Zeitschrift: 135 (zur Zeitschrift) Titel: Klartext mit dem "lieben Bruder in Rom"? Typ: Artikel Autor: Wolfgang Bühne Autor (Anmerkung): online gelesen: 2957 |
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Klartext mit dem "lieben Bruder in Rom"? |
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<p><strong><span style="text-decoration: underline;">Ein neuer ökumenischer Meilenstein</span></strong></p> <p>Im September diesen Jahres ist es wieder mal so weit: Papst Benedikt XVI. wird zu einem weiteren Besuch in Deutschland erwartet. Das Programm ist wie immer sorgfältig und straff geplant:<br />Donnerstag, 22.09: Ankunft auf dem Flughafen Berlin-Tegel und um 11:15 Uhr die offi-zielle<br />Begrüßung durch Bundespräsident Christian Wulff in Schloss Bellevue. Am Nachmittag dann eine Rede im Deutschen Bundestag und am Abend eine etwa zweistündige Eucharistie-Feier vor dem Schloss Charlottenburg.<br />Am nächsten Tag geht es nach Erfurt, wo nach den üblichen Begrüßungen im Dom ein kurzes Gespräch mit der Leitung der Evangelischen Kirche Deutschlands und ein anschließender<br />„ökumenischer Wortgottesdienst“ im Augustinerkloster geplant ist.<br />Bereits am späten Nachmittag wird der Papst per Hubschrauber in der Wallfahrtskapelle von<br />Etzelsbach (Eichsfeld) erwartet, wo eine „marianische Vesper“ stattfinden soll, zu der zwischen<br />50.000 und 100.000 Besucher erwartet werden.<br />Am Samstag fliegt Benedikt XVI. nach einer Eucharistie-Feier auf dem Domplatz zu Erfurt nach Lahr und Freiburg, wo u.a. eine Begegnung mit Vertretern der Orthodoxen Kirche auf dem Programm steht und ein „Gebetsvigil“ mit Jugendlichen auf dem Messegelände stattfinden<br />soll. Am Sonntag geht es dann nach einer Eucharistie-Feier, einem Mittagessen mit den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und einer Rede im Freiburger Konzerthaus<br />zurück nach Rom.</p> <p><br /><strong><em>Ein symbolträchtiger Besuch?</em></strong><br />Erfahrungsgemäß sind die Besuche des Papstes sehr symbolträchtig – so ist es sicher nicht zufällig, dass der Papst nach seinem Besuch in Berlin das Bistum Erfurt und anschließend den<br />Marien-Wallfahrtsort Etzelsbach im Eichsfeld besucht. Zu dieser Örtlichkeit kann man auf der<br />Homepage des Bistums Erfurt lesen: „Durch die Reformation wurden die meisten Thüringer protestantisch.<br />Nur im Eichsfeld kehrten die Christen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum katholischen Glauben zurück.“<br />Dieser Wallfahrtsort ist besonders für die alljährliche „Pferdewallfahrt“ bekannt. Am zweiten Sonntag nach „Mariä Heimsuchung“ werden dort alle Pferde, die durch die Pilger mitgebracht werden, nach dem „Wallfahrts- Hochamt“ gesegnet.<br />Interessant sind auch die Ausführungen des katholischen Bischofs Dr. Joachim Wanke zum geplanten Papstbesuch: „Das Papstprogramm ist ein wichtiger Meilenstein für die Katholiken in Ostdeutschland. Dabei wird deutlich, dass es dem Papst nicht nur um die katholische Kirche<br />geht. Mit dem Besuch in Erfurt wird der ökumenische Schwerpunkt an jenen Ort verlegt, an dem Martin Luther noch katholisch und Augustinermönch war. Der Besuch des Heiligen Vaters im Eichsfeld wird ein Zeichen der Ermutigung sein, das uns im Glauben stärkt.“<br />Der ökumenische Schwerpunkt wird also bewusst nicht etwa in oder vor die Wartburg im nahen Eisenach verlegt, wo Luther als ein vom Papst gebannter Ketzer die Bibel übersetzte, sondern gezielt dorthin, wo Martin Luther „noch katholisch und Augustinermönch“ war.</p> <p><br /><strong><em>„Eine einmalige Chance für die Ökumene“?</em></strong><br />Dieser Papstbesuch wäre an sich nicht übermäßig aufregend, wird aber doch dadurch interessant<br />und aktuell, dass er „an der Wiege des Protestantismus“ stattfindet und außerdem achtzehn bekannte evangelische und evangelikale Autoren vier Wochen vor dem Papstbesuch ein Buch veröffentlicht haben mit dem bemerkenswerten Titel „Lieber Bruder in Rom! – Ein evangelischer Brief an den Papst“ (Verlag Knaur).