Zeitschrift-Artikel: Ein Morgen und ein Abendopfer

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Titel: Ein Morgen und ein Abendopfer
Typ: Artikel
Autor: Peter L
Autor (Anmerkung):

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Titel

Ein Morgen und ein Abendopfer

Vortext

„Das eine Lamm sollst du am Morgen opfern, und das zweite Lamm sollst du zwischen den zwei Abenden opfern.“
(2Mo 29,39)

Text

Als der Herr Jesus von seinen Jüngern Abschied nahm, hat er ihnen sehr viel hinterlassen: Ein
vollkommenes Vorbild, wunderbare Verheißungen, die Ankündigung des Heiligen Geistes, sein hohepriesterliches Gebet. Aber man könnte auch sagen, es war wenig Greifbares: Wie „das ihr Liebe untereinander habt“ oder „dies tut zu meinem Gedächtnis“ oder auch „ihr werdet meine Zeugen sein“.
In diese immer wiederkehrende Dinge hatte Gott seinem Volk Israel noch etwas der gleichen Art mit auf den Weg gegeben: Jeden Morgen und jeden Abend sollte ein Lamm geopfert werden. Der Tag fing für die Priester mit einem Brandopfer an und endete auch damit. Der Tag war eingeklammert mit einem Denken an den großen Gott, mit Anbetung, mit Innehalten und Hinzutreten.

Historie
Es ist interessant zu sehen, wie peinlich genau Gott für diese immer wiederkehrenden Handlungen seine Anweisungen gab. Im Gesetz des Brandopfers in 3Mo 6 forderte Gott zunächst,
dass das Feuer in Brand gehalten wurde (Vers 2). Es durfte nicht erlöschen (Vers 5 und 6), sodass beim Morgenopfer der Priester einfach nur Holz nachlegen musste, um anschließend ein Lamm zu opfern. Dazu gehörte auch das tägliche Speisopfer, dass der Priester gleichzeitig zubereiten musste (Vers 13-16).
Stellen wir uns das vor: Die Priester erwachen in ihren Zelten. Das erste, was sie tun, ist, in das Zelt der Zusammenkunft zu gehen, Holz auf den Brandopferaltar zu legen, anschließend das Lamm zu schlachten und Gott damit anzubeten.
Dann wird das Speisopfer zubereitet, ein Teil davon wird Gott geweiht, der Rest dient den Priestern als Frühstück. Und am Abend wiederholt sich das alles. Bevor der Tag ausklang, mussten die Priester das gleiche Ritual durchführen. Gott betont, dass es „Morgen für Morgen“ dargebracht werden sollte, ohne Ausnahme, und ebenso jeden Abend. Gott sollte am Anfang des Tages im Mittelpunkt stehen – und auch am Ende. Der Tag begann mit Anbetung und endete damit.
Warum war Gott das so wichtig? Warum gibt es so viele Bibelstellen (59) zu dieser einen Anordnung? Wird es nicht inhaltsleer? Kann es auf Dauer nicht richtig lästig werden? Besteht nicht die Gefahr einer Gewöhnung? Wahrscheinlich war das auch der Fall im Volk Israel. Wenn wir uns die Geschichte anschauen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie diese täglichen Opfer schnell aufgaben. Das könnte man daraus schlussfolgern, dass sie auch die anderen Anordnungen wie zum Beispiel die sieben Feste aus 3Mo 23 aufgaben und erst in Erweckungszeiten wieder ernst nahmen.
Allerdings sehen wir am Verlauf der Geschichte, dass Gott dieses tägliche Opfern sehr wohl ernst nahm:

Josaphat
Als Josaphat die unglückliche Koalition mit Joram einging, um gegen Moab zu kämpfen, machten sie einen sieben-Tage-Umweg. Auf dieser Reise ging ihnen das Wasser aus. Sie baten den Propheten Elisa um Hilfe, welche dieser nach einigem Zögern und harten Vorwürfen doch zusagte. Seine Vorschläge waren sehr ermutigend, sogar der Sieg über Moab wurde ihnen zugesagt. Aber wann begann der Siegeszug, zu welchem Zeitpunkt trat die Hilfe Gottes in Kraft?
„Und es geschah am Morgen, zur Zeit, da man das Speisopfer opfert, siehe, da kam Wasser den Weg von Edom her, und das Land füllte sich mit Wasser.“ (2Kö 3,20)

