Zeitschrift-Artikel: Christen in China

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Titel: Christen in China
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Christen in China

Vortext

Text

Seit 2004 besuchen wir jährlich mindestens einmal eine wachsende Anzahl „Hauskirchen“ in verschiedenen Provinzen dieses riesigen Landes, das einer einzigen Großbaustelle gleicht.

Die Bezeichnungen „Hauskirchen“ oder „Untergrundkirchen“ sind eigentlich nicht mehr zutreffend, denn die Christen versammeln sich inzwischen nicht mehr nur in Häusern, sondern auch in gemieteten Sälen oder Seminar-Räumen von Hotels.

Auch handelt es sich meist nicht mehr um einen „Untergrund“, denn in vielen Fällen sind die Versammlungen in der Öffentlichkeit bekannt und manchmal sogar mit einem einladenden Schild versehen. Allerdings handelt es sich um illegale Versammlungen – also Gemeinden, die nicht registriert sind und in früheren Zeiten tatsächlich verfolgt wurden.

Seit einigen Jahren werden sie aber mit wenigen Ausnahmen „geduldet“. Von Jahr zu Jahr können wir beobachten, dass die Gemeinden wachsen und immer neue Gemeinden entstehen. Besonders junge Menschen – darunter erstaunlich viele Studenten und Akademiker – kommen zum Glauben an den Herrn Jesus. Nicht durch öffentliche Evangelisationen, die nach wie vor nicht erlaubt sind. Auch nicht durch Traktat- und Verteil-Aktionen, die nur illegal durchgeführt werden können, sondern durch das persönliche Zeugnis und das veränderte Leben der Christen.

Wie eine „Hauskirche“ entsteht

Vor zwei Jahren zum Beispiel besuchten wir in einer der großen Millionenstädte ein junges chinesisches Ehepaar. Beide waren vor wenigen Jahren als Studenten in Deutschland zum Glauben gekommen und nun nach China zurückgekehrt, um als Mediziner in verantwortungsvollen Positionen zu arbeiten.

Sie waren damals sehr zurückhaltend mit ihrem Bekenntnis zum Herrn, weil sie wussten, dass ihre berufliche Karriere sehr schnell beendet sein könnte, wenn sie sich öffentlich als Christen outen würden. Damals hätten wir ihnen mehr Mut zum Zeugnis gewünscht.

Als wir sie aber im Juli dieses Jahres besuchten, wurden wir von ihnen in ein Restaurant eingeladen, wo bereits eine Anzahl junger Mediziner mit vielen Fragen auf uns wartete. Sie alle waren für unseren Herrn gewonnen worden – durch das zaghafte, zurückhaltende, aber glaubwürdige Verhalten unserer beiden Freunde. Inzwischen sind es über 20 Christen, die sich als „Hauskirche“ treffen und bereits überlegen, eine zweite Gemeinde zu bilden, weil der Platz nicht mehr für alle Besucher reicht.

Ungebremstes Wachstum in Wenzhou

Diese etwa sieben Millionen-Stadt im Süd- Osten des Landes ist als „Jerusalem von China“ bekannt. Dort leben schon seit vielen Jahren enorm viele Christen. „Gebet für die Welt“ (Stand 2001) schätzt die Zahl der Christen in dieser Stadt auf 30% der Bevölkerung. Diese Zahl scheint etwas hoch zu sein, aber wenn es „nur“ 15% wären – was realistischer ist – dann würden allein in dieser Stadt mit Umfeld mehr als eine Millionen Christen leben!

Ein Beispiel für das Wachstum: Als wir 2004 zum ersten Mal eine „Hauskirche“ besuchten, waren dort etwa 30-40 Geschwister versammelt. Heute sind aus dieser Gemeinde drei Gemeinden entstanden mit je mehr als 100 Geschwistern, die zudem zahlreiche evangelistische Hauskreise und Jüngerschaftskreise betreuen und eine christliche Buchhandlung im Universitäts-Gelände unterhalten. Inzwischen sind auch einige Missionare aus diesen Gemeinden in solche Gebiete ausgesandt worden, wo zahlreiche Minderheiten leben, die bisher vom Evangelium nicht erreicht wurden.

Dort lernten wir ein weiteres junges Ehepaar kennen, die sich vorbereiten, um unter den Muslimen in der Qinhai-Provinz zu evangelisieren. In Wenzhou besuchten wir auch eine der zahlreichen, offiziellen christlichen Buchhandlungen und konnten nur staunen über das wachsende Angebot an christlicher Literatur.

Allerdings fanden wir in den Regalen auch wieder jede Menge „Unkraut unter dem Weizen“. Neben den Büchern von C.H. Spurgeon, Warren W. Wiersbe, Oswald Sanders, John Bunyan, John Piper, Tim Keller usw. findet man auch fragwürdige Autoren wie Joyce Meyer, Norman V. Peale, Rick Warren, Kenneth Hagin und andere mehr.

