten …
Nach den Monaten der Belagerung und der damit verbundenen materiellen Armut und Not brach nun der Überfluss über Hiskia und sein Volk herein. Hatte er kürzlich noch alles Gold und Silber, das sich im und am Tempel und in seinem eigenen Schatzhaus befand, den Assyrern ausgeliefert (2Kö 19,14-16) und damit Jerusalem zum Armenhaus gemacht, so musste er nun Schatzkammern für das Gold, Silber und die Edelsteine bauen, um den plötzlichen Überfluss an Reichtum unterzubringen.
Zusätzlich wurde es nötig, Vorratshäuser für die Menge an Nahrungsmitteln zu bauen, Ställe für die Viehherden und Städte für die vielen Menschen, die sich nun in Juda einfanden. Also ein unvergleichlich größeres Wirtschaftswunder, als wir es nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland erlebt haben.
„Und Hiskia hatte sehr viel Reichtum und Ehre …“; „… Gott gab ihm eine sehr große Habe“; „… und Hiskia hatte Gelingen in all seinem Tun.“

Die Gefahr des Reichtums
Bekanntlich kann der Mensch alles andere besser ertragen, als eine Reihe von guten Tagen. Leider trifft diese Erfahrung auch auf die Gläubigen zu. Der König David gab in Ps 62,11 den weisen Rat: „Wenn der Reichtum wächst, so setzt euer Herz nicht darauf!“ und eine Generation später betete Agur: „Armut und Reichtum gib mir nicht!“ (Spr 30,7)
Unser Herr Jesus hat wiederholt vor dem „Betrug des Reichtums“ gewarnt (Mt 13,22) und der Apostel Paulus stellte Timotheus „Gottseligkeit mit Genügsamkeit“ (1Tim 6,6) als erstrebenswerten Gewinn vor.
John Wesley (1703-1791), der für sich die Gefahr des Geldes sehr deutlich erkannt hatte, äußerte einmal: „Geld bleibt nie bei mir. Es würde mich verbrennen, wenn es bliebe. Ich werfe es so schnell wie möglich von mir, damit es nicht etwa seinen Weg in mein Herz findet.“(1)

Die Sünde des Stolzes
Auch wenn an dieser Stelle die historische Reihenfolge der Geschehnisse im Leben Hiskias nicht leicht zu erkennen ist, scheint es doch so zu sein, dass ihm die erwiesene Ehre und der plötzliche
Reichtum in den Kopf gestiegen sind. Jedenfalls lesen wir die inhaltsschweren Worte: „Aber Hiskia vergalt nicht nach der Wohltat, die ihm erwiesen worden war, denn sein Herz erhob sich …“ (2Chr 32,25)
Wie recht hatte jener namentlich nicht bekannte Puritaner, wenn er betete:
„Bin ich reich? Wie übermütig werde ich! Du weißt, dass dies alles Fallen sind, weil ich so verdorben bin, und dass ich für mich selbst die größte Falle darstelle.“(2)
C.H. Spurgeon drückte das in seiner bildhaften Sprache so aus: „Er (Hiskia) genoss die Segnung, aber er beugte sich nicht vor dem Geber. Er gedachte der Frucht, aber er vergaß den Baum. Er trank aus dem Strom, aber gedachte nicht an die Quelle. Seine Felder wurden vom Tau getränkt, aber er war dem Himmel nicht dankbar genug, von welchem der Tau herabfiel. Er stahl das Holz vom Altar der Liebe und verbrannte es auf dem Herd des Stolzes.“(3)

