Zeitschrift-Artikel: Zerbrich mich, Herr! (1.Folge)

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Titel: Zerbrich mich, Herr! (1.Folge)
Typ: Artikel
Autor: William MacDonald
Autor (Anmerkung):

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Titel

Zerbrich mich, Herr! (1.Folge)

Vortext

Text

Dreißig Jahre, nachdem Andrew Murray "Bleibe in Jesus" geschrieben hatte, sagte er einmal:

Sie sollen wissen, dass ein Prediger oder ein christlicher Autor oft so geführt werden kann, mehr zu sagen, als er selbst nachvollzogen hat. Damals, als ich "Bleibe in Jesus" schrieb, hatte ich nicht alles erfahren, wovon ich geschrieben habe. Und ich kann nicht sagen, dass ich jetzt alles völlig nachvollzogen habe.

Es war dieselbe Geisteshaltung, aus der heraus der Apostel Paulus folgende Worte schrieb:

"Nicht dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, indem ich auch von Christo ergriffen bin" (Phil. 3,12).

Dasselbe Empfinden habe ich im Hinblick auf den folgenden Artikel, "Zerbrich mich, -Herr!". Der Herr hat es mir aufs Herz gelegt, diesen Artikel zu schreiben. Die Wahrheit ist zu er­haben und zu dringlich, als daß ich sie zurück­halten dürfte, nur weil ich selbst sie nicht bis ins letzte nachvollzogen habe. Wie sehr ich auch versagt haben mag, ist es doch mein Herzensanliegen, was ich hier niedergeschrieben habe.

Zerbrochenes ist wertvoll in Gottes Augen

Wenn etwas zerbrochen ist, verliert es im all­gemeinen entweder ganz oder teilweise seinen Wert. Zerbrochenes Geschirr, zerbrochene Fla­schen und zerbrochene Spiegel werden meist weggeworfen. Schon ein Kratzer an einem Möbelstück oder ein Riss im Stoff mindert dessen Verkaufswert ganz erheblich.

Im geistlichen Bereich verhält es sich ganz anders. Zerbrochenes hat in Gottes Augen ei­nen besonderen Wert - insbesondere zerbro­chene Menschen. Darum lesen wir auch solche Verse wie:

"Nahe ist der Herr denen, die zerbrochenen Herzens sind, und die zerschlagenen Geistes sind, rettet er" (Ps. 34,18).

"Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, o Gott, nicht verachten" (Ps. 51,17).


Gott weiß den Stolzen und Überheblichen zu widerstehen, aber einem demütigen und zerschlagenen Menschen kann er nicht widerstehen.

"Gott widersteht den Hochmütigen, den Demü­tigen aber gibt er Gnade" (Jak. 4,6). Etwas in unserer Zerbrochenheit appelliert an Sein Mit­leid und Seine Macht.

Und so ist es ein Teil Seines wunderbaren Planes für unser Leben, dass wir zerbrochen werden sollen - zerbrochen an Herz, zerbro­chen im Geist, und selbst zerbrochen an unse­rem Leib (2. Kor. 4,6-18).

Bekehrung — eine Form der Zerbrochenheit

In diesen Prozess des Zerbrochenwerdens werden wir schon vor unserer Bekehrung hineingestellt, wenn der Heilige Geist beginnt, uns von Sünde zu überführen. Er muss uns an den Punkt brin­gen, wo wir bereit sind zuzugeben, dass wir verloren und unwürdig sind und nur die Hölle verdienen. Wir kämpfen bei jedem Schritt auf diesem Weg. Doch ER ringt mit uns solange weiter, bis unser Stolz gebrochen, unser Prah­len verstummt und jeglicher Widerstand aufge­geben ist. Dann liegen wir unter dem Kreuz und bringen nur noch heraus: "Ach, Herr Je­sus, rette mich doch!". Der Widerspenstige ist nun gezähmt, der Sünder ist überwunden, das junge Pferd ist zugeritten.

Von Natur aus ist das junge Pferd ein wildes, unfügsames Geschöpf. Sobald es das Zaumzeug oder den Sattel spürt, bäumt es sich sofort auf, es geht durch, buckelt und schlägt aus. Es kann ein wunderschönes, gutgebautes Tier sein, aber solange es noch nicht gebändigt ist, bleibt es für die Arbeit wertlos. Aber dann beginnt der lange und schmerzvolle Prozess, den Willen des jungen Pferdes zu bändigen, so dass es sich schließlich das Geschirr anlegen läßt. Wurde sein Wille erst einmal von einem höheren Willen überwunden, dann entdeckt das Tier den wahren Grund für sein Dasein.

