Zeitschrift-Artikel: "Yes, we can?" Ein Seminar und seine Folgen

Zeitschrift: 127 (zur Zeitschrift)
Titel: "Yes, we can?" Ein Seminar und seine Folgen
Typ: Artikel
Autor: Carsten Görsch
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 2738

Titel

"Yes, we can?" Ein Seminar und seine Folgen

Vortext

Text

Eine frohe Botschaft?

„Ich habe eine frohe Botschaft für Sie!“, begann die Seminar-Leiterin die zweitägige Pflichtfortbildung in unserem Betrieb: „Veränderung ist möglich! Sie beginnt in Ihrem Kopf!“ Eigentlich war ich nicht besonders motiviert. Der Begriff „Frohe Botschaft“ allerdings weckte in mir die Bereitschaft, genauer hinzuhören, ist er doch in meinem Bewusstsein mit dem Glück meines Lebens verbunden. Nicht, dass ich irgendetwas Christliches erwartet hätte. Vielmehr war es der Wille zu kämpfen, wenn sich herausstellen sollte, dass es um „Etikettenschwindel“ ging.

Die Renaissance vergessener Werte

Tatsächlich bediente sich die gelernte Psychologin dann verschiedener Begriffe, die eindeutig der biblischen Lebens-Ethik entsprangen: Dankbarkeit, Versöhnlichkeit, Leidensfähigkeit, ja sogar Dienst und dienen. Letzteres schien dann einer Teilnehmerin etwas unpassend und antiquiert. Doch man blieb dabei: Dienst – arbeiten wir doch alle in einem Dienstleistungsunternehmen. Eigentlich war ich froh, diese Begriffe zu hören, lagen sie doch meinem Wertessystem sehr nahe, ja deckten sich sogar zu 95% mit dem meinigen. Doch irgendetwas fehlte …

Eine Frage hatte ich da schon …

Nach der Mittagspause begann der Nachmittag mit der üblichen Frage: „Wie geht es Ihnen denn in diesem Seminar und wie denken Sie über das bisher Gesagte?“ Als die Reihe an mich kam und man unisono zuvor Behaglichkeit im Sein und Interesse an der Sache bekundet hatte, erlaubte ich mir zu bemerken, dass auch ich mich an sich ganz wohl fühle, aber einige Fragen zum Menschenbild der Seminaristin hätte. Also nahm dieselbe sich Zeit, ausführlich darauf zu antworten. Sie hatte mich verstanden. Zum ersten Mal fiel zumindest der Name Gottes und sie verwies auf eine relative Deckungsgleichheit zwischen den von ihr genannten Werten und Strategien und der christlichen Lebens-Ethik. Dann schlug sie den Bogen von den griechischen Philosophen über die Aufklärung bis hin zu zeitgenössischen Denkern – bemühte Einstein, Mahatma Ghandi und Barack Obama (Letzterer darf heute auf keiner Fortbildung fehlen, ist er doch die Inkarnation aller denkbaren positiven Werte wie Ehrlichkeit, Entscheidungsfreudigkeit, Dialogbereitschaft, Ausdauer, Durchsetzungsfähigkeit und was sonst noch an Tugenden gefragt sein könnte).

Woran glauben wir eigentlich?

„Yes, we can!“ Veränderung war also möglich. Aber ohne Gott! Wenngleich die – an sich sehr sympathische Seminaristin – mir in der Folge noch einen gewissen Tribut zu zollen sich bemühte, indem sie Spr 18,21 zitierte: „Tod und Leben sind in der Gewalt der Zunge, und wer sie liebt, wird ihre Frucht essen“ – war doch klar, dass es einen tiefen Graben zwischen ihr und mir gab: sie glaubte an die Machbarkeit der Dinge und ich an die Macht Jesu Christi. Und das sind bei Licht besehen nun einmal zwei sehr verschiedene Paar Schuhe.

Ein Evangelium ohne Christus …

Es war ein Evangelium ohne Christus, was uns dort geboten wurde. Worthülsen aus der Zeit, als Firmengründer noch glaubten. Verpackungsmaterial ohne Inhalt. Erloschene „Verbal-Krater“, welche die Eruptionskraft des Evangeliums nur noch erahnen ließen. Ich dachte an die Worte des „kleinen“ Großen der Europa-Mission: „… die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen; und von diesen wende dich weg“(2Tim 3,5). Ja, es war ein bisschen christlich – aber ohne Christus.

