Zeitschrift-Artikel: Meine Lieblingsszene in der Bibel

Zeitschrift: 141 (zur Zeitschrift)
Titel: Meine Lieblingsszene in der Bibel
Typ: Artikel
Autor: Ruth Metzger
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 2252

Titel

Meine Lieblingsszene in der Bibel

Vortext

Text

… ist die, wo Josef seinen Vater Jakob zum Pharao bringt, um ihn vorzustellen.
Da sitzt der Pharao, in feines Leinen gekleidet, geschminkt, gestylt, geschmückt, mächtig. Er repräsentiert alles, was in dieser Welt Bedeutung hat.
Vor ihm steht ein alter Mann, der zwar wohlhabend ist, der aber den Viehzüchter nicht verleugnen kann. Wind und Wetter haben seine Haut gegerbt, und die Erfahrungen seines Lebens haben tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben. Und er ist gehbehindert – er hinkt.
„Wie alt bist du?“ fragt der Pharao. Zeigte er damit echtes Interesse an dem Vater des zweitwichtigsten Mannes im Staat, oder macht er Smalltalk? Wir wissen es nicht.
„130 Jahre“, antwortet Jakob. Das ist die Quantität. Aber jetzt muss er zur Qualität noch etwas sagen. „Die Jahre meiner Fremdlingschaft sind 130 Jahre; wenig und böse waren die Jahre meiner
Lebensjahre, und sie erreichen nicht die Tage der Lebensjahre meiner Väter in den Tagen ihrer
Fremdlingschaft.“
Wenig und böse … Meine Väter waren Glaubenshelden, ich aber nicht. Ich habe nichts Besonderes getan. Mein Leben war böse. Ich war böse. Mein Familienleben war böse – ich war umgeben von Eifersucht, Neid, Hass, Jähzorn,
Gewalttat und Betrug. Da war nichts, worauf ich hätte stolz sein können, und ob ich wollte oder nicht, ich hatte immer die Verantwortung … und ich bin sie so müde. Ich spüre es auf Schritt und
Tritt, dass ich mich nach einer besseren Heimat sehne.
Und nachdem er erklärt hat, dass sein Leben voller Mängel und er ein Versager ist, segnet er den Pharao und geht wieder.
Heißt es nicht an einer anderen Stelle, dass der Geringere von dem Besseren gesegnet wird?
Wie kann dieser humpelnde Nomade den Pharao segnen? Weil er mit Gott um den Segen gekämpft und ihn im Zerbrochen-Sein gewonnen hat. Und seitdem sagt ihm der Schmerz in seiner Hüfte an jedem Tag, bei jedem Schritt: Alles ist Gnade!
Und das macht ihn zum Segens-Spender – trotz allem …

Nachtext

Quellenangaben