Judas Rückkehr aus der Gefangenschaft
Nach sieben Jahren Gefangenschaft und Demütigung kommt Juda endlich wieder nach Hause. Die Menschen sind überglücklich und überwinden viele Schwierigkeiten. Etliche von denen, die weggeführt worden waren, sind verstorben. Die nächsten Generationen kommen zurück. Und was ist das erste, was sie machen? Wie können sie zeigen, dass sie es ernst meinen mit ihrer Gottesfurcht?
„Und sie richteten den Altar auf an seiner Stätte, denn Furcht war auf ihnen vor den Völkern der Länder; und sie opferten auf ihm Brandopfer dem HERRN, die Morgen- und die Abend Brandopfer.“ (Esr 3,3)
Für den Tempel waren noch keine Grundlagen gelegt, aber das, was dem Herrn heilig und wichtig war, wurde ernst genommen. Morgen für Morgen und Abend für Abend. Mit dem Herrn in den Tag starten und auch in die Nacht. Anbetung am Morgen und am Abend. Darauf hatte Gott lange warten müssen – Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Aber vom Heiligen Geist angerührte und überführte Menschen fragen nach Gottes Anordnungen.

Esra
Wieder waren Jahre vergangen, der Tempel war inzwischen aufgebaut. Aber die Herrlichkeit Gottes war nicht wieder zurück. Das macht denjenigen unendlich traurig, der weiß, um was es eigentlich geht. Natürlich war das Gebäude des Tempels wichtig, aber der würde wieder zerstört werden, wenn sich nicht grundsätzlich etwas änderte: der innere Zustand der Israeliten.
Das erkannte Esra, der Schriftgelehrte, sehr wohl und er leitete die inneren Reformen ein. Trennung von allem, was nicht zu Gott passt, war Grundvoraussetzung. Esra erkannte, dass trotz Altar und Tempel und wieder eingeführtem Gottesdienst die Vermischung mit den umliegenden
Völkern nicht aufgehört hatte. Das machte ihn dermaßen bestürzt, dass er zusammenbrach und vor Gott Buße tat. Doch zu welchem Zeitpunkt passierte das?
„Und zu mir versammelten sich alle, die vor den Worten des Gottes Israels zitterten wegen der Treulosigkeit der Weggeführten; und ich saß betäubt da bis zum Abend-Speisopfer.
Und beim Abend-Speisopfer stand ich auf von meiner Demütigung, nachdem ich mein Gewand und mein Oberkleid zerrissen hatte, und ich beugte mich auf meine Knie nieder und breitete meine Hände aus zu dem HERRN, meinem Gott.“ (Esr 9,4-5)
Zur Zeit der regelmäßigen Opferung, der Anbetung, geschieht diese Demütigung, die in einem sehr langen Bußgebet mündet. Zitternd liegt er vor Gott, weint und ist verzweifelt.
Waren die sieben Jahre Gefangenschaft umsonst? Sein Verhalten hat eine starke Auswirkung auf seine Mitbewohner und Gott kann sich doch wieder segnend hinter sein Volk stellen.
Esra hatte den wahren Grund des immer wiederkehrenden Abfalls von Gott erkannt: der tägliche Umgang mit Gott wurde aufgegeben. Das ist die Quelle aller weiteren Verfehlungen und allen Ungehorsams gegen Gott.
Äußerlich können die Dinge vielleicht noch gut funktionieren, doch auf Dauer wird das nicht halten. Auf Dauer muss der Tag von Gott bestimmt sein – vom Morgen bis zum Abend.

