"Taste den Gesalbten des Herrn nicht an!", hatte mir ein bekannter Evangelikaler und guter Bekannter Billy Grahams gesagt, als ich in einem Vortrag ein paar Bedenken wegen Grahams freundschaftlichen Beziehungen zum jetzigen Papst geäußert hatte. Es ist ein interessantes Phänomen, daß man einigen weltweit bekannten Evangelikalen den Status von "Heiligen Kühen" gewährt, die einfach nicht angetastet werden dürfen, egal auf welchen Wegen sie sind. Selbst solche Brüder, die ansonsten für eine klare Beurteilung des Katholizismus, der Ökumene und der Charismatischen Bewegung bekannt sind, drücken bei Billy Graham beide Augen zu und versuchen seine zweifelhaften Beziehungen zu den genannten Bewegungen irgendwie zu entschuldigen. So ist es nicht einfach, ein sachlich-kritisches Gespräch mit Mitarbeitern und Freunden von "Pro Christ'93" zu führen. Die Emotionen gehen hoch, pauschale Unterstellungen werden ausgesprochen, eine sachliche Auseinandersetztung ist selten möglich. Natürlich war vorauszusehen, daß eine kritische Stellungnahme zu "Pro Christ'93" keine Bonuspunkte bei der öffentlichen Meinung der Evangelikalen einbringen würde. So kamen denn auch scharfe Reaktionen auf den Artikel in "FuT" 63, wobei zu beobachten war, daß heftige Kritik sowohl von Anhängern wie von Gegnern der "Pro Christ '93" - Veranstaltung geäußert wurde. Einerseits kamen Vorwürfe wie "militant", "lieblos", "überheblich" usw., während auf der anderen Seite die Kritik geäußert wurde, ich hätte die Verkündigung von Billy Graham zu positiv gewertet und scheute mich vor einem eindeutigen Urteil.
Reaktionen
Nun, daß man Prügel von beiden Seiten bekommt, wenn man den Versuch wagt, nach bestem Wissen und Gewissen sachlich und fair zu informieren, diese Erfahrung wird jeder machen, der sich einer aktuellen geistlichen Auseinandersetzung stellt. Auszugsweise hier nun einige Reaktionen, die repräsentativ für viele Zuschriften sind. Die Schreiber und Leser werden sicher Verständnis dafür haben, daß ich aus Platzgründen unmöglich alle Briefe vollständig zitieren kann. "Wer an der Verkündigung von Billy Graham bei "Pro Christ'93" etwas Unbiblisches entdeckt haben will, ist selber auf dem falschen Weg.. ich habe immer große Bedenken, wenn Gotteskinder ihre Mitgeschwister angreifen...Viele Christen leiden an Berührungsängsten...Das ist ein armseliger Glaube, der nicht fähig ist, hinzugehen ... und etliche zum Glauben zu führen. Und wenn es der Papst in Rom ist." H.K. "Mir scheint "Pro Christ'93" eine herrliche und einmalige Gelegenheit zu sein, das Evangelium zu verkündigen. Ich finde es verantwortungslos, die Veranstaltung zu kritisieren. Freust Du Dich denn gar nicht darüber, daß Menschen gerettet werden?...Graham hat den Papst nicht als "Stellvertreter Christi auf Erden" besucht, sondern er war sicher froh, diese Gelegenheit zu verwerten. Manche Äußerungen Grahams über den Papst könnten kompromißvoll klingen — da würde ich aber etwas genauer auf den englischen Originaltext achten und die amerikanische Mentalität einbeziehen. Wieso erwartest Du von Graham, daß er den Papst "Antichrist" nennt...Muß Graham all das tun, was früher die Reformatoren taten? Deswegen ist von Toleranz und Vermischung bei ihm keine Rede, sondern von Dialog...Merkst Du nicht, welch eine Beleidigung dies an die Adresse des weltweiten und historischen Leibes Christi ist? Du beschuldigst Graham, den wahren Leib Christi nicht zu unterscheiden — aber vielleicht tust Du es selber..." J.P. "Nun ist es Zeit Sie zu fragen, ob Sie glauben, daß Herr Graham ein Werkzeug der Gerechtigkeit ist oder ein Werkzeug der Ungerechtigkeit? ...Baut Herr Graham mit am Reich Gottes, oder an dem Hurenreich Babylon (Offb. 17 u. 18)? Wo lehrt Herr Graham z.B., daß man sein Kreuz aufnehmen und dem Herrn Jesus nachfolgen muß, wenn man Jünger des Herrn Jesus Christus werden will (Luk. 14,27)? ...Wenn ich die Glaubenspraxis von Herrn Billy Graham anhand der Heiligen Schrift beurteilen will, so scheint dieser ein klassisches Bild von Bileam wiederzugeben. Bileam suchte die Ehre in der Welt (beim König von Moab) und glaubte daran, daß Gott seine Glaubenspraxis nicht verurteilen wird..." M.N. Ich möchte auf einige der genannten Argumente indirekt eingehen, indem ich eine "Nachlese" halte, die ich vor allem "Idea" entnehme, dem Informationsdienst der Evangelischen Allianz, welcher naturgemäß positiv zu "Pro Christ '93" steht.
