Zeitschrift: 162 (zur Zeitschrift) Titel: Francis Schaeffer und "Die große Anpassung" Typ: Buchbesprechung Autor: Hanniel Strebel Autor (Anmerkung): online gelesen: 1717 |
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Francis Schaeffer und "Die große Anpassung" |
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Wenn jemand in seinem Todesjahr ein Buch herausgibt und dieses „einer neuen, jungen Generation“ widmet, die „Radikale für die Wahrheit und für Christus“ sein wollen, dann horche ich auf. Zumal ich einen beträchtlichen Teil seines schriftlichen Werkes mit großem Gewinn gelesen habe. Francis Schaeffer (1912–1984), Evangelist der Evangelikalen, schrieb dieses Vermächtnis mit Hilfe seines Verlegers im Endstadium seines Kampfes gegen die Krebserkrankung. Schaeffer bezeichnet die Hauptaussage dieses Buches als „möglicherweise wichtigste Aussage …, die ich je niedergeschrieben habe.“ (S. 18) Es geht um die „evangelikale Katastrophe“ (so auch der Titel des englischen Buches), „das größte Problem, dem wir als Christen in unserer Generation gegenüberstehen.“ (S. 19) Um dies besser zu verstehen ist es wichtig, den roten Faden für Schaeffers Gesamtwerk zu bedenken. Er schreibt selbst im Vorwort: „Ich möchte betonen, dass sich vom Anfang bis zum Ende meiner Bücher folgendes Thema hindurchziehen soll: die Bedeutung der Verkündigung des Evangeliums – Männern und Frauen zu helfen, Christus als ihren Erlöser kennenzulernen – die Notwendigkeit, jeden Tag mit Gott zu leben, Gottes Wort zu erforschen, ein Leben des Gebets zu führen und die Liebe, das Erbarmen und die Heiligkeit Gottes, unseres Herrn, zu verkündigen. Aber gleichzeitig und in gleichem Maße müssen wir die Notwendigkeit betonen, dass dies auf jedem Gebiet von Kultur und Gesellschaft ausgelebt werden muss.“ (S. 17) Diagnose und Anklage Im ersten Teil erstellt der 72-jährige eine Auslegeordnung. Zuerst blickt er in die Gesellschaft und stellt ihr gravierendstes Problem fest: „Es liegt in dem Versuch, absolute Freiheit haben zu wollen – vollkommen unabhängig von allen wesentlichen Begrenzungen zu sein.“ (S. 25) Dieses Streben führt zum ethischen Relativismus: „Jegliche Moral wird relativ, die Gesetzgebung willkürlich, und die Gesellschaft bewegt sich ihrem Verfall entgegen. Im persönlichen wie im privaten Leben wird das Mitleid vom Eigennutz verdrängt.“ (S. 27) Dahinter steht ein geistlicher Kampf, der in der unsichtbaren Welt tobt und in der sichtbaren Welt ihren Ausdruck findet, nämlich „in unserem Gemeinwesen, an unseren Arbeitsplätzen, in den Schulen und sogar in unseren Häusern.“ (S. 30) Deshalb sind alle Christen doppelt gefordert – nämlich in ihrem Denken und Handeln. Beide bedingen einander: „Gedanken sind niemals neutral und abstrakt. Gedanken wirken sich auf unsere Lebensweise und auf unsere Handlungen aus, sowohl in unserem persönlichen Leben als auch in der Kultur als Ganzes.“ (S. 35) Nachdem dieser Rahmen skizziert worden ist, folgt die Anklage: „Der Großteil der evangelikalen Welt hat nicht aktiv in den Kampf eingegriffen – geschweige denn überhaupt gesehen, dass wir uns in einem Kampf befinden. Und wenn es um aktuelle Fragen der Zeit geht, dann hat die evangelikale Welt in den weitaus meisten Fällen nichts dazu gesagt; oder, was noch schlimmer ist, sie hat nichts anderes gesagt als das, was die Welt auch sagen würde. Hier liegt die evangelikale Katastrophe – das Versagen der evangelikalen Welt, für die Wahrheit als Wahrheit einzutreten.“ (S. 43) Der Wendepunkt Den kritischen Wendepunkt in diesem Kampf ortet Schaeffer beim Aufkommen der historisch-kritischen Methode für das Verständnis der Bibel (S. 40). Den zweiten Teil stellt Schaeffer unter das Motto einer Metapher, nämlich die der Wasserscheide. Die Schneemasse liegt als Einheit über der Wasserscheide, das Schmelzwasser fließt jedoch nach zwei Seiten ab und gelangt an völlig andere Orte. Die geistliche Wasserscheide beschreibt er so: „Wenn wir in Bezug auf die unumschränkte Autorität der Bibel einen Kompromiss eingehen, dann wird dies mit der Zeit einen Einfluss darauf haben, was es im theologischen Sinne heißt, ein Christ zu sein, und dieser Kompromiss wird auch Auswirkungen darauf haben, wie wir in dem gesamten Spektrum des menschlichen Lebens unser Leben führen.