Zeitschrift-Artikel: Billy Graham und die Evangelikalen

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Titel: Billy Graham und die Evangelikalen
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang B
Autor (Anmerkung):

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Titel

Billy Graham und die Evangelikalen

Vortext

Artikel zu ProChrist '93

Text

In wenigen Wochen soll das "größte Medienprojekt Europas nach den olympischen Spielen in Barcelona"(1) starten. Mit einem Kostenaufwand von ca 8 Mill. DM (so Idea 6/93) möchte man pro Abend 150.000 Menschen mit der christlichen Botschaft erreichen. Die Evangelisation, die vom 17.-21.3 .93 in der Essener Grugahalle durchgeführt werden soll, wird per Satellit in etwa 316 Orte im deutschsprachigen Teil Europas übertragen, und darüber hinaus in 55 Länder Europas und Nordafrikas, "von Island bis Albanien, von Portugal bis Rußland", wie es Ulrich Parzany, der Motor und Vorsitzende von "Pro Christ '93 ", formuliert hat. Redner ist der inzwischen 74 Jahre alte Evangelist Billy Graham, der zur Vorbereitung dieser Evangelisation in der ersten Novemberwoche '92 einen Besuch in Deutschland machte. Er wurde mit Beifall begrüßt, als er vor der EKD-Synode, die unter der Leitung von Jürgen Schmudde in Suhl tagte, ein Grußwort sagte und kurze Zeit später empfing ihn Bundeskanzler Kohl im Bonner Kanzleramt zu einer Privatbegegnung. Ein weiterer Besuch galt dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann (Mainz), der sich nach einem eineinhalbstündigen Gespräch erfreut zeigte, "daß der protestantische Prediger den Kontakt zur Katholischen Kirche suche" (2) .
Zum ersten Mal - soweit ich informiert bin - arbeiten die Adventisten (STA) offiziell an einer Großevangelisation der Evangelikalen in Deutschland mit, unter starker Fürsprache der Allianz. Selbstverständlich sind die Freikirchen dabei, einschließlich der Pfingstgemeinden, Charismatischen Gemeinden und teilweise arbeiten auch katholische Kirchen und Gruppen mit. Sowohl der evangelische Ministerpräsident Johannes Rau, als auch sein katholischer Kollege aus Würtemberg, Erwin Teufel, haben ihre Mitwirkung im Pro Christ - Kuratorium zugesagt (3) . Der bekannte Sänger Cliff Richard soll auftreten, ebenso Wynton Rufer, der in einer anderen Unterhaltungsbranche als Fußballprofi für Werder Bremen spielt. Die allgemeine Begeisterung ist groß: "Es ist ein faszinierender Gedanke, daß evangelische, katholische und freikirchliche Kirchengemeinden, Gemeinschaften und christliche Jugendverbände an einem Strang ziehen und in einer für uns neuen Form das Evangelium unter die Leute bringen. " (4)
Die Verlage rüsten auf mit Neuauflagen alter Bücher Billy Grahams, man spricht von einer "einmaligen Gnadenstunde für Deutschland", die Führer der Allianz- und Gemeinschaftskreise reden mit einer Stimme. Jeder, dem diese vielmundige Einstimmigkeit verdächtig vorkommt, steht mit dem Rücken zur Wand. Wer erinnert sich da nicht an die alttestamentliche Geschichte wo einem Propheten Gottes angesichts der Einmütigkeit von 400 falschen Propheten Ahabs die Kniee weich wurden (1. Kön. 22, 13 ff.) .
Hier soll es nicht um die zweitrangige Frage gehen, ob man heute mit 8 Mill. DM und Tausenden von Mitarbeitern nicht effektiver und zeitgemäßer evangelisieren kann. Darüber sollte man an anderer Stelle nachdenken. Es geht hier um die Frage, ob Billy Graham wichtigen biblischen Prinzipien treu geblieben ist und in wieweit die Evangelikalen in Deutschland vor einer verhängnisvollen Weichenstellung stehen.

Auch das muß gesagt werden

Zunächst möchte ich betonen, daß Billy Graham - so weit ich das beurteilen kann - ein schlichtes klares Evangelium verkündigt hat. Er hat sich der Botschaft vom Kreuz nicht geschämt und deutlich zur Buße und Bekehrung aufgerufen. Auch gehört er zu den ganz wenigen weltbekannten Evangelisten, denen man bisher keine Veruntreuung von Spendengeldern, keine Finanzskandale oder irgendwelche Ehebruchsgeschichten nachsagen kann. In diesen Bereichen ist der Ruf Billy Grahams integer und vorbildlich .
Viele Menschen sind durch seine Verkündigung zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gekommen und ich kenne viele von ihnen, die entschieden in der Nachfolge Jesu stehen. Wenn bei der ganzen Sache nur dieser Gesichtspunkt zu berücksichtigen wäre, könnte man sich mit den Worten Paulus aus Phil. 1,18 über "Pro Christ '93" freuen. Allen nun folgenden Bedenken möchte ich diese positiven Aussagen bewußt und deutlich voranstellen.

