Zeitschrift-Artikel: Einheit ist nicht immer himmlisch

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Titel: Einheit ist nicht immer himmlisch
Typ: Artikel
Autor: A.W. Tozer
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 1969

Titel

Einheit ist nicht immer himmlisch

Vortext

Text

Einheit ist nicht immer himmlisch

Wann man sich zusammenschließen und wann man sich trennen soll, das ist die Frage, und eine richtige Antwort darauf verlangt die Weisheit eines Salomo.
Einige lösen das Problem "so über den Daumen gepeilt": Alle Einmütigkeit ist gut, und alle Tren­nung ist schlecht. So einfach ist das. Doch offen­sichtlich läßt diese mühelose Art die geschichtlichen Lektionen außer acht und übersieht einige der großen geistlichen Gesetze, durch die wir Menschen leben.
Wenn gute Menschen alle für Einmütigkeit und schlechte Menschen alle für Trennung wären, dann würde es die Problemlösung wesentlich vereinfachen. Oder wenn es sich zeigen würde, daß Gott immer vereinigt und der Teufel immer auseinanderbringt, dann wäre es leicht, uns in dieser verwirrten und verwirrenden Welt zurechtzufinden. Doch leider ist dem nicht so.
Zu trennen, was getrennt werden sollte, und zu ver­einen, was vereint werden sollte, dazu braucht es viel Weisheit. Die Vereinigung verschiedenartiger Ele­mente ist niemals gut, selbst wenn sie möglich er­scheint. Auch die willkürliche Trennung gleicher Ele­mente ist nicht gut. Dies gilt sowohl für moralische und religiöse als auch für politische oder wissen­schaftliche Belange.

Gott vollzog die erste Trennung

Der erste, der teilte, war Gott selbst, als er bei der Schöpfung das Licht von der Finsternis schied. Diese Trennung war richtungsweisend für Gottes gesamtes Handeln in der Natur und auch in seiner Gnade. Licht und Finsternis sind unvereinbar. Beides zu gleicher Zeit haben zu wollen, heißt, das Unmögliche zu versuchen. Gewöhnlich endet es damit, daß man weder das eine noch das andere hat, dafür aber Dämmerung und die Nebelschleier des Kompromis­ses.
In der Welt des Menschen gibt es zur Zeit kaum irgendwelche scharfen Umrisse. Die Menschheit ist gefallen. Die Sünde hat Verwirrung gestiftet. Der Weizen wächst mit den Disteln, Schafe und Böcke leben nebeneinander, die Wohnungen der Gerechten und der Ungerechten liegen Tür an Tür, die Missions­station steht neben der Kneipe.
Doch das wird nicht immer so sein. Die Stunde wird kommen, wo die Schafe von den Böcken getrennt werden und die Spreu vom Weizen. Gott wird wieder das Licht von der Finsternis scheiden, und jedes wird wieder zu seiner Art finden. Spreu wird mit Spreu ins Feuer gehen, und Weizen mit Weizen in die Scheune. Die Dämmerung wird sich wie ein Nebel erheben und alle Umrisse freigeben. Hölle wird Hölle sein, und der Himmel wird sich als das Heim aller offenbaren, die das Wesen des einen Gottes haben.
Auf diese Zeit warten wir mit Geduld. In der Zwischenzeit stellt sich für jeden von uns und für die Gemeinde Christi die immer wiederkehrende Frage: Mit wem sollen wir uns vereinen und von wem uns trennen? Nicht die Frage der Koexistenz steht hier zur Debatte sondern die Frage der Einmütigkeit und der Gemeinschaft. Der Weizen wächst auf dem gleichen Feld wie die Disteln, doch sollten die beiden sich gegenseitig befruchten? Die Schafe grasen bei den Ziegen, doch sollten sie versuchen, sich zu kreuzen? Die Ungerechten und die Gerechten freuen sich an demselben Regen und Sonnenschein. Sollten sie ihre tiefen moralischen Unterschiede vergessen und sich miteinander verheiraten?
Auf diese Frage ist die allgemein übliche Antwort: "Ja." "Eintracht um der Eintracht willen", "...die Men­schen sollen Brüder sein". Die Einmütigkeit wird so sehnlich gewünscht, daß kein Preis dafür zu hoch ist. Die Wahrheit wird erschlagen, um die Veranlassung zu einem Fest zu geben und die Vermählung von Himmel und Hölle zu feiern. Und das alles, um eine Vorstellung von Einmütigkeit zu stützen, die vom Worte Gottes her keine Basis hat.

