Zeitschrift-Artikel: Kennst du die Krippe Deines HERRN?

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Titel: Kennst du die Krippe Deines HERRN?
Typ: Artikel
Autor: Andreas Fett
Autor (Anmerkung):

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Titel

Kennst du die Krippe Deines HERRN?

Vortext

Kennst du die Krippe Deines HERRN?

Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis. Jes 1,3

Text

Viele Menschen machen in diesen Weihnachtstagen den gleichen Fehler, der einem ungeübten Fotografen unterlief: Im Vorbeifahren sah er ein prächtiges Schloss und wollte rasch ein Foto schießen. Mit seiner vollautomatischen Kamera war das ja kein Problem. Das schmiedeeiserne Tor im Vordergrund sollte das hübsche Motiv angemessen umrahmen. So knipste er begeistert durch das offenstehende Schlosstor. Wie groß war die Enttäuschung, als er sich später die Bilder ansah. Bei den Aufnahmen war jeweils nur das Gitter scharf zu erkennen! Das Schloss im Hintergrund blieb ein diffuses Etwas. Ein ähnlich aussageloses Bild haben viele von der Geburt Jesu. Sie feiern „Weihnachten“, stellen die Krippenszene mit romantischen Figuren um ein behaglich hergerichtetes Kripplein nach. In der weich gepolsterten Wiege liegt ein selig lächelndes Christkind – in „himmlischer Ruh“. Aber ist das nicht ein sehr vordergründiges Bild von dem, was wirklich geschah? Bleibt dabei nicht das Wesentliche unerkannt? Ja, der Szene fehlt leider die „Tiefenschärfe“! Die Krippe von Bethlehem ist doch nur die Rahmenhandlung – sozusagen der Türspalt, durch den sich unser Herr in diese Welt zwängte. Aber wer richtet in diesen Tagen den Sucher auf die Hintergründe? Wer beachtet die wahre Herkunft und die himmelweite Herablassung des Sohnes Gottes? Wie oft wird aus dem unglaublichsten Rollentausch der Geschichte ein sentimentales Rührstück gemacht. Was damals wirklich geschah, ist mit Krippenfiguren nicht nachzustellen! Maria war wahrscheinlich die Einzige, die einen gewissen Einblick – den Durchblick mit etwas Tiefenschärfe – gewann. Alles, was sich im Umfeld der Geburt zutrug, versuchte sie in ihrem Herzen übereinanderzubringen. Sie „bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2,19)

Bethlehem war unbequem

Was muss in Maria vorgegangen sein? Hier sollte sie ihr Kind gebären? In dieser unwürdigen Umgebung? War ihr nicht angekündigt worden, dass sie den Retter, den ersehnten Messias, zur Welt bringen werde?

Du wirst ... einen Sohn gebären ... Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird ewig über das Haus Jakobs herrschen ... (Lk ,31-33).

Und dann? Es kam alles so anders. Ganz anders, als sie es erwartet hatte. Nun lag sie in heftigen Wehen – die Geburt ihres ersten Kindes stand bevor – in fremder, abstoßender Umgebung, ohne Hilfe.

Ein Stall als Kreissaal?

Von wegen prächtiger Thronsaal – ein Tierstall! Und statt Engelsgesang – Eselsgestank! Haben wir überhaupt noch eine Vorstellung von der Erniedrigung des Herrn aller Herren? Maria musste ihn aus Mangel an anderen Möglichkeiten in einen Futtertrog legen. Diesen „Krippenplatz“ machte ihm keiner streitig. Bedauerlicher Weise verstärkt unser modernes Wort „Kinderkrippe“ die Vorstellung von einem Ort der Geborgenheit für Kleinkinder. Doch diese Krippe war alles andere als behaglich. Heutzutage entspräche sein Geburtsort vielleicht einer Altpapiertonne auf irgendeiner Autobahn-Raststätte. Man hatte keinen Raum für ihn. Seine Wiege war unsauber, ungeschützt, ungeheizt – ungeheuerlich! Der Herr Jesus Christus wurde ohne jeden Komfort und ohne jegliche kompetente Hilfe geboren. Was für ein Start! Dieser neugeborene Säugling im Steintrog war arm, ausgestoßen. Das Kind in der Krippe hatte keine sanitären Anlagen, keinen Sonderstatus, keine Starthilfe. Er kam mit leeren Händen zur Welt. Wie du und ich – ganz Mensch! Wahrscheinlich war die Krippe, in die man den Neugeborenen legte, aus Stein. In Israel benutzte man Futtertröge aus Sandstein. Demnach glich seine Wiege einem Sarkrophag. Wir werden geboren, um zu leben – er wurde geboren um zu sterben – für uns!

