Zeitschrift-Artikel: Aufatmen in Kasachstan

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Titel: Aufatmen in Kasachstan
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Aufatmen in Kasachstan

Vortext

Text

In den vergangenen Monaten wurde an manchen Orten viel für die Situation der Christen in Kasachstan gebetet. Ein neues Religionsgesetz war vorbereitet worden, das auch die Freiheit der Christen stark einschränken und die Missionsarbeit in diesem moslemischen Land verbieten sollte. Die Gründung neuer Gemeinden wollte man verhindern und die bestehenden Gemeinden sollten nur bei Befolgung strenger Auflagen und einschneidender Einschränkungen geduldet werden. Jeder evangelistische Einsatz wäre dann illegal gewesen und damit auch strafbar geworden, die evangelistische Freizeitarbeit, mit der bisher viele moslemische Kinder erreicht wurden, wäre nicht mehr möglich gewesen.
Doch der Herr hat die vielen Gebete erhört. Das geplante Religionsgesetz wurde nicht vom Parlament verabschiedet und unsere Geschwister in Kasachstan sind sehr dankbar, dass sie nun weiterhin die Möglichkeiten nutzen können, das Evangelium gerade auch den moslemischen Kasachen verkündigen zu können.
Interessant ist, dass etwa zeitgleich die Baptisten in Kasachstan nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Weltbund der Baptisten nun endgültig aus diesem Bund ausgetreten und damit autonom sind. Die Gründe für den Austritt: Die zunehmend liberale Haltung des Weltbundes in der Frage der Autorität der Bibel, in Bezug auf die Rolle der Frau in der Gemeinde und die zunehmende Zusammenarbeit mit charismatischen und ökumenischen Kirchen und Bewegungen.

Die Feindschaft bleibt – trotz Religionsfreiheit!
Wenn nun in Kasachstan von Seiten der Regierung den Christen die Religionsfreiheit zugestanden wird, so bedeutet das nicht, dass Evangelisation in diesem Land ohne Widerstand praktiziert werden kann. Besonders in Dörfern und kleinen Ortschaften haben die „Mullahs“, die geistlichen Führer der Moslems, großen Einfluss auf die Bevölkerung und versuchen in vielen Fällen, die Verkündigung des Evangeliums und das Entstehen neuer Gemeinden zu erschweren oder – wenn möglich – zu verhindern. In den vergangenen Jahren haben wir in „f+t“ ab und zu von Nurlan Tuleuow berichtet, der als ehemaliger Moslem mit einer Jurte in Kasachstan unterwegs ist, um auf originelle Weise Kasachen das Evangelium zu bringen. Diese Einsätze sind besonders auf den kasachischen Dörfern sehr gefährlich. Oft wird die moslemische Bevölkerung von den fanatischen Mullahs aufgehetzt, diese evangelistischen Einsätze gewaltsam zu verhindern und so kommt es nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen.
Als wir im Mai dieses Jahres Nurlan in Kasachstan besuchten, erzählte er uns von seinen neuesten Erlebnissen:

Schlägerei bei einer Beerdigung
„Vor einigen Wochen starb plötzlich mein Schwager – der Bruder meiner Frau Aischan – im Alter von 43 Jahren. Wenige Wochen vor seinem Tod hatte ich ihn noch besucht und ihn ermahnt, sich zu bekehren. Seine Reaktion: „Ich bin nicht wie ihr – ich werde mich kurz vor dem Tod bekehren!“
Er hatte begriffen, dass Jesus Christus die Wahrheit ist. Aber dann wurde er plötzlich krank und als Aischan ihn besuchen wollte, war er schon gestorben – Herzstillstand. Aischan fiel bei der Nachricht seines Todes in Ohnmacht.
Ihr Bruder war früher ihr ärgster Feind gewesen, aber mit den Jahren wurde er offener für das Evangelium.
Doch jetzt lebte er nicht mehr.
Als wir am frühen Morgen bei der Trauerfamilie eintrafen, waren die Klageweiber schon zugange und die Beerdigung wurde vorbereitet. Als der jüngere Bruder Aischans uns sah, brüllte er: „Haut ab, ihr Ungläubigen, ihr gehört nicht auf diese Beerdigung!“
Wir ließen uns von diesem unfreundlichen Empfang nicht beirren und versuchten Zeugnis von unserem Glauben abzulegen. Als meine Frau von ihrer Bekehrung erzählte, wurde ihr Bruder so wütend, dass er auch andere aufwiegelte und schließlich mit seinen Fäusten auf mich einschlug. Ein Treffer von ihm landete erfolgreich und so verlor ich auf diese schmerzliche Weise einen Backenzahn.
Meine spontane Reaktion überraschte und erschütterte mich selbst am meisten: als ehemaliger Boxer kam in mir eine solche Wut hoch, dass ich mich beherrschen musste, nicht sofort zurückzuschlagen. Ich musste mich an der Bank festhalten und wusste: wenn ich jetzt loslege, dann gibt es kein Halten mehr und die Fetzen werden fliegen. Jetzt hatte ich ein Problem mit mir selbst.