Staatsmann oder Prophet Gottes?

John Pollock, der bekannte Biograph Grahams, hat in seiner offiziellen Biographie das Lebenswerk Grahams mit einem Satz auf den Punkt gebracht: "Er war ein christlicher Staatsmann für die ganze Welt, ein Katalysator, der Einzelpersonen und Bewegungen zusammenbringen und einen Prozeß der Verschmelzung in Gang setzen konnte .. . " (5)
Um auf grundsätzlich konträren Positionen stehende Gruppen oder Bewegungen verschmelzen zu können, muß man allerdings einen hohen Preis zahlen:
- man muß Leuten nach dem Mund reden,
- man muß heikle und kontroverse Themen nach dem Motto "Dogmen trennen - Liebe eint", vermeiden,
- man muß Gemeinsamkeiten betonen.
Genau das hat Billy Graham in den letzten Jahrzehnten seines Dienstes getan und nur so konnte er regelmäßig unter den "Top Ten der angesehendsten Männer" (Time magazine) geführt werden. Einen Irrlehrer, "positiven Denker" und Wohlstandsevangelisten wie Robert Schuller inspirierte und ermutigte er zu seinem Dienst. Er hat Yonggi Cho, der massive Irrlehren vertritt ("Vierte Dimension", "Visualisierung", "Macht des gesprochenen Wortes"), zu Vorträgen auf seine Großkonferenzen eingeladen. Diese beiden bekannten Männer stehen hier nur als Beispiele einer langen Liste Charismatiker, Pfingstler, Ökumeniker und Katholiken, mit denen Billy Graham zusammenarbeitet.
Bekannt ist, daß sich Billy Graham für die Aufnahme diplomatischer Kontakte zwischen dem Vatikan und Washington eingesetzt hat. Bekannt ist auch, daß Graham gute Kontakte zu den damaligen kommunistischen Führern im Ostblock pflegte. Man erinnere sich nur an den von der Presse weltweit kritisierten Moskau-Besuch 1982. Er hat weiter beste Beziehungen zu den jeweiligen Präsidenten der USA und gilt zurecht als inoffizieller Kaplan des Weißen Hauses . Laut Idea 46/92 erklärte Graham in einem Gespräch am Rande der EKD-Synode in Suhl, daß die damaligen Präsidentschafts-Kandidaten Bush, Perot und der spätere Wahlsieger Bill Clinton "persönliche Freunde" von ihm seien.
So wundert man sich auch nicht, daß Billy Graham vom amerikanischen Kongreß eingeladen wurde, zur Amtseinführung Clintons am 20 .1.93 ein Gebet und den Segen zu sprechen (6)
Der Baptist und jetzige US-Präsident Clinton ist bekannt dafür, daß er die Entscheidungsfreiheit der Frau bei Abtreibungen befürwortet und die Gesetze für Homosexualität lockern will. So konnte die Presse bereits wenige Tage nach seiner Amtseinführung berichten: "Bill Clinton, neuer US-Präsident, will die lesbische Verwaltungsdirektorin Roberta Achtenberg aus San Francisco zur stellvertretenden Ministerin für Wohnwesen und Chancengleichheit machen. Die offen als Lesbierin auftretende Verwaltungsbeamtin habe das Angebot angenommen. " (7)
Hätte Johannes der Täufer wohl einen solchen Politiker als "persönlichen Freund" bezeichnet? Warum ist das undenkbar? Weil die Männer Gottes in besseren Zeiten nicht "nur" das Heil Gottes in Christus verkündigt haben, sondern auch die Sünden der Anwesenden mit deutlichen Worten geißelten. Oder ist etwa der Apostel Paulus nach seiner Predigt vor Felix (Apg. 24,24-27) mit dem Templeton-Preis ausgezeichnet worden? Wir brauchen heute Männer Gottes, die nicht nur eindeutig verkündigen, was sie glauben, sondern auch mit unmißverständlichen Worten deutlich machen, was sie nicht glauben und was sie deshalb für Sünde, Häresie und Abfall von Gottes Geboten halten. Genau das haben die Bußprediger, Reformatoren, Puritaner und Erweckungsprediger zu allen Zeiten getan. Selten haben sie dafür Doktorhüte und Ehrenpreise, sondern meistens Schimpf und Schande geerntet.