Zahlen
An 386 Orten in deutschsprechenden Ländern und an mehr als 1.000 Übertragungsstätten in 55 weiteren Ländern wurde die fünftägige Evangelisation ausgestrahlt. Nach eigenen Angaben sind etwa zwei Millionen Zuschauer pro Abend mit diesen Sendungen erreicht worden. Im deutschsprachigen Bereich wären etwa 2% der Teilnehmer "dem Ruf nach vorne" gefolgt, im übrigen Ausland etwa 7% (Idea 12/93).
Verkündigungsinhalte
Wie erwartet war die Verkündigung klar und zentral. Sünde und die Notwendigkeit der Bekehrung wurde deutlich betont. Das Kreuz und die Stellvertretung Jesu wurde bezeugt und vor der Hölle so unverblümt gewarnt, daß der Übersetzer — so schien es mir — manchmal vergeblich nach umschreibenden, etwas milder klingenden Ausdrücken suchte. Das offizielle Echo der zum ersten Mal mitarbeitenden Adventisten war entsprechend sauer: "Offensichtlich war es Dr. Graham ein persönliches Anliegen, an diesem Abend in großer Ausführlichkeit über den Wert der Seele jedes Menschen zu sprechen. '...wenn der Körper stirbt, dann lebt die Seele weiter — entweder im Himmel oder in der Hölle. Das lehrt die ganze Bibel... ' Manchem adventistischen Besucher mag es bei solchen Sätzen ...heiß und kalt gworden sein. Aber was soll man Menschen sagen, die ... in irgendeine Adventkapelle gekommen sind, um Gottes Wort zu hören, und dann mit solchen Aussagen konfrontiert werden?" (Advent-echo Mai 93) Grahams bekannte Redewendung "Die Bibel sagt..." war immer zu hören. Natürlich kann man bemängeln, daß Graham manches nicht gesagt hat, aber das wird man jedem anderen Verkündiger auch nachsagen können. Auch das negative Echo in der kirchlichen und säkularen Presse spricht für Billy Grahams klare Verkündigung. Umso unverständlicher empfindet man die Proteste und Aktionen mancher Evangelikaler gegen die negative Berichterstattung, die zumindest ein Hinweis darauf ist, daß Graham sich der Torheit des Kreuzes nicht geschämt hat.
Der Rahmen
Musik und Gesang im Vorprogramm waren für deutsche Verhältnisse gemäßigt. Es gab einige "rockige" Beiträge, die aber vergleichsweise noch gebremst schienen, wenn man an ähnliche Veranstaltungen denkt. Die Zeugnisse waren unterschiedlicher Qualität. Das Zeugnis von Cliff Richard z.B. fand ich trotz großem Beifall für auffallend schwach und inhaltsarm. Über die Aufrufe "nach vorne zu kommen" um dort ein Übergabegebet nachzusprechen kann man verschiedener Meinung sein, obwohl ich glaube, daß sehr vieles gegen diese Praxis spricht. Der Aufruf am letzten Abend wirkte auf mich ausgesprochen peinlich — immer wieder wurden "auch die in der letzten Reihe" aufgefordert, ihre möglicherweise letzte Chance wahrzunehmen. Ein denkender Außenstehender konnte sich nach meinem Empfinden von solchen Methoden nur abgestoßen fühlen. So kann ich gut verstehen, daß der Bremer Mittelfeldspieler Marco Bode, der von Wynton Rufer und Rune Bratseth zu "Pro Christ'93" mitgenommen wurde, nach der Veranstaltung äußerte, daß er alles ganz gut fand und er nur Probleme damit habe, "daß so stark aufgefordert wurde, nach vorne zu gehen" (Idea 12/93).
"Echte Ökumene"
In Grahams Blatt "Entscheidung" 5/92 war bereits vorab zu lesen, daß auch einzelne Charismatische Gemeinden und Katholiken mitarbeiten werden. Wilfried Reuter sprach sogar davon, daß "echte Ökumene gelebt" werden soll. "Alle Kirchen sind eingeladen. Das ist ein Grundanliegen Billy Grahams und kommt auch unserem Wunsch entgegen, eine große Koalition für Evangelisation zu bilden." Ein Beispiel für viele: In Frankfurt wurde "Pro Christ '93" von den in der Allianz verbundenen Kirchen und Gemeinschaften in Zusammenarbeit mit den pfingstlichen und teilweise extrem charismatischen Gemeinden ("Christliches Zentrum Frankfurt", "Ichtys") durchgeführt. Der Leiter des "Christlichen Zentrums" sagte dazu: "Billy Graham hat es geschafft, daß Christen aus den Reihen der Allianz und der Charismatischen Gemeinden nun an einem Strang ziehen." Pfarrer R. Gleiss, Mitglied der Frankfurter Allianz pflichtete dem bei: "Ohne Graham hätte es vielleicht noch Jahre gedauert, bis wir miteinander ins Gespräch gekommen wären." Es gäbe nun keine Berührungsängste mehr (Idea 10/93). Genau diese Entwicklung war gewollt und auch vorauszusehen und insofern sind mit "Pro Christ'93" Dämme gebrochen und das wird sich in der Zukunft als verhängnisvoll erweisen. Dabei geht es nicht um Berührungsängste. Man sollte mit Pfingstlern und Charismatikern in aller Offenheit reden, aber dabei die uns trennenden falschen Lehren und teilweise okkulten Praktiken nicht gedankenlos unter den Tisch kehren.
