Zeitschrift-Artikel: "Das Volk, das in Finsternis wandelt, hat ein gro

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Titel: "Das Volk, das in Finsternis wandelt, hat ein gro
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang B
Autor (Anmerkung):

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Titel

"Das Volk, das in Finsternis wandelt, hat ein gro

Vortext

Aktuelles aus der Ukraine und Sibirien

Text

Konferenz in Kiew

Vom 21.2.-23.2. fand in Irpen (bei Kiew) eine erste Konferenz zum Thema "Aufbau einer biblischen Gemeinde" statt, zu der Bruder Franz Schumejko gezielt eingeladen hatte. Als wir am Freitag-Abend eintrafen, waren etwa 250 Brüder versammelt, die aus der näheren und weiteren Umgebung angereist waren. So kam ein Bruder z.B. aus der Nähe von Wladiwostok, ca. 10 Flugstunden von Kiew entfernt. Seine Gemeinde hatte das Geld für ihn zusammengelegt, damit er an dieser Konferenz teilnehmen konnte.

Die Konferenz fand in einem Kulturhaus statt und alle saßen in dicke Mäntel gehüllt, weil es ziemlich kalt und die Heizung um diese Jahreszeit wohl völlig überfordert war. Für Übernachtung und Verpflegung sorgte ein Hotel nebenan, mit dem ein günstiger Preis ausgehandelt werden konnte. Fred Calvin, Benedikt Peters und ich durften über verschiedene Themen Vorträge halten, aber auch in den Pausen gab es für unsere Übersetzer David Seel und Viktor Pritzkau keine Ruhe, weil eine Frage nach der anderen beantwortet werden mußte. Dadurch, daß zur Zeit viele Menschen zum Glauben kommen, die keine christliche Tradition kennen, sind die Fragen nach neutestamentlichen Strukturen besonders aktuell. Andererseits werfen die teilweise sehr extremen und eifrig arbeitenden charismatischen Gruppen viele Fragen auf, ebenso die verschiedensten Sekten, die das Land überschwemmen. Das Interesse der Konferenzteilnehmer war groß und viele Fragen blieben unbeantwortet, weil die Zeit sehr knapp war. Deshalb wurde vorgeschlagen, so bald wie möglich eine zweite Konferenz zu veranstalten.

Sibirien - materielle Armut und geistlicher Reichtum

Nach dieser Konferenz flogen Viktor, David und ich weiter nach Nowosibirsk, um dort einige Gemeinden und Freunde zu besuchen, die wir vor einem Jahr kennengelernt hatten. Außerdem ging es darum, eine weitere Hilfsaktion vorzubereiten und Wege für eine gezielte Literaturarbeit zu finden.
Am Tag unserer Ankunft - bei -28°C Kälte - wurden wir gleich zu einer Konferenz der nichtregistrierten Gemeinden Sibiriens eingeladen. Die verantwortlichen Brüder aus diesen Gemeinden waren zum ersten Mal in ihrer Geschichte für eine Woche zusammengekommen, um über Evangelisation, Gemeindeaufbau usw. nachzudenken. Wir erlebten dort eine sehr herzliche Gemeinschaft mit Brüdern, deren Herzen für den Herrn und Sein Werk brannten. Auch hier reichte die Zeit nicht, um die vielen Fragen zu beantworten, und ob es einmal möglich ist, den vielen Einladungen zu folgen, ist ebenso unwahrscheinlich. Doch die Einheit des Geistes mit Brüdern zu erleben, die man vorher nie gesehen hatte, war für uns eine große Ermunterung.
An diesem Abend hatten wir noch ein sehr interessantes Treffen mit einigen Frauen, die eine Hilfsaktion für notleidende und kinderreiche Familien gestartet haben. Im Gegensatz zur Ukraine, wo wir keine Engpässe in der Lebensmittelversorgung (was die Grundnahrungsmittel betrifft) beobachten konnten, ist die Situation in Sibirien wesentlich schlechter. Zwar konnte man hier reichlich und billig Benzin tanken, was in der Ukraine nicht möglich war, aber Nahrungsmittel wie Zucker, Margarine, Mehl, Nudeln usw. sind entweder nicht, oder nur zu unerschwinglichen Preisen erhältlich.
Bei einem Durchschnittslohn von 600 Rubeln kostet z.B.:
1l Milch, 10 Rubel
1 kg Zucker, 90 Rubel
1 kg Butter, 150 Rubel
1 kg Fleisch/Wurst, 50-70 Rubel
1 kg Käse, 80 Rubel

Bei diesen Preisen sind kinderreiche Familien kaum in der Lage, Geld für die dort sehr teuren Textilien und Schuhe (ein paar DDR-Schuhe wurden für 2.000 Rubel angeboten!) auszugeben.

