Zeitschrift-Artikel: Weniger ist mehr ... - "Besser eine Hand voll Ruhe, als beide Fäuste voll Mühe und Haschen nach Wind."

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Titel: Weniger ist mehr ... - "Besser eine Hand voll Ruhe, als beide Fäuste voll Mühe und Haschen nach Wind."
Typ: Artikel
Autor: Carsten Görsch
Autor (Anmerkung):

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Titel

Weniger ist mehr ... - "Besser eine Hand voll Ruhe, als beide Fäuste voll Mühe und Haschen nach Wind."

Vortext

Text

Beachte, dass diese Aussage von einem der wei- sesten Männer stammt, die je unter der Sonne gelebt haben.
Hier wird eine gewichtige Lebensweisheit vorge- stellt, die zu beachten wir gut tun. In einer Zeit der Verwirrung des Denkens und der Ratlosigkeit in Bezug auf die Lebensführung ist guter Rat teuer. Hier gibt es ihn umsonst - Salomo sagt uns: Weniger ist mehr!
Die Menge dessen, was er schuf, machte ihn nicht wirklich reich. Die Menge dessen, was er in Erfahrung brachte, stillte nicht seinen innerlichen Durst nach letztgültigem Wissen. Die Menge der Freuden, die er sich erlaubte, füllte nicht die Sehnsucht nach Erfüllung. Wiewohl auf den ersten Blick in jeder Beziehung beneienswert, war er dennoch bei näherer Be- trachtung todunglücklich, denn er hatte seine Seele für Dinge arbeiten lassen, die ihm keine Ruhe geben konnten.

„Die Qual der Wahl ...“
Das Wort „besser“ bedingt, dass es auch ein „schlechter“ gibt. Wir stehen also immer vor einer Wahl, ob wir das eine tun und das andere lassen. Produzieren - oder das Produzierte genießen. Bauen - oder beschauen. Wirken - oder werkeln. Es muss uns bewusst werden, dass wir immer mehr vor der Wahl stehen, einen arbeitsamen, geschäftigen, Kraft raubenden Weg einzuschlagen, oder uns zu begnügen mit dem was wir haben und dieses genießen.
Mein Computer sollte mir eigentlich helfen, Zeit zu sparen. Dennoch ist es immer mehr so, dass er mir statt dessen Zeit raubt. Wie nützlich wäre mir die Datenbank der Adressen gewesen, hätte ich nur nicht Abende lang Zeit damit verbracht, sie noch einmal umzustellen und sie so zu perfektionieren. Der Esel, auf dem wir reiten sollten, bockt und wir kommen keinen Schritt voran.

Das Gute ist der Feind des Besten ...
Mag sein, dass „eine Hand voll“ weniger ist als „beide Fäuste voll“. Aber oftmals ist weniger mehr und das Gute der Feind des Besten. Jeder von uns hat einen gewissen Radius, in dem er wirkt. Für eben diesen gibt Gott uns Kraft und Ausstattung. ER selbst schuf sechs Tage lang, an dem siebten aber ruhte er. Das, was er geschaffen hatte, genügte ihm. Es brauchte beileibe nicht mehr. Seine Kraft war unerschöpflich, seine Kreativität war unbegrenzt - und doch, er ließ es gut sein.
Lass es gut sein! Du lebst nicht um zu arbeiten, sondern du arbeitest um zu leben. Lass es gut sein! Die Perfektion der Dinge ist häufig der Anlass sinnloser Überarbeitung. Dein Lächeln gibt anderen Mut, auch dann, wenn es nicht das der Mona Lisa ist. Dein Brief hilft einem anderen weiter, auch wenn er nicht den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung folgt. Wer macht, der macht auch falsch. Besser du tust das Gute, als du tust es nicht, nur weil du Angst hast, du könntest Fehler machen.

