Zeitschrift: 135 (zur Zeitschrift) Titel: Wagnis Korrektur - Rückblick auf eine "Realitätsprüfung" Typ: Artikel Autor: John Piper Autor (Anmerkung): online gelesen: 3493 |
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Wagnis Korrektur - Rückblick auf eine "Realitätsprüfung" |
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<p><em>In der fest & treu Ausgabe 1/2011 druckten wir einen offenen Brief von John Piper an seine Gemeinde ab. In diesem Brief erklärte er die Absicht, eine achtmonatige Auszeit von seinem öffentlichen Dienst zu nehmen – sowohl was seine Verpflichtungen in seiner Heimat, als auch seine überregionalen Tätigkeiten betraf. Im folgenden soll nun ein „Rückblick“ von ihm veröffentlicht werden, den er – pünktlich am 01.01.2011 – über seinen Internetblog „Desiring God“ publik machte.</em></p> <p>Ich schrieb diesen Bericht für meine Gemeinde, die Bethlehem Baptist Church und habe ihn nun<br />für den ersten Tag des Jahres 2011 für den Desiring God Blog übernommen. Der Bericht ist dafür<br />eigentlich zu lang. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich 263 Seiten kürzte ...<br />In diesem Jahr habe ich eine acht-monatige Auszeit genommen. Das hieß, dass ich von all meinen Aufgaben als Pastor befreit war und alle öffentlichen Dienste (mit einigen wenigen Ausnahmen) während dieser Zeit ruhten: Kein Predigen, kein Schreiben von Artikeln, keine Konferenzen, keine Internet-Blogs usw. Dieser Rückblick soll über die Segnungen dieser Auszeit<br />berichten.<br />Mein Herz fließt über vor Dankbarkeit gegenüber Gott, den Ältesten und Mitarbeitern meiner Bethlehem-Gemeinde und dem Team von Desiring God. Ich weiß, dass viele eine größere Last tragen mussten, weil einer aus dem Team fehlte. Danke für diese Freundlichkeit.<br />Im März 2010 hatte ich den Ältesten über die Ziele dieser Auszeit Folgendes geschrieben:<br />„Noel und ich wollen in diese 8-monatige Auszeit starten mit einem Blick für ernsthafte biblische Prüfung, Beurteilung, Pflege und Wachstum in vier Gebieten: als eigene Individuen (körperlich und geistlich), in unserer Ehe, in unserer Beziehung zu unseren Kindern und ihren Familien und in unserer Gestaltung des Dienstes für die Gemeinde.“<br />Ich werde einige Worte über jeden dieser Punkte sagen. Aber es wird den Rest meines Lebens in Anspruch nehmen, den eigentlichen Wert dieser Monate in seiner Fülle auszupacken.<br />Ich habe zum Beispiel ein Tagebuch geführt, das nun 265 Seiten mit 214 Einträgen hat. Das meiste sind persönliche Reflektionen darüber, was Gott in unserem Leben getan hat. Vielleicht schreibe ich mal ein Buch mit dem Titel „die Auszeit“ …</p> <p><br /><strong><em>Seelen–Check</em></strong><br />Ich konnte länger im Wort und Gebet verharren als in jeder anderen 8-monatigen Periode meines Lebens. Das waren kostbare Zeiten. Die Einsichten und Veränderungen in uns selbst,<br />die wir erfahren konnten, sind zum großen Teil diesen Begegnungen mit Gott in seinem Wort geschuldet. Ich hoffe, dass diese Begegnungen nicht gehetzt oder mechanisch werden, wenn ich jetzt wieder im Dienst stehe.<br />Unser normaler Platz für gemeinsame Anbetung war die „Sovereign Grace“ Gemeinde, geleitet von Rick Gamache, der früher im Desiring- God-Team mitarbeitete und einer der besten<br />Prediger in unserer Stadt ist.<br />Das war ein Seelen-Check: Würde ich geistlich in der gemeinsamen Anbetung blühen, auch wenn ich keine führende Rolle hätte? Wie wertvoll war es, die Antwort auf diese Frage zu erleben: Ich sang und saugte auf. Und ich habe mich nicht daran gestört, auf der anderen Seite der kostbaren Kanzel des Wortes Gottes zu sein.<br />Ich liebe das Wort Gottes, und es in Klarheit und Kraft zu hören, hat meinen Glauben und meine Berufung bestärkt. Meinen Glauben, da ich es wirklich genossen habe, mit Christus in der Anbetung Gemeinschaft zu haben. Ich habe es aufs Neue erlebt, dass ich Gott liebe, und nicht nur, über ihn zu reden.<br />Aber auch meine Berufung, da ich glücklicher Empfänger des verkündigten Wortes sein konnte. Ja, ich möchte so predigen, ich möchte das für Menschen tun.</p> <p><br /><strong><em>Ehe</em></strong><br />Der Schmelztiegel, um meine Seele zu läutern, ist meine Ehe und meine Familie – sogar eher als<br />die Herausforderungen des Dienstes.<br />Am 21. Dezember haben Noel und ich unseren 42. Hochzeitstag gefeiert.<br />Es war friedlich, glücklich, erfüllt von Erinnerungen, nüchtern und herzlich. Es geht uns gut.<br />Ich würde meine jahrzehntelangen, hartnäckigen (und ich hoffe nachlassenden) Sünden in dieser Beziehung als Selbstsucht, Selbstmitleid, Ärger, Schuldzuweisungen und Missmut bezeichnen – alles Arten von Stolz.<br />Es gibt andere, aber diese sind nahe an der Wurzel unserer Probleme. Ich habe meine Augen wie Scharfschützen (Römer 8,13) im Verlauf der Auszeit immer stärker auf sie fokussiert.