Um der großen Not zu begegnen, haben diese Frauen folgendes unternommen:
Nowosibirsk wurde in 17 Bezirke eingeteilt. In jedem Bezirk registrierte man die kinderreichen Familien. (Bei einer Durchschnittskinderzahl von 1.5 in Sibirien zählt eine Familie mit drei Kindern bereits als kinderreich.) Da man Hilfe zur Selbsthilfe bieten möchte, will man den Müttern gegen eine geringe Gebühr eine Nähmaschine und Stoff (oder gebrauchte Kleidung) zur Verfügung stellen, womit Kleidungsstücke hergestellt werden können. Diese Textilien werden dann in einem öffentlichen Verkauf zu etwa 25% des üblichen Kaufpreises angeboten. Ein Teil des Erlöses bekommt die Näherin, der Rest kommt in eine gemeinsame Kasse, aus der die notleidenden Familien unterstützt werden. Somit hat die Familienmutter eine kleine Verdienstmöglichkeit, die Bevölkerung kann zu günstigen Preisen Textilien kaufen und es wird Geld erwirtschaftet, um Notfällen zu helfen.
Einige der Initiatoren dieser Hilfsaktion sind (noch) nicht gläubig, doch die Hoffnung besteht, daß durch die Zusammenarbeit mit den gläubigen Frauen - bei der auch christliche Literatur in jede Familie gebracht werden soll - Vertrauen zu den Christen und zur Bibel aufgebaut wird. Es war für uns erstaunlich, daß diese cleveren, gebildeten Frauen völlig offen für das Evangelium waren und allein von einer christlichen Moralauffassung eine Veränderung der Verhältnisse erwarteten.
Ihre Bitte an uns war, Nähmaschinen (egal ob alt oder neu, mechanisch oder elektrisch, einsatzbereit oder defekt) und gebrauchte Kleidungsstücke, Garn, Stoff usw. nach Sibirien zu besorgen. Da haben wir gerne zugesagt und wir hoffen in den nächsten Wochen eine Menge dieser gewünschten Dinge nach Sibirien transportieren zu können.

Eine besondere Freude war es uns, das Wachstum der Gemeinde in Nowosibirsk zu sehen. Nach den Versammlungsstunden bekannten viele Leute, daß sie durch die Lebensmittelhilfsaktion der deutschen Versammlungen im letzten Jahr zum Glauben gekommen waren. Die Geschwister aus Nowosibirsk hatten damals einen großen Teil der Lebensmittel an die Bevölkerung (Nachbarn, kinderreiche Familien, alte Leute usw.) weitergegeben. Die Erfahrung, etwas von fremden Menschen geschenkt zu bekommen, hat viele dieser Leute so überwältigt, daß sie den Gott der Christen kennenlernen wollten und zum Glauben kamen.
Am Sonntag in der autonomen Gemeinde machte ein jüngerer Bruder die "Einleitung". Er hatte absolut kein frommes Aussehen, die Spuren seines alten Lebens waren noch deutlich zu erkennen. Nachdem er ausgeredet hatte, setzte er sich zu mir und flüsterte, daß er erst acht Monate gläubig sei und durch die Hilfsaktion zum Herrn gefunden habe. Es war für mich überwältigend, auf der Bank der verantwortlichen Brüder Männer zu sehen, deren Tätowierungen und Narben zeigten, woher sie kamen (unwillkürlich mußte ich an das Bild von "Rocky" in Schlips und Kragen nach seiner Bekehrung denken!), deren freudiger Gesichtsausdruck aber deutlich macht, wohin sie gehen.

In allen Gemeinden waren wir Zeugen davon, wie sich Menschen öffentlich bekehren. In der nichtregistrierten Gemeinde z.B. wurde am Ende der Versammlung mitgeteilt, wer sich von den Anwesenden bekehren möchte, könnte nun nach vorne kommen, oder aber zurückbleiben. Darauf kamen zwei Frauen, von denen eine vor der versammelten Gemeinde sagte: "Brüder und Schwestern! Ich glaub', ich muß mich bekehren, aber ich weiß nicht, wie man das macht. Ich bin eine große Sünderin!" Darauf gaben einige Brüder ihr den Rat, hinzuknien, drückten ihr ein Mikrofon in die Hand und dann kam ein erschütterndes Gebet, indem die Frau unter Tränen zuerst bekannte, daß sie zwei Abtreibungen hinter sich hatte. In dieser Gemeinde, die sich inzwischen aus Platzgründen geteilt hat, sind im letzten Jahr 150 Personen getauft worden! In den Schulen, Krankenhäusern, Gefängnissen usw. sind die Türen weit offen und die Christen werden gebeten, dort das Evangelium zu verkündigen und zu erklären. Auch unter den Akademikern und Studenten ist ein großes Fragen nach Gott und ewigen Dingen.
Deshalb scheint uns die Literaturarbeit von vorrangiger Bedeutung zu sein. Klare evangelistische Bücher, die keine Kenntnisse voraussetzen und weiterführende Bücher für Christen, Bibelauslegungen, Sachbücher, apologetische und seelsorgerliche Bücher werden dringend gebraucht. Die Menschen in der Ukraine und in Rußland lesen sehr gerne und wir sollten die Macht des gedruckten Wortes nicht unterschätzen.

Nachtext

Es ist Erntezeit in der ehemaligen UDSSR! Scheuen wir keine Mühe, unsere Geschwister dort durch Fürbitte, materielle und geistliche Hilfe zu unterstützen.

Quellenangaben