Es fehlen in den zahlreichen christlichen Buchläden einfach gereifte Mitarbeiter, welche die Inhalte der meist amerikanischen Autoren beurteilen können.

Interessant war uns die Mitteilung, dass immer mehr Christen ihre Bücher online bestellen und damit der Versandhandel auf Kosten der Buchläden wächst – ähnlich wie in Europa. 

Christliche Schulen

Die Zahl der illegalen christlichen Schulen in China wächst ebenfalls von Jahr zu Jahr. „Alicia“, die Schulleiterin der „Elia-Schule“ in Nanjing (s. Fest und Treu 02/2012), schätzt die Zahl auf über 200. In Nanjing ist man übrigens mit der Schule in die Stadtmitte umgezogen, um die wachsende Zahl an Schülern unterrichten zu können. Dort teilt man sich die Räume mit einer Musikschule, um einerseits die Kosten zu senken und andererseits unauffälliger zu sein.

Für uns war es sehr interessant, mit den etwa 20 Lehrern der Schule – die alle für ein halbes Gehalt dort arbeiten – einen Austausch zu haben, viele Fragen zu stellen und ihre Fragen zu beantworten.

Abschiedsbesuch bei Samuel Lamb

Ein weiteres Besuchsziel war die Stadt Guangzhou, wo wir unter anderem noch einmal Samuel Lamb besuchen wollten, den geistlichen Vater der wohl größten lokalen „Untergrundkirche“ in China mit mehr als 4.000 Mitgliedern!

Bis vor einem Jahr hatte dort Samuel Lamb noch wöchentlich gepredigt, aber nun mussten wir ihn in einem mehr als schlichten Krankenhaus aufsuchen, weil er an einem unheilbaren Leber-Tumor erkrankt war.

Wir trafen ihn zur Mittagszeit in einem Zweibett-Zimmer, wo man die Mahlzeiten auf einem kleinen Kocher selbst zubereiten kann oder muss. Es waren einige Besucher da, die sich um ihn sorgten und wir fanden unseren 89 Jahre alten Bruder zwar von der Krankheit gezeichnet, aber wie gewohnt mit einem freudigen, getrosten Lächeln. Er erzählte uns, dass er den Herrn gebeten hatte, ihn an seinem 90sten Geburtstag im Oktober dieses Jahres heimzuholen.

Als wir ihn am Schluss unseres Besuches fragten, ob er uns noch einen Gruß für die Christen in Deutschland mitgeben könnte, antwortete er spontan und kurz: „Liebe Grüße an die Geschwister in Deutschland! Gott segne euch alle! Setzt euer Leben ein im Dienst für unseren Herrn Jesus! Hallelujah!“

Als wir uns anschließend mit einem der neun Ältesten der „Gemeinde ohne Namen“ trafen, erzählte er uns, dass Samuel gebeten wurde, doch einen Bruder aus seiner Verwandschaft zu seinem Nachfolger auszurufen, um die Gemeinde vor einem möglichen Chaos nach seinem Tod zu schützen. Aber Samuel Lamb hatte sich geweigert, einen solchen zu ernennen. Sein Argument:

„Die Gemeinde ist einzig und allein ein Werk Gottes und Gott soll bestimmen, wie es nach meinem Heimgang weitergehen soll!“

Am 3. August, etwa drei Wochen nach unserem Besuch, erreichte uns die Nachricht, dass unser Herr diesen treuen Bruder noch vor seinem Wunschtermin „heimgeholt“ hat.

Bedenkliche Entwicklungen: „Die Digitale Demenz“

Obwohl uns von allen Brüdern, die wir auf unserer Reise trafen, bestätigt wurde, dass die Freiheit für die Christen im Land mit wenigen Ausnahmen wächst, beobachteten wir dennoch einige Entwicklungen, die uns Sorge bereiten und für die wir um Gebets-Unterstützung bitten.

Während wir in den vergangenen Jahren in den Parkanlagen, in der U-Bahn, im Flughafen usw. beobachten konnten, dass fast alle Chinesen ein Buch oder eine Zeitung in der Hand hatten und eifrig darin lasen, so stellten wir in diesem Jahr fest, dass jetzt fast alle statt Literatur ein Handy, Smartphone oder ähnliche Geräte bedienten. Die „Digitale Demenz“ verbreitet sich offensichtlich in China noch schneller als in Deutschland – leider auch in den Gemeinden.

Während sonst jeder eine Bibel und Schreibzeug in der Hand hatte, schauen nun die meisten auf einen kleinen Monitor und kein Verkündiger kann feststellen, ob tatsächlich Bibeltext gelesen oder Börsendaten und Sport-Nachrichten studiert werden.