In diesem Zusammenhang sollten wir uns daran erinnern, dass der Herr Jesus in Nazareth Zimmermann war und wohl auch Holzjoche angefertigt hat.

Jemand hat einmal trefflich bemerkt, dass - falls über Seiner Ladentür ein Schild hing -dieses wahrscheinlich die Aufschrift getragen hätte: "Meine sind Maßarbeit". Wichtig für uns ist, dass unser göttlicher Herr noch immer ein Jochmacher ist. Er sagt:

"Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht" (Matth. 11,29.30).

Ein Joch ist aber nur etwas für den, der zer­brochen und gefügig gemacht worden ist. Unser Wille muss erst unterworfen und gefügig ge­macht werden, bevor wir von Ihm lernen kön­nen. ER war sanftmütig und von Herzen demü­tig. Wir müssen so werden wie ER, denn nur so werden wir Ruhe finden für unsere Herzen.


Was zum »Zerbrochensein« gehört

 Was bedeutet wahre Zerbrochenheit? Wie äu­ßert sie sich im Leben eines Gläubigen? Wel­ches sind ihre Grundbestandteile?

1. Umkehr, Schuldbekenntnis, Bitte um Vergebung

Vielleicht fällt uns hierzu als erstes die Be­reitschaft ein, Sünde vor Gott und vor den Menschen, denen wir Unrecht getan haben, zu bekennen. Der zerbrochene Mensch ist schnell zur Umkehr bereit. Er versucht nicht, die Sünde unter den Teppich zu kehren. Er versucht nicht, sie mit der Entschuldigung "Zeit heilt alle Wunden" zu vergessen. Er begibt sich unver­züglich in die Gegenwart Gottes und ruft aus: "Ich habe gesündigt". Darm geht er zu demje­nigen, den er durch seine Handlungsweise ver­letzt hat und sagt: "Ich war im Unrecht. Es tut mir leid. Vergib mir bitte!". Einerseits kennt er die tiefe Beschämung, um Vergebung bitten zu müssen, doch erfährt er andererseits auch die große Erleichterung, ein reines Ge­wissen zu haben und im Licht zu wandeln.

Ein aufrichtiges Schuldbekenntnis geht weder über Sünde hinweg noch verharmlost es sie. Es ist nicht so wie bei jener ungebrochenen älte­ren Dame, die hochmütig meinte: "Falls ich irgendetwas falsch gemacht habe, bin ich bereit, mir vergeben zu lassen". Echte Reue sagt: "Ich habe Unrecht getan und bin ge­kommen, um zu sagen, dass es mir leid tut".

Sünde und Versagen haben Davids Leben über­schattet, aber es war seine tiefe Buße, die ihn zu einem Mann nach dem Herzen Gottes machte. In Psalm 32 und 51 erleben wir seine Vergehungen, Sünde und Ungerechtigkeit. Wir sehen, wie er sich zunächst weigert, Buße zu tun; damals war sein Leben ein einziges kör­perliches, seelisches und geistliches Elend. Alles ging schief. Alles schien aus den Fugen geraten zu sein. Schließlich brach er zusammen. Er bekannte und Gott vergab. Dann brach die Sonne wieder hervor und David konnte wieder singen.

Paulus gibt uns im Neuen Testament ein gutes Beispiel für Zerbrochenheit. Er wurde damals in Jerusalem vor die Hohenpriester und das Syne­drium geführt. Als er seine Rede mit der Feststellung einleitete, er habe immer mit gutem Gewissen vor Gott gelebt, da wurde der Hohepriester zornig und befahl, den Ge­fangenen auf den Mund zu schlagen. Der Apo­stel fuhr ihn an: "Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Und du, sitzest du da, mich nach dem Gesetz zu richten, und, wider das Gesetz handelnd, befiehlst du mich zu schla­gen?" (Apg. 23,3).