Die Ersatzreligion der Seminaristen

Diese Zeilen wurden geschrieben für all diejenigen Brüder und Schwestern, die in der Welt, aber nicht von der Welt sind. Die ihren Mann und ihre Frau im Beruf stehen. Die neben harter körperlicher und seelischer Arbeit auch noch für die Wahrheit des Evangeliums einstehen. Für all diejenigen, die sich Super-Visionen und „Mental- Impfungen“ jeder Art unterziehen müssen, weil es der Betrieb für richtig hält. Die eingeschworen werden sollen auf „corporate identity“ und schwere Zeiten. Die angehalten werden, ihr Letztes und mehr zu geben, weil wir doch alle an einem Strang ziehen müssen. Ich möchte denen Mut machen, die Worte hören, die sie kennen, aber einen Geist spüren, der ihnen fremd ist. Hierzu sollen diese Zeilen dienen. Gebe Gott, dass sie ihren Zweck erfüllen.

Hohepriester der neuen Unternehmenskultur

Sie sind die Hohepriester einer neuen Unternehmenskultur. Ihre Aufgabe ist es, den (Dienst-) Herren ein williges (Arbeits-) Volk zuzubereiten. Dafür werden sie bezahlt und zwar nicht allzu schlecht – von 100 Euro pro Stunde aufwärts. Sie sind Psychologen, Pädagogen, Demagogen, Unternehmensberater, Selfmademen und Kommunikationsexperten. Ihre Botschaft lautet: Noch mehr Einsatz für noch weniger Lohn in noch weniger Zeit. Und das gefälligst mit Freude! Denn schließlich warten vor der Tür schon 50 andere, die dich ersetzen könnten. Sie haben den (un-) dankbaren Job, Menschen möglichst einfühlsam auf härtere Zeiten einzustimmen.

Die Mittel der Macher …

Dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Sie arbeiten mit Flipcharts und Powerpoint, mit Einzel- und Gruppenarbeit. Sie lesen Geschichten vor, wie einst die Märchentanten, zitieren die immer gleichen Autoren mit dem immer gleichen Glanz in den Augen. Wenn du nicht gerade einen echten Könner erwischt, kannst du ihre Phrasen schon leise mitsprechen: „Der Weg ist das Ziel“ (so ziemlich das Dümmste, was überhaupt im letzten Jahrzehnt an Spruch geprägt worden ist.) „Ich bin o.k. und du bist k.o. – pardon o.k.“ „Nur gemeinsam sind wir stark“, etc.

… und ihre persönlichen Vorlieben

Jeder hat so seinen Lieblings-Guru: der eine steht auf Rogers, der andere auf Frankl. Der eine lässt dich Mandalas malen, der andere geht mit dir auf Gedankenreise (und wehe, du gehst nicht mit!). Nachdem wir dann alle mit der progressiven Muskelentspannung nach Jacobs „relaxt“ haben, liest uns dann der Supervisor das neueste aus „Harvard Buisiness“ vor, vor allem was die Notwendigkeit einer neuen, aufrichtigen Unternehmenskultur in unseren Landen angeht. So ein kleiner Mischmasch an Mitteln und Wegen. Ein Ethik-Eintopf, bei dem du nur noch sehr schwer identifizieren kannst, woher was kommt und welchen Hintergrund es hat.

Ideologisches Pantheon mit christlichem Ornament?

Und hier liegt das Problem: die Hohenpriester der neuen Denkkultur zaubern vor deinen müden Augen ein schillerndes ideologisches Pantheon aus dem Hut, indem alle Götter der Menschheitsgeschichte gleichzeitig verehrt werden. Dass dabei im christlichen Abendland auch das Auslaufmodell „Bibel“ nicht fehlen darf, versteht sich von selbst. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Denn nur wenn wir uns selbst lieben, können wir auch den anderen lieben“, meint der Supervisor zu wissen. Behutsam platziert er weltbekannte biblische Weisheiten wie Petersilie auf den Kartoffeln seiner Bauern-Schlauheit. Aber immer solche ohne Christus, ohne Gott. Denn die Welt, in der wir leben, liebt den eigentlich nicht existenten christlichen Humanismus – aber sie hasst den Christus.