Die Therapie Gottes
Wie therapiert Gott uns, wenn uns erwiesene Wohltaten und Segnungen uns nicht zur Buße und Demütigung leiten?
Unser Herr hat ein wirksames Heilmittel, um unseren Kopf wieder gerade zu rücken und uns von allem Stolz, Einbildung und Übermut zu befreien. Dieses Medikament schmeckt bitter, heilt aber gründlich: „Und so verließ ihn Gott bei den Gesandten der Fürsten von Babel, … um ihn zu prüfen, um alles zu erkennen, was in seinem Herzen war.“ (2Chr 32,31)
Wenn unverdiente Gnadenerweise und Segnungen Gottes dazu führen, dass wir nicht Gott die Ehre geben, sondern sie auf unsere Treue, unseren Gehorsam und unsere eingebildete geistliche Reife zurückführen, dann gibt es für unseren Herrn oft nur noch ein Mittel, um uns zu einer gesunden Selbsteinschätzung und Nüchternheit zu führen: Er zieht sich für eine Zeit lang von uns zurück und überlässt uns unserem verdorbenen Wesen und uns selber.
Es ist für uns nicht schwer Röm 7,18 zu zitieren und die Lehre des NT über unsere eigene Verdorbenheit zu akzeptieren und zu verteidigen.
Aber eine andere Sache ist es, wirklich von Herzen und durch eigene Erfahrung zutiefst davon überzeugt zu sein, dass in uns „nichts Gutes wohnt“. Wäre das wirklich der Fall, dann könnten zumindest in unserem eigenen Leben und in unseren Gemeinden keine Überheblichkeit und kein Dünkel um sich greifen. Wenn wir uns aber statt dessen einbilden, „etwas zu sein, da wir doch nichts sind“ (vgl. Gal 6,3) entzieht uns der Herr für eine Zeit seine Gnade und Bewahrung, damit wir durch eigene Erfahrung einen Blick in die Abgründe unserer Verdorbenheit werfen können und wie Hiskia erkennen, was in unseren Herzen ist. Wir sind zu jeder Zeit und an jedem Ort zu jeder Sünde in der Lage, wenn Gott uns nur einen Augenblick uns selbst überlässt. Spurgeon trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er schreibt:
„In dem besten Christen ist Sünde genug, um ihn zum schlimmsten Sünder zu machen, wenn ihn Gott verlassen sollte. Jemand, der sich selbst nur wenig kannte, schrieb, er sei so voll von Christus, dass für den Teufel kein Raum sei; aber mir schien, ich sähe den Teufel aus dieser prahlerischen Rede hervorgucken …
Liebe Brüder, ich hoffe, wir werden es nicht nötig haben, dass uns unsere eigene Nichtigkeit in derselben Weise gelehrt wird, wie Hiskia sie lernte … Es gibt vielleicht keine Weise, uns die Schlechtigkeit unserer Herzen so gründlich zu zeigen, indem Gott uns verlässt, so dass sie völlig offenbar wird. Vielleicht werden wir nie unsere Torheit kennen lernen, bis uns gestattet wird, als Toren zu handeln, aber verhüte es, Herr! Besser durch Schmerzen lernen, als durch Sünde! Besser in Gottes Kerker zu liegen, als in des Teufels Palast zu schwelgen.“(4)
Vielleicht konnte Gott den Erweckungsprediger George Whitefield (1714–1770) deswegen in England und Amerika so außergewöhnlich zum Segen und zur Rettung ungezählter
Menschen gebrauchen, weil er bereits in jungen Jahren einen tiefen und bleibenden Eindruck von den Abgründen seines eigenen Herzens bekam.
Als 25jähriger Evangelist schrieb er während der Überfahrt nach Amerika in sein Tagebuch: „Es hat Gott gefallen, mir ein wenig zu zeigen, wie verwerflich ich bin … Ich habe mehr und mehr erkennen müssen, wie verderbt ich bin … Ein Geheimnis der Gesetzlosigkeit, das in meinem Herzen hauste, ist meinen Blicken enthüllt worden … Ich bin blind, voller Stolz und Eigenliebe …“
An anderer Stelle schrieb er: „Ich wurde von einem Empfinden von Sünden, die ich begangen hatte, und von der Verdrehtheit meiner Natur übermäßig niedergebeugt; dann aber brach die Erkenntnis der Freiheit der göttlichen Gnade und Seiner ewigen Liebe mit solchem Licht und solcher Macht in meine Seele herein, dass meine Zunge den Dienst versagte und ich in stummer Anbetung vor Gott niedersank …“(5)