Die Umstehenden waren über diese scharfe Zurechtweisung schockiert, die Paulus da aus­gesprochen hatte. Wusste er nicht, dass er mit dem Hohenpriester sprach? Der Apostel wusste es tatsächlich nicht. Möglicherweise trug Ana­nias nicht seine offizielle Priesterkleidung, oder er saß nicht auf seinem üblichen Platz. Viel­leicht waren auch Paulus schlechte Augen daran schuld. Wie dem auch sei, jedenfalls hatte er nicht absichtlich die derzeitige Obrigkeit ange­griffen. Deshalb entschuldigte er sich sofort mit den Worten aus 2.Mose 22,28: "Die Richter sollst du nicht lästern, und einem Fürsten des Volkes sollst du nicht fluchen". Der Apostel war schnell bereit, sich zu beugen. Seine geistliche Reife zeigte sich darin, dass er gleich bereit war, zu sagen: "Ich war im Un­recht. Es tut mir leid".

2. Zurückerstattung

Eng verbunden mit diesem ersten Aspekt von Zerbrochenheit ist eine sofortige Zurückerstat­tung, wofür sie auch immer gefordert sein mag. Habe ich gestohlen, etwas beschädigt oder verletzt, oder hat ein anderer auf Grund meines Fehlverhaltens einen Verlust erlitten, so genügt es nicht, um Vergebung zu bitten. Die Gerechtigkeit verlangt, dass der Verlust erstattet wird. Dies bezieht sich auf Gescheh­nisse sowohl vor als auch nach meiner Bekeh­rung.

Nachdem Zachäus den Herrn Jesus aufgenom­men hatte, fielen ihm einige der krummen Sa­chen ein, die er als Oberzöllner gedreht hatte. Es war ein gottgegebener Impuls, der ihn sofort dazu anhielt, dieses Unrecht wieder gutzuma­chen. Deshalb sagte er zum Herrn: "Wenn ich von jemand etwas durch falsche Anklage ge­nommen habe, so erstatte ich es vierfältig" (Luk. 19,8).

Hier drückt das "wenn" keinerlei Zweifel oder Unsicherheit aus. Es bedeutet vielmehr: "Jedes Mal, wenn ich jemanden um etwas betrogen habe, erstatte ich es vierfältig". Seine feste Entschlossenheit, Erstattung zu bieten, war eine Frucht seiner Bekehrung. Das "vierfältig" war ein Barometer für die Echtheit und Kraft seines neuen Lebens.

Es gibt Fälle, in denen keine Erstattung mehr möglich ist. Vielleicht wurden Aufzeichnungen zerstört oder die genauen Beträge im Laufe der Zeit vergessen. Gott weiß das alles. Alles, was ER will, ist, dass wir unsere Schuld begleichen, wo immer es möglich ist.

Und dies sollte immer im Namen des Herrn Jesus geschehen. Gott wird dadurch nicht verherrlicht, wenn wir nur sagen: "Ich habe gestohlen. Es tut mir leid. Ich möchte es jetzt zurückzahlen". Diese Handlung sollte immer mit einem Zeugnis für Christus verbunden sein, etwa: "Durch den Glauben an Jesus Christus bin ich vor kurzem Christ geworden. Der Herr hat zu mir wegen einiger Werkzeuge gespro­chen, die ich Ihnen vor fünf Jahren gestohlen habe. Ich komme zu Ihnen, weil ich um Ver­zeihung bitten und die Werkzeuge zurückgeben möchte". Jede gerechte oder freundliche Hand­lung eines Christen sollte mit einem Zeugnis für den Erlöser verbunden sein, so dass ER die Ehre erhält und nicht wir.

3. Vergebungsbereitschaft

Ein dritter Aspekt der Zerbrochenheit ist die Bereitschaft zu vergeben, wenn wir ungerecht behandelt wurden. In vielen Fällen bedarf dies einer ebenso großen Gnade wie die Bitte um Vergebung oder eine Zurückerstattung.

Das Neue Testament gibt uns sogar genaue Anweisungen, wie wir anderen vergeben sollen.

Zunächst sollten wir, wenn uns jemand Unrecht getan hat, diesem Menschen sofort in unserem Herzen vergeben (Epheser 4,32). Wir müssen noch nicht zu ihm gehen und ihm Vergebung zusprechen, aber in unserem Herzen haben wir ihm vergeben.

