Zeitschrift: 164 (zur Zeitschrift) Titel: Wenn die Kinder heranwachsen Teil I Typ: Artikel Autor: Hanniel Strebel Autor (Anmerkung): Hanniel Strebel berät Führungskräfte in einem Gesundheitskonzern und bloggt täglich unter hanniel.ch. Er ist Vater von fünf Söhnen. Seit zehn Jahren unterrichtet seine Frau die Kinder privat, was in der Schweiz möglich ist. Erziehung ist sein "Notgebiet": Er ringt täglich um angemessene Antworten auf die Frage, wie ein Überleben als Familie im säkularen Sog möglich ist. online gelesen: 1581 |
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Wenn die Kinder heranwachsen Teil I |
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Ehe ich mich’s versah, ist nun auch der Jüngste der fünf Söhne im Schulalter. Meine Frau sagte mir vor Jahren: „Als fünffacher Buben-Vater wirst du zunehmend gefordert sein, wenn die Söhne größer werden.“ Tatsächlich hat die Beanspruchung zugenommen. Es geht um den Auftrag, meine Söhne „in der Zucht und Ermahnung des Herrn“ (Eph 6,4) aufzuziehen. Das bedeutet, laufend Alltagssituationen aus der biblischen Weltsicht mit ihnen zu reflektieren (vgl. 5Mo 6,7–9). Hier berichte ich von drei Arten Gesprächen, die ordentlich Kraft und Energie kosten und deren Durchführung ich als entscheidend betrachte. Zielgespräche führen Den ersten Typus bezeichne ich als „Zielgespräch“. Wir gehen gemeinsam in Gedanken weit in die Zukunft und überlegen uns, wie es dann mutmaßlich sein wird. Daraus leiten wir Schlussfolgerungen für die Gegenwart ab. Es gehört zu der von Gott verliehenen Fähigkeit für uns Menschen, solche Gedankenexperimente vornehmen zu können. Ein Beispiel: Vater: Wie willst du einmal sein? Beschreibe mir, wie du mit 30 Jahren bist. Kind: Das ist zu schwierig. Vater: Tatsächlich ist das etwas, was schwierig für uns ist. Kind: Meinst du, welchen Beruf ich ergriffen habe? Vater: Das ist schon eine Folge dieser Beschreibung. Kind: Welcher Beschreibung? Vater: Wie du sein wirst. Wie wird dein Charakter sein? Kind: Mein Charakter? Vater: Ja, was dich als Person auszeichnet. Kind: Ich kann sagen: Ich möchte einmal eine Frau haben, einen Beruf, der mir entspricht. Und ich möchte Menschen beeinflussen. Vater: Das sind ja schon mal drei Dinge. Und wenn du keine Frau haben wirst? Kind: Dann werde ich alleine glücklich sein. Vater: Es ist wichtig einen Plan B zu haben. Diesen Plan hat Gott ausdrücklich vorgesehen. Gespräche dieser Art führe ich dauernd mit meinen Söhnen. Kinder haben viele Fragen, interessante Gedanken und zahlreiche Ideen. Doch wer als Vater nicht regelmäßig mit ihnen über ihr Inneres spricht, dem werden sie tendenziell ihr Inneres verschließen und darüber niemals sprachfähig werden. Ich betrachte das Gespräch über das Innere und die Motivationen, Freuden und Ängste als eine der wichtigsten Formen der Unterstützung beim Heranwachsen. Mich interessiert, was sie erleben und – noch viel wichtiger – wie sie es bewerten. Ich kann sagen: Solche Gespräche brauchen Zeit, volle Aufmerksamkeit und viel Kraft. Doch sie sind Gold wert. Bewertungen erfahren und hinterfragen Es gibt eine weitere Form des Gespräches, das ich so oft wie möglich pflege. Die unabdingbare Voraussetzung dazu ist eine innere Haltung, bei der ich mit voller Aufmerksamkeit beim Kind sein kann. Mein Bild dafür ist: Innerlich liege ich „in der Hängematte“, völlig entspannt und gleichzeitig voll präsent. Zorn, Unmut und das Abschweifen meiner Gedanken beeinträchtigen massiv. Ein Beispiel: Der Heranwachsende äußert unwirsch eine Bewertung. In der Regel beurteilt er Verhalten und Charakter anderer Menschen, Gruppen oder Institutionen. Nach dem ersten Moment der Überraschung fange ich mich innerlich. Ich signalisiere Interesse: „Ich habe eben gehört, was du gesagt hast. Das interessiert mich.