Zeitschrift-Artikel: JOHN KNOX (1514 - 1572) - Der Reformator Schottlands

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Titel: JOHN KNOX (1514 - 1572) - Der Reformator Schottlands
Typ: Artikel
Autor: F.W. Boreham
Autor (Anmerkung):

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Titel

JOHN KNOX (1514 - 1572) - Der Reformator Schottlands

Vortext

John Knox leitete die Reformation in Schottland. Nachdem sein guter Freund George Wishart auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, fing Knox seine Laufbahn als Reformator an. Er wurde gezwungen, 19 Monate lang Galeerensklave für die Franzosen zu sein. Als die katholische Königin Maria 1553 den Thron bestieg, ging Knox nach Deutschland und in die Schweiz ins Exil, wo er auch Johannes Calvin kennenlernte.

Text

Manche Menschen werden nicht nur dazu geboren, um irgendwann einmal zu sterben. Es ist ihr besonderes Vorrecht, zu leben; sie sind zu einem bestimmten Zweck auf diese Welt gekommen. Und unter diesen Menschen nimmt John Knox einen besonderen Platz ein. Wenn man in Edinburgh ist, kann man fast nicht glauben, daß es schon vierhundert Jahre her ist, seitdem John Knox hier gelebt hat. Er ist heute noch so lebendig in dem Bewußtsein der Leute, daß es unfaßlich erscheint - sie zeigen einem sein Grab, mitten auf der Straße, und die verwitterte Inschrift auf dem flachen Grabstein tut ihr Möglichstes, um den Betrachter davon zu überzeugen, daß die Stimme von John Knox schon jahrhundertelang nicht mehr zu hören ist. Aber dann schüttelt man nur skeptisch den Kopf und geht wieder weg. Wenn man in dieser ehrwürdigen und romantischen Stadt spazierengeht, ist John Knox einfach überall zu finden. Er ist der allgegenwärtige Mensch, den man dort trifft. Man begegnet ihm an jeder Straßenecke: Hier ist das Haus, in dem er gewohnt hat, dort die Kirche, in der er predigte. An jeder Ecke kommt man an Stellen vorbei, die noch von ihm reden. Ja, es ist gleichsam, als ob die Steine noch vibrieren von dem schneidenden Klang seiner Stimme, und die Mauern widerhallen von seinen Schritten.

John Knox wurde also 1514 geboren. Das Leben, das John Knox ausstrahlte, war nicht nur unsterblich, sondern auch ansteckend. Seinetwegen, so behauptet der Dichter Carlyle, fingen die Menschen erst richtig an zu leben. "In der Geschichte Schottlands", so sagt er, der selbst ein Schotte war, "kann ich nur eine Epoche finden, und in ihr passiert nichts von Interesse für die Welt, sondern ausschließlich die Reformation durch John Knox."

Aber! Aber! Die Gelehrten schütteln wohl den Kopf dazu. Hat Carlyle denn Sir Walter Scott und Robert Bums vergessen und all die edlen Beiträge Schottlands zur Literatur, zur Industrie, zur Religion und zum Leben überhaupt? Aber Carlyle würde nicht ein einziges Wort zurücknehmen oder verändern. "Das, was John Knox für sein Volk getan hat", fährt er fort, "war wie eine Auferstehung vom Tode. Das Volk fing an zu leben! Es gibt die schottische Literatur und Gelehrsamkeit, die schottische Industrie, James Watt, David Hume, Walter Scott, Robe1t Bums. Doch ich stelle fest, daß im Innersten bei jedem dieser Menschen und Dinge John Knox am Werke ist. Ich stelle fest, daß sie ohne ihn alle nicht gewesen wären."