Daniel
Daniel, der große Seher und Prophet, bekommt eine unglaubliche Sicht in die Zukunft. Er wird von Gott befähigt, an Königshäusern höchste Ämter zu bekleiden und Träume zu deuten. Gott segnet ihn über die Maßen und ist so erfreut über ihn, dass er ihn dreimal einen „Vielgeliebten“ nennt. Ein wirklich außergewöhnlicher Mann.
Sein beeindruckender Charakter wird auch dadurch deutlich, dass er mit innerer Anteilnahme warnt. Als er z.B. die Vision von dem großen Baum sieht, warnt er seinen König eindrücklich zur Buße. Später hat er eigene Visionen, die ihn dermaßen mitnehmen, dass er schlotternd zu Boden sinkt – wirklich ein außergewöhnlicher Mann.
Sein Leben ist gekennzeichnet von viel Gebet und viel Studium der Schriften. Und eines Tages entdeckt er zu seinem fassungslosen Entsetzen, dass sich die Zeit der sieben-jährigen Gefangenschaft dem Ende zuneigt.
Wie auch Esra muss er aber mit Traurigkeit zugeben, dass sich am Zustand des Volkes nichts Gravierendes geändert hat. Und das treibt ihn wieder ins Gebet, in ein sehr langes Bußgebet in Kapitel 9. Darin bekennt er seine Sünde sowie die seines Volkes und fleht um Gottes Erbarmen. Er ist mit sich und seinen Landsleuten schonungslos. Nur einen Ausweg gibt es noch: Gottes
Barmherzigkeit (Vers 19). Und dann: „… während ich noch redete im Gebet, da kam der Mann Gabriel, den ich im Anfang, als ich ganz ermattet war, im Gesicht gesehen hatte, zu mir her zur Zeit des Abendopfers.“ (Dan 9,21)
Wieder ist es diese Zeit des alltäglichen Opferns. Warum kommt Gott gerade dann zu seinen trauernden Knechten? Ist ihm das so wichtig? Möchte Gott ihnen und auch uns dadurch deutlich machen, worauf es ihm wirklich ankommt? Ist es die „bevorzugte“ Zeit für Gott, mit seinen Kindern Gemeinschaft zu haben?
Auch in Kapitel 8 wird dieser Gedanke noch verstärkt: „Auch bis zum Fürsten des Heeres tat er groß; und er nahm ihm das beständige Opfer weg, und die Stätte seines Heiligtums wurde niedergeworfen. Und eine Zeit der Mühsal wurde dem beständigen Opfer auferlegt, um des Frevels willen. Und es warf die Wahrheit zu Boden und handelte und hatte Gelingen.
Und ich hörte einen Heiligen reden; und ein Heiliger sprach zu jenem, der redete: Bis wann geht das Gesicht vom beständigen Opfer und vom verwüstenden Frevel, dass sowohl das Heiligtum als auch das Heer zur Zertretung hingegeben ist?“ (Dan 8,11-13)
Und auch nach Kapitel 9 wird das beständige Opfer angegriffen: „Und Streitkräfte von ihm werden dastehen; und sie werden das Heiligtum, die Festung, entweihen und werden das beständige Opfer abschaffen und den verwüstenden Gräuel aufstellen. Und von der Zeit an, da das beständige Opfer abgeschafft wird, und zwar um den verwüstenden Gräuel aufzustellen, sind 1.290 Tage.“ (Dan 11,3;12,11)
Der Feind Gottes greift immer
da an, wo er die größten Schäden anrichten kann. Wenn der Tag für den Juden nicht mehr mit Gott anfing und endete, war das der Anfang vom Ende. 