“ Das Gegenüber will darüber hinweggehen. Es ist für ihn erledigt. Ich hake nach. „Wie hast du das gemeint?“ Die erste Antwort ist abwehrend. Es braucht Konzentration und Hartnäckigkeit, um den Moment nicht vorbeischwimmen zu lassen. „An welchen Reaktionen machst du diese Bewertung fest?“ Es kommt eine zunehmend präzise Rückmeldung: „Erzähle mir noch mehr davon. Was frustriert dich? Was stößt dich ab?“ Jetzt kommen Schlüsselmomente. „Danke, dass du mir das erzählst. Ich stimme dir in folgenden Punkten zu.“ Es ist wichtig, ein Feld für das gemeinsame Verständnis abzustecken. „Das verstehe ich jetzt noch nicht.“ Kein Schmeicheln! Es soll auch eine Differenzierung geben. „Wie kommst du dazu, eine solche Bewertung vorzunehmen?“ Meistens erfolgt jetzt eine Relativierung. „Was würde Gott zu einer solchen Bewertung sagen?“ Kein vorschnelles Eingeständnis akzeptieren. „Nicht so schnell. Gott ist sehr wohl an der Wahrheit im Inneren interessiert. Er übergeht rein gar nichts.“ Heranwachsende haben ein Sensorium für Wahrhaftigkeit. Keine Abschwächungen, bitte! „Was lernen wir über uns selbst? Was würden wir anders machen?“ Die Selbstreflektion soll mit Lernpunkten einhergehen. Diese Lernpunkte halte ich schriftlich fest und komme darauf zurück. Eine Warnung kann ich mir nicht verkneifen: Solche Gespräche werden die Wahrnehmung des Kindes für das Verhalten des Vaters ebenfalls schärfen. Vor- und Nachbereitung Eine dritte Art von Gesprächen betrifft den gemeinsamen Rückblick am Familientisch. Wenn ich meine Jungs nach einem langen Arbeitstag wieder vor mir habe, nutze ich einige Minuten für gezielte Rückfragen. Das kann ganz verschiedene Formen annehmen: Ich bitte alle, mir ein Erlebnis aus ihrem Tag zu erzählen. Ich stelle dazu zwei, drei Fragen: Was fiel dir dabei besonders schwer? Was hat dich ermutigt? Was hast du daraus gelernt? Wenn ich weiss, dass sie etwas Wichtiges vorhatten, komme ich wann immer möglich darauf zurück. Wie ist es dir dabei gelaufen? Was kam anders, als du es gedacht hattest? Weshalb? Manchmal frage ich in die Runde, ob jemand von ihnen einen Gedanken aus der Bibel oder eine Frage, die ihn beschäftigt, mit der Tischrunde teilen möchte. Ich bin immer wieder überrascht, wie auch die jüngeren Kinder hilfreiche Überlegungen einbringen! Konflikte und unterschiedliche Sichtweisen sind es wert, aufgegriffen zu werden. Wenn mir eine Auseinandersetzung zu Ohren kommt, hake ich nach: Wie hat es angefangen? Wie hat es sich verstärkt? Wie wurde es gelöst? Wurde es wirklich gelöst? Welche Gefühle bleiben zurück? Ebenso hilfreich kann es sein vorauszublicken: Was steht in den nächsten Tagen an? Was gibt Anlass zur Vorfreude? Was trübt die Aussichten? Von einem Vorgesetzten habe ich am Anfang meiner Berufslaufbahn eine wertvolle Lektion gelernt. Ein Vorgesetzter muss nicht zu jeder Zeit präsent sein. Es ist gut möglich, vorher und nachher Vorkommnisse und Herausforderungen aufzubringen und gemeinsam darüber nachzudenken. In den Seminaren schickten wir jeweils eine Führungskraft aus dem Raum, während wir ein Gespräch durchführten. Der Abwesende durfte hinterher durch Fragen das Gespräch auswerten, ohne dabei gewesen zu sein. Dasselbe können wir auch als Eltern tun – als „Hirten der Herzen“ unserer Kinder. Im zweiten Teil werde ich etwas über den unbequemen Weg, das Auswerten eines katholischen „Gottesdienstes“ und über meine 30 Entschlüsse als Vater von heranwachsenden Söhnen weitergeben. |
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