Zeitschrift-Artikel: Stehlen und amüsieren ist nicht alles…

Zeitschrift: 77 (zur Zeitschrift)
Titel: Stehlen und amüsieren ist nicht alles…
Typ: Artikel
Autor: Sylvana Wiegand
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 1918

Titel

Stehlen und amüsieren ist nicht alles…

Vortext

Text

Eine Sinti kommt zum Glauben

Vor 36 Jahren wurde ich in Bayreuth als erstes Kind von fünf Geschwistern in einem liebevollen Elternhaus geboren. Meine Eltern sind Sintis und unsere Religion war ein Gemisch aus Katholizismus, Okkultismus und eigenen Überlieferungen. Maria war die einzige Person unserer Verehrung - zu ihr beteten wir und an sie glaubten wir als an unsere Beschützerin und Segensbringerin. So wurde ich auch katholisch getauft. Eine Bibel habe ich nie in meinem Elternhaus gesehen.

Meine Jugendzeit war ausgefüllt mit Amüsieren und Ausgehen. Owohl mein Vater sehr darauf achtete, daß wir nicht rauchten und tranken, trieben wir jungen Mädchen uns doch oft in Wirtschaften herum. Zuhause hatte ich das Stehlen nicht gelernt, aber weil viele meiner Kameraden klauen gingen, machte ich bald mit, und auf diese Weise besorgte ich mir schöne teure Kleider, Dinge für die Schule und Schleckereien.

Unseren Eltern erzählten wir natürlich nicht die Wahrheit. Ich hatte immer irgendeine Tante an der Hand, die mir angeblich die Kleider spendierte. Meinen strengen Vater konnten wir erweichen uns ausgehen zu lassen, indem wir sein Auto putzten, die Wohnung mit Saubermachen auf den Kopf stellten, oder ihm einfach beständig bittend und bettelnd in den Ohren lagen.

Mit 18 schon Mutter

Mit 18 Jahren lernte ich meinen Mann Mopso kennen. Wir waren uns bald einig, daß wir heiraten würden. In Hamburg angekommen erwartete mich nicht nur mein Mann, sondern auch zwei kleine Kinder aus erster Ehe. So war ich schon mit 18 Jahren Mutter von zwei Kleinkindern und das unbeschwerte, lustige Leben war vorbei.

Auf unserem Platz in Hamburg-Veddel stand damals noch zwischen den Wohnwagen die "Hütte Geborgenheit", eine kleine Kirche aus Holz, in der das Evangelium von Jesus Christus verkündigt wurde. Aus Neugier ging ich ab und zu hin, verstand aber nichts.

Als unser erstes Kind unterwegs war, kam mein Mann ins Gefängnis und ich war nun viel allein. Sollte das alles sein, was man unter "Leben" versteht? Einsam, jung, ans Amüsieren gewöhnt, drei kleine Kinder und der Mann im Knast - ich merkte, daß ich selber auch eine Gefangene war. Aber ich wollte leben!

Während dieser ersten Ehejahre wurde ganz in unserer Nähe eine Zigeunersiedlung gebaut und die "Hütte Geborgenheit" zog mit um. Wenn ich aus meinem Fenster schaute, hatte ich diese kleine Kirche unmittelbar vor der Nase. Ich konnte die Leute beobachten, wie sie zum Gottesdienst gingen.

"Was machen die da drin?" dachte ich. "Manche sehen so fröhlich aus. Die müssen sicher sehr glücklich sein. Und ich?"

Und je mehr ich diese Menschen beobachtete, umso mehr wurde mir bewußt, daß mir etwas fehlte. Hatten sie vielleicht das Leben, nach dem ich suchte?

Eine Flamme, von Gott angezündet

Meine innere Unzufriedenheit kam durch häufigen Streit mit meinem Mann und den Kindern zum Ausdruck. Außerdem kam ich mir in diesem großen Hamburg wie eine Fremde vor, weit weg von meiner Heimat und meiner Sippe. Ich war bereits Mitte zwanzig, als ich das erste Mal den Schritt über die Schwelle der "Hütte der Geborgenheit" wagte. "Nur für Sünder" stand über der Eingangstür. Meine Einsamkeit und die innere Leere zogen mich dorthin. Als ich mich umschaute und dann auch versuchte, etwas von der Botschaft zu verstehen, merkte ich gleich: Hier ist etwas anderes, etwas, das du nicht kennst. Aber was und wer?

