Zeitschrift-Artikel: Spurgeons erste Kontroverse

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Titel: Spurgeons erste Kontroverse
Typ: Artikel
Autor: Georg Walter
Autor (Anmerkung):

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Titel

Spurgeons erste Kontroverse

Vortext

Text

Am Ende seines Lebens kämpfte Spurgeon an vielen Fronten. Seine Worte gegen die Taufwiedergeburt und für die Glaubenstaufe der Erwachsenen, sowie seine Kritik an den katholischen Tendenzen in der Anglikanischen Kirche riefen einen Sturm der Entrüstung unter
Anglikanern hervor. Spurgeon verurteilte ferner den fleischlichen Versuch der Arminianer (Arminianer betonen im Gegensatz zu den Calvinisten den freien Willen des Menschen), Erweckung aus eigener Kraft hervorzubringen, ebenso wie hypercalvinistische Lehren, die er – selbst ein überzeugter Calvinist – nicht mittragen konnte.
Der Hauptkampf am Ende von Spurgeons Leben und Dienst richtete sich gegen den wissenschaftlichen Rationalismus und die beginnende Bibelkritik, die vor allem die Irrtumslosigkeit und Autorität der Schrift in Frage stellte. Dieser letzte Kampf Spurgeons wurde unter der Bezeichnung Down-Grade Controversy bekannt, die 1887 ihren Anfang nahm und die letzten fünf Jahre Spurgeons kennzeichnete.


„The Rivulet“ – Kontroverse

Es schien, als ob die Kontroversen am Ende seines Lebens an Heftigkeit zunahmen, um aus dem „Fürsten der Prediger“ allmählich den Kämpfer Spurgeon zu stählen. Doch nur wenige wissen, dass die erste größere Kontroverse im Leben Spurgeons mit dem gemeindlichen Gotteslob zu tun hatte.
Unter dem Pastorat Spurgeons in der New Park Street Chapel in London wurde ausschließlich a cappella gesungen – ohne Musikinstrumente und ohne Begleitmusik. Das Gesangbuch, das in Spurgeons Gemeinde verwendet wurde, war von John Rippon, einem Vorgänger Spurgeons, aus Psalmen und Kirchenliedern Isaac Watts zusammengestellt worden.
Spurgeon selbst schrieb eine Reihe von Kirchenliedern und veröffentlichte diese im Jahre 1866 mit einer Sammlung bereits bekannter Lieder unter dem Namen „Our Own Hymn Book“ (Unser Eigenes Liederbuch). Im Jahre 1855 hatte der Kongregationalist Thomas Toke Lynch das
Liederbuch „The Rivulet“ veröffentlicht, dessen Inhalt vorwiegend deistischer Natur war.
Der Deismus lehrt, dass Gott zwar der Schöpfer dieser Welt ist, aber dass dieser Gott nicht in die Belange des Menschen eingreift. Am 23. Mai 1856 verfasste Spurgeon einen langen Artikel für die Zeitschrift „The Christian Cabinet“, in dem er auf die Schwachstellen des neuen Liederbuchs
hinwies. Mit spitzer Feder schrieb Spurgeon über Lynchs Liederbuch, das aus seiner Sicht die Natur zu sehr verherrlichte und zu wenig biblische Wahrheiten enthielt: „O ihr Delawaren, Mohawks, Choctaws, Chickasaws, Schwarzfußindianer, Pawnees, Shawnees und Cherokees, hier ertönt euer primitiver Glaube am lieblichsten – nicht in euren wilden Noten, sondern in der Sprache des weißen Mannes …“
Spurgeon führte als Beweis einen der trivialen Verse und oberflächlichen Liedtexte Lynchs an:

My God, in nature I confess
A beauty fraught with holiness;
Love written plainly I descry
My life‘s commandment in the sky;
Oh, still to me the days endear,
When lengthening light leads on the year!

Zu Deutsch etwa:
Mein Gott, in der Natur sich zeigt
eine Schönheit voll von Heiligkeit;
Liebe hell geschrieben nehm ich wahr
als Gebot des Lebens am Himmel klar;
Oh, noch ist der Tag mir zugeneigt
solang‘ das Licht im Jahr erscheint!

