Honduras und der Hurrikan >Mitch<
Für Grant Ferrer — ein langjähriger Missionar in Honduras — haben diese Psalmworte als Betroffener der Unwetter-Katastrophe eine neue Bedeutung und Eindrücklichkeit bekommen. Gott hat durch dieses Unwetter so deutlich geredet, daß für einige Wochen dieses kleine Land in Mittelamerika weltweit in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt ist. Nicht nur Politiker und humanitäre Hilfsorganisationen wurden in Amerika und Europa aktiv, sondern Christen in aller Welt begannen für dieses Land und seine Bewohner zu beten und Wege für praktische Hilfe zu suchen. Sechs Tage wütete Orkan >Mitch< in Honduras und Nicaragua. Doch nicht der Orkan sorgte für die größte Verwüstung, sondern die anhaltenden Regengüsse, die das schöne Land in wenigen Stunden in eine Wasserwüste verwandelten. Am 26.10.1998 erreichte Hurrikan >Mitch< die Nordküste Honduras mit einer Geschwindigkeit von ca. 250km pro Stunde. In Mexiko hatte man den Hurrikan erwartet und sich entsprechend vorbereitet, während Honduras von dem Unwetter überrascht wurde. Von der Haupstadt Tegucigalpa, die sich im Süden des Landes über 1.000m hoch in den Bergen befindet und wo man bisher noch nie einen Hurrikan erlebt hatte und sich daher völlig sicher fühlte, hatte man sofort alle Bergungs- und Räumgeräte an die Nordküste geschickt. Aber das Unglaubliche trat ein: Am 30.10.1998 erreichte ›Mitch< Tegucigalpa und an diesem Tag goß es derart in Strömen, daß die Wassermenge, die sich sonst in einem Jahr über Honduras entlädt, an diesem einen Tag über Tegucigalpa hereinbrach. Die Folgen sind für eine europäische Phantasie kaum vorstellbar: Selbst kleine Rinsale entwickelten sich in kürzester Zeit zu reißenden Strömen, die ins Tal sürzten. Riesige Berghänge lösten sich und unvorstellbar große Schlamm- und Geröllmassen begruben Häuser, Menschen und Vieh wie eine Lawine. Die Flüsse im Tal wurden von den herabstürzenden Erdmassen gefüllt, so daß sich teilweise das Wasser bis zu einer Höhe von 15 Metern staute oder sich neue Wege suchte und dabei ganze Dörfer mitriß. Die entwurzelten Bäume wurden auf den reißenden Strömen zu Raketen, die mit ihrer Wucht Häuser und etwa 70 Brücken zerstörten. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung wurde obdachlos, über 10.000 Menschen kamen in den Fluten oder im Schlamm um, davon allein ca.3.000 in Tegucigalpa, wo man wegen der Seuchengefahr Massengräber aushob. Da man in der Haupstadt alle großen Geräte an die Küstenregion geschickt hatte und diese wegen der zerstörten Straßen und Brücken nicht zurück gesandt werden konnten, entstand ein totales Chaos. Kein Strom, kein Leitungswasser, keine Kommunikation — für viele Dörfer und Stadtteile war jede Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten.
Zwei Monate danach
Im Januar dieses Jahres konnten wir einen Besuch in Honduras machen, um an Ort und Stelle einen Eindruck von der Zerstörung zu bekommen und auch um die finanziellen Gaben von Gemeinden, Missionswerken und Einzelpersonen zu übergeben. Mit dem Missionar Grant Ferrer fuhren wir von Tegucigalpa nach Tela an die Nordküste und bekamen daher einen guten Überblick über die Auswirkungen der Katastrophe. Über teilweise eingeknickte Brücken, provisorische Straßen und unvorstellbare Schlamm- und Geröllmengen konnten wir Gebiete aufsuchen, wo unsere Glaubensgeschwister besonders betroffen waren. Die Verwüstung, die wir sahen und die Berichte, die wir hörten, übertrafen alles, was wir bisher aus den Medien erfahren hatten. In einem Dorf bei El Progresso, daß am Fuß der Berge liegt, hörten die Bewohner plötzlich einen furchtbaren Knall und ein gewaltiges Grollen. Instinktiv flüchteten sie in letzter Minute auf einen erhöhten Hügel und mußten von dort aus mit ansehen, wie ihre Häuser von den Wassermassen weggespült, oder von der Schlammlawine zugeschüttet wurden. Etwa 15 Familien aus der dortigen Gemeinde haben nichts als das eigene Leben retten können. Unvergesslich das Bild eines Ehepaares mit 7 Kindern, die nach dem Verlust ihrer Habe in einer Hütte wohnen, die nicht einmal diesen Namen verdient. Das Inventar: ein altes Holzbett, eine Hängematte für das kleinste Kind, alle anderen schlafen auf dem Erdboden. Kein Tisch, kein Regal, kein Schrank, keine Toilette, kein Essgeschirr. Das Essen und Medikamente bekommen sie in der Versammlung, wo man eine Notküche eingerichtet hat. Dieses Bild bitterster Armut bleibt unauslöschlich eingeprägt.