Zuerst war es die Atmosphäre, die mich anzog, die fröhlichen Lieder, die von Geigen und anderen Instrumenten begleitet wurden, und die Gebete. Ich ging nun regelmäßiger in die Gottesdienste und nach und nach erkannte ich, daß der Sohn Got-tes mich lieb hat und Sünden vergibt. Es kam eine große Sehnsucht in mein Herz, wie bei dem kleinen Mann Zachäus: Er begehrte Jesus zu sehen, wer er wäre. Ich begehrte Ihn auch und wollte Ihn unbedingt kennenlernen. Nach einer Botschaft hielt ich es nicht mehr aus: Heute, so wußte ich, wollte ich den Herrn Jesus in mein Herz aufnehmen, auf der Stelle. Mit einer gläubigen Frau betete ich und übergab mein Leben dem Herrn Jesus. Was für eine Freude strömte da in mein Herz. Es war wie eine Flamme, die Gott selbst angezündet hatte.

Vor allen Leuten und natürlich auch vor meinem Mann erzählte ich von dem neuen Leben, das Gott mir geschenkt hatte. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich damals in der ersten Liebe zum Herrn Jesus stand und wie mein Leben wie eine deutliche Posaune und ein strahlendes Feuer war, so sehne ich mich heute nach dieser herrlichen Zeit zurück.

Eine Bekehrung zieht Kreise

Trotz meiner Bekehrung ging ich noch weiter auf "Klautour". Das war eine feste Gewohnheit in meinem Leben. Eines Ta-ges aber wurde das Gewissen doch wach und ein innerer Kampf begann. Eine Stimme flüsterte: "Noch einmal, dann hörst du auf. Nur noch diesmal, ein Geburtstagsgeschenk oder Sachen für die Kinder." Aber die andere Stimme rief lauter und lauter: "Aufhören!"

Nach vielen Gebeten und seelsorgerlichen Gesprächen wurde ich endlich davon frei.

Nach meiner Bekehrung erzählte ich meinen Eltern und Geschwistern in Bayreuth voller Begeisterung, was ich erfahren hatte. Ich wußte nicht viel, aber das Wenige brannte mir auf dem Herzen: Der Sohn Gottes ist für uns Menschen am Kreuz gestorben, damit wir gerettet werden können. Ich liebte meine Angehörigen und der Gedanke, daß sie verloren gehen könnten , war mir unerträglich. So flehte ich sie an, doch auch Jesus zu suchen und sich von Ihm retten zu lassen. Doch sie reagierten nur abweisend: "Laß mal, wir wollen diese neue Religion nicht, wir sind auch so glücklich, wir sind so aufgewachsen und dabei wollen wir bleiben."

Traurig fuhr ich wieder nach Hamburg zurück. Durch die Predigten, Bibelstunden und das eigene Lesen der Bibel wurde mein Glaube gefestigt und das blieb auch meinen Eltern nicht verborgen. Als sie uns einmal in Hamburg besuchten und ihr erster Blick auf einen Bibelvers über unserer Tür fiel, schmunzelte mein Vater und winkte ab: "Das laß mal." Aber wir ließen nicht locker, die Liebe Christi drängte uns.

Nachdem ich etwa zehn Jahre für meine Familie gebetet hatte, starb meine gläubige Schwiegermutter. Als meine Eltern und Geschwister zur Beerdigung kamen, waren ihre Herzen offen für das Evangelium und für Gespräche über den Glauben. In diesen Tagen wurde bei uns in der Nähe eine Evangelisation durchgeführt. Dort bekehrte sich mein Mann Mopso und mein ungläubiger Vater überbrachte mir diese gute Nachricht.

Als meine Familie wieder nach Bayreuth zurückfuhr, hatte Schwester Gertrud Wehl Kontakt zu einer Gemeinde dort aufgenommen und ermutigte meine Familie, dort in die Gemeinde zu gehen. Es dauerte nicht lange und meine ganze Familie kam zum Glauben. Zuerst bekehrte sich meine Mutter bei einem Frauentreffen. Dann mein Vater, meine fünf Geschwister mit ihren Ehepartnern und unsere Oma. Seit meine Familie in diese Bayreuther Gemeinde geht, ist die Gemeinde richtig lebendig geworden. Sie freuen sich über die große Bereicherung durch die gläubige Zigeunerfamilie.

Bald entstanden einige Hauskreise, in die andere Zigeuner eingeladen wurden. Auch davon kamen einige zum Glauben und so entstand bald mit dem Einverständnis der Gemeinde eine eigene Zigeunergemeinde in Bayreuth.

Wenn ich über die Wege Gottes in meinem Leben nachdenke, kann ich nur meinem Herrn danken, wieviel Segen ich erleben durfte. Ich wollte eigentlich nie von zu Hause weg und auch heute noch fällt es mir schwer, von meinem Elternhaus getrennt zu leben. Aber der Herr Jesus hat mich durch die Heirat herausgeführt, um seine Pläne zur Errettung meiner Familie zu erfüllen. Dafür preise ich Ihn!

Nachtext

Quellenangaben