Robert Cleaver Chapman -der Patriarch aus Barnstaple (1803-1902)
Er erreichte ein Alter von 99 Jahren - der Mann, dem J.N. Darby das bemerkenswerte Zeugnis ausstellte: "Er lebt, was ich lehre!"
Damals sprach man davon, daß in der Brüderbewegung die drei christlichen Tugenden "Glaube, Liebe, Hoffnung" von drei Brüdern besonders ausgeprägt gelebt wurden: Georg Müller, der Waisenvater von Bristol, ist als Mann des Glaubens in die Kirchengeschichte eingegangen, J.N. Darby als Lehrer und Prediger der christlichen Hoffnung und schließlich R.C. Chapman als "Apostel" der Liebe.
Kindheit und Jugend
Chapman war - ähnlich wie Darby - zeitlebens nicht verheiratet und kam ebenfalls aus einem wohlhabenden Elternhaus. Sein Vater war ein angesehener Kaufmann, der vorübergehend in Dänemark wohnte, wo der kleine Robert seine frühen Kinderjahre verbrachte und von einem französischen Pater erzogen wurde. Vielleicht kann man die außerordentliche Sprachbegabung Chapmans darauf zurückführen, daß in seinem Elternhaus zeitweise dänisch, französisch und englisch gesprochen wurde.
Doch bald zog die Familie wieder nach England, wo Robert die Schule besuchte, um danach die Juristenlaufbahn einzuschlagen. Bereits mit zwanzig Jahren wurde er als Anwalt beim Allgemeinen und Königlichen Gerichtshof in London zugelassen, und drei Jahre später eröffnete er sein eigenes Anwaltsbüro.
Umkehr und Widerstand
In diesen Jahren erlebte er auch seine Bekehrung. Obwohl seine Eltern keine überzeugten Christen waren, hatte Chapman begonnen, die Bibel zu lesen und hatte versucht, die Gebote Gottes aus eigener Kraft zu erfüllen. Darüber wurde er sehr unglücklich und friedlos, obwohl er aufgrund seiner Bildung, seiner vornehmen Herkunft und seines tadellosen Charakters als Gast und Unterhalter auf vielen Partys der mondänsten Kreise Londons sehr beliebt war. Chapman schrieb über diese Zeit:
"Mein Kelch war bitter von meiner Schuld und der Frucht meines Handelns. Die Welt war mir über und ich haßte sie in der Verwirrung meines Geistes, obwohl ich gleichzeitig unfähig und unwillig war, mit ihr zu brechen."
Doch in dieser Zeit wurde er eingeladen, einen freikirchlichen Gottesdienst zu besuchen. Diese Einladung nahm Chapman als hingegebener Anhänger der etablierten Kirche nur widerwillig an, wurde aber von der Verkündigung des Predigers Evans derart gepackt, daß er sich bald darauf bekehrte. Konsequent wie Chapman war, stand er kurze Zeit später neben Mr. Evans auf der Kanzel und bezeugte öffentlich seinen neugefundenen Frieden. Er stand dort mit einem standesgemäßen Schwalbenschwanz bekleidet, auf dem die großen goldenen Knöpfe die vornehme FIrkunft des Besitzers verrieten, um in gemessener, gebildeter Sprache seinen Glauben zu bekennen.
Als Chapman sich aber dann auch noch taufen ließ, begann für ihn eine notvolle Zeit mit erbittertem Widerstand aus allen Richtungen:
"Ich wurde zum Anstoß für die, denen ich nachging, sogar denen, die mein Fleisch und Blut sind. Und warum wurden sie so aufgebracht? Weil ich durch das Aufnehmen meines Kreuzes ein Zeuge gegen sie wurde, weil ich mich nur noch Deiner rühmte, und alle, die unter dem Gesetz stehen, unter Deinem Fluch stehen sah."
Die ersten Dienste für Christus
In dieser Zeit, als sich die vornehmen Gesellschaftskreise und auch seine Familie von ihm abwandten, fand er einen neuen Freundeskreis unter den Armen und Kranken in den dunklen Elendsvierteln der Stadt. Für die Gemeinde war es bald ein vertrautes Bild, wenn Chapman am Sonntag mit einer armen, verkrüppelten, blinden Frau zum Gottesdienst ging, die sonst niemanden hatte, der sie dorthin geleitet hätte. Wenn der vornehme Anwalt mit der verkrüppelten Frau durch den Mittelgang schritt, waren sie "eine lebendige Mahnung für alle, die zwar gesund in der Lehre, aber ohne viel Liebe lebten".
Umzug nach Barnstaple
1831, als Chapman 28 Jahre alt war, folgte er dem Vorbild A.N. Groves (vgl. A.N. Groves: "Seid nicht besorgt", CLV), verkaufte alle Habe, verschenkte sein privates Einkommen, gab seinen Beruf auf, um seine Zeit völlig dem Herrn zur Verfügung zu stellen. Kurz darauf bekam er eine Einladung der. "Ebenezer"-Baptistengemeinde in Barnstaple, ihr Pastor zu werden. Als diese auf seine Bedingungen einging, nicht gegen Bezahlung dort zu arbeiten und alles predigen zu dürfen, was Gott ihm klarmachte, sah er darin die Führung Gottes und begann 1833 seinen Dienst in Barnstaple.
