Zeitschrift-Artikel: "… und dann kam die Ernte"

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Titel: "… und dann kam die Ernte"
Typ: Artikel
Autor: Oskar Johnson
Autor (Anmerkung): Pioniermissionar im Herzen Afrikas

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Titel

"… und dann kam die Ernte"

Vortext

Manchmal steht ein Buch ungelesen im Regal – vielleicht nur deswegen, weil der Titel und das Cover recht schlicht aussehen und weder der Autor, noch die Person, um die es in dem Buch geht, irgendwie bekannt ist. Und erst nach Jahren erkennt man mit Erstaunen und Beschämung, welch eine Perle unter den Missionsgeschichten man unbeachtet im Bücherschrank stehen hatte! Genau so ist es mir vor einigen Wochen ergangen …

Die Namen des norwegischen Missionars Oskar Johnson und seiner Frau Solveig – um die es hier geht – findet man in keinem Lexikon deutscher Sprache. Nicht einmal die Lebensdaten von ihnen sind bekannt. Man erfährt nur in diesem zu Herzen gehenden Buch, dass Oskar im 19. Jahrhundert – jung verlobt – von Gott nach Innerafrika gerufen und geführt wurde. Und wie er dort unter unglaublichen Schwierigkeiten und Widerständen bei bisher unerreichten Stämmen die Saat des Evangeliums ausstreute. Viele Jahre schienen erfolglos zu verstreichen, bis Gott plötzlich eine überwältigende Ernte schenkte.

 

Welch dramatischen Umstände Gott benutzen kann, um die Herzen hasserfüllter Männer zu verändern, zeigt der folgende kurze Auszug aus dem Buch. Hier wird geschildert, wie Oskar einem äußerst mordgierigen Stamm gegenüber steht, dessen Krieger entschlossen sind, den weißen Missionar zu töten. W.B.

Text

Gezückte Speere …

Seine letzten Worte verhallten ungehört, denn jetzt brachen die Schwarzen in ein unsinniges Geheul aus und erhoben die Speere, um sie ihm in den Leib zu stoßen. Gerade noch im letzten Augenblick hemmte sie der Anführer durch seine Armbewegung. Er starrte verwundert auf etwas, was hinter Oskars Rücken vorging. Sie senkten die Speere und blickten in dieselbe Richtung. Ihre Gesichter sahen so unbeschreiblich verblüfft aus, dass Oskar sich unwillkürlich umdrehte.

Da kam Solveig mit der kleinen Gertrud auf dem Arm! Im nächsten Augenblick stand sie an seiner Seite.

„Aber Solveig! Wie konntest du nur auf einen solchen Gedanken kommen!“ rief er verzweifelt. „Du weißt nicht, was du tust! Jetzt sind wir alle beide, sind wir alle drei verloren!“

Er legte den Arm um sie und wandte sich seinen Feinden wieder zu. Diese waren noch immer wie verzaubert. Die großen, kugelrunden Augen gingen unablässig zwischen Solveig und Gertrud hin und her. Solveig lehnte müde den Kopf an Oskars Schulter.

„Wenn es denn einmal sein muss, dann können wir gleich alle drei zusammen sterben!“ flüsterte sie. „Ich fand keine Ruhe. Ich musste kommen. Gott sei uns gnädig!“

Die Schwarzen hatten sich noch nicht von ihrer Verblüffung erholt. Keiner von ihnen hatte jemals eine weiße Frau gesehen. Seit drei Jahren weilte sie in ihrer Nähe, und sie wussten von ihr. Aber die Feindschaft mit Pekwas Volk hatte aus dem Fluss eine unüberwindliche Schranke gebildet. Seit jener Zeit, da sie im offenen Kriege gelegen hatten, war keiner mehr auf der anderen Seite des Flusses gewesen.

Das kleine, munter plappernde Kind mit den blonden Locken und den blauen Augen war für sie wie eine Offenbarung. Auch von Gertrud hatten sie durch den Trommeltelegrafen gehört; aber diese unerwartete Begegnung brachte sie ganz außer Fassung.

 

Der Häuptling kommt!

