Diese Nachricht konnte man im April 2009 auf der Titelseite der Beilage der offiziellen chinesischen Tageszeitung „China Daily“ lesen. Die Erkenntnis verwundert nicht, zumal es in China nur noch ca. 65 Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei gibt – nicht einmal 5% der Bevölkerung. Dazu kommt noch, dass nicht wenige Christen in gehobenen Stellungen ihren Partei-Ausweis nach der Bekehrung aus verschiedenen Gründen nicht zurückgegeben haben. Die Zahl der Christen, die bekennen „wiedergeboren“ zu sein, dürfte also mehr als doppelt so hoch sein wie die Zahl der KP-Mitglieder. Und es werden jeden Tag mehr, besonders unter den jungen Menschen – darunter vor allem Studenten.
Verfolgung oder Freiheit?
Die Berichte über die Situation der Christen in China scheinen oft sehr widersprüchlich zu sein. Auf der einen Seite gibt es illegale „Untergrundkirchen“, die oft mehr als hundert, in Einzelfällen mehr als 1.000 Mitglieder verzeichnen, teilweise in öffentlichen Räumen zusammenkommen und sich in keiner Weise verstecken müssen. Das ist vor allem in Großstädten der Fall, die von vielen Ausländern besucht werden. Andererseits gibt es in abgelegenen Gebieten und Dörfern immer wieder Repressalien, Verhaftungen und Beschlagnahmungen, obwohl Religionsfreiheit eigentlich gesetzlich garantiert ist. Die Erklärung dafür gibt unser chinesischer Freund Thomas, der seit vielen Jahren als Evangelist und Bibellehrer in China sowohl in Großstädten wie auch in Dörfern unterwegs ist: „Die Macht wird in China nicht vom Gesetz, sondern von Menschen ausgeübt!“ So kommt es, dass korrupte Provinzfürsten durch Drohung und Erpressung Christen unter Druck setzen in der Hoffnung, Gelder für die eigene Tasche locker machen zu können.
Tatsache ist …
... dass es in China inzwischen mehr als zweihundert offizielle christliche Buchhandlungen gibt, die sich nicht in versteckten Gassen, sondern oft in Stadt-Zentren befinden und von weitem durch Reklame-Schilder erkennbar sind. Dort findet man eine immer größer werdende Auswahl guter Literatur von bekannten Autoren. Darunter die Werke der Reformatoren, der Puritaner wie Jonathan Edwards, John Owen, John Bunyan usw., wie auch jüngere Autoren wie C.S. Lewis, Josh McDowell, Elisabeth Elliot, Tim La Haye. Besonders die Bereiche Biographien und reformatorische Theologie, Lebenshilfe (Ehe, Kindererziehung usw.) sind auffallend gut abgedeckt. Kinder- und Jugendliteratur ist dagegen Mangelware, obwohl wir bei unserem letzten Besuch im November 09 das bekannte und wertvolle Kinderbuch „Spuren im Schnee“ von Patricia St.John als Neuerscheinung in den Buchläden gefunden haben. Bei dem herausgebenden Verlag in Peking erfuhren wir, dass weitere Bücher dieser Autorin folgen werden. Eindeutig evangelistische und apologetische Bücher sucht man allerdings vergeblich in den Bücherregalen. Auch Literatur zum Thema Kreationismus oder Publikationen, welche die herrschende Ideologie in Frage stellen, haben zur Zeit noch keine Chance, eine offizielle Genehmigung zu bekommen. Alle angebotenen Bücher können auch über Internet und auch in jeder säkularen Buchhandlung bestellt werden, da sie von einer staatlichen Behörde geprüft und mit einer Nummer als genehmigt erklärt wurden. Tatsache ist auch, dass in Einzelfällen Freiversammlungen möglich sind. Wir hörten das aus verschiedenen Großstädten und waren am 29. November 2009 selbst Zeugen davon. Am Sonntag-Morgen trafen sich in Shanghai von 8:00 bis 10:00 Uhr bei ziemlich niedrigen Temperaturen etwa 100 bis 150 Personen neben einer U-Bahnstation mitten in der Stadt zum Gottesdienst. Jeder hatte sich einen Klappstuhl mitgebracht – eine Verstärker-Anlage sorgte für die Verständigung, ein Chor leitete den Gesang. Es wurde gebetet, Bibelverse vorgelesen und schließlich auf schlichte Weise das Abendmahl gefeiert. Nicht demonstrativ oder provokativ, sondern eher verhalten-schüchtern zeigte man sich der Öffentlichkeit. Die Menschen schüttelten teilweise den Kopf, blieben verwundert stehen, schauten interessiert zu oder hörten sogar zu. Falls tatsächlich zivile Polizisten alles beobachtet haben – wovon man ausgehen muss – griffen sie jedenfalls in keiner Weise störend ein und hinderten mich auch nicht daran, fleißig zu filmen und zu fotografieren.