Rache ist nicht süß ...
Mein Schwager wurde aber immer wilder und brüllte herum. Schließlich sprang ich auf und schrie ihn an: „Wer bist du – bist du Gott?“ und lief auf ihn zu. Er begriff, was ihm nun blühte und rannte davon, während ich dachte: „Na warte, Bürschchen, ich werde dich noch kriegen!“ Aber nicht nur mein Schwager war verschwunden, sondern auch der Friede Gottes war aus meinem Herzen gewichen und dieser Verlust schmerzte mich mehr als der ausgeschlagene Zahn.
Am Mittag traf mein Sohn ein und drei Freunde, die auch Christen sind. Wir haben uns umarmt, miteinander geweint und uns an den Vers erinnert:
„Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes.“
Abends haben wir uns dann noch mit den Brüdern getroffen, den ausgeschlagenen Zahn angeschaut, miteinander gesungen, gebetet und ich habe den Herrn für meinen Zorn um Vergebung gebeten. Der Hass verschwand und ich konnte auch meinem Schwager vergeben und der Friede Gottes zog wieder in mein Herz ein.
Am nächsten Tag kamen die Verwandten zu mir, um mich zu bedauern. Kasachen halten es für eine ungehörige Frechheit, wenn ein jüngerer Familienangehöriger einen älteren schlägt und deshalb fragten sie mich: „Warum hast du nicht zurückgeschlagen?“ Ich zitierte ihnen Römer 12,19 und konnte ihnen das Evangelium bezeugen. Das hat dazu geführt, dass einige von unseren Verwandten inzwischen unseren Hauskreis besuchen.

„Die schlagen dich tot ...!“
An einem Ort gab es großen Widerstand. Der Bürgermeister hatte uns die Erlaubnis gegeben, das Zelt aufzubauen. Aber kaum stand die Jurte, da kamen die Moslems aufgehetzt aus der Moschee gelaufen und stürmten lärmend unser Zelt. Drei Tage lang haben sie Krach geschlagen und versuchten, uns in eine Schlägerei zu verwickeln. Als ich dann meinen Fotoapparat holte und einige Bilder von dem Tumult machte, packten sie mich und versuchten mir die Kamera abzunehmen. Inzwischen hatte einer die Polizei geholt und da ich Mitglied der „Gideons“ bin, zog ich meine Mitgliedskarte aus der Tasche und sagte dem Polizisten: „Ich bin Mitglied einer internationalen Gruppe!“ Das machte offensichtlich Eindruck, denn der Polizist erschrak und gab mir den Rat: „Gib ihnen den Film!“
Ich holte den Anführer und fragte ihn:
„Wenn du den Film kriegst, haut ihr dann ab?“
„Ja!“ „Dann gebe ich dir den Film in Jesu Namen.“
„in Jesu Namen nehme ich den Film nicht an!“
„Dann werden die Fotos international bekannt und du kriegst internationale Schwierigkeiten.“ „Na gut, dann nehme ich den Film in Jesu Namen.“
Als das geregelt war, nahm mich der Polizist zur Seite und sagte:
„Ihr Christen seid blöd. Warum hast du ihm den Film nicht ohne Zusatz gegeben? Die schlagen dich tot!“
Ich konnte nur antworten:
„ich bin schon einmal gestorben“ - und dann musste ich ihm zur Polizei-Station folgen. Dort waren schon einige Mullahs eingetroffen und forderten:
„Baut die Jurte ab und macht, dass ihr verschwindet!“
Ich machte den Vorschlag: „Ihr seid tausend Moslems und wir nur sechs Christen. Kommt morgen mit eurem Koran und wir mit der Bibel und dann reden wir miteinander.“ So gingen wir auseinander.
Am Abend versammelte sich wieder eine Gruppe wütender Moslems vor unserem Zelt und drohten:
„Wir zünden das Zelt an, wir schlachten euch, wir zertrümmern euer Auto!“
Aber es blieb bei diesen Drohungen und wir konnten die Nacht unbeschadet in der Jurte schlafen.

Wenn man die Alten nicht ehrt ...
Am nächsten Morgen traf tatsächlich eine große Gruppe Mullahs ein und füllte unser Zelt. Sie hatten nicht nur ihren Koran mitgebracht, sondern zur Verstärkung eine moslemische Missionarin, eine junge Frau, die in Arabien für ihre Aufgaben in Kasachstan ausgebildet worden war.
„Die Bibel ist nicht von Gott inspiriert!“ eröffnete sie ihren Angriff, worauf ich verwundert antwortete: „Warum redet hier ein junges Mädchen, während die alten Mullahs schweigen?“
Sie konterte trotzig und unbedacht:
„Die haben keine Ahnung!“
Jetzt war es leicht für mich, den Spieß umzudrehen und ich rief in die Menge: „Sie beleidigt unser kasachisches Volk. Sie ehrt die Alten nicht. Wenn diese auch nicht so gebildet sind wie sie, so haben sie doch mehr Lebenserfahrung und Weisheit!“
Das brachte mir die murmelnde Zustimmung der Mullahs ein und die junge Frau beging einen zweiten Fehler und machte eine abfällige Bemerkung über unsere altmodische Jurte. Das verletzte natürlich den Stolz der traditionsbewussten alten Kasachen und so gerieten sie mit der jungen Frau in ein heftiges Streitgespräch und verließen schließlich untereinander zerstritten unser Zelt.
Solche und ähnliche Erlebnisse sind mit unseren Einsätzen verbunden. Man kann in der Jurte nicht um eine bestimmte Uhrzeit evangelistische Vorträge anbieten und vortragen, sondern muss rund um die Uhr für Gespräche und Auseinandersetzungen bereit sein, um Einzelne mit Gottes Hilfe zu gewinnen.
Die evangelistische Arbeit unter Kasachen ist nicht leicht, aber immer spannend, denn man muss mit Feindschaft und Widerstand rechnen, der von den Mullahs angestiftet wird und oft auch von der Familie ausgeht, wenn ein Kasache sich dem Evangelium öffnet. Deswegen sind wir auf den Beistand unseres Herrn angewiesen und danken für Eure Gebete.“
Euer Nurlan Tuleuow

Nachtext

Quellenangaben