Zeitschrift-Artikel: Stimmen der Väter: Paul Geyser

Zeitschrift: 43 (zur Zeitschrift)
Titel: Stimmen der Väter: Paul Geyser
Typ: Artikel
Autor: Paul Geyser
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 1822

Titel

Stimmen der Väter: Paul Geyser

Vortext

Text

Paul Geyser

(1824 - 1882)

wuchs in der Schweiz auf, studierte in Zürich Theologie, wandte sich aber bald enttäuscht davon ab, um dann in Leipzig und Basel Philologie zu studieren.

1850 kam er in Amerika zum Glauben, nachdem er in große äußere und innere Not geraten war. Drei Jahre später kehrte er nach Basel zurück, um sein Theologie-Studium fortzusetzen. Vier Jahre war Paul Geyser anschließend in Ringstedt Pfarrer, bis er 1861 nach Elberfeld gerufen wurde, wo er bis zu seinem Heimgang ein furchtloser, origineller Verkündiger des Evangeliums war.

Otto Funcke (den älteren Lesern durch seine Lebenserinnerungen und Erzählungen gut bekannt) schildert ihn aus der eigenen Hilfspredigerzeit in Elberfeld so:

". . . Geyser war 'schroff reformiert' und geneigt, überall den schärfsten Gegensatz herauszukehren. Sein Wesen war gewaltig, ja fast gewaltsam; im sonntäglichen Kirchengebet betete er nicht für "unseren König", sondern "für den König dieses Landes". Kein Wunder, daß solch ein Mann jeden Augenblick mit Amtsbrüdern, Kirchenvorstand, Privatpersonen und allen möglichen Behörden Streit hatte.

Daß dieser Mann, für den es das Wort 'Menschenfurcht' nicht zu geben schien, auf mich gewaltigen Eindruck machte, gestehe ich willig ein, obgleich ich hinzufügen muß, daß ich ihn mehr fürchtete als liebte …

In den ersten Monaten lasen Geyser und ich jeden Tag eine Stunde Hebräisch zusammen. Ich habe dann oft nicht nur alle Theologiestudenten, sondern auch alle Professoren Deutschlands als Zuhörer des originellen Mannes herbeigewünscht, denn nicht nur seine Sprachkenntnis war gewaltig, noch gewaltiger war die Auslegung und Anwendung des klargestellten Textes.

Unter seiner Kanzel konnte ich mich des heftigen Zitterns nicht erwehren. So konnte er die Reichen oder die "eingebildeten Frommen" des Wuppertals furchtbar andonnern …

Auch mir sagte er oft harte Worte. Die barbarische Kritik Geysers hat mir dann mehr Segen gebracht als alle Lobhudeleien…

Einmal wagte ich es, Geyser von einer auffallenden Gebetserhörung zu erzählen. Da höhnte der strenge Mann: "Sie, Herr Bruder Junior, Sie werden ohne Zweifel demnächst unter die kleinen Propheten versetzt werden." Das tat weh, aber gab mir zu denken. Ach, wieviel geheime Eitelkeit fließt oft mit unter, wenn man - natürlich "nur zum Preise des Heilands" - von seinen Gnadenerfahrungen redet!"

Aus seinen "Gesammelten Schriften", die dreißig Jahre nach dem Heimgang Geysers veröffentlicht wurden, möchte ich hier einen "Brief an Markus" wiedergeben, der nicht nur originell, sondern auch sehr zeitgemäß ist, weil inzwischen liberale Theorien über die Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift auch Eingang bei den Evangelikalen gefunden haben. W.B.

Mein lieber Markus!

Es war uns eine große Freude, als Dein Brief ankam und wir hörten, daß Du ohne Unfall, munter und gesund, am Orte Deiner Sehnsucht angelangt seiest...
Es war nun recht verständig von Dir, daß Du mir den Katalog der Vorlesungen geschickt und mich um Rat gefragt hast.

Als ich ihn öffnete und den theologischen Speisezettel ansah, da kam mir ein Geruch entgegen, wie zur Zeit, als ich in B. bei der Anatomie vorbeiging. Da steht: Einleitung ins Alte Testament; Einleitung ins Neue Testament! Was denkt sich eine ehrliche Seele unter solchen großen Worten? Da steht: paulinischer Lehrbegriff - johanneischer Lehrbegriff - Synopsis - hebräische Antiquitäten -kirchliche Kunst. - 0 mein Kopf, mein Kopf! Da steht: Dogmatik - Dogmengeschichte - Ethik - Kirchengeschichte - Pastoral-Theologie - Pädagogik -Kanonisches Recht! - 0, Du armer Junge! Ist es einem nicht, als sähe man den armen Lazarus voller Schwären?