“ (S. 53) Ohne eine feste Meinung „sind wir für die schwierigen Zeiten nicht gewappnet“ (S. 55). Was steht uns denn bevor? „Die ruhigen Zeiten der Evangelikalen gehören der Vergangenheit an, und nur ein fester Blick auf die Bibel wird es uns ermöglichen, dem alles durchdringenden Druck einer Kultur zu widerstehen, die sich auf den Relativismus und auf relativistisches Denken gründet.“ (S. 57) Wie geht dieser feste Blick verloren? Schaeffer sieht die Gefahr in einer Zweiteilung der Bibel in „Quelle für religiöse Erlebnisse“ (valide) und „überprüfbare Gebiete“ (fehlerhaft). Die fatale Folge davon ist, dass die innere Empfindung von der objektiven Wahrheit abgeschnitten wird (S. 61). Wahrheit wird letztlich etwas Subjektives. Damit hängt zusammen: „Die Kultur muss ständig aufgrund der Bibel beurteilt und nicht etwa die Bibel ständig der sie umgebenden Kultur unterworfen werden.“ (S. 66) Der Gehorsam gegenüber der Bibel ist dafür entscheidend. Wir können erklären, dass die Bibel ohne Fehler ist, und sie dennoch zerstören, indem wir die Bibel durch unsere Lebensweise der Kultur unterwerfen, anstatt die Kultur aufgrund der Bibel zu beurteilen (S. 74). Wenn die Bibel diese Autorität besitzt, wird es zwangsweise zu (liebevollen) Konfrontationen kommen. Ein permanenter Anpassungsreflex hat nichts mit Liebe zu tun: „Wenn wir das Wort Liebe als Entschuldigung benutzen, um so einer notwendigen Konfrontation aus dem Wege zu gehen, dann haben wir damit die Heiligkeit Gottes verleugnet und darin versagt, ihm und seiner wahren Persönlichkeit gegenüber treu zu sein. In Wirklichkeit haben wir damit Gott verleugnet.“ (S. 82) Schaeffer erinnert an die doppelte Aufgabe des Christen, nämlich zu liebevollem Umgang und zur Reinheit. Denn: „Es ist die Berufung des Christen, Gottes Liebe und Heiligkeit widerzuspiegeln. Gott ist heilig, und Gott ist Liebe. Demgemäß ist es unsere Berufung, in jedem Bereich unseres Lebens Gottes Heiligkeit und Liebe zu verkündigen – als Eltern und Kinder, als Ehemann und Ehefrau, in der Geschäftswelt, in unseren christlichen Organisationen, in der Kirche, in der Regierung – in allem ein Beweis von Gottes Wesen zu sein, indem wir gleichzeitig seine Liebe und Heiligkeit verkündigen.“ (S. 89) Verkündiger, welche nicht auf der festen Basis von Gottes Wort stehen, müssen unter Gemeindezucht gestellt werden (S. 106). Wo das nicht geschieht, ist ein „Austritt unter Tränen“ unumgänglich (S. 104). Die Konfrontation Der dritte Teil beschäftigt sich mit den aktuellen Fragen Lebensschutz, Sozialismus und Feminismus. Jede dieser Streitfragen müssen wir uns in Heiligkeit und Liebe nähern. „In jeder Generation ruft Gott seine Leute auf, seine Liebe und Heiligkeit zu verkünden, ihm die Treue zu halten und sich gegen die Anpassung an die aktuellen Wertmaßstäbe der Welt zu stellen.“ (S. 119) Als Christen stehen wir oft im Widerstreit zur herrschenden Weltanschauung. Nach dieser dürfen keine Werturteile mehr gefällt werden. So wird z.B. die Abtreibungsfrage „auf eine persönliche Ansicht reduziert, die keine Beziehung mehr dazu hat, wie man sein persönliches Leben in der Welt auslebt“ (S. 120). Die Folge davon ist, dass es „keine feste Grundlage zur Wertbemessung menschlichen Lebens“ gibt (S. 128). Viel bequemer ist der Weg, sich der herrschenden Mentalität einfach anzupassen. Sehr populär bis heute ist beispielsweise die Idee, dass der „Weg zur Erlösung in der Veränderung der ökonomischen Strukturen liegt“ (S. 133). Schaeffer fordert zweierlei: Aufgrund eines entschiedenen christlichen Standpunktes eine kritische Antwort zu geben (S. 141); zweitens den Nächsten zu lieben wie sich selbst, „und zwar so, wie die Not es gebietet, auf praktische Art und Weise, inmitten einer gefallenen Welt, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte.“ (S. 150) Auf keinen Fall dürfen wir uns jedoch den falschen Diagnosen und utopischen Lösungen unserer Umgebung hingeben und diese unter christlichem Deckmantel zu verkünden beginnen! Fazit Dieses Buch ist 30 Jahre nach seiner Erscheinung aktueller denn je. Es gibt drei Arten der Konfrontation: Lieblose, gar keine oder aber liebevolle. „Nur die dritte ist biblisch“ (S. 169). Im Anpassen sind wir geübter denn je zuvor. Es ist Zeit, die liebevolle Konfrontation zu lernen. |
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Quellenangaben |
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