"Geh", sagte der alte Reformator zu seiner Frau, als er auf dem Sterbebett lag, und das waren seine letzten Worte: "Geh und lies mir die Stelle vor, wo ich zum ersten Mal den Anker geworfen habe!" Sie brauchte keine genaueren Anweisungen, denn er hatte ihr die Geschichte immer wieder erzählt. Richard Bannatyne, ein Diener von John Knox, hat später von dieser Szene berichtet.
"Am 24. November 1572", so schreibt er, "schied John Knox aus diesem Leben und ging zur ewigen Ruhe ein. Am frühen Nachmittag sagte er: 'Nun befehle ich zum letzten Mal meinen Leib, Seele und Geist' - und dabei streckte er drei Finger in die Höhe - 'in deine Hände, o Herr!' Später, ungefähr um 5 Uhr, sagte er zu seiner Frau: 'Geh und lies mir die Stelle vor, wo ich zum ersten Mal den Anker geworfen habe! ' Mehr brauchte er ihr nicht zu sagen, und sie las ihm das 17. Kapitel aus dem Johannesevangelium vor." Wir wollen zuhören, wie sie liest: "Gleichwie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, auf daß er allen, die du ihm gegeben hast, das ewige Leben gebe. Dies ist aber das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen."

Das war ein seltsamer und auffälliger Gegensatz! "Ewiges Leben, Leben in Ewigkeit!" heißt es im Buch. Und dann hört man das mühsame Atmen vom Krankenbett her. Dieses Lager spricht vom Tod; das Buch aber redet vom ewigen Leben! "Leben!" Der Sterbende zuckt zusammen, als die großartigen Worte sein Ohr erreichen: "Dies aber ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen!" "Ewiges Leben!" "Hier war es", sagte er mit seinem letzten Atemzug, "hier war es, wo ich zum ersten Mal den Anker geworfen habe!"

Die Hinrichtung George Wisharts

Was geschah nun damals, als der Anker zum ersten Mal ausgeworfen wurde? Ich habe versucht, die verschiedenen Berichte zusammenzusetzen. Paulus hat sein Leben lang den Tag nicht vergessen, an dem er zusah, wie Stephanus gesteinigt wurde. Und John Knox hat nie in seinem Leben den Tag vergessen, an dem er zusehen mußte, wie George Wishart verbrannt wurde. Wishart war ein Mann "von solcher Güte" - so erzählt Knox selbst- "wie man es vorher in unseren Breiten nie erlebt hatte." Er wurde mit einer Ehrfurcht behandelt, die schon fast an Aberglauben grenzte, und man begegnete ihm mit einer Liebe, die fast schon Verehrung genannt werden könnte.
Es wird erzählt, daß in jenen Tagen, als die Pest in Schottland wütete," die Leute von Dundee sie von Westen herannahen sahen wie eine große schwarze Wolke. Sie fielen auf die Knie und beteten, sie schrien zu der Wolke, sie möge an ihnen vorübergehen, aber noch während sie beteten, kam sie näher. Dann sahen sie sich um nach dem heiligsten Mann unter ihnen, der sollte vor Gott Fürbitte tun um ihretwillen. Alle Augen richteten sich auf George Wishart, und er stand auf, reckte seine Arme der Wolke entgegen und betete. Und wahrhaftig, sie zog sich zurück." Doch außerhalb der Stadtmauern wütete die Pest, und Wishart eilte dorthin. Er richtete sich schließlich auf der Stadtmauer ein, dort predigte er nach der einen Seite den mit der Pest Geschlagenen, und den Gesunden nach der anderen Seite. Und er zeigte solchen Mut, so große Unerschrockenheit im Kampf mit der furchtbaren Geißel, daß er das Idol des dankbaren Volkes wurde. 1546 jedoch wurde er der Ketzerei angeklagt, verurteilt und am Fuße des Schloßes Wynd, gegenüber vom Schloßtor, verbrannt.
Als er in die Nähe des Scheiterhaufens kam, so erzählt uns Knox, fiel er auf die Knie und zitierte laut einige der bewegendsten Bitten aus den Psalmen. Als Zeichen seiner Vergebung gab er dem Henker einen Kuß auf die Wange und sagte: "Siehe, das ist das Zeichen dafür, daß ich dir vergebe. Und jetzt, mein Lieber, tue deine Pflicht!" Der Scheiterhaufen wurde angezündet, und die lodernden Flammen trugen Wisharts Seele triumphierend gen Himmel.