Billy Graham - ein Protestant?

Über Grahams freundschaftliche Kontakte zu den Führern der Ökumene und seine positive Haltung dem Ökumenischen Rat der Kirchen gegenüber ist viel geschrieben worden. Viele seiner Evangelisationen im damaligen Ostblock wurden in Verbindung mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen durchgeführt (8) und Billy Graham war sowohl bei der Gründungsversammlung des Weltkirchenrates 1948 in Amsterdam dabei, wie auch auf fast allen großen Tagungen des Weltkirchenrates .
In einem Interview mit US News and World Report sagte Billy Graham im Dezember 1988: ''Meine Reisen in aller Welt und meine Beziehungen zu Geistlichen aller Denominationen haben ein ökumenisches Wesen aus mir gemacht. Wir sind durch Theologie, manchmal auch durch Kultur und Rasse voneinander getrennt, doch all das bedeutet mir nichts mehr. " (9)
So ist es verständlich, daß Dr. Richard Pierad, der Präsident der Evangelical Theological Society, Graham als die "treibende Kraft zur Förderung der Ökumene unter den Evangelikalen" (10) bezeichnete.
Auch Grahams Kontakte zur kath. Kirche und zu den jeweiligen Päpsten werden in Grahams Biographie ausdrücklich erwähnt. So kann man dort z.B. nachlesen, wie er 1978 von der polnischen Baptistenunion und dem polnischen ökumenischen Rat zu der Evangelisation nach Krakau eingeladen wurde. Anschließend liest man die inhaltsschweren Worte ".„ aber selbst Kardinal Wojtyla von Krakau unterstützte die Einladung aufs wärmste. Als Billy in Krakau ankam, war Wojtyla nach Rom gereist, um dort am gleichen Tag, als Billy Graham Polen verlies, zum Papst Johannes Paul II. gewählt zu werden. " (11)
Zwei Seiten weiter liest man folgende Mitteilung: ''Im Januar 1981 kehrte Billy nach Polen zurück, um einen theologischen Ehrendoktor in Empfang zu nehmen. Das gleiche widerfuhr ihm in Ungarn, wo die Zeremonie im staatlichen Fernsehen übertragen wurde. Darauf eilte er nach Rom zu einer Privataudienz beim Papst. " (12)
So wundert man sich auch nicht, daß Graham die Ehrendoktorwürde eines jesuitischen Seminars . angenommen hat und 1972 den Katholischen Internationalen Franziskanischen Ehrenpreis für seinen "Beitrag zur wahren Ökumene" entgegennahm. (13)
In der eigentlichen Bedeutung des Wortes ist Billy Graham kein "Protestant" - er hat das Erbe der Reformation nicht verteidigt. Die Reformatoren scheuten sich nicht, ihrem Bibelverständnis nach den Papst als '"Antichrist" zu bezeichnen und waren bereit, für ihre Überzeugungen in den Bann getan oder hingerichtet zu werden. Der Baptist und Erweckungsprediger Spurgeon bezeichnete den Papst in seiner gewohnt plastischen Ausdrucksweise als "Eingeborenen des Teufels" . Heute kann Billy Graham, der weltbekannte Baptist und anerkannte Führer der Evangelikalen, den Papst als den "größten moralischen Führer und den weltweit größten Evangelisten" bezeichnen" (14) , ohne das diese Aussage einen weltweiten Protest zur Folge hätte. Welche Ignoranz der Bibel und der Kirchengeschichte wird hier deutlich. Es gibt wohl kaum einen religiösen Führer auf dieser Erde, der so viele Menschen in dieIrre führt mit seinem Götzendienst, seiner Marienverehrung und seiner Religionsvermischung wie Papst Johannes Paul II. Einen solchen Verführer als "großen moralischen Führer der Welt" zu bezeichnen läßt den Verdacht aufkommen, daß die Evangelikalen weithin Moral nur noch mit Abtreibung und Empfängsnisverhütung in Verbindung zu bringen scheinen. Wer dem römischen Katholizismus mit Wohlwollen begegnet und das Vertrauen der römisch-katholischen Würdenträger auf seiner Seite hat, zahlte dafür - bewußt oder unbewußt - einen hohen Preis . Er hat die drei großen biblischen, reformatorischen Grundsätze preisgegeben: "Allein die Schrift, allein der Glaube, allein die Gnade."
Der berühmt gewordene, an seine Mitarbeiter gerichtete Befehl des Chefs der Hearst-Zeitungsgruppe, William Randolph Hearst: "Bringt Graham groß raus!" (15), hat sich als verhängnisvoll für die Evangelikalen erwiesen. Mit Hilfe der säkularen Medien ist Graham tatsächlich zu einer Größe geworden, zu einem "christlichen Staatsmann", der einen "Prozeß der Verschmelzung in Gang" gesetzt und dazu beigetragen hat, daß der überwiegende Teil der Evangelikalen für die Gefahren der Ökumene und des Katholizismus blind geworden sind. Das Neue Testament warnt entschieden vor Toleranz und Vermischung mit moralisch und dogmatisch Bösem (2 . Kor.6,16; 2. Tim. 2,19; 1. Kor. 5,11-13 usw.).
Dieses wichtige Prinzip zur Wahrung der Reinheit, Kraft und Glaubwürdigkeit der Kirche haben die Evangelikalen mit wenigen Ausnahmen vergessen oder preisgegeben.

