Zeitschrift-Artikel: Wer den Namen des Herrn anruft ...

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Titel: Wer den Namen des Herrn anruft ...
Typ: Artikel
Autor: Carolin
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Titel

Wer den Namen des Herrn anruft ...

Vortext

Text

Tarik und Samira* mit ihren drei Kindern zwischen 5 und 11 Jahren entschließen sich zur Flucht aus Afghanistan. Dabei ahnen sie nicht, wie dramatisch die Wochen sein werden, die vor ihnen liegen ... › leben unter Bedrohungen Bisher wohnte die junge Familie in einer kleinen Stadt nahe Masar-i-Sharif. Der permanente Terror der Taliban und die Bedrohung durch Drohnenangriffe veranlassten sie jedoch, Zuflucht im Ausland zu suchen. Bisher hatte Tarik als Fliesenleger gearbeitet. Seine Frau Samira war als Hauslehrerin tätig. Aber genau das erwies sich als Ärgernis: Örtliche Talibanführer drohten ihr und der Familie mit dem Tod, da das für eine islamisch-afghanische Frau nicht schicklich sei. Ausgerechnet ihr Cousin aus dem Nachbarort tat sich als der größte Scharfmacher hervor. Immer wieder setzte er Samira unter Druck. Als die Drohungen ernster werden, entschließt sich die Familie spontan zur Flucht. Weder planen sie eine genaue Route, noch teilen sie ihr Vorhaben irgendjemand mit. Nur mit dem, was sie am Körper tragen und ihrem Ersparten brechen die Fünf auf. Am Tag halten sie sich meist versteckt und versuchen zu schlafen. Im Schutz der Nacht laufen sie los – alles zu Fuß. Als Familie würden sie bei Tageslicht sofort als Flüchtende erkannt und von den Taliban erschossen werden. Fast immer schlafen sie unter offenem Himmel. Oft setzt ihnen im Schlaf der Regen zu. Durch unbewohnte Gebiete und über Berge gelingt es ihnen, in den Iran zu entkommen. Dort wohnt bis heute Samiras Mutter, bei der sie Unterschlupf finden. Im Iran können sie sich auch das erste Mal neue Sachen zum Anziehen kaufen. Allerdings wird Tarik im Iran von der Polizei aufgegriffen und verhaftet. Er soll als Kämpfer nach Syrien geschickt werden. Doch das kann Samira nicht zulassen. Hartnäckig bleibt sie auf der Polizeiwache, weint und bettelt unablässig, dass er doch Vater von drei Kindern sei, und sie ihn freilassen sollen. Und tatsächlich: Tarik wird auf Samiras Drängen hin wieder entlassen. Vom Iran laufen sie dann – meist wieder nur nachts – bis in die Türkei. Als Flüchtlinge können sie dort vorüber- gehend eine Wohnung bekommen und Tarik versucht, schwarz auf dem Bau zu arbeiten. Auf einer Baustelle hat Tarik einen Kollegen, der ihm sehr Nachteiliges über den Islam mitteilt. Das kann Tarik gar nicht verstehen. Dieser Kollege erzählt Tarik ständig Geschichten von Jesus, dem Sohn Gottes. Da er Jesus als einen Propheten aus dem Koran kennt, ist Tarik sehr interessiert und hört zu. Dies ist sein erster Kontakt mit einem Christen. › Aufbruch ins „verheißene“ land Die Familie verbringt insgesamt etwa ein Jahr in der Türkei. Dort kommt auch ihr viertes Kind zur Welt. Tarik sucht seit geraumer Zeit einen zuverlässigen Schlepper, der sie nach Griechenland – in das sichere Europa – bringen wird. Diese Menschenschleuser nden sich problemlos am Strand und bieten ihre Hilfe an. Jeder verspricht den „besten Preis“ und bietet für die Überfahrt Verpflegung und ein gutes Boot an. Tarik geht auf ein günstiges Angebot ein und sie vereinbaren einen Treffpunkt. Endlich kommt der Tag der vermeintlichen Überfahrt. Zusammen mit weiteren Fluchtwilligen verstecken sie sich in einem Wäldchen an der Küste, da es immer wieder Polizeikontrollen gibt. Dort harren sie insgesamt eine Woche ohne Essen aus. Die Schlepper kommen immer mal wieder kurz vorbei und machen weitere Versprechungen: „Heute nicht, aber morgen!“ – „Essen kommt bald!“ Aber es kommt nichts. So geht das eine ganze Woche. Dann an einem Morgen kommen die Schlepper und sagen: „Es ist soweit.“ Das ist 11 Uhr am Vormittag. Die Polizei lässt sich von den Schleppern bestechen und tut so, als ob sie nichts sieht ... Ganz gegen die Abmachung ndet die Familie ein sehr schlechtes Boot und natürlich kein Essen. Sie werden mit etwa 60 Personen und allen Gepäckstücken auf engs- ten Raum gedrängt. An Bord kann man sich kaum noch bewegen. Die Schlepper ernennen einfach einen, der in Motornähe sitzt, zum Kapitän. Per GPS-Daten wird ihm die ungefähre Richtung gewiesen und schon knattert der Außenborder los. In dem hoffnungslos überladenen Boot sitzen viele unterschiedliche Nationalitäten. › den tod vor Augen Die Überfahrt in griechische Gewässer dauert insgesamt nur etwa zwei Stunden. Doch wider Erwarten kommt nach kurzer Zeit starker Wind auf. Es braut sich etwas zusam- men