Endlich flüsterte der Anführer seinem Nebenmann etwas zu. Dieser verschwand, während die andern stehenblieben und unschlüssig auf die beiden starrten. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Auch sie hatten das Gefühl, dass etwas Unerwartetes geschehen würde. Nur die kleine Gertrud war unbekümmert und sorglos. Sie schaukelte sich voller Übermut auf dem Arm ihrer Mutter.

Plötzlich wichen die Männer zur Seite, und eine hohe tätowierte Gestalt erschien. Auch dieser Mann machte ein ganz verblüfftes Gesicht. Er blieb stehen und blickte fragend von Oskar auf Solveig und die Kleine. Sein Mund stand offen, sein Kinn hing schlaff nieder. Da löste Solveig sich aus Oskars Arm und machte ein paar Schritte auf den Schwarzen zu, der augenscheinlich der Häuptling war. Er machte Miene, zurückzuweichen, besann sich aber und blieb stehen.

 

Der entscheidende Augenblick …

„Häuptling!“ sagte Solveig, und ihre Stimme zitterte leicht. Was sie hatte sagen wollen, daran konnte sie sich später nicht mehr erinnern. Vielleicht hatte sie sagen wollen: „Meine kleine Tochter grüßt dich!“ Oder etwas Ähnliches. Aber sie kam nicht weiter, denn die kleine Gertrud streckte ihre winzigen Hände aus und strich dem verblüfften Häuptling über das Gesicht. Dabei lächelte sie, und ihre Augen strahlten. Sie war ja mit den Schwarzen vertraut und gewohnt, mit ihnen zu spielen.

Diese kleine Geste des Kindes löste die Spannung. Die Schwarzen brachen in ein herzliches Lachen aus. Auch die Gesichtszüge des Häuptlings veränderten sich. Seine Augen blickten nicht mehr so fragend und verwundert, und es war fast, als husche ein Lächeln über sein Gesicht.

Die Missionare erlebten den spannendsten und entscheidendsten Augenblick ihres Lebens. Hier ging es um Siegen oder Fallen. Unwillkürlich streckte Solveig wieder die Arme vor, und wieder streichelte die Kleine den Häuptling zum großen Jubel der Umstehenden.

Jetzt schien der Häuptling seine Fassung wiedergewonnen zu haben. Er wandte sich an die Krieger und sagte: „Holt Sitzklötze für sie!“

Oskar und Solveig seufzten erleichtert auf und sandten ein Dankgebet zum Himmel empor. Die Spannung war vorüber – jedenfalls vorläufig. Einige Minuten später saß jeder auf einem Sitzklotz, und der Häuptling ihnen gegenüber. Neugierige Krieger schlossen um sie einen Kreis. Sie sahen nicht mehr so kriegerisch aus.

 

„Das klingt wie eine gute Botschaft …“

„Sprich!“ sagte der Häuptling, und es klang beinahe freundlich. Und Oskar sprach. Zum ersten Male hörten diese wilden, mordgierigen Krieger das Evangelium. Eine ganze Stunde sprach Oskar zu einer schweigenden und aufmerksamen Versammlung.

„Nun?“ schloss er endlich. „Was sagst du zu meiner Botschaft Häuptling?“

„Du hast merkwürdige Worte gesprochen“, erwiderte er, „Worte, die wir nicht verstanden. Aber es klingt wie eine gute Botschaft. Bist du nur deshalb, weil du uns das hattest erzählen wollen, immer wieder zu uns ins Dorf gekommen?“

„Eine andere Absicht habe ich nicht gehabt“, antwortete Oskar. „Ich begehre nicht dein Elfenbein oder deine Frauen. Ich grabe auch nicht nach kostbaren Steinen in eurer Erde, noch will ich euch ein Leid zufügen oder mich in eure Angelegenheiten einmischen. Ich komme nur, um den Menschen die Botschaft des allmächtigen Gottes zu bringen.“

Der Häuptling saß lange stumm da. „Du hast merkwürdige Worte gesprochen“, sagte er schließlich noch einmal. „Und du bist ein merkwürdiger Mann! Weshalb kamst du immer wieder, obgleich du doch sahst, dass wir deinen Besuch nicht wünschten? Wir hätten dich töten können. Ich – meine Männer hatten beschlossen, dich heute zu töten. Wusstest du das nicht?“

