Zeitschrift-Artikel: Ungewöhnliche Bekehrungen

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Titel: Ungewöhnliche Bekehrungen
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Ungewöhnliche Bekehrungen

Vortext

Text

Adoniram Judson (1788–1850) war der erste amerikanische Pionier-Missionar. Im Alter von 25 Jahren kam er mit seiner jungen Frau in Rangun an. Dort in Burma (Myanmar) hat er ein Leben lang unter unglaublich schwierigen Umständen, Widerständen, Rückschlägen, Krankheiten und Leiden die Bibel in die burmanische Sprache übersetzt und das Evangelium verkündigt. Der überaus begabte Pastorensohn hatte schon im Alter von 3 Jahren innerhalb einer Woche lesen gelernt, mit 10 Jahren galt er als Genie in Mathematik, Griechisch und Latein und begann sein Studium mit 16 Jahren an der „Brown University“ in Providence. Im Alter von 20 Jahren hatte er bereits zwei Lehrbücher geschrieben, die auch veröffentlicht wurden. Hochtrabende Pläne Während seine tiefgläubigen Eltern davon träumten und dafür beteten, dass ihr begabter Sohn einmal ein berühmter Pastor würde, konnte Adoniram nur müde über die naiven Vorstellungen seiner Eltern lächeln. Er hatte andere Lebenspläne, von denen seine Eltern nichts ahnten: Ein Staatsmann, Richter, Wissenschaftler und auf jeden Fall ein wohlhabender Mann zu werden. Er war inzwischen ein freisinniger „Deist“ geworden und hatte seinen einfältigen Kinderglauben längst hinter sich gelassen. Besonders mit dem etwas älteren Jacob Eames, einem begabten, gebildeten, geistreichen und liebenswürdigen Studenten, verband ihn eine enge Freundschaft. Eames war einer der führenden Köpfe der neuen ­Weltanschauung. Unangenehme Gedanken Als Adoniram mit 19 Jahren als bester Student der Universität sein Studium abschloss, führte er für einige Monate ein Vagabundenleben und machte sich schließlich mit seinem Pferd auf die Wanderschaft durch Nordamerika. Eines Abends suchte er in einem kleinen Dorf ein Quartier zum Übernachten und fragte den Wirt eines Gasthauses, ob er noch ein Zimmer für ihn hätte. Er bekam zur Antwort, dass nur noch ein Zimmer frei wäre, allerdings könnte er es nicht empfehlen, weil direkt im Nebenzimmer ein junger Mann sehr krank darniederläge und möglicherweise bald sterben würde. Adoniram versicherte, dass ihm das nichts ausmachen würde. Der Tod bedeute ihm nichts – vielleicht nur ein wenig Mitleid für diesen jungen Sterbenden. Jedenfalls störe ihn dieser Umstand in keiner Weise und so bezog er dieses Zimmer. Als sich Adoniram ins Bett legte und schlafen wollte, erwies sich die Wand zum Nebenzimmer als sehr dünn. Er hörte Schritte, ein ächzendes Bett, leise Stimmen, ein Kämpfen und Aufstöhnen. Offensichtlich lag dort ein Mann, der mit dem Tod rang. Er versuchte sich die Decke über den Kopf zu ziehen, aber den Gedanke daran, dass nur wenige Meter neben ihm ein junger Mann im Sterben lag, ließ ihn nicht schlafen und er stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er selbst sterben müsste. Würde er dann einfach erlöschen wie eine noch glimmende Kerzenflamme? Wo wäre dann sein Geist, sein Ich? Erschrocken über sich selbst dachte er daran, wie wohl seine ehemaligen Mitstudenten und sein brillanter Freund Eames über ihn spotten würden, wenn sie seine Gedanken und Ängste wahrnehmen könnten. Aber irgendwann – längst nach Mitternacht – wurde es nebenan still und er schlief übermüdet ein. Der Donnerschlag Als er am anderen Morgen dem Gastwirt die Übernachtung bezahlen wollte, fragte er ihn wie beiläufig, ob es dem Gast im Nebenzimmer wohl etwas besser gehen würde. „Er ist tot“, antwortete der Wirt kurz und ernst. „Und wer war das, wenn ich fragen darf?“ – „Eigentlich ein netter junger Kerl. Sein Name war Jacob Eames!“ Adoniram erstarrte, wie vom Donner getroffen. Sein engster Freund und Mentor war in dieser Nacht gestorben, nur wenige Meter von ihm entfernt, einsam und alleine – und Adoniram hatte nichts davon geahnt. Wie betäubt verließ er das Gasthaus. Die Worte „verloren“ schwirrten durch seinen Kopf. Verloren für seine Freunde, unwiderruflich verloren für die Welt, die Wissenschaft, für die Zukunft. Einfach nicht mehr da! Hatte die Bibel doch recht und gibt es einen Gott, einen Himmel und eine Hölle? Wenn das so wäre, dann war Jacob in der umfassendsten Bedeutung des Wortes „verloren“ – für Zeit und Ewigkeit. Plötzlich spürte er im tiefsten Inneren, dass der Gott der Bibel keine Illusion ist und wurde von Angst und Verzweiflung erfüllt. Eine Umkehr mit allen Konsequenzen Er zügelte sein Pferd. Unbewusst war er auf der ursprünglich geplanten Route weitergeritten. Aber jetzt wusste er, dass er eine Entscheidung treffen musste – ein für allemal. Er wendete sein Pferd auf dem Weg, gab ihm die Sporen und ritt nach Hause. Einige Wochen später, nach vielen Gesprächen mit seinen Eltern und nach langen Unterhaltungen mit gottesfürchtigen Lehrern einer theologischen Hochschule begannen seine Zweifel zu schwinden. Er erlebte keine plötzliche Bekehrung, aber er konnte notieren, dass er „zu hoffen begann, durch das Wirken des Heiligen Geistes das Geschenk der Wiedergeburt empfangen zu haben“1. Am 2. Dezember 1808 – einem Tag, den er niemals vergaß – entschloss er sich zu einer „feierlichen Übergabe seines Lebens an Gott“. Von diesem Zeitpunkt an war er buchstäblich ein neuer Mensch. „Er verbannte für immer diese Träume von literarischen und politischen Ambitionen, in denen er früher geschwelgt hatte, und fragte sich einfach: ‚Wie soll ich mein zukünftiges Leben planen, um Gott bestmöglich zu erfreuen?‘“2 Vier Jahre nach seiner Bekehrung brach Adoniram als junger Ehemann mit seiner Frau Nancy zu seiner Reise nach Rangun auf, wo eine große Aufgabe, viele Leiden, schwere Anfechtungen und eine Menge Abenteuer auf das junge Missionars-Ehepaar warteten.

Nachtext

Quellenangaben

C. Anderson, Adoniram Judson – Leiden für die Ewigkeit, Bielefeld: CLV 2015, S. 75 ebd., S. 76