Zeitschrift-Artikel: Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft

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Titel: Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft
Typ: Artikel
Autor: A.W. Tozer
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Titel

Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft

Vortext

Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft - A.W. Tozer

Die heutigen evangelikalen Kirchen befinden sich in der „babylonischen Gefangenschaft“.

 

 

 

Text

Als Israel in Babylon war, hörte es nicht auf, Gottes Volk zu sein. Aber es stand nicht mehr in Gottes Willen. Es war nicht mehr im Heiligen Land, sondern in einem anderen Land. Gott ging den Israeliten auch dort nach und brachte sie schließlich wieder zurück, aber dort in der Fremde konnten sie nicht das Lied des Herrn singen; sie waren in der Fremde, nicht in der Heimat.

An den Wassern Babels

Heute ist die Kirche Christi in der „babylonischen Gefangenschaft“. Wir leben unter Menschen, die eine andere Sprache sprechen. Wir sind dabei, ihre Sitten zu lernen, ihre Moral und ihren Lebensstil zu übernehmen. Die Kirche, die so erbärmlich Unzucht mit der Welt treibt, braucht Erlösung und Erneuerung. Liebe Brüder, solange diese Erneuerung nicht geschehen ist, solange keine Reformation kommt, welche die Kirche Christi zurück in ihre Heimat führt, zurück in das „Heilige Land“, wo Gottes Herrlichkeit wohnt, zurück zu den Maßstäben des Neuen Testaments, kann noch so viel Evangelisation nur dazu führen, dass weitere Kinder in „Babylon“ geboren werden. Bis die Herrlichkeit Gottes wieder über uns erstrahlt, wird jeder, der wiedergeboren wird, in Babylon geboren. Und alle Evangelisation, wie erfolgreich sie auch sein mag, wird nur „neue Juden in Babylon“ hervorbringen, neue Christen, die nicht dort sind, wo sie sein sollten. Bedenken wir: Solange wir nicht geheilt sind, solange die Kirche nicht geheilt ist, werden auch unsere schönsten Bemühungen in der Äußeren Mission nichts nutzen, denn sie werden nichts anderes sein als das Umsetzen „christlicher Krüppelsträucher“ in einen fremden Boden. Ihr Missionare, vergesst es nie: Ihr könnt nichts aufbauen, was besser ist als ihr selber. Im Schöpfungsbericht heißt es, dass die verschiedenen Pflanzen Früchte tragen sollen „nach ihrer Art“. Wenn wir einen Missionar nach Afrika schicken, der ein billiges Gottesbild und nette kleine Chorusse im Kopf hat, wird er Christen produzieren, die auch ein billiges Gottesbild und nette Chorusse haben. Er wird ein degeneriertes Christentum in ein anderes Land verpflanzen – das ist alles.

Wir brauchen eine Reformation der gesamten Kirche

Wenn diese Reformation kommt, werden wir auch mehr Missionare bekommen – Missionare, die (...) eine höhere Art von Christentum verbreiten werden. Einige von euch denken jetzt vielleicht: „Das klingt mir aber komisch, das habe ich noch nie gehört. Sind wir Christen nicht alle gleich?“ Nein. Es sind nicht alle Christen gleich. Die einen bringen 30-fältig Frucht, andere 60-fach, wieder andere 100-fach. Manche leuchten wie die Sterne am Himmel, aber die einen leuchten hell, die anderen weniger hell, und manche entdeckt man nur mit einem Teleskop. Paulus hat gesagt: „Einige von euch sind fleischlich, und andere geistlich.“ Der Autor des Hebräerbriefes schreibt: „Und ihr, die ihr längst Lehrer sein solltet, habt es wieder nötig, dass man euch die Anfangsgründe der göttlichen Worte lehre, und dass man euch Milch gebe und nicht feste Speise“ (Heb 5,12). Der christliche Glaube kann sehr hoch sein, er kann mittelmäßig sein und er kann sehr niedrig sein. Die Art Christentum, die wir heute in unseren Bibelschulen, Seminaren, Zeitschriften, Bibelkonferenzen und Freizeiten predigen, ist eine drittklassige, dekadente Form des christlichen Glaubens. Es ist nicht mehr der hohe, heilige, geisterfüllte, gottesfürchtige, demütige, freundliche, liebevolle Glaube, den unsere Väter kannten, ja den wir noch vor 50 Jahren kannten. Solange es keine neue Reformation gibt, wirken all unsere Bücher und Seminare und Zeitschriften nur so wie Bakterien im Schimmel einer dekadenten Kirche (...) Wenn wir – wir alle – zurück zu Gott fänden, wenn wir uns nicht mehr vom Radio und vom Fernsehen und den Zeitungen und Nachrichtenmagazinen und der Sportschau beherrschen lassen würden und wieder neutestamentlich im echten Sinne des Wortes wären, dann würde es mit uns und mit unseren Gemeinden und Zeitschriften und Missionaren aufwärts gehen, dann würde etwas geschehen, dann würden wir in dieser Atmosphäre echte Jünger machen (...)

