Zeitschrift-Artikel: Gesegnete Abhängigkeit

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Titel: Gesegnete Abhängigkeit
Typ: Artikel
Autor: Paul Humburg
Autor (Anmerkung):

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Titel

Gesegnete Abhängigkeit

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Text

»Ich sah traurig aus vor dem König.« Mit diesen Worten schildert Nehemia seine Gemütsstim­mung, als er von dem Kummer um sein gedemütigtes Volk innerlich zerrissen auf dem Schloß Susan bei dem König von Babel seines Amtes als Mundschenk waltete. Es fehlte ihm äußerlich nichts zu einem behaglichen und ehrenvollen Leben am Hof des Königs der Welt, und doch »sah er traurig aus«.

Der Untergang der Stadt Jerusalem und der traurige Zustand im Innern der zersprengten und verstreuten Gemeinde Gottes legte sich wie eine dunkle und trübe Wolke auf sein Herz und auf sein Gesicht. Er gehörte nicht zu den Stolzen von Zion, die es sich äußerlich gutgehen lie­ßen und »sich nicht über den Zusammenbruch Josefs bekümmerten« (Amos 6,6), sondern in ihm lebte schon, was später unseres Heilands Herz erfüllte: Ihn jammerte des Volkes. Solche Leute sind Gottes Mitarbeiter.

Das Trauern des Herzens über den Verfall der Gemeinde Gottes, über die Macht der Sünde in der Welt ist ein gesegneter Antrieb für die Arbeit des Herrn. Als Paulus die Macht des Satan in der wahrsagenden Magd in Philippi erkannte (Apg 16,18), da heißt es nur: »Paulus aber wur­de unwillig.« So sollte unser Herz beim Anblick all der Macht der Sünde in der Christenheit empfinden. Nicht hart zu urteilen, nicht mit dem Schwerte dreinzuschlagen ist unsere Aufga­be, sondern innerlich zu leiden unter der Sünde auch-anderer Menschen und auch Leid zu tragen über den Verfall innerhalb des Volkes Gottes. Innerlich uns sorgen auch um einzelne, deren Irrweg wir wahrnehmen, und von da aus dann an die Arbeit gehen — zu retten, was sich retten lassen will.

Auf die Frage des Königs: »Warum sieht dein Gesicht so traurig aus?« hat Nehemia geantwor­tet: »Warum sollte mein Gesicht nicht traurig aussehen, wo doch die Stadt, die Begräbnisstätte meiner Väter, verödet daliegt?« Er bekannte sich zu dem verachteten und zerschlagenen Volk seines Gottes, so wie Mose sich als Sohn der Königstochter zu den Ziegelbäckern gehalten hatte, über denen er die Verheißung Gottes leuchten sah. »Er hielt die Schmach Christi für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens« (Hebr 11,26).

Wie selten ist diese Haltung in unseren Tagen! Wie viele haben, wenn sich in der Gemeinde des Herrn Schwächen und Mängel zeigen, sofort ein scharfes Wort zur Hand. Wie viele auch von den Jüngern des Herrn rücken dann deutlich merkbar von solchen »Fällen« ab und wol­len nicht mitverantwortlich gemacht werden für die Sünden solcher Christen, bei denen man wahrnimmt, wie manches öde daliegt. Wir sollten Nehemia folgen und uns zu den Verachte­ten Gottes halten, auch wenn wir Schwächen und Fehler bei ihnen wahrnehmen. Tersteegen sagte einmal: »Gottes kranke Leute sind mir lieber als die Gesunden der Welt.«

Und solche, denen im Gericht Gottes ihr eigenes sündiges Wesen überaus bewußt geworden ist, und die an sich selbst gründlich zuschanden werden, die werden in den Zeiten des Tief­stands der Gemeinde Gottes nicht in das allgemeine Verurteilen einstimmen, sondern bei of­fenbar zutage liegenden Schäden schweigsam werden — so wie jemand, der Bankrott gemacht hat, still wird, wenn in seiner Umgebung von Bankrott die Rede ist. Aber sie werden sich in­nerlich unter die Last stellen, die auf dem Volk Gottes liegt.

Nachtext

Quellenangaben