<br />Im Vorwort macht Dominik Klenk (Prior der ökumenischen Kommunität „Offensive Junger Christen“) die Zielsetzung des Buches deutlich:<br />„Es ist das Anliegen der Autoren, jenseits langwieriger Kirchendiplomatie Klartext zu reden. Klartext in der Sache, aber mit dem Ziel, den konfessionellen Riss nicht zu vergrößern, sondern um Heilung des Risses zu ringen“ (S. 10).<br />Schließlich äußert er noch den Wunsch: „Mögen die Briefe den Papst inspirieren und bei allen Lesern eine heilige Unruhe stiften“ (S. 11).<br />Für Unruhe scheint allerdings gesorgt. Vor allem, weil im Nachwort des katholischen Philosophen<br />Robert Spaemann zu lesen ist, dass sich die Autoren der Briefe als „Verbündete des Papstes“ verstehen, „des Nachfolgers des Apostel Petrus, in seinem Amt, ‚die Brüder zu stärken‘“ (S. 151).<br />Fast muss man über den kleinen, aber gezielten Seitenhieb schmunzeln, wenn derselbe Philosoph den evangelischen „Verbündeten des Papstes“ abschließend auf den letzten Zeilen des Buches „zu bedenken gibt“: „Die Kirche ist nicht Kirche Christi, ohne dass die Mutter des Herrn in ihrer Mitte präsent ist und verehrt wird.“ (S. 152)</p> <p><br /><strong><em>„Komplizen“ des Papstes?</em></strong><br />Nun scheint es mir sehr fraglich, ob sich alle Autoren der Briefe für das Kompliment bedanken, als Komplizen des Papstes zu gelten.<br />Zumindest von Ulrich Parzany, Markus Spieker, Roland Werner, Christine Schirrmacher und selbst von Martin Dreyer kann man sich das nur schwer vorstellen.<br />So schreibt z.B. Ulrich Parzany, der sich bekanntlich leidenschaftlich für die Verbreitung des Evangeliums einsetzt, fast entschuldigend: „Ich gestehe, ich hätte nicht gedacht, dass ich als evangelischer Christ einmal den Papst bitten würde, die Evangelisation in Europa stärker voranzutreiben …“ Aber schließlich bekennt er auch, dass er sich „innerhalb der Christenheit nicht mehr durch Abgrenzung definieren“ mag (S. 146).<br />Bei den anderen Schreibern – meist Theologen, Bischöfe und Politiker – darunter auch bekannte Autoren wie Werner Neuer, Ulrich Wilckens, Günter Beckstein usw., ist eine Nähe zum Papst zumindest denkbar.<br />Nun haben alle Autoren durchaus auch Bedenkenswertes geschrieben, wobei die evangelikalen<br />Schreiber besonders die Notwendigkeit der Evangelisation, der Mission, das Lesen und Studieren der Bibel usw. mit Nachdruck betonen.<br />Aber die große Tragik dieser Beiträge liegt vor allem darin, dass erschreckender Weise nicht ein<br />einziger der Autoren das Selbstverständnis des Papstes und die unbiblischen Dogmen des Vatikan über das Amt und die Autorität des Papstes auch nur andeutungsweise in Frage stellt.<br />Selbst der geschätzte ARD-Hauptstadt- Korrespondent Markus Spieker, der in seinen letzten Büchern mutig gegen den Strom eines wohltemperierten Christentums geschwommen ist und sich nicht scheut, die Verweltlichung, Unglaubwürdigkeit und Doppelmoral der Evangelikalen mit spitzer Feder zu brandmarken, bezeugt dem Papst in seinem Brief unter der Überschrift „Sie haben die richtige Denke, aber die falsche Musik!“ artig die Bruderschaft und bekennt: „… schon lange bewundere ich Sie als einen Mann, der in unserer vom Relativismus gezeichneten Zeit die Wahrheit bekennt“ (S. 88). Und dann macht er in seinem „Plädoyer für Schönheit“ einige konkrete Vorschläge, wie die Kirchen Labore, Produktionsstätten und „Schaufenster des Schönen“ (S. 91) werden könnten.</p> <p><br /><strong><em>Verrat der Reformation?</em></strong><br />Im Gegensatz zu den 18 prominenten evangelikalen Autoren haben die Reformatoren mit sehr<br />deutlichen und teilweise drastischen Worten das Papsttum gebrandmarkt – allen voran Martin Luther, der nicht das Leben, sondern die Lehre des damaligen Papstes angegriffen und verurteilt<br />hat:<br />„Lehre und Leben sind zu unterscheiden. Das Leben ist böse, bei uns wie bei den Papisten; darum streiten wir jene nicht um des Lebens willen […] Dass die Lehre angegriffen wurde – das ist noch nicht geschehen. Das ist meine Berufung. Andere haben nur gegen das Leben geeifert; aber von der Lehre handeln, das heißt der Gans an den Kragen gegriffen, weil allerdings Herrschaft und Amt der Papisten böse ist.