Zeitschrift-Artikel: Unbekannt und wohlbekannt (Christian David)

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Titel: Unbekannt und wohlbekannt (Christian David)
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

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Titel

Unbekannt und wohlbekannt (Christian David)

Vortext

Text

Christian David
1690 — 1751

»Der Knecht des Herrn«

Diese etwas verwitterte, aber doch noch deut­lich lesbare Aufschrift trug der erste Grabstein des "Gottesackers" in Herrnhut, den ich vor wenigen Wochen besuchen konnte.

Ein ungewöhnlicher Friedhof. In preußischer Ordnung liegt ein Grabstein neben dem ande­ren. Mit Ausnahme der gräflichen Familie Zin­zendorf gibt es keine . Familiengräber oder Sonderplätze und alle Grabsteine zeichnen sich durch Gleichförmigkeit und Schlichtheit aus. So wie in der früheren Sitzordnung in der Ge­meinde, sind auch die Gräber nach Geschlech­tern getrennt. Links die Brüder, rechts die Schwestern.

Dieser äußerlich recht eintönige Friedhof war für mich ein Stück äußerst lebendiger Kir­chengeschichte, denn wenn auch die Grabsteine sehr uniform wirken, erinnern sie doch an sehr originelle Persönlichkeiten, die alles andere als "von der Stange" waren: Tobias Friedrich, Le­onhard Dober, A.G. Spangenberg, A.W. Heyde, Anna Helene usw. Diese sehr verschiedenen, schlichten, aber dem Herrn hingegebenen Männer und Frauen wurden vielen Menschen in allen Erdteilen zum großen Segen.

Einer der originellsten Männer um Zinzendorf war sicher der urwüchsige Mähre Christian Da­vid. Am 31.12.1690 in Senftleben geboren, im katholischen Glauben erzogen, begann er schon in jungen Jahren über Glaubensdinge nachzu­denken. In seiner Jugend hütete er Schafe und Kühe, später lernte er das Zimmererhandwerk und ging als Handwerksbursche auf Wander­schaft. Obwohl er kaum Schulbildung besaß, setzte er sich als Katholik mit der Rechtfer­tigungslehre Luthers auseinander und las auf­merksam das AT, als er in Ungarn die Ein­wände der Juden gegen das NT zu hören be­kam. Doch gerade die Auseinandersetzung mit dem Judentum brachte ihm die Gewißheit, daß Jesus Christus die Erfüllung der alttestamentli­chen Verheißungen ist.

Er wanderte dann nach Berlin, um dort zu den Lutheranern überzutreten, weil er hoffte, da­durch den Frieden für seine Seele zu finden. Durch ein sehr strenges Leben versuchte er gegen die eigene Sünde anzukämpfen und ent­schloß sich endlich, Troßknecht beim preußi­schen Heer zu werden, weil er meinte, als Soldat mehr Zeit und Muße zum Gebet und Bibelstudium zu bekommen. Aber ausgerechnet dort wurde ihm Bibel und Gesangbuch gestohlen und so kehrte er bald, nachdem er als Soldat den Nordischen Krieg und die Belagerung Stralsunds erlebt hatte, wieder in seinen alten Beruf zurück.

In Görlitz lag er dann ein halbes Jahr auf dem Krankenbett und in dieser Zeit wurde er oft von dem Erweckungsprediger Pfarrer J. Ch. Schwedler besucht, von dem man erzählt, daß er bisweilen Sonntags von 5.00 - 15.00 Uhr, also 10 Stunden, ohne Unterbrechung zur Er­bauung seiner Zuhörer gepredigt hat. Man weiß nicht, ob man die Redegabe dieses Mannes oder die Geduld der Zuhörer mehr bewundern soll.

Dieser Pfarrer war wiederum mit dem damals noch jungen Graf Nikolaus Ludwig von Zinzen­dorf verbunden und wurde das Werkzeug Gottes, diesem grüblerischen Handwerksburschen zur Gewißheit der Vergebung seiner Sünden zu führen.

Nachdem Christian David von seiner Krankheit genesen war, wanderte er in seine alte Heimat, um seinen offiziell katholischen, aber heimlich protestantischen Freunden in Mähren das Evangelium zu verkündigen. Es kamen eine ganze Anzahl Männer zum Glauben, die bereit waren, ihre Heimat zu verlassen, wenn Christian ihnen eine andere Möglichkeit vermitteln könn­te.

1721 lernte Christian David den Grafen Zin­zendorf in dessen Gut Berthelsdorf kennen und bekam von ihm die Zusage, Land für seine un­terdrückten Glaubensgeschwister in Mähren zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Freudenbot­schaft machte sich der Wanderer wieder auf den Weg in die alte Heimat, um wenige Wo­chen später mit den beiden Familien Augustin und Jakob Neißer zurückzukehren, denen man ein wüstes, morastiges Gelände an der Straße nach Zittau anwies. Während Augustin Neißers Frau angesichts dieser trostlosen Umgebung ausrief: "Wo nehmen wir Brot her in der Wü­ste", schlug Christian David seine Axt in einen Baum mit den Worten: "Hier hat der Vogel sein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest". Am 17-6-1722 fällte er den ersten Baum und wenige Wochen später stand das erste Haus Herrnhuts.