„Doch“, sagte Oskar. „Ich merkte es. Und meine Frau ahnte es auch. Deshalb folgte sie mir, um mit mir zusammen zu sterben. Aber was soll ein Mann tun, wenn Gott ihn geschickt hat, weil er will, dass du seine Botschaft hörst? Du selber bist ein großer, mächtiger Häuptling. Aber auch du bist in der Hand des allmächtigen Gottes. Er wollte mit dir sprechen, und er sandte mich mit seiner

MISSION

Botschaft zu dir. Wie hätte ich mich weigern können zu gehen? Du selber gebietest über deine Leute. Du gibst ihnen Befehle, und sie müssen gehorchen – mag es sie auch das Leben kosten. Gott ist mein Häuptling. Ich bin nur sein Sendbote. Wenn ich sterben soll, so bin ich in seiner Hand. Aber ich kann mich nicht weigern, seinen Befehl auszuführen.“

Der Häuptling nickte. „Das sind Worte, die wir verstehen“, sagte er. „Du hast wie ein Mann gehandelt. Und was willst du nun, das wir tun sollen? Glaubst du, Gott wird uns bestrafen, weil wir dich nicht aufgenommen haben?“

„Nein“, sagte Oskar voller Überzeugung. „Gott ist gerecht. Er kennt die Herzen. Wenn ihr sein Wort aufnehmt, wird er euch vergeben. Gott ist nicht nur unser Häuptling, er ist unser Vater.“

 

„Du bist ein merkwürdiger Mann!“

Der Häuptling saß wieder eine lange Weile, ohne etwas zu sagen. „Aber wir verstehen deine Rede nicht“, sagte er endlich, die Stirn runzelnd. „Es ist für uns etwas ganz Neues.“

„Dann wird Gott euch Zeit geben, damit ihr lernt, die Botschaft zu verstehen“, antwortete Oskar. „Er will, dass ich immer wieder herkomme und euch immer wieder seine Worte sage, bis ihr sie versteht. Nimmst du Gottes Sendboten auf, dann wird Gott auch dich aufnehmen. Dann wird er auf dich blicken und gnädig lächeln und sagen: Ich will euch Gutes tun, denn auch ihr seid meine Kinder!“

„Mondele!“ sagte der Häuptling. „Du sprichst gute Worte. Ich will, dass du wiederkommst und uns erzählst, was du uns heute erzählt hast.“

Oskar fand in diesem entscheidenden Augenblick keine Worte. Er konnte nur seine Hand ausstrecken und „Danke – danke, Häuptling!“ sagen.

Der Häuptling blickte ihn verwundert an. „Du dankst mir, als hätte ich dir ein großes Geschenk gemacht“, sagte er.

„Ja, ich danke dir“, erwiderte Oskar bewegt, „weil ich meinen Häuptling, der mich gesandt hat, liebe.“

„Du bist ein merkwürdiger Mann“, rief der Schwarze, und ringsum wurde ein beifälliges Gemurmel hörbar. Oskar aber schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich bin durchaus nicht merkwürdig. Ich bin nur Gottes Sendbote.“ Er stand auf, und die andern folgten seinem Beispiel „Und jetzt, Häuptling“, sagte er, „will ich dich um etwas bitten.“

„Bitte, um was du willst!“ antwortete der Häuptling. „Was willst du haben? Ziegen? Hühner? Eier? Frauen?“

„Nein!“ antwortete Oskar lächelnd. Solche Gaben begehre ich nicht. Aber wir können später Geschenke austauschen. Was ich wünsche, ist etwas anderes. Ich möchte, dass du über den Fluss kommst und Pekwa die Hand der Freundschaft reichst.“

Da bildete sich zwischen den Augen des Häuptlings eine tiefe Falte. Oskar fürchtete, er wäre mit einem solchen Vorschlag zu voreilig herausgerückt.

„Pekwa ist dein Freund, Häuptling“, sagte er.

Der Schwarze blickte ihn lange an. Schließlich murmelte er: „Wir werden sehen.“ 

Nachtext

Quellenangaben

Aus: Frithjov Iversen „… und dann kam die Ernte“, CMV, S. 176–179