Gemeindewachstum ist ein Thema unserer Zeit. Von quantitativem Wachstum ist natürlich die Rede. Mega-Kirchen sind »in«. Fragen bezüglich der Wachstumsgeschwindigkeit von Gemeinden beschäftigen uns. Wachsen konservative Gemeinden schneller als liberale? Wie niedrig muß die Hürde für Außenstehende sein, um Anschluß bei uns zu finden? Welche Strategien sind erlaubt? Welche Methoden sind noch geistlich, welche weltlich? Ist Wachstum voranzutreiben, indem wir »den Markt bearbeiten« und wie Manager vorgehen? Sollen wir Prognosezahlen vorlegen? Sind Erfolge herbeizubeten? Fred Colvin sagte in einem anderen Zusammenhang in »Gemeinde & Mission, Ausgabe 3/1996« folgendes: »Die riesigen Predigergemeinden scheinen das Modell der Zukunft zu sein. Gemeindewachstum ist das Gebot der Stunde, koste es, was es wolle«. Es muß doch eine Möglichkeit geben, mit der man die gewünschte Lösung, das Wachstum, erzielen kann. Oder vertrauen wir vielleicht zu sehr auf Techniken, weil wir durch die Erwartungshaltung unserer Kultur geprägt sind, und wissen, daß die richtige Technik jedes Problem lösen kann? Jeder, der ein Herz für die Versammlung des lebendigen Gottes hat, wird sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Es ist sicherlich gut, wenn wir diese Auseinandersetzung nicht scheuen. Oder sind wir schon so bequem geworden, daß wir ein Thema nicht angehen wollen, weil es uns zu Veränderungen zwingen könnte? In diesem Artikel geht es jedoch nicht um Techniken. Es geht um die innere Haltung der ersten Christen, die entscheidend für die schnelle Ausbreitung des Christentums am Anfang war.
Eine Gemeinde ist, was das quantitative Wachstum betrifft, besonders bemerkenswert: Jerusalem.
Zunächst aber einige Informationen über das Thema Wachstum in der Apostelgeschichte. Die Apostelgeschichte ist durchsetzt mit »Wachstumsversen«. Damit sind Verse gemeint, in denen der zahlenmäßige Zuwachs besonders betont wird. Entsprechend der Einteilung der Apostelgeschichte (1,8; vgl. dazu die Abschnitte Kap. 1— 7; 8,1 — 9,31; 9,32ff.) finden sich in jedem Teilabschnitt solche Verse. Wir wollen einige kurz nennen:
1. Die Botschaft von dem gestorbenen, auferstandenen und verherrlichten Christus wurde in Jerusalem verkündigt und als Ergebnis heißt es: »Und das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem vermehrte sich sehr; und eine große Menge der Priester wurde dem Glauben gehorsam« (6,7).
2. In Judäa und Samaria wurde der Christus gepredigt (8,5) und dann wird als Zusammenfassung gesagt: »So hatten denn die Versammlungen durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden und wurden erbaut und wandelten in der Furcht des Herrn und wurden vermehrt durch den Trost des Heiligen Geistes« (9,31).
3. Die Botschaft mußte nach der Verheißung des Herrn auch bis an das Ende der Erde gebracht werden. Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte berichtet deshalb auch über das Wachstum in Antiochien (11,24), in Kleinasien, einem Gebiet in der heutigen Türkei (16,5), in Korinth, einer Stadt im heutigen Griechenland (18,10) und letztlich auch vom Wachstum in Rom, der Metropole jener damalig bekannten Welt (28,30+31 vgl. mit V.24).
Erstes Merkmal: Gehorsam Gott gegenüber
Wir sind wieder in Jerusalem zur Zeit des Pfingstfests (Ap 2) und sehen uns das erste Kennzeichen an, das von Wachstum spricht (V. 41).
Wie war es möglich, daß an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan wurden?
Eine Antwort ist sicherlich das außergewöhnliche Wirken des Herrn und die Bestätigung des Wortes durch die darauf folgenden Zeichen (Mk 16,20). In Johannes 14,12 deutete der Herr schon an, daß durch sein Zurückkehren zum Vater und durch das Kommen des Heiligen Geistes die Jünger größere Werke tun würden. Er, der Herr, hatte den Thron seines Vaters bestiegen und darauf Platz genommen und rettete an einem Tag ungefähr dreitausend Personen. Hier zeigt sich sein Triumph und seine Herrlichkeit. Was für ein Gegensatz, wenn wir den Vergleich zu Archelaus, dem Sohn Herodes des Großen, ziehen, der im Jahr seiner Thronbesteigung dreitausend Juden umbringen ließ.
Eine zweite Antwort entdecken wir, wenn wir uns den Inhalt der Predigt und das Verhalten der Apostel ansehen. Die Antwort läßt sich mit einem Wort formulieren: Gehorsam. Die Jünger taten nur das, was der aus den Toten auferstandene Herr sie geheißen hatte. In Lukas 24,46-49 gibt der Herr Jesus den Jüngern den Auftrag, die Botschaft weiterzusagen. Sie sollten davon zeugen, daß
1. in den Schriften des AT von den Leiden des Christus und der Auferstehung am dritten Tag geschrieben steht, 2. Buße und Vergebung der Sünden nötig wären, 3. die Botschaft alle Menschen angeht und 4. sie in der Stadt zuerst Zeugnis geben sollten, in der die größte Sünde begangen wurde.