So richtig warm wird keinem

So sind es die Funken von Wahrheit eines verbalen Feuerwerks, das vor den Augen und Ohren der Zuhörer und Zuschauer abgefackelt wird. Den wiedergeborenen Christen will es dabei allerdings nicht so recht warm werden. Denn das Wesentliche fehlt: der Lichtglanz der Herrlichkeit des Christus. Das andere kann den natürlichen Menschen leicht blenden und er kehrt nach Hause zurück in der Meinung, erstaunliche Dinge gehört und viel für sich selbst dazugelernt zu haben. Was er übrigens auch am Ende eines langen Seminarstages freimütig, manchmal schon fast reumütig vor den anderen Seminar- Teilnehmern bekennt. Aber wirklich geholfen worden ist ihm nicht. Denn die christliche Lehre ist ohne den Christus nichts anderes als eine letztendlich zum Scheitern verurteilte fromme Übung.

Das Problem des flüchtigen Erfolgs

Das Tragische an der Sache ist nun folgendes: die Methoden der Seminaristen zeigen einen gewissen Erfolg. Meistens ist er nicht unbedingt langfristig, aber zunächst einmal schon ein wenig beeindruckend. So wie ein Strohfeuer für kurze Zeit Licht gibt und tatsächlich auch ein wenig wärmt. Keiner kann das leugnen. Genauso wenig, wie man einen vorübergehenden Erfolg gewisser Seminar-Inhalte leugnen kann, wenn denn der Teilnehmer sich auf sie einlässt. Eigentlich nicht verwunderlich, weiß man doch, dass alles, was ein Mensch in seinem Leben konsequent anpackt, irgendwie Veränderung bewirkt.

Man muss es ihnen einfach glauben!

Mit diesen Erfolgen nun brüsten sich die Seminar- Leiter. Sie zitieren Aussagen von Menschen, die wir nicht kennen, oder verlesen eMails der Dankbarkeit von solchen, die sich zu ihnen „bekehrt“ haben. Keiner würde ihnen unterstellen, dass sie sich das alles ausgedacht haben, denn man hat den Eindruck, dass sie nicht nur ziemlich gut Geld verdienen, sondern auch wirklich helfen wollen. Jedenfalls muss man ihnen dass als „Gutmensch“, der man als Christ nun mal ist, zunächst einmal glauben. Was allerdings ihrer Meinung nach unleugbar für sie spricht ist die Tatsache, dass sie weltweit von etlichen Firmen und Unternehmen gerne und viel eingeladen werden.

Jannes und Jambres

Tatsächlich glaube ich, dass sie einen gewissen Erfolg haben, ähnlich dem von Jannes und Jambres, also jenen zwei ägyptischen Zauberkünstlern, die bis zu einem gewissen Grad in der Lage waren, die Zeichen, die Mose und Aaron in der Kraft Gottes taten, zu imitieren. Sie konnten, genau wie die Männer Gottes, ihre Stäbe zu Schlangen werden lassen, eine Froschplage heraufbeschwören, so wie Mückenschwärme über das Land kommen lassen. Dann aber waren sie mit ihrem Latein am Ende. Die Schrift bescheinigt ihnen für die folgenden sieben Plagen entweder Unfähigkeit oder erwähnt sie schlicht und ergreifend einfach nicht mehr.

Moderne „Rattenfänger“

Paulus schreibt über sie in seinem inspirierten Kommentar zum Exodus: „Gleicherweise aber wie Jannes und Jambres Mose widerstanden, also widerstehen auch diese der Wahrheit, Menschen, verderbt in der Gesinnung, unbewährt hinsichtlich des Glaubens“ (2Tim 3,8). Es ging Jannes und Jambres also um Widerstand gegen Gott und seine Diener. Sie waren Prototypen jener Sorte Menschen, die nach ihnen kommen würden und die bis heute das Evangelium als ein Mittel zum Zweck benutzen. Dieser Zweck heißt im Neudeutschen „Klientel machen“. Es geht darum Menschen zu ködern, um letztendlich Gewinn aus ihnen zu machen.

Flüsterpropaganda

Das würden die Seminaristen so nicht zugeben. Aber wer legt im Poker um die Seelen von Menschen schon die Karten auf den Tisch! Fest steht aber, dass jede weitere Einladung zu weiteren Seminaren „Cash“ bedeutet. Dabei ist der beste Werbeträger natürlich der Seminar-Teilnehmer selbst. Denn der empfiehlt den Seminaristen weiter. Könnte es ein besseres Aushängeschild geben, als glückliche und zufriedene Kunden? Und so läuft die Kunde von dem Lebenskünstler, dem Beziehungsheiler und dem Marketing- Messias. Mal mehr, mal weniger weit. Und man fragt sich manchmal, warum nicht gleich so? Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die Wirtschaftskrise solche Ausmaße annahm, obwohl man wusste, dass Anständigkeit und Transparenz letztendlich weiter tragen als Veruntreuung und Unanständigkeit?