Einmütigkeit nicht um jeden Preis

Die vom Geist erleuchtete Gemeinde wird daran keinen Anteil haben wollen. In einer gefallenen Welt wie der unseren ist Einmütigkeit kein Schatz, den man zum Preis des Kompromisses kaufen kann. Loyalität gegen Gott, Treue zur Wahrheit und die Bewahrung eines guten Gewissens sind Edelsteine, die kostbarer sind als das Gold von Ophir oder die wertvollsten Diamanten. Für die biblischen Edelsteine haben Men­schen den Verlust ihres Eigentums, Gefangenschaft und sogar den Tod erduldet. Für sie haben die Nach­folger Christi, sogar noch in jüngster Zeit hinter den verschiedensten Grenzen, den größten Preis der Hin­gabe bezahlt und sind unerkannt und von der großen Welt ungeehrt gestorben. Doch Gott kennt sie, und seinem Vaterherzen sind sie teuer. An dem Tag, an dem die Geheimnisse aller Seelen preisgegeben wer­den, werden jene Unbesiegten hervorgehen, um nach den Taten zu empfangen, die sie im Leben getan haben. Sicherlich sind solche Menschen weisere Philo­sophen als die religiösen Mitläufer bedeutungsloser Einmütigkeit, die nicht den Mut haben, gegen moder­ne Trends anzugehen, und die nach Bruderschaft blöken, nur weil sie gerade populär ist.

Die Einmütigkeit der Schlachthöfe

"Teilt und erobert" ist der zynische Schlachtruf skrupelloser politischer Führer, doch Satan weiß auch, wie man vereint und besiegt. Um ein Volk in die Knie zu zwingen, muß ein Diktator es vereinen. Durch wiederholte Appelle an den Nationalstolz oder die Pflicht, das in der Vergangenheit oder Gegenwart erlittene Unrecht zu rächen, gelingt es dem Demago­gen, das Volk hinter sich zu vereinen. Danach ist es leicht, die Kontrolle über das Heer zu ergreifen und die gesetzgebende Gewalt zur Unterwürfigkeit zu bringen. Dann folgt fast vollkommene Einheit, doch es ist die Einmütigkeit der Schlachthöfe und Konzentrationsla­ger. Wir haben es in diesem Jahrhundert einige Male beobachtet, und die Welt wird es wenigstens noch einmal erleben, wenn die Völker der Erde sich unter dem Antichristen vereinen.
Wenn verirrte Schafe sich über eine Klippe stürzen, kann das einzelne Schaf sich nur retten, indem es sich von der übrigen Herde trennt. Vollkommene Einheit würde zu diesem Zeitpunkt den Tod aller bedeuten. Um seine eigene Haut zu retten, löst sich das einzelne Schaf von der Herde.
In der Vereinigung gleichartiger Elemente und in der Trennung von Ungleichheiten liegt Macht. Vielleicht brauchen wir heute in den christlichen Kreisen nicht so sehr Einmütigkeit, sondern eher weise und mutige Trennung. Jeder wünscht Frieden, doch es könnte sein, daß erst dem Schwert die Erweckung folgt.

Nachtext

Quellenangaben

(Aus dem vergriffenen Buch von A.W. Tozer: "Gott kennt keine Kompromisse", Hänssler-Verlag)