Eigentlich war es nicht Spurgeon gewesen, der die Kontroverse um das Liederbuch „The Rivulet“ begonnen hatte, sondern James Grant, der dem Liederbuch in „The Morning Advertizer“ jegliche evangelikale Frömmigkeit absprach und schrieb, dass große Teile des Buches von jedem Freidenker hätten gesungen werden können.
John Campbell, Redakteur von „The British Banner“, schloss sich der vernichtenden Kritik Grants an und bezeichnete die Lieder als „stupiden, unchristlichen, schlecht gereimten Unsinn.“
Trotz der Kritik Spurgeons bescheinigte Lynch ihm, dass er die einzige Person war, die ihn mit Respekt behandelt hatte – eine Eigenschaft, die man bei jeder Form von Kritik stets beachten sollte. Spurgeon hatte in der ca. 5 Monate andauernden Kontroverse im oben erwähnten Artikel seine Stimme erhoben, aber er war es auch, der schließlich dazu aufrief, die Kontroverse zu beenden, da der Anlass zu gering wäre, ihn weiter zu verfolgen.
Nichtsdestotrotz nahm Spurgeon die Lieder, die im Gottesdienst gesungen wurden, sehr ernst. Sie mussten seiner Meinung nach stets mit den biblischen Wahrheiten übereinstimmen.
Oberflächliche Texte waren seinem Empfinden nach dem lebendigen Gott der Bibel nicht angemessen. Ferner war es ihm wichtig, dass nicht die Musik sondern Gott im Mittelpunkt stand, auch beim gemeinsamen Gotteslob, und dass die ganze Gemeinde anbetet. Im Juni 1870
schrieb er in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Sword and Trowel“ unter dem Titel „Wie sollen wir singen?“: „Könnten wir Regeln für den Gesang im Haus des Herrn aufstellen, würden wir, so fürchte ich, mit den Vorurteilen und Überzeugungen vieler exzellenter Männer in Konflikt kommen und in ein Wespennest stechen. Obwohl wir weder den Willen noch die Macht haben, Reformatoren für heilige Musik zu werden, möchten wir doch einige Dinge in die Ohren der Jeduthuns oder Asaphs flüstern, die ‚Leiter unter den Musikern‘ sind. Wir schlagen folgende Worte als unsere eigene Meinung vor:
Lieblicher Sänger Israels, erinnere dich daran, dass das Lied nicht dich verherrlicht, sondern zur Ehre des Herrn ist, der in den Lobgesängen Israels wohnt; darum mache nicht Gebrauch von Liedern und Melodien, die deine Kunstfertigkeit vorweisen, sondern solche, die den Menschen helfen, den Herrn mit ihrer Danksagung zu erheben.
Die Menschen kommen nicht zusammen, um dich als Sänger zu bewundern, sondern um den Herrn in der Schönheit seiner Heiligkeit zu preisen. Erinnere dich auch daran, dass du nicht für dich selbst singst, sondern andere im Gesang leitest, von denen viele nichts von Musik verstehen; darum wähle Melodien aus, die von allen erlernt und gesungen werden können, damit
niemand in der Gemeinde gezwungen ist zu schweigen, während der Herr erhoben wird […]
Wahrer Lobpreis ist eine Angelegenheit des Herzens. Wie Weihrauch steigt er auf den glühenden
Kohlen frommer Hingabe auf. Im Grunde hat dies nichts mit dem Gesang zu tun: der Gesang ist damit naturgemäß aus sehr gewichtigem Grund verbunden, aber das Wesen und das Leben des Lobpreises liegt nicht in der Stimme sondern in der Seele. Eure Aufgabe in der Versammlung ist es, geistliche Lieder in angemessene harmonische Noten zu kleiden. Wähle eine Melodie, die dem Geist des Psalms oder Liedes entspricht, und passe deinen Gesangsstil den Worten an, die vor dir liegen […] Der Takt ist ein sehr wichtiges Kriterium, aber zu oft wird ihm zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Große Menschenmassen bewegen sich langsam, und folglich haben sie in zahlreichen Versammlungen die Tendenz, die Melodie zu verschleppen. Wir haben Lieder gehört, die sich so hinzogen, bis die Musik buchstäblich erstickte und von langen Windungen und Wellen monotoner Klänge ertränkt wurde.
Auf der anderen Seite können wir es nicht ertragen, Psalmen und feierliche Kirchenlieder im Schnelldurchgang zu missbrauchen und im Gallop durchzusingen. Feierlichkeit erfordert erhabene Harmonien, und Freude verlangt immer nach einer frohen Melodie, die nicht in Überschwänglichkeit umschlägt. Sei weise genug, immer den richtigen Rhythmus zu wählen, und möge die gesamte Versammlung deiner starken Führung folgen.
Mögen wir dich mit einem sanften Flüstern bitten, sehr viel über Gott, viel über das Singen und äußerst wenig über dich selbst nachzusinnen. Die beste Predigt ist die, in welcher das Thema den Prediger und die Zuhörer fesselt und weder die Zeit bleibt noch den Wunsch aufkommen lässt, über den Sprecher nachzudenken; so wird das beste Singen in der Versammlung erreicht, wenn der leitende Musiker ganz in Vergessenheit gerät, weil er in seiner Fähigkeit als Leiter so erfolgreich ist und als einzelne Person nicht mehr wahrgenommen wird. Der Kopf steuert den Leib, aber weder ist er von ihm abgetrennt, noch spricht man isoliert von ihm;
die beste Leiterschaft hat die gleiche Funktion.
Wenn deine Stimme zu sehr im Vordergrund steht, sei dir sicher, dass du nichts weiter als ein
Anfänger deiner Kunst bist. Eines deiner wichtigsten Ziele sollte darin bestehen, die ganze Versammlung zu bewegen, im Gesang mit einzustimmen. Dein Pastor sollte dir dabei helfen, und seine Ermahnung und sein Vorbild werden dir eine große Hilfe sein. Es sollten nicht nur alle Anbeter singen, sondern jeder sollte seinen Lobpreis mit Verständnis darbringen, wie David sagt: ‚spiele kunstvoll‘ dem Herrn […] Die Einsetzung von Sängern als eine besondere Gruppe ist ein Übel, ein wachsendes Übel, und sollte unterbunden und abgeschafft werden. Die Unterweisung der ganzen Versammlung ist die naheliegendste, sicherste und schriftgemäßeste Methode, dieses Problem zu lösen […] Lehre die jungen Männer und Frauen und die Alten, die Tonleiter zu singen, und lehre sie einige gute, solide und melodische Weisen, und so werdet ihr, Söhne Asaphs, euch selbst ein gutes Zeugnis ausstellen.“(1)

Nachtext

Quellenangaben

ANMERKUNG:
1 Die vorliegende Übersetzung ist ein Auszug aus dem Artikel von C.H. Spurgeon in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Sword & Trowel vom Juni 1870. Der vollständige englische Text wurde im Magazin „The Banner of Truth“, Oktober 2010, S.30-32, veröffentlicht.