“<br />In Luthers letzter und schärfster Kampfschrift „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“, die er wenige Monate vor seinem Tod geschrieben hat und die man für sein Vermächtnis hält, fasst er noch einmal zusammen, wie er über das Amt und die Lehre des Papstes urteilt.<br />Er macht darin deutlich, dass der Papst nicht das Haupt der Christenheit, sondern der Anti-Christ ist (im Sinne von ‚an Stelle‘, eben „Stellvertreter Christi“). Er geißelt darin die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes und lehnt ihn als „Oberster Richter aller Gläubigen“ ab:<br />„Wer ein rechter Christ sein und selig werden will, der muss so urteilen und lehren, singen und sagen, es solle, wer dem Papst gehorsam sein will, wissen, dass er dem Teufel gegen Gott gehorsam ist und den Papst in seinen Greueln stärken hilft …“<br />Und er endet seine Kampfschrift mit Worten, die heute kaum ein Protestant zu wiederholen wagt:<br />„Wer Gott reden hören will, der lese die heilige Schrift, wer den Teufel reden hören will, der lese des Papstes Dekrete und Bullen. O weh, weh, weh dem, der dahin kommt, dass er Papst oder<br />Kardinal wird […] Judas hat den Herrn verraten und umgebracht, aber der Papst verrät und verdirbt die christliche Kirche, welche der Herr lieber und teurer als sich selbst und sein Blut geachtet hat. Denn er hat sich selbst für sie geopfert. Weh dir, Papst!“</p> <p><em><strong><br />Muss Luthers Urteil revidiert werden?</strong></em><br />Nun kann man Papst Benedikt XVI. ganz sicher weder in seiner Lebensführung, noch in seiner<br />theologischen Bildung und Begabung mit dem damaligen Papst Pius IV. vergleichen. Er ist ohne<br />Zweifel seinem Vorgänger, der die Gegenreformation einleitete, in jeder Beziehung überlegen.<br />Wenn wir das Urteil Luthers auch nicht uneingeschränkt bejahen und wiederholen können, so sollten wir doch bedenken, wie die Bibel darüber urteilt, wenn einem sündigen Menschen<br />Attribute zugesprochen werden wie: „Heiliger Vater“ – „Oberster Richter aller Gläubigen“ – „Haupt der ganzen Kirche“ – „Stellvertreter Christi“ usw.<br />Das alles sind Ehrbezeugungen, die allein Gott dem Vater, Gott dem Sohn und Gott dem Heiligen Geist zustehen.<br />Kann man einen fehlbaren, sündigen Menschen, der sich diese Titel anmaßt oder dem diese Attribute zugesprochen werden, mit „Lieber, verehrter Heiliger Vater“, „Lieber Bruder Benedikt“, „Lieber Papst Benedikt, Diener der Diener Gottes und Bruder im Herrn“ usw. anreden, ohne sich schuldig zu machen?<br />Gibt es irgendwelche berechtigten Gründe, dass sich alle 18 Autoren dieser „evangelischen“ Briefe an Benedikt XVI. einer der aufgezählten Anreden bedienen?<br />Ist das unbedachte Höflichkeit, blauäugige Gutmütigkeit, oder einfach nur Sympathie für einen sehr sympathischen, bescheiden auftretenden, hoch gebildeten und intellektuell brillanten Joseph Ratzinger?<br />Oder liegt es an unserer mangelnden Gottesfurcht und oberflächlichen Bibelkenntnis, dass wir Protestanten den Protest verlernt haben?</p> <p><em><strong><br />Nach wie vor Abgrenzung!</strong></em><br />In unserer heutigen, von der Postmoderne geprägten und anpassungssüchtigen evangelikalen<br />Szene ist es nicht nur nötig, zu bekennen was wir glauben, sondern auch mit deutlichen, unmissverständlichen Sätzen zu proklamieren, was wir n i c h t glauben und auf Grund der Bibel<br />für Irrtum, Lüge und Sünde halten.<br />Es ist tatsächlich höchste Zeit, „Klartext“ zu reden und zu wünschen, dass die Leser der Briefe „an den lieben Bruder in Rom“ und wir alle nicht nur in eine „heilige Unruhe“ geraten, sondern auch zu einer gründlichen Überprüfung der eigenen geistlichen Überzeugungen herausgefordert werden.</p> |
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