Wir haben viele erschütternde und wunderbare Geschichten gehört. Ein Beispiel für viele: In El Tigere befanden sich 50 Christen unter den 500 Personen, die sich auf einen Wall retten konnten, als die Wassermassen kamen. Dort harrten sie im Vertrauen auf Gottes Hilfe drei Tage ohne Essen, ohne Schlaf, ohne Verbindung zur Außenwelt aus, bis Hubschrauber Hilfe brachten.
Die Reaktion der Gemeinden
Die praktische Hilfe der Gemeinden untereinander war und ist vorbildlich. Versammlungen, die von dem Unglück verschont blieben, schickten oft auf abenteuerlichen Wegen Nahrungsmittel in die zerstörten Gebiete und nahmen Obdachlose in ihre Gemeindehäuser auf. Diese Häuser wurden dann auch als Zentralküche, Kleiderlager und für erste medizinische Hilfe eingesetzt. Dadurch konnten auch viele betroffene Außenstehende die praktische Hilfe und Liebe von Christen erfahren. Es ist ermutigend zu sehen, daß die Christen diese Situation vor allem nutzen, um die vorhandenen Hilfsgüter an Ungläubige weiterzugeben und die dadurch entstandenen Kontakte für die Verkündigung der frohen Botschaft zu nutzen. So fahren einige Gruppen gezielt in solche Notgebiete, wo es keine Gemeinden gibt, um den Menschen dort Kleidung, Lebensmittel, Medikamente und Neue Testamente zu bringen und um damit eine Voraussetzung für spätere Evangelisationen zu schaffen.
Sobald die Verkehrswege wieder benutzbar waren, kam auch Hilfe aus dem Ausland. Viele Christen aus den USA, Mexiko, Canada, Argentinien usw. starteten Hilfsaktionen, über die man teilweise allerdings auch nur staunen kann. So hörten Christen in den USA von den Wasserproblemen in Tegucigalpa und schickten per Luftfracht(!) palettenweise Plastikbehälter mit Trinkwasser, was völlig überflüssig war. Andere meinten es gut und schickten Dosenfleisch, Erdnussbutter usw., was einfache Honduraner entweder nicht kennen, oder nicht verarbeiten können. Die einfachste, billigste und beste Hilfe wäre gewesen, Reis, Bohnen und Milchpulver zu senden. Auch Saatgut wäre wichtig, weil die Ernte in diesem Jahr weithin ausfallen wird. Inzwischen sind alle Lebensmittel im Land reichlich vorhanden und gegen Geld zu kaufen. Erstaunlich ist, daß die Honduraner, die eigentlich auf Grund ihrer Mentalität zur Trägheit und Resignation neigen, den Mut nicht verloren haben, sondern mit Fleiß und ein wenig Hoffnung den Neuanfang wagen. Allgemein ist ein Bewusstsein dafür vorhanden, daß Gott geredet hat und daß irdische Werte über Nacht verschwinden können. Es werden keine geballten Fäuste zum Himmel gestreckt, sondern selbst in den Medien fragte man, mit welcher Absicht Gott dieses Unwetter zugelassen hat.
Es gibt natürlich auch übereifrige Evangelikale und Charismatiker, welche die Antwort bereits parat haben und lautstark verkündigen: Schuld daran sind die Katholiken, die wenige Wochen vorher in Tegucigalpa eine riesige, von weitem zu sehende Madonnen-Figur aufgestellt haben. Im Gegenzug erklären die Katholiken: Schuld an der Katastrophe ist die Tatsache, daß die Regierung es zugelassen hat, daß evangelikale >Sekten< neben der Katholischen Kirche in Honduras geduldet werden und deshalb Gottes Gericht herausgefordert wurde.
»Die aufbauende Zerstörung rettet Honduras«
Diese Schlagzeile, ein Zitat des Direktors der Staatsbank, war am Tag unserer Abreise in der Zeitung zu lesen. Das scheint wirtschaftlich tatsächlich der Fall zu sein. Der Schuldenerlaß, die finanzielle Hilfe aus dem Ausland, ermöglichen Honduras einen Neuanfang, der dahin führen kann, daß es dem Land in etwa drei Jahren besser geht, als vor dem 26.10.1998. Viel wichtiger scheint uns allerdings zu sein, daß in weiten Teilen der Bevölkerung ein neues Fragen nach Ewigkeitswerten entstanden ist. Vielleicht erlebt Honduras zur Zeit eine Gnadenstunde, bevor möglicherweise eine wirtschaftliche Erholung und damit eine materialistische Lebenshaltung Einzug hält. Beten wir und helfen praktisch mit, daß die Stimme Gottes in den kommenden Monaten von vielen Honduranern gehört und verstanden wird und viele Christen ermutigt werden, ihr Leben für die Verbreitung des Evangeliums in diesem Land und in den angrenzenden Ländern einzu‑ setzen. Die etwa 250 Gemeinden (>Sala Evangelica<) in diesem Land, mit denen wir uns besonders verbunden wissen und die in den vergangenen Monaten an ihr 100jähriges Bestehen dachten, haben keine Zeit, zurückzuschauen und auszuruhen, sondern stehen vor gewaltigen Herausforderungen und einmaligen Gelegenheiten, das Evangelium in Wort und Tat zu predigen und damit Sprachrohr der Stimme Gottes zu sein.
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