Auch als im Laufe der nächsten Jahre Herrnhut sich zu einem schlichten, aber sehr ordentlichen Dorf entwickelte und ausgerechnet dem impul­siven Christian David das "Amt" des Kranken­pflegers zugeteilt wurde, kam es immer wieder vor, daß er Hut und Wanderstab ergriff, um sich wortlos mit seinem Lied im Herzen auf den Weg zu seinen bedrängten Glaubensge­schwistern zu machen.

"Hilf du mir immer weiter,
du mächt 'ger Bahnbereiter,
und gürte mich zum Lauf,
zum Streit zur Recht' und Linken,
und will der Mut mir sinken,
so hilf mir immer wieder auf.

Muß ich die Welt durchgehen,
wenn du mit deiner Nähe
mir nur stets tröstlich bist,
so will ich dich bekennen
und oft den Namen nennen
der mir der liebste Name ist."

Auf diesen Wegen wurde er von den Grenz­wächtern oft blutig geschlagen, dennoch ließ er sich nicht abhalten, seine mährischen Freunde bei Nacht und Nebel über die Grenze und schließlich nach Herrnhut zu führen.

Als ab 1732 ein Herrnhuter nach dem anderen mit einem brennenden Herzen in alle Erdteile aufbrach, um den Heiden das Evangelium zu verkündigen und vorzuleben, hielt es auch Christian David nicht länger in Herrnhut. Bis an sein Lebensende war "der Knecht des Herrn" unterwegs, um Pionierarbeit in unbe­kannten Ländern zu leisten oder zu unterstüt­zen.

1733 begleitete er Matthäus und Christian Stach nach Grönland, um die mühsame Missionsarbeit unter den Eskimos zu be­ginnen. Dort brauchte er nur 5 Wochen, um mit dem mitgebrachten Holz das er­ste Wohnhaus zu errichten.
1737 finden wir ihn in Holland, um die Brü‑
dersiedlung "Herrendick" aufzubauen.
1738 reiste Christian David für 4 Jahre nach Livland, lernte dort die lettische Sprache um predigen zu können und baute die Siedlung "Brinkenhof ".
1747 war er wieder unterwegs nach Grönland, um dort einen Kirchensaal und ein Wohnhaus zu bauen.
1748 begleitete er eine Siedlerkolonne nach Pennsylvanien, um anschließend noch ei­nen Abstecher nach Grönland zu machen, um das Proviant haus zu bauen.

Im Alter von 60 Jahren kehrte er nach Herrn­hut zurück, um von dort aus noch einmal alle Brüdergemeinden in Deutschland zu besuchen. Nach kurzer Krankheit wurde er am 29.1.1751 in die obere Heimat abgerufen. Dieser Wande­rer und Knecht des Herrn hatte sein Lebens­werk erfüllt.
Christian David war nicht nur ein wuchtiger Erweckungsprediger und Pionier, sondern auch ein begnadeter Seelsorger. Als John Wesley im Jahr 1738 kurz nach seiner Bekehrung für ei­nige Monate Herrnhut besuchte, war ihm vor allem der Austausch mit Christian David eine große Hilfe. Die vier Predigten, die Wesley in dieser Zeit von diesem urwüchsigen und tief­gründigen Mähren hörte, waren für ihn von entscheidender Bedeutung.

Mit allen Vorzügen und Schwächen einer Kämpfernatur ausgestattet, war Christian Da­vid seinen Brüdern durch seine Hingabe beson­ders in Krisenzeiten eine Hilfe und Herausfor­derung. Als die Herrnhuter anfänglich in Gefahr standen in Herrnhut seßhaft und träge zu wer­den, durchschaute er als erster die Gefahr.

"Es wird von ihm besonders gerühmt, daß er "Lust zur Armut" besessen habe, eine Eigen­schaft, die selbst bei, Dienern Gottes selten anzutreffen ist. Leider verließ ihn öfters die Geduld, denn er konnte nicht abwarten, daß irgendein großes Wunder geschehe." (1)

Als später ungeistliches Gedankengut die Ge­müter erfüllte, war er derjenige, der den An­fang damit machte, die Bücher Jakob Böhmes zuzuklappen, um sich den Realitäten und Mis­sionsaufgaben zu stellen.

Der Biograph Zinzendorfs, Erich Beyreuther, stellt diesem Mann ein sehr treffendes Zeugnis aus:

"Was aber erlebte Zinzendorf an Männern wie Christian David, der in Mähren eine Erweckung hervorrief und noch überall, wohin er kam, in­neres Leben entzündete? Bei diesem Zimmer­mann kam das Zeugnis aus der Tiefe eines Lebens, das von der Gegenwart Gottes getra­gen wurde, es stammte aus dem Glück der Gottesliebe. Er war unermüdlich, in immer neuem Lob Gottes Menschen anzurühren, die einer kirchlichen Sprache gegenüber taub ge­worden waren. Es kam aus dem Herzen und zielte zum Herzen und zeigte eine Einfalt und Klarheit christlicher Zeugnisaussage, die bei den Menschen direkt ankam." (2)

Gott gebe, daß dieser "Wanderer Gottes" und "Knecht des Herrn" uns anspornt, unsere kurze Lebenszeit im Licht der Ewigkeit für den Herrn und für Sein Werk auszukaufen.

Nachtext

Quellenangaben

(1) S. Hirzel: Der Graf und die Brüder, Quell-Verlag, S. 84
(2) E. Beyreuther: Zinzendorf, Bd. 2, Francke, S. 244