Was wird aus Dir werden, mein liebes Kind, wenn all dies Zeug an Deine Nase kommt! Die roten Striche, die Du hier und da gemacht hast, sollen wohl die Vorlesungen anzeigen, die Du zu belegen im Sinne hast? Ich sehe also, daß Du im ersten Semester Enzyklopädie, Einleitung ins Alte Testament und Kirchengeschichte hören willst. Du möchtest also wohl recht bald eine allgemeine Übersicht über das ganze Gebiet der Theologie gewinnen. Ich begreife das. Es liegt im Geiste der Zeit, erst allgemein in der Luft herumzuschwadronieren, um sich in Positur zu setzen, über alles mitzusprechen und erst, wenn das Amt Fähigkeit und Tüchtigkeit erfordert, sich um das Einzelne und Notwendige zu kümmern.

Lieber Junge, wenn Du einen alten Zopf hören willst, so zieh Du die Segel vor diesem Winde ein! Fange Du lieber bei dem Besonderen an, dann sammelt sich das Allgemeine von selbst oben auf, wie Rahm auf der Milch. Wenn ein Professor über

Enzyklopädie liest, so kann das einen an den König Hiskia erinnern, wie er den Gesandten des Königs von Babel alle Kostbarkeiten und Schätze seines Hauses auskramte, um sich wichtig zu machen (des. 39,2). Darüber mußte er dann vom Prophethen das Wort des Herrn vernehmen, daß der ganze Plunder nach Babylon kommen sollte.

Meinetwegen höre Du Enzyklopädie und ihre Kammerjungfer, die Methodologie; rieche an allem herum; aber wisse, daß alles nach Babel adressiert ist, ausgenommen Christus, der Gekreuzigte! Vielleicht wirst Du an all den ekklesiastischen Kostbarkeiten denselben Spaß haben, wie an der Laterna magica, die Deine Tante Dir zugleich mit den ersten Höschen zum Geburtstage schenkte.

Aber nun die Einleitung ins Alte Testament? Was erwartest Du hiervon? Meinst Du, der Herr Professor werde Wort halten und Dich wirklich einführen in das hehre Heiligtum, unter dessen Pforten der Königin von Scheba das Herz zitterte und der Odem ausging? Meinst Du, er werde Dir eine Brücke schlagen über die Kluft, welche zwischen denen, die nach dem Fleisch denken, und dem Berge Zion befestigt ist? Ein lockender Traum! Aber wache, daß er Dich nicht aus aller Ehrfurcht, die Du bisher vor Gottes Wort gehabt hast, herausführe und Dich in den Aberwitz der eigenen Weisheit und in die Unverschämtheit der sogenannten Kritik einleite. Experto crede viro! (Glaub's dem erfahrenen Manne!)

Ich denke noch mit Schaudern daran, was ich in meiner Jugend hören mußte. Ich kam zur Universität mit der Überzeugung, daß alle Schrift von Gott eingegeben sei, wie Paulus den Timotheus gelehrt hat. Der Herr Professor aber, vor welchem ich mich mit unendlichem Respekt niedersetzte, redete von den Büchern Moses als von einem Sammelsurium, welches irgendein levitischer Skribifax aus den und den Quellen zusammengetragen habe.

Wie er auf die Propheten kam, da suchte er uns vor allem klar zu machen, daß es Propheten im eigentlichen Sinne des Wortes gar nicht geben könne; er entblödete sich nicht, Israels gottbegeisterte Zeugen mit den Hexenmeistern der griechischen Orakel zusammenzustellen. Wie ein Kadaver auf der Anatomie, so wurden die Propheten hergenommen, wobei man nichts lernte, sondern nur der ganzen Wissenschaft überdrüssig wurde. So oft in einem Kapitel etwas Wunderbares vorlag, fällte der Herr Doktor das Urteil, daß es unecht sei. Wir arme Schlucker schrieben das Gefasel mit wissenschaftlicher Begeisterung auf und hörten nicht darauf, wie Bileams Esel gegen Bileams Weg protestierte.

Nachdem dieser Priester der Vernunftsgöttin uns den Glauben an Gottes Wort pro viril' (so viel ein Mann leisten kann) geraubt hatte, überlieferte er uns mit hochgezogenen Augenbrauen seinen Kollegen, den Philosophen, damit wir einen neuen Gott suchten und eine neue Welt fabrizierten. Da kamen die Puppen ans Tanzen.