Sichtbare Auswirkungen in Deutschland

Wie bereits erwähnt wurden die Adventisten offiziell von dem Vorstand von "Pro Christ '93" zur Beteiligung an dieser Großevangelisation eingeladen. Hartmut Steeb, der Generalssekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, hat diese Tatsache Kritikern gegenüber in Idea deutlich verteidigt (16). Er hat den Adventisten ein evangelikales Glaubensbekenntnis zugestanden, obwohl die STA bisher keine einzige ihrer falschen Lehren aufgegeben, oder offiziell zurückgenommen haben. Die Delegiertenkonferenz der Deutschen Evangelischen Allianz hat im Oktober '92 in Bad Blankenburg die Orts-Allianzen aufgefordert, "sich stärker für pfingstkirchliche, charismatische und katholische Christen zu öffnen" (17) . Hartmut Steeb berichtete von "guten Erfahrungen" mit Pfingstlern und Charismatikern und betonte, daß auch Katholiken bei der evangelikalen Sammlungsbewegung mitwirken können, wenn sie deren Glaubensgrundlage bejahen. Daß aber die Glaubensgrundlage der Evangelischen Allianz im Gegensatz zu den Glaubensgrundlagen der röm. kath. Kirche steht, scheint den Evangelikalen bedeutungslos geworden zu sein.

Was tun?

Auch wenn man grundsätzlich von einer aktiven Mitarbeit bei "Pro Christ '93" aus den genannten Gründen abraten muß, sollte man doch intensiv dafür beten, daß trotz aller Sorgen und Bedenken durch die Gnade Gottes durch diese Veranstaltung viele Außenstehende vom Evangelium erreicht werden. Beten wir aber auch dafür, daß sie - entgegen Billy Grahams Prinzip - nicht in jede beliebige Kirche zurückgeschickt werden, sondern in Kontakt mit bibeltreuen Gemeinden kommen.
Vergessen wir aber auch bei allem eventuellen zahlenmäßigen Erfolg von "Pro Christ '93" nicht, daß mit großer Wahrscheinlichkeit der von Billy Graham angestoßene Weg in die unbiblische religiöse Weite sich auch in Deutschland, durch diese Großveranstaltung begünstigt, fort- und durchsetzen wird. Vielleicht werden wir in den nächsten Jahren einmal schmerzlich an ein prophetisches Wort erinnert, daß vor 117 Jahren in London ausgesprochen wurde:

"Ihr Protestanten, die ihr heute eure Freiheiten wie Billigware verschleudert, werdet einmal den Tag verfluchen, an dem ihr euch die alten Ketten wieder an die Knöchel passen ließet. Das Papsttum fesselte und tötete unsere Väter, und wir machen es zu unserer Nationalreligion!" (C.H. Spurgeon in einer Predigt am 12.11 .1876)

Nachtext

Quellenangaben

(1) "Die Zeitung" Nr. l ·
(2) Idea, Nr. 46/92
(3) "Die Zeitung" Nr. 1
(4) Einladungsschreiben zum 1. Arbeitstreffen "Pro Christ '93" im Zellerstift Nagold
(5) JohnPollock: BillyGraham, Memra, Weichs 1985, S. 127
(6) Idea, Nr. 2/93
(7) Märkische Zeitung vom 29.1.93
(8) J. Pollock, a.a.O., S. 133
(9) US News and World Report vom 19.12.1988
(10) M . de Semlyen: All Roads lead to Rome?, Dorchester House, Bucks 1991, S. 179
(11). J. Pollock, a.a.O., S. 134
(12) ebd„ S. 136
(13) M. de Semylen, a.a.0 „ S. 179
(14) ebd., S. 178
(15) J. Pollock, a.a.O., S. 42
(16) Idea, Nr. 21/92
(17) Idea, Nr. 41/92