Das Schwein im Nadelstreifen-Anzug

Eigentlich wusste man es schon immer. Man wollte nur nicht wahrhaben, dass der Mensch schlecht ist und deshalb Schlechtes tut. Genau wie das Schwein immer die Neigung haben wird, sich im Dreck zu wälzen, auch wenn es dir gelungen sein sollte, es in einen Nadelstreifen-Anzug zu zwängen. Und hier stoßen die Seminaristen an ihre Grenzen: sie können den Menschen an sich nicht ändern. Das kann nur Christus. Aber mit dem haben sie nicht viel am Hut. Also dressieren sie die Menschen auf ein wenig Christlichkeit – und kommen damit (relativ) weit. Denn bis zu einem gewissen Maß kann das Fleisch Göttlichkeit imitieren!

Mobilisation der letzten moralischen Reserven

Jedenfalls hält das Ganze nicht besonders lange vor. Es sind kurzlebige Eintagsfliegen, Strohfeuer der Begeisterung und Sekunden-Walzer der Glückseligkeit. Man kann die natürlichen Fähigkeiten des Menschen herausfordern und tatsächlich: er reagiert. Man kann an seinen Gerechtigkeitssinn appellieren und tatsächlich erwacht er einen Moment zu neuer sittlicher Größe. Man kann auch, wie es jüngst der Bundespräsident Deutschlands tat, den verlorenen Anstand wieder heraufbeschwören, und siehe da: alle sind einverstanden. Aber kein einziger Mensch verfügt über die Kraft, die gebraucht wird, um dem spontanen Willen auch dauerhafte Taten folgen zu lassen.

Nur Einer kann nachhaltig verändern!

Nachhaltige Veränderung bewirkt nur der Herr Jesus Christus. In ihm ist Kraft und er wird vollenden. Davon zeugten schon symbolisch die beiden Säulen, die Salomo vor dem Tempel Gottes errichten ließ: „Jakin“ („Er wird vollenden“) und „Boas“ („In ihm ist Kraft“). Warum sonst wurde ein Apostel Paulus, dem man nun hinreichend Wissen und Askese unterstellen durfte, auf den Christus hin erzogen, bis er verzweifelt ausrief: „Denn ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, finde ich nicht“ (Röm 7,18). Der Mensch von sich aus ist einfach nicht zu tiefgreifend nachhaltiger Veränderung fähig!

Eine gute Chance!

An einem gewissen Punkt des Seminars meldete sich eine Teilnehmerin und fragte die Leiterin, was sie tun solle: Sie wolle wohl vergeben, aber sie könne nicht vergessen. Zu meinem Entsetzen antwortete die „Expertin“: „Auch das liegt ganz bei Ihnen!“, wohl unterschlagend, dass das Vergeben eine aktive Entscheidung des Menschen ist, das Vergessen hingegen ein passives Geschehen, das Zeit braucht. Doch mir wurde bewusst, dass diese Veranstaltungen eine einzigartige Möglichkeit darstellen, mit suchenden Menschen über den Glauben zu sprechen. Was ich dann auch tat.

Vorsicht ist geboten!

Alles in allem gesehen sollte man wachsam sein. Was die Hightech-Nachfolger von Jannes und Jambres heutzutage mit ihren Flipcharts und Beamern an kleinen Wundern vollbringen, sieht manchmal täuschend echt aus. Sie haben eine Form der Gottseligkeit, deren Kraft aber verleugnen sie (2Tim 3,5). Und der erlöste Paulus gibt uns den Rat: „… und von diesen wende dich weg.“ Wenngleich auch manche Seminare für uns Pflichtveranstaltungen sind, sollten wir doch innerlich auf Distanz zu den Heilslehren der modernen Welt bleiben. Alles, was letztendlich nicht in die Allgenügsamkeit Christi mündet, ist bei Licht besehen nichts, was hält und durchträgt. Die Lebensweisheiten der Beratungs- Gurus werden erbärmlichen Irrlichtern gleichen, wenn wir uns auf die Schätze der Weisheit und Erkenntnis, die wir in Christus haben, besinnen. Irgendwann jedenfalls wurden Jannes und Jambres von Mose und Aaron auf ihre Plätze verwiesen und der Allmächtige entfaltete seine göttliche Macht vor ihren Augen.

Nachtext

Quellenangaben