Wenn die alten Götzendiener aus Holz, Stein, Silber oder Gold Götter machten, so fielen sie doch am Ende davor als vor einem Heiligtum nieder; wir aber machten es mit unseren Göttern wie der Töpfer, dem Jeremia zuschaute, mit dem mißratenen Pott, bis wir müde geworden waren und nach Gott gar nicht mehr fragten.

Ach, mein lieber Markus, laß Dich warnen. Jene alten Rationalisten, mit denen wir es zu tun hatten, waren von fern nicht so gefährlich, wie ihre Nachfolger geworden sind, die sich für gläubig ausgeben, Christentum und Philosophie miteinander versöhnen und lehren, Gottes Wort sei wohl in der Schrift, aber die Schrift sei nicht Gottes Wort. Diese Falschmünzer sind im Vergleich zu ihren Vorgängern, was in Ägypten die Heuschrecken waren, welche nach dem erschrecklichen Hagelwetter kamen; die das Land verfinsterten und keinen grünen Halm übrigließen (2. Mose 10).

Als es später Gott gefiel, mir in der Not des Lebens zu zeigen, daß ich ein armer Wurm sei, und ich von neuem anfing, die Schrift sorgfältig zu studieren, welche Wehmut, welche Entrüstung, welcher Zorn über verlorene Zeit hat mich da erfüllt! Markus, laß Dich durch keine Einleitung von der Wahrheit ableiten.

Du weißt doch, was Virgil von der Sybilla gehört hat. Ich denke, Du solltest hierüber mehr Verstand haben als der alte Heide. Ehe Du die Einleitung hörst, vertraue Du Dich der Leitung des Heiligen Geistes an und lies erst das ganze Alte Testament von Anfang bis zu Ende durch. Wirf Dich also mit dem größten Eifer auf die hebräische Sprache. Höre wo möglich jedes Exegetikum. Solange der Dozent bei der Einleitung verweilt, kannst Du die Vorlesungen fröhlich schwänzen; aber sowie er zur Sache kommt, da paß auf und bete, wenn Du kannst, so oft Du über die Schwelle des Hörsaales trittst: "Wende meine Augen ab, daß sie Eitles nicht sehen" (Ps. 119,37).

Da nun Hiob angezeigt ist, so beleg ihn; aber laß Dir nicht Sand in die Augen streuen. Geh den Weg, den der Apostel zeigt, 1. Kor. 3,18, so wirst Du Weisheit finden.

Bei jedem Kapitel, bei jedem Verse frage: Was steht hier? Und wo Du den Zusammenhang nicht auffinden kannst, so schlag an Deinen Kopf oder noch besser an Deine Brust, wie ein gewisser niemand im Tempel zu Jerusalem tat, und sag wenigstens: 0 ich armer Kerl! Denn wenn unsere Vorväter von der Schrift mit Recht behaupteten, daß perspicuitas (Durchsichtigkeit) in ihr sei, so steht es mit unseren Augen bedenklich, wo immer sie uns dunkel erscheint. Tröste Dich nicht damit, daß so manche berühmte Leute auch ratlos umhertappen. Meinst Du, der Apostel rufe umsonst triumphierend aus: "Wo ist der Weise? Wo der Schriftge-lehrte?"(1. Kor. 1,20).

Ich rate Dir, daß Du das erste Jahr ganz ausschließlich auf das Studium des Alten Testamentes verwendest. Wenn Du dann diese Schriften etwas besser kennengelernt hast, dann magst Du meinetwegen die Einleitung auch hören und Dich daran ergötzen, wie sauer es sich die Menschenkinder werden lassen, um Narren zu sein. Wenigstens geht es Dir dann nicht wie den Syrern, die mit verbundenen Augen nach Samaria geführt worden sind (2. Kön. 6,20). In betreff der Kirchengeschichte werde ich Dir ein andermal schreiben, da dieser Brief schon zu lang geworden ist. Stelle sie für das erste Jahr in den Winkel. Wirf Dich in das Meer der Propheten; tauche unter, bis Du auf dem Grunde die Perle findest, die über alle Perlen geht.

Beiliegend sende ich Dir 50 Taler, die ich vorgestern für die schwarze Kuh eingenommen habe. Die Strümpfe wirst Du nächste Woche erhalten. Nun, lieber Markus, es gibt Einen, der hat gesagt: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!" Ich tröste mich und Deine würdige Mutter mit diesem Worte, so oft als uns eine Sorge um Dich überfällt. Gnade und Friede!

Schreibe uns bald und vergiß unsere Liebe nicht! Ich soll Dich auch von der alten Eier-Trina grüßen.

Dein Vater

Philalethes


Nachtext

Quellenangaben