Die Londoner Freunde entließen ihn sehr skeptisch und prophezeiten seinen baldigen Untergang, weil er kein guter Prediger sei. Seine -inzwischen berühmt gewordene - Antwort lautete:
"Es gibt sehr viele, die Christus predigen, aber nicht so viele, die Christus leben. Mein Ziel wird sein, Christus zu leben."
Auch in seinem neuen Wirkungsort zog es ihn zu den Armen im Stadtteil Derby. Er predigte dort in den Armenhäusern und begann hier auch mit seinen Straßenpredigten, die er fast 70 Jahre lang in dieser Stadt regelmäßig hielt.
Die »Universität der Liebe«
Bald mietete er ein kleines Haus im Armenviertel, um in diesem verrufenen Stadtteil zu wohnen. Er lebte dort im Glauben, ohne festes Einkommen, wünschte aber, Gäste in seinem Haus auf unbestimmte Zeit beherbergen zu können, um mit ihnen zu lernen "jede Kleinigkeit aus Gottes Hand im Glauben zu erbitten".
Wenn ein Gast kam, zeigte er ihm das Zimmer, erklärte die Hausregeln und bat dann, jeden Abend die Schuhe oder Stiefel vor die Türe zu stellen, damit er sie putzen könne. Einmal wollte ein Gentleman, der um die vornehme Erziehung und den geistlichen Adel Chapmans wußte, es nicht zulassen, daß dieser seine Stiefel wegtrug. Aber die Antwort lautete sehr bestimmt:
"Ich bestehe darauf. Früher war es üblich, den Heiligen die Füße zu waschen. Das geht heute nicht mehr, und wenn ich Ihre Schuhe putze, kommt das diesem Brauch am nächsten."
Chapman pflegte bis an sein Lebensende morgens um 3.30 Uhr aufzustehen und dann in die neben seinem Bett stehende Badewanne zu steigen, um ein kaltes Bad zu nehmen. Danach wurden die Stiefel seiner Gäste geputzt, das Feuer im Ofen angezündet und das Frühstück für seine Gäste vorbereitet. Dann zog er sich zurück, um bis zum Mittag seine Zeit mit Bibelstudium und Gebet zu verbringen. Täglich erlebte er etwa sieben Stunden dieser intensiven Gemeinschaft mit seinem Herrn. Der Nachmittag wurde mit Hausbesuchen, Straßenpredigten, seelsorgerlichen Gesprächen und sonstigen Diensten verbracht. Abends um 21.00 Uhr verabschiedete sich Chapman, um nach einem heißen Bad die Nachtruhe anzutreten.
Jeden Samstag ruhte sich Chapman aus. Er war dann für keinen Besucher zu sprechen, verbrachte den ganzen Tag fastend in seiner kleinen Werkstatt, um bei seiner liebsten Freizeitbeschäftigung, dem Drechseln von Holzgegenständen, sein Herz im Gebet vor Gott auszuschütten. Diese stillen Stunden der Gemeinschaft mit Gott gaben ihm eine geistliche Prägung, die er an seine Umgebung weitergeben konnte. Weich einen gesegneten Einfluß dieser von der Liebe Gottes geprägte Mann auf die "Ebenezer"-Gemeinde und die vielen Gäste in seinem Haus ausübte, machen die zahlreichen Anekdoten deutlich, die in seiner Biographie nachzulesen sind.
Heimgang
70 Jahre lang hat Chapman in Barnstaple gearbeitet, und sein Dienst wurde nur durch gelegentliche Missionsreisen nach Irland und Spanien unterbrochen. Noch mit 98 Jahren predigte Chapman in geistiger Frische und mit geistlicher Kraft. Er hatte alle "Brüder" der Anfangszeit überlebt. Darby, Wigram, Cronin und Groves waren schön längst in der Ewigkeit. Als Chapman hörte, daß sein Freund Georg Müller heimgegangen war, neigte er nachdenklich sein Haupt und sagte nach einer Stille von etwa fünf Minuten:
"Keinem von uns steht es zu, unseren Meister zu tadeln, aber ich wurde fünf Jahre vor Georg Müller errettet, und es hätte mir zugestanden zu gehen."
Vier Jahre später war auch Chapman am Ziel. Seine letzten Worte waren:
"Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt ..."
Hunderte von Menschen kamen zu seiner Beerdigung. Sein Biograph schreibt:
"Sie kamen aus dem ganzen Land. Baptisten, Methodisten, Kongregationalisten und Anglikaner kamen ans Grab mit 'Brüdern' zusammen, am Grabe des Mannes, der sie durch sein Wort und sein Beispiel gelehrt hatte, daß alle wiedergeborenen Menschen Brüder und Schwestern in Christus sind. Und obwohl er nie auch nur einen Zentimeter von seinen Überzeugungen bezüglich der Anbetung und Leitung in der Gemeinde abgewichen war, wußten doch alle, daß er sie von Herzen lieb gehabt und es immer von Herzen bedauert hatte, daß es nicht mehr Einigkeit in diesen Fragen unter Gottes Kindern gab. Sie wußten, daß sie einen 'wahren' Bruder verloren hatten."
Gott schenke, daß das Beispiel dieses gesegneten Lebens uns anspornt, in einer Welt, in der es nicht an "christlichen" Predigten mangelt, Christus zu leben und auf diese Weise Menschen für unseren Herrn zu gewinnen.
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