Wenn das keine kurzzeitige Mode-Erscheinung ist, dann muss man echte Sorge um die geistliche und geistige Entwicklung unserer Geschwister haben!

Karriere-Stress

Besonders viele der gebildeten und begabten Geschwister stehen in Gefahr, ein „Burn-out“ zu bekommen. Der Leistungsdruck im Beruf ist sehr stark und nimmt viel Zeit in Anspruch. Dazu kommt, dass fast jeden Abend eine Gemeinde-Veranstaltung stattfindet: Gebetsstunden, Hauskreise, Jüngerschaftskurse, evangelistische Treffen, Bibelstunden usw. Für die Familie bleibt nur wenig Zeit – meist sind beide Eheleute berufstätig – und was an Zeit und Kraft für die persönliche Stille vor dem Herrn übrig bleibt, ist minimal. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen – besonders dann, wenn man nicht mehr Student ist.

Klerikalismus

Der wachsende Einfluss durch presbyterianische Verkündiger, Seminare und elektronische Medien (meist aus Süd-Korea, Singapur und den USA) haben positiv dafür gesorgt, dass z.B. die Charismatische Bewegung in den meisten Regionen immer weniger Einfluss hat und das Bibelstudium und Bibelwissen zugenommen haben. Das wird auch an der wachsenden Zahl puritanischer und calvinistischer Literatur in den Buchläden deutlich.

Leider ist damit aber oft eine bedenkliche Tendenz zum Klerikalismus verbunden. Statt auf Älteste legt man plötzlich Wert auf „Pastoren“ die dazu meist auf Seminaren ordiniert wurden.

Die Gemeindeglieder werden dann zu Zuschauern oder Konsumenten degradiert, die nicht mehr angeleitet werden, ihre eigenen Gaben zu entdecken und zu entfalten, sondern sich unterhalten bzw. bedienen lassen.

Ein anderes Problem ergibt sich daraus, dass einige durchaus konservative Gemeinden glauben, von Gott einen politischen Auftrag zu haben, bzw. gegen die Missstände in der Politik und Gesellschaft protestieren oder demonstrieren zu müssen. Das lässt sich die Regierung natürlich nicht gefallen, sondern geht mit Schärfe gegen diese Aktionen vor, wodurch es tatsächlich zu Verhaftungen, Versammlungsverboten usw. kommt. In der westlichen Presse ist dann schnell die Rede von wachsender „Verfolgung“ oder „Unterdrückung“ – wobei sich dieser Druck nicht grundsätzlich gegen die Christen wendet, sondern gegen ihre politischen Aktivitäten.

Was tun?

Für uns sollte das ein Grund mehr sein, für die Geschwister in China zu beten. Es sind Führer nötig, die demütig und gottesfürchtig als Vorbild vorangehen. Brüder wie Samuel Lamb, Siegfried Koll, Allan Yuan und andere, die inzwischen beim Herrn sind. Sie hatten Einfluss und Autorität – auch über die regionalen Grenzen hinaus.

Es ist auch Literatur nötig, um die Christen auf Schieflagen, ungesunde Theologie, Irrlehren usw. hinzuweisen. Daher sehen wir es für uns als eine der wichtigsten Aufgaben, für gute Literatur zu sorgen. In Zusammenarbeit mit unseren chinesischen Freunden haben wir den Druck von zahlreichen wichtigen Kommentaren in Auftrag gegeben. Dazu erweckliche, apologetische und evangelistische Bücher vor allem von William McDonald, aber auch von E. Lutzer, A. Seibel und eine hohe Auflage von W. Busch: „Jesus unser Schicksal“. Dieses bekannte evangelistische Buch wird in China erstaunlicherweise sehr gerne von jungen Menschen gelesen.

Die Bücher werden zur Zeit meist noch im „Untergrund“ gedruckt und kostenlos verbreitet. Besonders in den abgelegenen und ärmeren Regionen sind solche Bücher für unsere Geschwister eine große Hilfe, für die sie sehr dankbar sind. (An dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön an alle Geschwister, die mitgeholfen haben, diese Drucke zu finanzieren!)

Noch kann man dankbar sein für die gewaltige Erweckung in China, die Gott geschenkt hat. Aber die ersten Anzeichen von Ermüdung und schleichendem Materialismus sind erkennbar. Bereits vor Jahren hatte uns Samuel Lamb voller Sorge gesagt: „Der mäßige Druck von Seiten der Regierung hält uns nahe beim Herrn. Wenn kein politischer Druck mehr vorhanden ist, wird auch uns der Materialismus überschwemmen und geistlich arm und kraftlos machen!“

Beten wir ernstlich, dass Gott das in seiner Gnade verhindert und die Herzen unserer Geschwister in China auf den Herrn ausgerichtet hält!

Nachtext

Quellenangaben