Alte Freunde …
In Peking trafen wir unseren nun 85 Jahre alten chinesischen Bruder Siegfried Koll, von dem wir gelegentlich in „fest&treu“ berichtet haben. Als Adoptivsohn deutscher Missionare musste er während der Kultur-Revolution über 20 Jahre als „Konter-Revolutionär“ im Gefängnis und Arbeitslager zubringen, weil er sich offen zu seinem Herrn Jesus Christus bekannte und nicht bereit war, seine Adoptiveltern als westliche Spione zu denunzieren. Während seiner Haftzeit ließ sich seine Frau von ihm scheiden und auch seine drei Kinder wollten nichts mehr mit einem „Staatsfeind“ zu tun haben. Nachdem er 1978 entlassen wurde, hat er besonders im Norden Chinas, wo viel Armut herrscht, das Evangelium verkündigt und in den vielen „Hauskirchen“ die Bibel ausgelegt. Eine zerlegbare Mini-Stiftshütte, die er von einem Bruder aus Deutschland bekommen hatte, diente dabei als Illustration und Einführung in die AT-Typologie und riesige, selbst gemalte Plakate – ähnlich dem „Bibel-Panorama“ – halfen, den Heilsplan Gottes verständlich zu machen. Musikalisch begabt hat er auch ein kleines Orchester gegründet und in Verbindung damit auf Hochzeiten und Beerdigungen das Evangelium verkündigt. Die Krebs-Operation, die vor zwei Jahren von gläubigen Ärzten vollzogen wurde, hat er gut überstanden und ein Team Zahnärzte hat sein Gebiss runderneuert, sodass unser Bruder uns jünger und frischer erschien als vor sechs Jahren, wo wir ihn zum ersten Mal in Peking kennen lernten. Nun hat er große Pläne, den Menschen in der Inneren Mongolei das Evangelium zu verkündigen und die vielen Hausgemeinden dort mit dem Wort Gottes zu ermutigen. Für uns war es sehr bewegend mitzuerleben, wie viel Freude es ihm bereitete, als wir ihm Briefe und VorkriegsBilder von einigen seiner alten „Adoptiv-Verwandten“ aus Deutschland überreichten, die ihn das letzte Mal vor etwa 70 Jahren gesehen hatten und bis vor wenigen Monaten nicht einmal wussten, ob er überhaupt noch lebte.
„Licht der Gnade“
In Wenzhou, dem „Jerusalem Chinas“, wo wir viele uns lieb gewordene Geschwister und Versammlungen besuchen durften – die hier besonders effektiv und gesegnet unter Studenten und Medizinern evangelisieren – lernten wir erstmals den Bruder Feng En Guang („Licht der Gnade“) kennen. In seiner lebhaften und großen Familie wurden wir zu einem typischen chinesischen Abendessen eingeladen. Während ein undefinierbares Gericht nach dem anderen aufgetischt wurde erfuhren wir, dass Bruder Feng ein schlichter, origineller und kerniger Evangelist ist. Während der Kulturrevolution in Shanghai wurde er wegen seines Glaubens verhaftet und verurteilt. Doch der Bruder machte seinem Namen alle Ehre und verkündete und lebte unter den Gefangenen so glaubwürdig das Evangelium, das viele seiner Mithäftlinge sich bekehrten und die Gefängnisleitung es vorzog ihn vorzeitig zu entlassen, weil man sonst befürchtete, dass sich das Gefängnis bald in eine Kirche verwandeln würde … Dieser vorbildliche Bruder bereist jetzt vor allem solche Dörfer und Orte im Norden und Westen des Landes, in denen viele Aids-Kranke wie in Ghettos wohnen. Vor etwa 10 Jahren, als Aids in China noch unbekannt war oder zumindest verschwiegen wurde (Homosexualität und Prostitution ist in China bekanntlich verboten!), hatten arme Bauern regelmäßig Blut gespendet, um sich auf diese Weise „über Wasser“ zu halten. Darunter waren auch HIV-Infizierte, wie man später feststellte, durch deren Blutkonserven viele angesteckt wurden und so breitete sich in bestimmten Regionen eine Aids-Welle aus. Solche Dörfer werden meist gemieden und die Menschen dort sind umso dankbarer, wenn ein Christ wie Feng En Guang ihnen praktische Hilfe, aber auch das Evangelium in Wort und Schrift bringt.
Es gibt auch Probleme …
Die kommen aber inzwischen weniger von Seiten der Regierung - die wohl erkannt hat, dass die Christen mit wenigen Ausnahmen loyale Bürger sind – sondern eher von der offiziellen „Drei Selbst-Kirche“, die an manchen Orten den Hauskirchen gegenüber feindlich eingestellt ist und gelegentlich Anzeige erstattet. Probleme bereiten eher die zahlreichen Schulungen und Seminare, die zunehmend in den größeren Städten von ausländischen Christen angeboten werden. Viele begabte Geschwister in den Hauskirchen nutzen diese Angebote, finden aber kaum noch Zeit für die eigentliche Arbeit vor Ort (Hausbesuche, evangelistische Aktionen usw.). Leider dringen durch diese Schulungen auch fragwürdige und falsche Lehren und Praktiken in die Gemeinden, so dass manche bisher schlichte Gemeinde plötzlich meint, sich nach westlichen Gemeindemustern neu orientieren zu müssen und dabei ihre Originalität und Glaubwürdigkeit verliert. Bruder Ji Tai, der in Deutschland Theologie studiert hat und über längere Zeit an einem theologischen Seminar der „Drei-Selbst-Kirche“ als Dekan unterrichtete, bevor er diese Stelle wegen seiner Kontakte zur Untergrundkirche verlor, versucht diesem Trend entgegenzusteuern. In den zahlreichen Hauskirchen und Untergrund-Bibelschulen, die er betreut, ermutigt er, kleine und überschaubare, gemeinschaftsintensive Hauskirchen zu bilden und sich an der Schlichtheit der Gemeinden in apostolischen Zeiten zu orientieren. Diesen Ansatz versuchen wir dadurch zu unterstützen, dass wir solide, an der Bibel ausgerichtete und praktische Literatur in China drucken und verbreiten lassen. Bisher muss diese Arbeit im „Untergrund“ geschehen, aber wir beten und sind voller Zuversicht, dass diese Arbeit bald auch mit staatlicher Genehmigung getan werden kann.
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