Kann man Gott vertrauen?
Besser die Gelassenheit der einen Hand voll Ruhe, als der Krampf zweier geballter Fäuste. Das Leben wird ein Krampf, wenn wir versuchen, alles aus einer Sache herauszuholen, die den Einsatz nicht wert ist. Der Herzinfarkt ist ein zu hoher Preis, wenn es darum geht, mehr zu tun, als Gott von uns verlangt. Das frisch verheiratete Paar soll sehr wohl die erste Liebe genießen, bevor die Zeiten kommen, wo es gemeinsam kämpfen muss.
Der Krampf eines Mannes, der um jeden Preis eine Partnerin für sein Leben sucht, wird von jedermann mitleidig milde belächelt. Alle wissen nämlich, das man umso weniger findet, je mehr man krampfhaft sucht. Das Glück fällt uns zu, wie der Regen nach heißen Sommertagen auf die Blume. Gelassenheit ist eine Frucht wirklichen Vertrauens auf Gott. Kann Gott uns zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das geben, was wir brauchen? Ja er kann.
Wie süß ist die Ruhe, wie sauer die Mühe! Eine Christenheit, die sich selbst den „Dienst bis zum Abwinken“ verordnet hat, tut sich schwer, ihr Leben zu redimensionieren. Derselbe Bogen, der die Violine in der Hand des Virtuosen zum Klin- gen bringt, wird nach dem Konzert wieder entspannt, damit er brauchbar bleibt. Das allerdings ist den Augen des Publikums verborgen. Auch die allerrobustesten Diener und Dienerinnen Gottes haben Bedarf an einer Zeit der Rekre- ation, ansonsten werden sie unbrauchbar.

„Thema verfehlt!“
Es gehörte zu den frustrierenden Situationen in meinem Schülerdasein, wenn der Lehrer mir mein Heft zurückgab und ich lesen musste: „Thema verfehlt!“ Nun hatte ich mir doch solche Mühe gegeben und war der festen Überzeugung, dass dieser Aufsatz zu den besten meiner Werke überhaupt gehörte! Leider jedoch war ich aber wohl wieder einmal nicht ganz bei der Sache gewesen, als die Aufgabenstellung zuvor an der Tafel veröffentlich worden war. Mir schien oft schon alles klar, als der Lehrer auch nur einen Halbsatz an die Tafel geschrieben hatte und ich begab mich sofort ans Werk. Manchmal leider umsonst.
Es wäre doch tragisch, wenn Gott uns unter einige Abschnitte unseres Lebenswerkes schreiben müsste: „Thema verfehlt!“ Wenn an jenem Tag sein Tadel an uns ergeht: Du hast gearbeitet, wo ich keinen Weinberg hatte. Du hast gewer- kelt, wo ich nicht wirkte. Du wusstest es besser, als Du ein wenig ausruhen solltest. Du hattest zu viel zu tun, als ich mit dir zusammen innehalten wollte, um das Werk zu beschauen, zu dem ich dich gebraucht hatte.
Vielleicht hätten einige Versammlungen und Kirchen qualitativ und quantitativ mehr von ihren Brüdern und Schwestern gehabt, wenn der obige Satz Salomos ernster genommen worden wäre. Wer weiß? Manche von ihnen haben wahrscheinlich viel zu früh die Bühne verlassen, weil sie es für besser erachteten, Dauerstress zu haben, als an einem lauen Sommerabend die Grillen zirpen zu hören. Und vielleicht sähe es in mancher Familie besser aus, wenn Papa sich nicht mit der nächsten Gehaltsstufe, sondern mit seinen eigenen Kindern beschäftigen würde.

Nachtext

»Wie oft werfen wir uns im Bett hin und her und grübeln nach, während unser geplagter Kopf und Körper sich besser im Schlaf erholen sollte. Wenn ein Rasiermesser lange gedient hat und sich nicht mehr schärfen lässt, legt es der Frisör zur Seite und die Schärfe kommt durchs Ausruhen wieder.«
Mark Twain

Quellenangaben