Eine Botschaft auch für uns
Wir opfern keine Brandopfer und Speisopfer, aber was will Gott uns mit diesen Lektionen lehren?
„Er weckt jeden Morgen, er weckt mir das Ohr, damit ich höre wie solche, die belehrt werden“ (Jes 50,49), wird über den Herrn gesagt.
Er ging der Gewohnheit nach frühmorgens auf den Berg um zu beten. Immer wieder suchte er gleiche vertraute Orte auf, um mit seinem Gott alleine zu sein. Er ist unser großes Vorbild, der Menschensohn, der völlige Abhängigkeit von seinem Gott auslebte.
„Und er ging hinaus und begab sich der Gewohnheit nach an den Ölberg; es folgten ihm aber auch die Jünger.“ (Lk 22,39) Wenn ER, der Sohn Gottes, der sich ständig des Wohlgefallens seines Gottes erfreute, diese Gewohnheit hatte, wie viel mehr benötigen wir Gebet!
Gemeinden und einzelne Christen kranken nicht zuerst an zu wenig Lehre oder mangelnder Liebe. Sicher auch daran. Doch nie gab es eine Zeit, wo Informationen über und zur Bibel so leicht und günstig zugänglich waren. Der große Mangel ist offensichtlich wie zu allen Zeiten zu wenig Umgang mit unserem großen Gott.
Viel zu oft wird der Tag ohne ihn begonnen und ohne ihn beendet. Wenn es hoch kommt beginnen wir den Tag mit wenigen Minuten Bibellese und Gebet, wenn es gar nicht mehr reicht, nehmen wir einen Kalenderzettel. Oder wir hören uns noch einen Vortrag an, um unser Gewissen zu beruhigen.
Wir sind erfinderisch in unseren Ausreden. Doch ich glaube, nach nichts sehnt sich der Herr mehr als nach unserer täglichen Gemeinschaft mit ihm.
Wer von uns wäre nicht gerne ein Serubbabel, ein Esra oder ein Daniel. Die entscheidenden Merkmale ihres Dienstes haben etwas mit dem Alltäglichen zu tun. Mit dem Morgen- und dem Abendopfer. Vielleicht ist es konstruiert, aber das Abendmahl ist am Abend eingesetzt worden. Und der Herr steht an der Tür von Laodicäa und möchte herein, um das Abendbrot mit ihnen zu essen.
Der Herr Jesus will unser täglicher Gast sein. Er möchte, dass wir zu seiner Ehre „Essen und Trinken“. Wir haben das einmalige Vorrecht, das Alltägliche mit Gott zu er- und zu durchleben. ER ist nicht ein Gott des Tempels oder der Gebäude. ER, den die Himmel nicht fassen können, wohnt bei denen, die zerschlagen und demütig sind. Der Psalmist sagt dreimal: „Früh (wörtlich: am Morgen) wirst du, HERR, meine Stimme hören, früh werde ich dir mein Anliegen vorstellen und harren.“ (Ps 5,4)
„Sättige uns früh (wörtlich am Morgen) mit deiner Güte, so werden wir jubeln und uns freuen in allen unseren Tagen.“ (Ps 90,14)
„Lass mich früh (wörtlich am Morgen) hören deine Güte, denn auf dich vertraue ich; tu mir kund den Weg, den ich wandeln soll, denn zu dir erhebe ich meine Seele!“ (Ps 143,8)
Mose, der Mann Gottes, mit dem der Herr wie mit einem Freund redete – von Angesicht zu Angesicht – wusste offensichtlich um das Geheimnis des „Morgen-Brandopfers“. David hatte das ebenso bitter nötig, denn er musste mit vielen Feinden kämpfen.
Gott verlangte jeweils ein Brandopfer. Das war das erste, welches in 3Mo 1 beschrieben wird. Es gehörte vollständig Gott – ein Ganzopfer –und hatte eigentlich nichts mit Sünde zu tun. Mit diesem Opfer konnte der Israelit Gott seine Dankbarkeit und Anbetung ausdrücken.
Das Speisopfer war das einzige unblutige Opfer und erinnert uns an das reine und unbefleckte Leben des Herrn Jesus.
Wäre es nicht wunderbar und sicher zur Ehre Gottes, wenn wir uns jeden Morgen und jeden Abend in aller Ruhe mit der herrlichen und unbeschreiblichen Person des Herrn Jesus beschäftigen würden? Mit seinem reinen Leben, durch welches er Gott vollständig verherrlicht hat? 
Das ist mein Gebet!

Nachtext

Nun sich der Tag geendet,
mein Herz zu dir sich wendet
und danket inniglich;
dein holdes Angesichte
zum Segen auf mich richte,
erleuchte und entzünde mich.

Ich schließe mich aufs neue
in deine Vatertreue
und Schutz und Herze ein:
die fleischlichen Geschäfte
und alle finstern Kräfte
vertreibe durch dein Nahesein.

Daß du mich stets umgibest,
daß du mich herzlich liebest,
mich rufst zu dir hinein;
daß du vergnügst alleine
so wesentlich, so reine,
laß früh und spät mir wichtig sein.

Ein Tag der sagt dem andern,
mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit:
O Ewigkeit, so schöne,
mein Herz an dich gewöhne;
mein Heim ist nicht in dieser Zeit.

                                         Gerhard Tersteegen

Quellenangaben