Wofür wir beten sollten

Das ist es, worum wir beten sollten: dass die Herrlichkeit Gottes wieder offenbar wird, dass wir aufhören, Witze über Gott zu machen, dass wir nicht mehr unwürdig über ihn denken, dass Gott unser Ein und Alles wird. Und dass seine Kirche wieder das wird, was sie nach dem Neuen Testament sein sollte.
Darum müssen wir beten, Brüder!
Einige von uns beten auch so, aber da ist eine Schlange im Garten – die Schlange unseres Ichs. Sie windet sich um die schönsten Bäume, bereit, unsere Gebete zu vergiften und zu zerstören. In Jakobus 4,3 heißt es: „Ihr bittet und empfangt nichts, weil ihr in übler Absicht bittet, nämlich damit ihr‘s für eure Gelüste vergeuden könnt.“ Brüder, es ist möglich, dass jemand will, Gott möge seine Herrlichkeit offenbaren und auch darum betet, aber mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass er selber derjenige ist, den Gott als Kanal dieser Offenbarung benutzt. Seht ihr, was ich meine? Es kann passieren, dass ich auf meine Knie gehe, vielleicht sogar eine Mahlzeit auslasse und faste und bete: „O Gott, lass deine Herrlichkeit den Menschen offenbar werden“ – und gleichzeitig hoffe ich klammheimlich, dass ich der Mensch sein werde, den Gott benutzt, um seine Herrlichkeit zu zeigen. Was tue ich, wenn ich so denke? Ich verlange eine Provision, ich verlange meinen Anteil an Gottes Herrlichkeit. (...) Jawohl, das gibt es: Du willst, dass Gott die Kirche aus ihrer babylonischen Gefangenschaft zurückführt, aber du möchtest bitte sehr den Führer machen. Wenn du so betest, kannst du dir dein Beten sparen. So etwas ist möglich: Wir wollen, dass die Mauern Jerusalems wiederaufgebaut werden – wenn wir Nehemia sein dürfen. Wir wollen, dass die Baalspropheten besiegt werden – wenn wir als ein zweiter Elia das Feuer vom Himmel herabrufen dürfen. Wir wollen eine neue Reformation – wenn wir Martin Luther sein und sagen dürfen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.“ Wir möchten, dass Gottes Armee den Krieg gewinnt, aber es wäre doch schön, wenn wir anschließend als Befehlshaber die Siegesparade anführen könnten. Wir möchten, dass die Kirche Christi über ihre Feinde triumphiert, und machen uns gerne nützlich in ihr, damit uns nachher alle loben und sagen, wie viel wir für den Sieg gearbeitet haben. Wir möchten, dass unser Bibelkreis zur Ehre Gottes wächst – und dass es anschließend heißt: „Schaut euch den Soundso an, der hat die Gruppe von zehn auf zwanzig Leute hochgezogen.

Keine selbstsüchtigen Gebete

Brüder, wir müssen unsere Herzen zu Gott erheben und so beten: „O Herr, lass deine Ehre groß werden, ob nun durch mich oder ohne mich.“ So müssen wir beten, sonst beten wir selbstsüchtig (...) Ich weiß: Einige von euch müssen jetzt ihr Riechfläschchen hervorholen, damit sie keinen Ohnmachtsanfall kriegen. Aber keine Angst, ihr werdet es überleben (...) Ich erinnere mich an einen Evangelisten, der in einer Gemeinde eine Evangelisationswoche durchführen wollte. Ein paar Tage bevor er kam, schickte der Pastor ihm ein Telegramm: „Haben Erweckung.“ Der Evangelist telegraphierte umgehend zurück: „Wartet damit, bis ich da bin.“ Das klingt lustig, aber es ist alles andere als lustig. Es ist traurig. Diesem Evangelisten war seine eigene Ehre wichtiger als die Gottes. Aber wahrscheinlich werden durch ihn Seelen gerettet. Du sagst also: „Bruder, lass ihn nur machen, durch ihn werden Menschen wiedergeboren.“ Jawohl, durch ihn werden „Brutkastenbabys“ in Babylon geboren. Wenn er sein Leben mit Gott ins Reine brächte, würde er „Zehn-Pfund- Prachtkinder“ zur Welt bringen, die keinen Brutkasten bräuchten und von Geburt an in ihrer wahren Heimat wären. Das ist der Unterschied. Machen wir Schluss mit der Vorstellung, dass etwas richtig ist, weil doch Menschen zum Glauben kommen. Es ist kein Kunststück, wenn ein Jude in Babylon geboren wird. Ganze Generationen sind dort zur Welt gekommen. Wir müssen bereit werden, so zu beten: „Gott, erhöre mein Gebet! Ob du mich dabei benutzt oder nicht, ist egal, wenn du es nur erhörst! Verherrliche dich in unserer Mitte. Sende Missionare aus. Wenn du aus einer anderen Kirche mehr aussenden willst als aus meiner, ist mir das recht. Schicke uns eine Erweckung, und wenn du dabei die Gemeinde XY segnen willst und nicht meine, ist das in Ordnung!“
So müssen wir beten.
Vielleicht möchte Gott woanders anfangen. Vielleicht möchte er das Feuer der Erweckung in einer anderen Kirche anzünden, und erst später springt es auch auf unsere über. Ihr müsst bereit sein, zu beten: „O Herr, baue die Mauern Jerusalems wieder auf, und tue das mit wem du willst. Wenn du möchtest, dann lass auch mich einen Ziegelstein legen, und wenn nicht, stehe ich gerne daneben und freue mich darüber, wie die Mauer emporwächst.“Gott, führe du deine Kirche zurück ins Heilige Land. Wenn du mich dabei benutzen möchtest, freue ich mich, und wenn nicht, freue ich mich trotzdem, dass deine Gemeinde wiederaufgebaut wird. O Gott, zeige dich in unserer Mitte, und wenn du dies durch mich tun willst, ist das gut, und wenn nicht, dann unterstütze ich den Mann, den du als deinen Diener benutzt. Ich werde ihn lieben, ich werde nicht auf ihn neidisch sein, ich werde für ihn beten und halt hinter den Kulissen, wo mich keiner sieht, arbeiten und trotzdem mein Bestes geben.
So müssen wir beten.
Darf ich euch etwas fragen? Könnt ihr so beten: „O Herr, belebe deine Kirche, egal, was es kostet, egal, was es auch mich kostet. Wecke deine Kirche wieder auf – und wenn ich dafür gehen muss!“ Es ist ein schrecklicher Gedanke, Brüder, aber es gibt Gemeinden, in denen muss erst jemand sterben, bevor es mit ihnen aufwärts gehen kann. Ein furchtbarer Gedanke (...)