"In dem Augenblick, wo mir ein Mensch Un­recht tut, muss ich ihm vergeben. Dann ist meine Seele frei. Wenn ich ihm das Unrecht vorhalte, sündige ich gegen Gott und gegen ihn und bringe damit meine Vergebung bei Gott in Gefahr. Es ist gleich, ob derjenige jetzt Reue zeigt, Schadenersatz leistet, mich um Verge­bung bittet oder nicht. Ich habe ihm im selben Augenblick vergeben. Er muss sich für das be­gangene Unrecht vor Gott verantworten, aber das ist seine und Gottes Angelegenheit und nicht meine, außer dass ich ihm im Sinne von Matthäus 18,15 ff. helfen sollte. Aber ob dies nun Erfolg hat oder nicht, und bevor ich da überhaupt etwas unternehme, muss ich ihm vergeben" (Lenski).

Es gibt da eine Vielzahl kleinerer Ungerech­tigkeiten, die augenblicklich vergeben und ver­gessen werden können. Es ist ein echter Sieg, wenn wir dazu in der Lage sind. "Die Liebe . . . rechnet Böses nicht zu und weidet sich auch nicht an der Schlechtigkeit anderer Leute" (1. Kor. 13,6; J.B. Phillips).

Eine gläubige Frau wurde einmal gefragt: "Erinnern Sie sich nicht mehr an diese ge­meine Bemerkung, die jene gehässige Frau zu Ihnen sagte?". Ihre Antwort war: "Nicht nur, dass ich mich nicht mehr daran erinnere; ich erinnere mich noch ganz deutlich daran, wie ich es vergaß".

Ist die Sünde von einer ernsteren Art und meinen wir, dass es nicht recht wäre, einfach darüber hinwegzugehen, dann ist der nächste Schritt der, zu demjenigen hinzugehen, der sich an uns versündigt hat und mit ihm darüber zu sprechen (Matth.18,15). Zeigt er Reue, dann müssen wir ihm vergeben. "Und wenn er sie­benmal des Tages an dir sündigt und siebenmal zu dir umkehrt und spricht: Ich bereue es, so sollst du ihm vergeben" (Luk. 17,4). Es ist nur recht und billig, daß wir gewillt sein sollten, unbegrenzt zu vergeben. Schließlich wurde und wird uns ja auch unzählige Male vergeben.

Hüten Sie sich auch davor, das Vergehen dieser Person überall herumzuposaunen (und das tun wir ja gerade meistens). "Überführe ihn zwi­schen dir und ihm allein" (Matth. 18,15). Wir sollten offensichtlich so vorgehen, dass wir Streitigkeiten nicht herumtragen.

Sobald der Bruder (oder die Schwester), der uns verletzt hat, seine Sünde bekennt, sagen wir ihm, dass wir ihm vergeben haben. Wir ha­ben ihm schon im Herzen vergeben, aber nun können wir ihm Vergebung zusprechen.

Aber angenommen, er weigert sich nun, umzu­kehren. Dann nimm, gemäß Matth. 18,16, "noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt wer­de".

Weigert er sich, auf diese zwei oder drei Zeu­gen zu hören, dann sollte die Angelegenheit vor die örtliche christliche Gemeinde gebracht werden. Der Zweck von all dem ist nicht, Vergeltung zu üben oder zu bestrafen, sondern den in Sünde gefallenen Bruder zurückzugewin­nen.

Scheitert auch diese letzte Bemühung, so soll er als Heide und Zöllner angesehen werden. Anders ausgedrückt, er soll nicht länger wie jemand behandelt werden, der zur örtlichen Versammlung gehört. Da er sich nicht wie ein Christ verhält, begegnen wir ihm auf seiner selbstgewählten Basis. Wir betrachten ihn als einen Ungläubigen. Aber sobald er umkehrt, sprechen wir ihm Vergebung zu und die volle Gemeinschaft ist wiederhergestellt.

Gott hasst Unversöhnlichkeit, die Entschlossen­heit, seinen Groll mit ins Grab zu nehmen, die Unwilligkeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Dies wird im Gleichnis des Schuldknechts ein­drücklich herausgestellt (Matth. 18,23-35). Als er selbst nichts hatte, um zu bezahlen, da er­ließ ihm der König 10.000 Talente. Aber er war nicht bereit, einem Mitknecht ein paar lumpige Denare zu erlassen. Die Lektion ist eindeutig. Da Gott uns vergab, als wir noch bis über den Hals in Schulden steckten, sollten wir auch bereit sein, anderen zu vergeben, die uns Kleinigkeiten schulden.

Nachtext

Quellenangaben