Krippe ohne Kreuz ist Kitsch

Inkarnation und Passion gehören unzertrennbar zusammen. Brot und Wein sind zwei Seiten der einen Medaille: Er ist das „Brot“, das vom Himmel kam. Bethlehem bedeutet Brothausen. Er kam auf diese Erde, um sein Leben hinzugeben – sein Blut zu vergießen. Der Neuankömmling trat aus einer ganz anderen Wirklichkeit in unsere Welt. Bisher bewohnte er ein unzugängliches Licht. Seine Heimat war die Herrlichkeit des Vaters. Und jetzt? Von Jesu Geburt kann man nicht sagen, dass er das Licht der Welt erblickte. Ganz im Gegenteil: Das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat‘s nicht erfasst, nicht begriffen, nicht gemerkt (Joh 1,5). Ein Bekannter berichtete mir, wie er auf einer Freizeit abends zwei Blinde auf ihr Zimmer begleitete. Nachdem er die beiden in ihrem Schlafraum abgeliefert hatte, verabschiedete er sich und wollte die Tür hinter sich zu ziehen. Da rief einer der beiden Blinden: „Hast du vergessen das Licht auszumachen? Wir brauchen das nicht!“ Und so blieben die beiden im Dunkeln. Das entspricht der geistlichen Wirklichkeit in der wir leben. Anscheinend braucht man Jesus nicht. Der Herr kam nachts. Den Hirten bei der Nachtschicht wurde mitgeteilt: Euch ist HEUTE ein Retter geboren! (Lk 2,11) Der jüdische Tag begann mit dem Sonnenuntergang. Folglich wurde Jesus in den Nachtstunden geboren. Nacht! Das war ihm bis dahin unbekannt – im Himmel gibt es keine Nacht (1Joh 1,5). Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen; die da wohnen im Land des Todesschattens, Licht hat über sie geleuchtet. (Jes 9,2) Er tauchte ein in unsere Finsternis. Unser deutsches Wort „Gnade“ ist wahrscheinlich abgeleitet von einer Redewendung. Wenn unsere Ahnen der Sonne zusahen, wie sie niedersank und am Horizont die Erde zu berühren schien sagte man: „Sie genaht" – sie nähert sich. Die Sonne kommt herab: Das ist Weihnachten! Gott kommt nicht nur nah, sondern er nimmt teil an unserem Jammer. Paul Gerhardt drückt es so aus:
Ich lag in tiefer Todesnacht.
Du wurdest meine Sonne,
die Sonne die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.

Der Gebundene kommt frei

In Lukas 13,15 finden wir die Krippe noch einmal. Dort heißt es, dass Ochse und Esel am Futtertrog fest angebunden waren – vermutlich an einem eingelassenen Eisenring. Vielleicht war auch Jesu Krippe ein Anbindetrog. Lesen wir mit dieser Vorkenntnis Lukas 19, dann stoßen wir erneut auf eine Krippe, an der ein Eselsfohlen angebunden war. Aber Jesus sagte: „Bindet es los, macht es frei, bringt es zu mir!“ Und dann ritt er mit diesem „Losgebundenen“ als König nach Jerusalem – und damit in seinen sicheren Tod. Ja, unser Erlöser verfolgte eine klare Spur von der Krippe bis zum Kreuz. Bethlehem und Golgatha liegen auf einer Linie. Jesus nahm Fleisch und Blut an (Bethlehem), damit er durch seinen Tod (Golgatha) alle, die an ihn glauben, vom ewigen Tod befreien konnte (Hebr 2,14). ■

Nachtext

Tief neigt der Himmel sich zu Armen.
Immanuel wollt‘ sich uns nahn.
Gott wurde Mensch, o welch Erbarmen.
Du, sein Volk, bete staunend an.
Wer kann dies Lieben voll erfassen?
Hier unter Sündern ziehet ein,
Er, den das Weltall nicht kann fassen,
will vollkommener Diener sein.
Tiefer noch muss die Liebe gehen:
Hat sich an unsern Platz gestellt.
Er hing am Kreuz in Schmach und Wehen,
starb für eine verlor‘ne Welt.

Quellenangaben