und die Wellen gehen hoch und höher. Seewasser schlägt ins Boot. Der völlig überladene Kahn füllt sich mehr und mehr mit Wasser. Dann fällt auch noch der Motor aus. Viele weinen und schreien. Tarik und Samira machen sich bewusst, dass ihre Familie verloren ist. Bei diesem Wel- lengang können sie nicht mal ihr eigenes Leben retten, 8 fest und treu 03/2016 geschweige denn das der Kinder. Todesangst und Panik ergreift selbst die Mutigsten an Bord. Doch dann stellt sich mitten im Sturm eine Frau auf. Sie reckt ihre Arme gen Himmel und schreit immer wieder laut zu Jesus um Hilfe. Jeder an Bord kann genau hören, wen sie anruft. Tarik denkt nur: „Die muss wahnsinnig sein. Das ist glatter Selbstmord. Für jeden Muslim ist das Gotteslästerung. Gleich werden sie die Frau über Bord werfen.“ Doch plötzlich läßt der Sturm nach und das Meer wird ruhiger. Der Zusammenhang mit dem Gebet der Frau ist für alle mit Händen zu greifen. Ein unfassbares Wunder ist geschehen. Auch der Motor springt wieder an. Nachdem sie das Wasser aus dem Boot geschöpft haben, können sie ihren Kurs Richtung Griechenland fortsetzen. › „Wenn wir das hier überleben ...“ Tarik sagte sich damals im Boot: „Wenn wir das hier überleben sollten, dann muss es diesen Jesus geben. Dann will ich an ihn glauben.“ Nicht lange danach erreich- ten sie die griechische Küste. Die Beterin aus dem Boot erzählte ihnen bereitwillig viele Geschichten aus der Bibel. Gespannt hörten sie zu. Noch am Strand hat die Familie ihr Leben Jesus übergeben. Von der Insel aus ging es dann mit einem großen Schiff nach Athen ans Festland. In Griechenland konnten sie auf einem Spielplatz in einem Zelt unterkommen. Immer wieder bekamen sie auch christliche Traktate. Sie fanden dort einen Mann, der sie in einem Kastenwagen, natürlich gegen Bezahlung, Richtung serbische Grenze brachte. Kurz vor der Grenze setzte er sie an einem Bahnhof ab. Ein vollgestopfter Zug brachte sie dann über die Grenze nach Serbien. Wegen Überfüllung wurde dieser nicht kontrolliert. Mitten in der Nacht verließen sie dann auf serbischer Seite den Zug und nach zwei Stunden Fuß- marsch schliefen sie in irgendeinem Stall. Der Fußmarsch ging dann weiter über Albanien nach Ungarn. Mittlerweile waren sie mit ganzen Flüchtlingsscharen unterwegs. In Ungarn fanden sie wieder jemanden, der sie in einem Laster durch Ungarn, Österreich bis hinein nach Deutschland fuhr – komplett ohne Kontrolle an den Grenzen. › Erstaunliche Begegnungen ... In Deutschland kamen sie in eine Erstaufnahme-Einrichtung. Die ersten Menschen, mit denen sie näher Kontakt hatten, war eine christliche Familie aus Afghanistan. Von dort aus kamen sie in ein Camp auf einem Zivil ugha- fen und von dort nach Dickenschied. Geich nach ihrer Ankunft habe ich – Carolin – sie besucht. Ich nahm Spielsachen, Kleidung, Schulsa- chen und eine Bibel in Persisch, sowie einen christlichen Kalender mit. Natürlich habe ich nicht gewusst, dass sie schon gläubig waren. Meine Schwester sagte mir damals: „Nimm beim ersten Besuch eine Bibel mit, damit sie direkt wissen, dass du gläubige Christin bist.“ Kurze Zeit später lud ich sie zu uns in die Gemeinde ein, da wir ein Ferienprogramm für Kinder hatten: die Legotage. Jedes einzelne Wort habe ich per Wörterbuch übersetzt. Die Kinder, und manchmal auch die Eltern, kamen mit in die Gemeinde und hatten an diesen Tagen einen riesen Spaß. Eine Woche später stand ich bei der Familie im Wohn- zimmer. Da hielt Samira die Bibel an ihr Herz und sagte: “Ich liebe Jesus!“ Das war ein sehr schöner Moment in meinem Leben. Mit Tränen in den Augen stand ich vor ihr und freute mich so mit. Dass sie schon auf der Flucht zu Jesus fanden, habe ich erst etwa vier Monate später über einen Dolmetscher erfahren. Als dabei Tarik die Geschichte ihrer Überfahrt wiedergab, musste er noch immer heftig zittern. Tarik und Samira ngen dann auch einen Online- Bibelkurs in ihrer Sprache an. Die Kinder besuchen seit- dem die Jungschar oder den Teenkreis der Gemeinde. Die Familie kommt sonntags in unsere Gemeinde, obwohl sie fast nichts versteht. Ich fragte sie, warum sie trotzdem so treu kommen. Tarik sagte: „Die Gemeinschaft und das Singen. Und beten kann ich in meiner Sprache.“ Zwischendurch begleiten wir die Familie in eine per- sisch sprechende Gemeinde nach Mainz. In diesem Mai durften wir dann ihre Taufe in unserer Gemeinde feiern. Das war ein sehr besonderes Erlebnis.

Nachtext

* Zum Schutz der Familie sind die Eigen- und Ortsnamen verändert. Carolin – ihre neue Nachbarin aus Deutschland – hat uns die Geschichte aufgezeichnet. Alle Personen sind der Redaktion bekannt.

Quellenangaben