Und dort, nur ein paar Meter entfernt, steht John Knox. Wir wollen ihn uns gut ansehen. Er ist "kaum mittelgroß, mit breiten Schultern, dunkler Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und einem ebensolchen Bart, der wohl anderthalb Spannen lang ist. Er hat dichte Augenbrauen und tiefliegende Augen, die Wangenknochen stehen hervor, und die Wangen sind frisch und rot. Der Mund ist groß, die Lippen voll, besonders die obere. Seine ganze Erscheinung ist angenehm, und wenn er erregt ist, hat er einen Hauch von Würde und Majestät an sich." Der sensible Knox konnte diese tragische und doch triumphierende Szene am Schloßtor niemals aus seinem Gedächtnis löschen. Und als er selbst sich viele Jahre später zum Sterben niederlegte, da wiederholte er mit geschlossenen Augen die Gebete, die er George Wishart damals im Schatten des Scheiterhaufens hatte sprechen hören.
Ich frage mich, ob es an jenem Tag war, als sich John Knox traurig umwandte und nach Hause ging und dort das großartige hohepriesterliche Gebet im 17. Kapitel des Johannesevangeliums las. Ob ihm wohl an diesem denkwürdigen Abend aufging, welchen Platz die Erlösten im Herzen des Erlösers einnehmen? Ob ihm an diesem traurigen Abend plötzlich die Offenbarung einer Liebe aufleuchtete, die nicht nur den verehrten Märtyrer und ihn selbst umfing, sondern die Gläubigen aller Zeiten und an allen Orten? Öffnete sich wohl damals sein Herz für den Klang und die Erhabenheit jener ungeheuren Aussage: "Gleichwie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, auf daß er allen, die du ihm gegeben hast, das ewige Leben gebe. Dies ist aber das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen."

War es wohl an diesem Tag? Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich weiß nur, daß wir John Knox in der schottischen Geschichte erst nach dem Märtyrertod Wisharts begegnen, und ich weiß, daß seine ganze Seele durch die Ereignisse dieses traurigen und tragischen Tages tief aufgewühlt war. Aber wenn ich auch nicht sicher weiß, ob sein Anker an diesem Tag zum ersten Mal ausgeworfen wurde, so weiß ich doch gewiß, daß er an dieser Stelle ausgeworfen wurde.

Galeerensklave der Franzosen

So heftig die Stürme auch waren, die in den historisch bedeutsamen Jahren danach um Knox tobten, der Anker hielt dennoch fest. Man mag seine Erfahrungen bei Hofe beiseite lassen, die gewaltigen Anstrengungen, ihn lächerlich zu machen oder ihn einzuschüchtern und zur Unterwerfung zu zwingen. Schlimmer waren seine zwölf Jahre im Exil, von denen er 19 Monate auf französischen Galeeren als Sklave zubringen mußte.
Nur zwei flüchtige Blicke können wir auf ihn werfen. Die Galeere, in der er angekettet ist, macht eine Kreuzfahrt rund um die schottische Küste. Sie fährt so nahe an den schönen Feldern von Fife vorbei, daß Knox ganz deutlich Edinburgh, die Glockentürme der Kirche St. Andrews erkennen kann. Zu jener Zeit war Knox so krank, daß er der Verzweiflung nahe war, und der verlockende Anblick seiner Heimatstadt hätte ihm den letzten Lebensmut rauben können. Aber der Anker hielt! "Ach", rief Knox und setzte sich ein wenig auf, "ich sehe den Turm der Kirche, in der Gott mir zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit den Mund geöffnet hat, daß ich zu Seiner Ehre sprechen sollte. Und wie schwach ich jetzt auch bin, ich bin felsenfest davon überzeugt, daß ich nicht aus diesem Leben scheiden werde, bis mein Mund Seinen heiligen Namen noch einmal an derselben Stelle gerühmt hat."
Und ein andermal, so erzählt uns Carlyle, "zeigte ein Priester den Galeerensklaven ein Bildnis der 'heiligen Jungfrau' und verlangte, daß sie, die gotteslästerlichen Ketzer, dieses Bild anbeten sollten. 'Mutter? Die Mutter Gottes?' sagte Knox, als er an die Reihe kam. 'Das ist doch keine Mutter Gottes, das ist nur ein Stück angemaltes Holz. Ich meine, das soll man eher schwimmen
lassen, als daß man es anbetet! ' Und damit schleuderte er das Bildnis in den Fluß." Denn Knox hatte seinen Anker im 17. Kapitel des Johannes-Evangeliums festgemacht. "Dies aber ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen." Und da er selbst das ewige Leben in der persönlichen Freundschaft mit seinem persönlichen Erlöser gefunden hatte, war es ihm unerträglich, wenn andere mit den Augen des Aberglaubens auf ein "Stück angemaltes Holz" starrten.
Das Bild fiel klatschend ins Wasser. Es war ein grober Scherz, aber auch ein vielsagender. Die ganze Reformation wurde im Grunde hierin zusammengefaßt. Ewiges Leben konnte man nicht in solchen Dingen finden. "Dies aber ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen." Hier, sagt Knox, habe ich zum ersten Mal Anker geworfen, und durch alle Stürme und Belastungen dieser ereignisreichen und enttäuschenden Jahre hindurch hat er gehalten!