"Prediger mit päpstlichem Segen"
So lautete eine der vielen Schlagzeilen der Tagespresse zu Billy Graham. Auch Idea verschwieg nicht, daß Graham "nach seiner Romreise, wo er eine Begegnung mit Papst Johannes Paul II. hatte", in Deutschland zu seiner Großevangelisation eintraf (Idea 11/93). Andere Pressemeldungen berichteten, der Papst habe ihm — ebenso wie Bill Clinton (!) — seine Gebete für die Evangelisation zugesagt. Wenn sich nun der bekannteste Baptist und der Repräsentant der Katholischen Kirche als "Brüder" bezeichnen, wen wundert es dann, wenn auf örtlicher Ebene (wie z.B. in Mainz) Baptisten und Katholiken im Saal der katholischen Diözese gemeinsam die Evangelisation durchführen. "Bruder Eisenbach" (gemeint ist der katholische Weihbischof von Mainz, Franziskus Eisenbach) hatte diese Zusammenarbeit ins Rollen gebracht. Zusammen mit Bischof Karl Lehmann, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, hatte er an alle katholische Pfarrer des Bistums Mainz geschrieben und sie gebeten, "sich bereitzuhalten für katholische Christen, die durch 'Pro Christ' einen neuen Glaubensschritt getan haben und nun um seelsorgerliche Begleitung bitten." "Uns eint mehr als uns trennt", meinte Hartmut Steeb, der Generalsekretär von "Pro Christ '93" und der Deutschen Evangelischen Allianz, zur Zusammenarbeit mit Katholiken und fügte hinzu, er sei für die Fortsetzung der "großen Koalition für die Evangelisation" (Idea 12/ 93). Hier wäre zu fragen, was uns eint. Die Mariendogmen? Die Sakramentslehren, die Dogmen über die Position und Autorität des Papstes? Die Bedeutung der Tradition und die Anrufung der "Heiligen"? Die kath. Kirche lehrt bis heute: "Wer behauptet, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes als das Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, die um Christi willen die Sünden nachläßt, oder dieses Vertrauen allein es sei, wodurch wir gerechtfertigt werden, der sei verflucht" (Trient 1547) Solange diese Lehre nicht öffentlich als Irrtum bekannt und zurückgenommen wird, ist alles Gerede davon, daß die katholische Kirche inzwischen die Rechtfertigungslehre Luthers bejaht, Unaufrichtigkeit und Augenwischerei. Man kann die Kurzsichtigkeit und Naivität der Evangelikalen gegenüber der kath. Kirche nur mit Unkenntnis der Geschichte und Unkenntnis der kath. Dogmen erklären. Doch diese Unkenntnis ist nicht zu entschuldigen und wird sich in der Zukunft verhängsnisvoll auswirken. Daran, wie die Evangelikalen über den Papst urteilen, wird man erkennen können, wie weit wir uns vom Christentum des Neuen Testamentes entfernt haben.
Dammbrüche
Die Dämme sind gebrochen. So sehr wir uns auch über die zahlreichen Bekehrungen freuen und Gott von Herzen dafür danken — es bleibt Sorge und Traurigkeit über die Konsequenzen, die aus den gebrochenen Dämmen zu erwarten sind. Der vor uns liegende "Nürnberger Kongreß '93" mit Bill Hybels, einem Schüler von Robert Schuller und mit Männern der "Prophetenbewegung" aus den USA, zu dem nun auch Horst Marquard (ERF) öffentlich einlädt, ist ein weiteres Indiz für die verhängnisvolle Trendwende der Evangelikalen. Auch die für August geplante Konferenz mit David Yonggi Cho (früher: Paul Yonggi Cho) in Wuppertal, zu der die Evangelikalen aufgrund der guten Zusammenarbeit bei "Pro Christ'93" eingeladen werden, entspricht diesem Trend. Manche charismatische Gruppen und Führer geben inzwischen extreme Positionen auf und erscheinen zumindest in der Öffentlichkeit gemäßigter, evangelikaler. Die Evangelikalen und ihre Führer andererseits geben zum großen Teil ihre bisher reservierte Haltung diesen Gruppen gegenüber auf und beide Lager träumen von einer großen Koalition mit Katholiken. Damit ist man der babylonischen Verwirrung und Verirrung einen großen Schritt nähergekommen und dazu — das ist meine Überzeugung — hat Billy Graham und "Pro Christ'93" entscheidend beigetragen.
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