Was werden wir tun?

Das Gebet ist eine mächtige Waffe. Aber manchmal beten wir selbstsüchtig und Gott erhört uns nicht. Und trotzdem, trotz Teufel und Fleisch, müssen wir beten und nicht nachlassen, müssen unsere Fehler korrigieren und weiterbeten, ohne Unterlass (...) Wo ich hingehe, predige ich dieses: Erstens: In unseren Tagen haben wir die Herrlichkeit Gottes verloren. Unser Gott ist ein billiger Gott, der es kaum wert ist, dass man vor ihm niederkniet. Der wahre Gott, der Vater Jesu Christi und Gott Abrahams, sitzt auf seinem himmlischen Thron, und der Saum seines Gewandes füllt den Tempel. Wir müssen neu entdecken, was Ehrfurcht und Anbetung und ein tiefes Bewußtsein der Gegenwart Gottes ist. Zweitens: Die Kirche muss wieder zurück zu dem, was sie im Neuen Testament war (...) Ich weiß nicht, ob ich sie ertragen könnte, die Erkenntnis, dass wir uns an fleischliche Methoden, fleischliche Philosophien, fleischliche Ansichten und fleischlichen Schnickschnack verkauft und damit die Herrlichkeit Gottes verloren haben. Ich weiß nicht, ob ich es schaffen würde, rein menschlich gesprochen. Aber ich möchte, dass Gott seinem Namen Ehre verschafft und seine Kirche wieder aufbaut, und wenn er sich dazu Menschen außerhalb unserer Organisation suchen muss, dann möchte ich beten: „Herr, tu es, mach es, tu es, irgendwie.“ Ich weiß nicht, wer uns zurückführen wird. Er ist mir noch nicht begegnet, und ich glaube nicht, dass es einer der großen religiösen Führer von heute sein wird. Nein, nicht Evangelisationskampagnen, die Millionen kosten, sondern Erweckung, Wiederherstellung, Heilung (...)

Eine halbverhungerte Generation

Unter uns sind Männer und Frauen, die zwanzig, ja dreißig Jahre alt sind und noch nie Gottes Herrlichkeit gesehen haben. Sie sind Christen, sie gehen auf Bibelschulen, und sie haben nie Gottes Herrlichkeit erlebt. Sie wissen nicht, wie es ist, in einem Gottesdienst zu sein, wo die Gegenwart Gottes so greifbar ist, dass man Angst hat, laut zu reden. Sie haben nie eine Predigt gehört, in der Gott so hoch erhoben wurde, dass sie danach schweigend nach Hause gingen und nicht reden konnten. Als A. B. Simpson in Buffalo (New York) predigte, sprach er über die Herrlichkeit des Herrn Jesus Christus. Als er den Segen gesprochen hatte, stand niemand auf, um zu gehen; die Leute hatten Angst, aufzustehen, so spürten sie die Gegenwart Gottes. Aber, wie gesagt: Eine ganze Generation junger Leute hat so etwas noch nie erlebt. „O Gott, lass deine Herrlichkeit neu erstrahlen, und benutze dazu, wen du willst.“ Amen. ■

Nachtext

Quellenangaben

(Leicht gekürzt, mit freundlicher Genehmigung aus: A.W. Tozer „Gegründet im Wort, brennend im Geist“, Verlag C.M. Fliß, siehe auch Buchbesprechung S. 21.)