Heimgang

Bis zum Schluß riß die Ankerleine nicht, und der Anker wurde auch nicht aus dem Grund herausgezerrt. Richard Bannatyne, der am Totenbett seines verehrten Meisters saß, hörte einen langgezogenen Seufzer. Und plötzlich hatte er einen eigenartigen Einfall. "Mein Herr", sagte er, "die Zeit ist gekommen, daß Ihr Euren Kampf beendet. Erinnert Euch an die tröstlichen Verheißungen unseres Heilandes Jesus Christus, die Ihr uns so oft vor Augen gemalt habt. Es mag doch sein, wenn auch Eure Augen schon blind und Eure Ohren taub sind für alle anderen Eindrücke, daß Ihr dennoch meine Stimme erkennen könnt. Ich will mich über Euch beugen und Euch fragen, ob Ihr immer noch die Hoffnung auf die Herrlichkeit habt. Versprecht Ihr mir, daß Ihr mir ein Zeichen gebt, wenn Ihr es noch könnt?" Der todkranke Mann nickte, und bald danach hob er seinen Finger und zeigte nach oben. "Er mußte einen harten Lebenskampf bestehen", sagt Carlyle, "er rang mit Päpsten und Fürstentümern; er wurde besiegt und in Dispute verwickelt, es war ein lebenslanger Kampf. Er mußte als Galeerensklave rudern und im Exil umherziehen. Es war ein harter Kampf, aber er hat ihn gewonnen! 'Habt Ihr noch Hoffnung?' fragte man ihn in seinem letzten Augenblick, als er schon nicht mehr sprechen konnte. Und da hob er seinen Finger und zeigte nach oben. Und so starb er. Seine Werke sind nicht mit ihm gestorben. Dem Buchstaben nach ging sein Werk unter, wie bei allen Menschen, aber der Geist des Werkes bleibt bestehen."
"Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich erkennen!" "Dort", sagt Knox in seinem letzten Atemzug, "dort habe ich zum ersten Mal meinen Anker ausgeworfen!" Ja, mein Freund, das ist ein sicherer Ankergrund. Wirf deinen Anker dort aus! Mache ihn fest im Bund und in den Treueschwüren des Allerhöchsten! Mache ihn fest in Seinem unfehlbaren, unveränderlichen, zuverlässigen Wort! Wirf deinen Anker in die unermeßliche Liebe Gottes! Wirf ihn in die erlösende Gnade Jesu Christi! Mach ihn fest im ewigen Evangelium! Mach ihn fest in der persönlichen Fürsorge des persönlichen Heilandes für jeden einzelnen! Wirf deinen Anker dort aus, und dann kann kommen, was will, dieser Anker wird nie reißen!

Nachtext

Quellenangaben