Babylon lässt grüßen!
Das Wunder der Heilung Hiskias hatte sich offensichtlich über die Grenzen seines Landes hinaus herumgesprochen. Möglicherweise hatte auch das damit im Zusammenhang stehende Naturwunder an der Sonnenuhr Ahas (2Kö 20,11) für Rästelraten und Gesprächstoff in Babylon gesorgt. Auf alle Fälle aber war der unglaubliche Sieg über die Assyrer der wesentliche Grund, warum der babylonische König Berodak-Baladan sich plötzlich für Hiskia und das kleine Land Juda
interessierte und seine Diplomaten mit einem Brief und Geschenk auf die Reise nach Jerusalem schickte.
Die herzlichen Glückwünsche zur Genesung des Königs waren natürlich nur ein geschickter Vorwand, um Erkundigungen über Hiskia, seine Macht, seinen Reichtum und das Geheimnis seines Sieges über die Weltmacht Assyrien einzuholen.
Schließlich hatte sich das aufstrebende Babylon erst vor kurzem von der Herrschaft der Assyrer befreit und war angewiesen auf Verbündete – und vielleicht auch auf den rätselhaft großen Reichtum in den Schatzkammern des Königs von Juda … 
Normaler Weise war es ja nicht sehr wahrscheinlich, dass solche ranghohen Diplomaten mit ihrem Gefolge plötzlich und unerwartet bei Hiskia auftauchten. Die Geheimdienste des Königs hatten die Reise und Ankunft dieser Männer sicher schon längst im Visier und werden Hiskia auf diesen unangemeldeten Besuch vorbereitet haben.
Aber an seiner Reaktion auf die Ankunft der Babylonier wird deutlich, dass Gott ihn verlassen
hatte. Anstatt den Propheten Jesaja zu Rate zu ziehen und mit ihm – wie damals – in die Gegenwart Gottes zu gehen, um sich von Gott Weisheit und Weisung zu erbitten, offenbart sich seine Naivität und Unfähigkeit, die drohende Gefahr für sein Land zu erkennen.
Reichtum und Ehre hatten Hiskia offensichtlich den Verstand und das gesunde Urteilsvermögen geraubt. Seine zu diesem Zeitpunkt fehlende Gottesfurcht machte ihn blind für die Tretminen, die der Feind ungehindert und geschickt platzieren konnte.

Hochstimmung am Königshof!
In Jes 39,2 lesen wir von Hiskias erster Reaktion auf den Auftritt der babylonischen Gesandten: „Und Hiskia freute sich über sie …“ Gebauchpinselt von der Ehre, Besuch von solchen weitgereisten, ehrenwerten und hochrangigen Gästen zu bekommen, meldeten sich bei Hiskia keine Warnsignale, als er das Herkunftsland dieser Diplomaten erfuhr: „Babylon!“
Kannte Hiskia nicht die Aussprüche und die Gerichtsurteile Gottes, die Jesaja über Babel gesprochen hatte (Jes 13)? Auch wenn Babylon zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Weltmacht darstellte, wie sie sich später unter Nebukadnezar entwickelte, so war doch „Babylon“ seit
Generationen für jeden treuen Israeliten das Synonym für Stolz, Hochmut und Verherrlichung des Menschen. Welch eine Gelegenheit für Hiskia, Zeugnis für den Gott Israels abzulegen:
seine Größe, Herrlichkeit und Macht demütig zu bezeugen und damit den babylonischen Diplomaten eine Menge neuer und wichtiger Informationen mit auf den Weg in die Heimat zu geben!
Doch hier versagte Hiskia jämmerlich. Er „freute sich über sie“ – nicht weil der Besuch ihm die Möglichkeit bot, die Rettung und Hilfe durch den Gott Israels zu bezeugen, sondern – wie in der nächsten und letzten Folge betrachtet werden soll – seine eigene Person ins Licht zu stellen und zu verherrlichen.
Wie nötig haben wir, uns das Gebet Spurgeons zu Herzen zu nehmen:
„Herr, behüte mich auf allen Wegen.
Behüte mich im Tal, damit ich nicht über meinen niedrigen Stand murre!
Behüte mich auf dem Berg, damit ich nicht schwindlig werde vor Stolz, so hoch erhoben zu sein!
Behüte mich in der Jugend, wenn meine Leidenschaften stark sind!
Behüte mich im Alter, wenn ich mir auf meine Weisheit etwas einbilde und deshalb ein größerer Tor sein mag, als selbst die Jungen!
Behüte mich, wenn es zum Sterben geht, damit ich nicht am letzten Ende dich noch verleugne!
Behüte mich im Leben, behüte mich im Sterben, behüte mich in der Arbeit, behüte mich im
Leiden, behüte mich im Kampfe, behüte mich in der Ruhe, behüte mich überall, denn überall habe ich dich nötig, o mein Gott.“(6)

Nachtext

Quellenangaben

1) Randy Alcorn „Geld, Besitz und Ewigkeit“; 3L; S. 566
2) Zit. in Wayne Mack „Demut – die vergessene Tugend“; CMV; S. 141
3) C.H. Spurgeon „Wachet und betet“; CLV; S. 95
4) ebd.; S. 98
5) Benedikt Peters „George Whitefield“; CLV; S. 127
6) C.H. Spurgeon; a.a.O.; S. 109