Darüber hinaus sollten sie in Jerusalem bleiben, bis der Heilige Geist, die Kraft aus der Höhe, auf sie kommen würde, um sie zu dieser Aufgabe zu befähigen.
Alle genannten Punkte können in Apostelgeschichte 1 und 2 als erfüllt nachgelesen werden. Petrus, der Apostel, betont in seiner Predigt mit Nachdruck den Punkt 1 (vgl. Ap 2,22-36). In Kap. 2,38 zitiert er fast wörtlich die Worte des Herrn Jesus (Punkt 2). Und in dem Verhalten der Jünger werden die Punkte 3 und 4 bestätigt.
Bedingungsloser Gehorsam = Wachstum
Jetzt müssen wir uns einige Fragen stellen.
- Gilt der Auftrag des Herrn auch mir? - Welchen Schriftbeweis kann ich anführen, um mich von dem Auftrag entbinden zu lassen? - Wann habe ich zuletzt den Auftrag ausgeführt? - Ist meine Botschaft inhaltlich deckungsgleich mit den Aussagen des Herrn Jesus und mit der Botschaft der Jünger? - Habe ich Vertrauen zu dem Herrn, daß er handeln wird, wenn ich seinen Auftrag gehorsam ausführe?
Zweites Merkmal: Anziehend als Christen leben
Den zweiten Wachstumsbericht von der Gemeinde in Jerusalem lesen wir in Ap 2,47: »Der Herr aber tat täglich zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten«. Wieder fällt uns auf, daß nicht die Jünger hinzutaten, sondern daß der Herr wirkte. In V.41 wurde bereits in diese Richtung gewiesen. Was waren die Gründe für dieses tägliche Wachstum? 1. Innere Stabilität durch geregelte Zusammenkünfte (V.42) 2. Wunder und Zeichen durch die Apostel (V.43) 3. Gemeinschaft und Sorge füreinander; außerdem Bereitschaft zum gegenseitigen Teilen (V.44.45) 4. Zeugnis im Tempel und Gemeinschaft zu Hause (V.46) 5. Freude und Demut (V.46) 6. Dankbarkeit (V.47) 7. Akzeptanz in der Bevölkerung (V.47)
Wenn wir uns die Liste anschauen, fällt auf, daß in den Hauptpunkten lediglich Punkt 2 für uns nicht mehr in Betracht kommen kann, da wir heute in dem Sinn dieser Textstelle keine Apostel mehr haben. Alle anderen Punkte sind auch im Jahr 1996 zu verwirklichen. Natürlich bleibt die Frage offen, ob wir auch heute alles teilen müssen (Punkt 3). Lesen wir im NT weiter, so bekommen wir den Eindruck, daß nur zu Anfang in Jerusalem die Güter verkauft wurden, um das Geld an alle zu verteilen. Doch finden wir in der Kirchengeschichte immer wieder Männer und Frauen, die versucht haben, nach diesem Prinzip zu leben und deren Vorbildfunktion für uns sicher wichtig ist. Außerdem weisen die Schreiber der Briefe auf das Geben hin. Die Bereitschaft allein reicht nicht aus. Wenn wir aber geben, folgen wir dem Lebensprinzip unseres Herrn, der Apostel, der Jünger und widerspiegeln etwas von dem, was Gott getan hat und tut. Schauen wir aber in unser Leben, so sehen wir, daß der Materialismus, angetrieben durch unseren Egoismus, ein Teil von uns ist und wir damit beständig Mühe haben. Zum Punkt 1, innere Stabilität durch geregelte Zusammenkünfte ist hier nur zu sagen, daß das erste meistens fehlt und das zweite oft durch Formalismus ersetzt wird. Über die zum Schluß genannten Punkte (4 — 7) Zeugnis, Freude, Demut, Dankbarkeit und Akzeptanz sollten wir noch ein bißchen nachdenken. In der Welt ist der Pessimismus vorherrschend. Wir werden durch die Medien ja auch fast nur mit Negativ-Schlagzeilen versorgt. Altbundeskanzler Schmidt hat deshalb bereits vor Jahren den Ausspruch geprägt: »Wir haben zu viele Propheten des Pessimismus«. Auch wir Christen haben uns weitgehend der Welt angelehnt. Wir jammern kräftig mit und sind sehr mit unseren Sorgen beschäftigt. Wir, die wir die positive Nachricht, die gute Nachricht, weiterzusagen haben, lamentieren wie diejenigen, von denen Gott sagt, daß sie keine Hoffnung haben. Gott gibt uns durch die ersten Christen einen Eindruck von lebendig gelebtem Christentum. Der im praktischen Christenleben sichtbare Glaube und die von äußeren Umständen unabhängige Freude waren so attraktiv, daß eine gewisse Akzeptanz in der Bevölkerung da war.
Die Jünger lebten ein konsequentes, freudiges und für Menschen anziehendes Christenleben. Das Ergebnis war: Wachstum.
Die Frage ist, ob die Menschen etwas an mir entdecken konnten und können, was dem der ersten Christen entspricht? - Wird mein Glaube gelebt? - Hat er »Hände und Füße«? - Was sagen die Menschen über mich und über meine Familie (Haus)? - Wer bin ich in den Augen meiner Arbeitskollegen, meiner Nachbarn?
(wird fortgesetzt)
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