<br />Die Zeit wird zeigen – und Noel erzählen – ob der Fortschritt, den ich gemacht habe, tief und dauerhaft ist.<br />Ich bete, dass er es ist. Wie diese Veränderungen geschahen und was Gott benutzte, um sie hervorzubringen, wird – ohne Zweifel – das Thema von Predigten und Artikeln in den nächsten<br />Jahren sein. Jetzt möchte ich nur soviel sagen, dass Gott in seinem Läuterungsprozess eine Kombination an Dingen benutzt hat: persönliche Stille im Wort und im Gebet, Seelsorge, der treue und persönliche Dienst von David und Karin Livingston, die tiefer in unserem Leben eingebunden waren als irgendjemand sonst, viel Lesen über die Art wie unsere Sünden Beziehungen schaden, Nachforschungen darüber, welche eigenartige Unordnung unsere Gedanken in Beziehungen bringen können, gemeinsame Anbetung, endlose Gespräche (Zeit!), neue körperliche Anstrengungen stark und gesund zu sein (Schlaf, Sport, Diät, Freizeit) und eine neue, strengere Anwendung von Phil 2,12-13 („bewirkt euer eigenes Heil mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu seinem Wohlgefallen.“).<br />Die Auswirkungen dieses heiligenden Prozesses auf unsere Ehe waren weniger Entzug sondern mehr aktive Gemeinschaft, weniger Launenhaftigkeit und Verbissenheit sondern mehr hoffnungsvolle Emotionen, weniger Brüten über vergangene Enttäuschungen sondern mehr Träumen von Gottes Verheißungen, weniger ein Geist der Kritik sondern mehr ausgesprochene<br />Liebesbeteuerung, mehr Zärtlichkeit und Freundlichkeit, mehr bewusst miteinander verbrachte Zeit, mehr Geduld mit (angeborenen?) Persönlichkeitsmerkmalen ohne Sünde zu unterstellen, mehr ein Geist der Vergebungsbereitschaft, mehr Dankbarkeit und weniger Für-selbstverständlich- nehmen, mehr Mut, Sünde zu benennen (unsere eigene und die des anderen) ohne verzweifelt oder verurteilend zu klingen, ein frisches Verspüren von Gottes großzügiger Vaterschaft, der uns, wenn er etwas missbilligt, nicht verachtet – und das Bestreben, das füreinander ebenso zu tun.<br />In Bezug auf unsere Beziehung war der entscheidende Text Epheser 4,31-5,2: „Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch weggetan, samt aller Bosheit. Seid aber zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat. Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch.“ Gott war sehr geduldig mit uns.</p> <p><br /><strong><em>Familie</em></strong><br />Es gab viel mehr Spontanität und Erreichbarkeit in diesen Monaten als gewöhnlich. Wir haben versucht, ganz bewusst mehr im Leben unserer Söhne, Schwiegertöchter und zwölf Enkelkinder zu sein. Das hieß Helfen beim Streichen, Aufräumen, viel Babysitting und einfach Zeit der ungehetzten Gemeinschaft und einige tiefe Konversationen, in denen ich versucht habe, mit meinen Söhnen die Dinge zu teilen, die ich gerade über mein eigenes Herz und meine Ehe lernte.</p> <p><br /><strong><em>Dienst</em></strong><br />In den späteren Wochen richtete sich unsere Aufmerksamkeit auch darauf, das Tempo und die Gestaltung meines Dienstes für 2011 zu überdenken. Ziel ist es, die Wochen nicht mit überörtlichen Verpflichtungen zu voll zu stopfen, und auch nicht so viele Verantwortlichkeiten<br />in unserer Gemeinde auf uns zu laden, dass Körper, Geist und Ehe überlastet werden. Einige der<br />Ältesten haben uns geholfen, darüber nachzudenken, wie das nächste Jahr aussehen sollte.</p> <p><br /><strong><em>Zukunft</em></strong><br />Elf Tage nach meiner Rückkehr werde ich 65. Man könnte das auf zwei Arten sehen: Zum einen ist es das Alter, in dem die meisten Menschen in den Ruhestand gehen. Aber es ist auch das<br />Alter, in dem Winston Churchill Premierminister wurde und England und die westliche Welt zum Sieg gegen Hitler führte. Ich finde Churchill viel inspirierender als den Ruhestand.<br />In den kommenden Tagen hoffe ich mit den Ältesten einen Plan zu erarbeiten für die langfristige Zukunft unserer Gemeinde, inklusive eines Plans für meine Nachfolge in den nächsten Jahren. Mein sehnlichster Wunsch und feste Verpflichtung ist es, im Amt zu bleiben, bis die Gemeinde auf einem festen Fundament steht, wenn ich nicht mehr Pastor bin.<br />Aber auch dann hoffe ich (wenn die Ältesten zustimmen), die Gemeinde als meine Heimat und Basis zu haben und ich mehr schreiben und weiter für das College und Desiring-God arbeiten<br />kann.<br />Ich glaube, dass die besten Tage für uns als Gemeinde noch bevorstehen. Gott ist souverän und gnädig wie immer. Ich fühle mich gezüchtigt, gedemütigt und vielleicht brauchbarer jetzt. Es ist gut, wieder hier zu sein.<br /></p> |
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Nachtext |
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Quellenangaben |
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<p>http://www.desiringgod.org/blog/posts/john-pipers-report-on-his-leave-of-absence (01.01.2011) Übersetzt von William Kaal<br /><br />BILDNACHWEIS: http://www.desiringgod.org/about/john-piper (21.08.2011)</p> |