Zeitschrift-Artikel: Missionsarbeit in Italien

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Titel: Missionsarbeit in Italien
Typ: Artikel
Autor: Stefan Grzenia
Autor (Anmerkung):

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Titel

Missionsarbeit in Italien

Vortext

"So sei euch nun kund, daß dieses Heil Gottes den Nationen gesandt ist;
und sie werden hören." (Apg. 28,28)

Text

In diesem Bericht soll es um ein Land gehen, daß oft gar nicht als Missionsfeld angesehen wird: Italien. Alle Welt redet jetzt - berechtigterweise - vom Osten, der ja, Gott sei Dank, seit einiger Zeit zugänglich ist für das Evangelium. Ich möchte nun ein weiteres wichtiges Missionsgebiet vorstellen und eine Arbeit, die dort bereits getan wird. Es handelt sich um einen Buchladen in Vicenza, im Norden Italiens.

Auch Paulus verkündigte, als er nach Italien kam, zuerst den Juden und, nachdem diese nicht glaubten, den Heiden das Evangelium. Er hatte die Zuversicht, das sie hören würden. So wie Paulus haben sich nun auch Missionare in Italien an die Arbeit gemacht und hoffen auch, daß die Menschen hören werden.

Das Land

Italien ist ein Urlaubsland. Jeder, der schon dort war, wird es bestätigen. Besonders im kulturellen und geschichtlichen Bereich bietet es dem Urlauber eine Menge von Möglichkeiten, aber auch landschaftlich gibt es viel zu sehen. Interessant ist auch die wirtschaftliche Situation. Im Norden herrscht Reichtum und hohe Konjunktur, im Süden ist das Armenhaus. Die Grenze bildet ungefähr Rom. Das Gefälle geht soweit, daß Süditaliener im Norden verachtet werden. Im Süden hat die Mafia eine weitaus größere Aktivität. Wegen der besseren Wirtschaftslage liegen im Norden die Löhne, Preise und Mieten usw. wesentlich höher, sodaß es einem Südländer fast nicht möglich ist, in den Norden zu ziehen. Die Geschichte Italiens ist geprägt vom römischen Reich und dem Zentrum der römisch-katholischen Kirche in Rom. Hier entstand das Papsttum und wurde von hier aus verbreitet. In ganz Italien und den umliegenden Ländern übte die kath. Kirche viele Jahrhunderte ihre Herrschaft aus, nichts anderes wurde geduldet. Leider fand dadurch noch nie eine Reformation oder Erweckung wie hier in Deutschland statt. Alle Protestanten wurden vernichtet. So wurden z.B. die Waldenser in den Südtiroler Bergen bis aufs Blut verfolgt und in den Tod getrieben. Erst seit 1962 darf offiziell die Bibel gelesen werden, seit 1984 ist die röm.-kath. Kirche nicht mehr Staatsreligion. Trotzdem war die Reaktion der Bevölkerung auf diese Freiheit relativ dürftig: Ca. 9 Mill. Italiener sind seitdem aus der kath. Kirche ausgetreten. Heute sind noch 78,9% der Italiener Katholiken. Reformierte jeglicher Art gibt es nur 2,2%. Der Rest besteht aus Sekten (Zeugen Jehovas usw.) und Charismatikern.

Die Stadt

Vicenza liegt im Norden Italiens zwischen Verona und Venedig am Rande der Alpen. Diese Stadt ist eine der reichsten Italiens, weil dort Handel mit Gold und Edelsteinen betrieben wird. Sie hat 120.000 Einwohner und ist die Kreisstadt des Kreises Vicentino. Auch hier in dieser Stadt wird schnell deutlich, daß der Katholizismus vorherrscht: Fast an jeder Straßenecke steht eine Kirche. Wenn man sie betritt, sieht man als erstes den Reichtum der katholischen Kirche in Form von goldenen Altären und goldenen Marienbildern. Als zweites sieht man zahlreiche Menschen eine tote Figur anbeten und wie ihnen für Geld von einem Priester die Sünden vergeben werden. Am deutlichsten wurde mir das auf dem Monte Berico, einem Berg mitten in Vicenza, auf dem die größte Kirche der Stadt steht. Vom Fuße des Berges bis zur Kirche führt ein Gang, den die Menschen früher auf Knieen (!) herauf gerutscht sind, nur um oben das Marienbild anzubeten. Genauso traurig stimmt einen der Grund, warum die Kirche erbaut wurde: Vor ein paar Jahrhunderten herrschte in Vicenza eine große Pest und forderte viele Todesopfer. Die Bewohner hatten zu Maria gebetet, daß die Epidemie abklinge. Als das dann tatsächlich eintrat, bauten sie ihr zum Dank diese Kirche. Wenn man in die hinteren Räume der Kirche eintritt, sieht man eine ganze Wand voll Bilder von Autounfällen. Es sind Bilder, auf denen die Wagen z.T. total zerstört sind, die Unfallbeteiligten aber unverletzt davonkamen oder schnell wieder genesen konnten. Sie sollen demonstrieren, aus welch gefährlichen Situationen Maria sie herausgerettet haben soll.

Die Gemeindesituation

Es gibt nur eine Gemeinde in ganz Vicenza, bestehend aus ca.20 Personen. Die nächste Gemeinde ist im 60 km entfernten Verona. In Venedig existiert überhaupt keine Gemeinde. Allerdings werden dort demnächst amerikanische Missionare ihre Arbeit aufnehmen. Die kleine Gemeinde in Vicenza ist aus einer Buchladen- und Verlagsarbeit entstanden, die vor 25 Jahren von einem amerikanischen Ehepaar begonnen wurde. Sonntags morgens trifft man sich zum Gottesdienst, mittwochs zum Gebet und donnerstags ist Bibelstunde.

Vielleicht wundert man sich, daß die Gemeinde nach 25 Jahren immer noch so "klein" ist. Dazu mag es mehrere Gründe geben:

1. Das amerikanische Ehepaar sieht seine Aufgabe ausdrücklich nur in der Literaturarbeit, so daß bisher nur das Nötigste in Richtung Gemeindearbeit getan werden konnte. Falls also jemand durch den Buchladen zum Glauben kam, wurde er natürlich nicht allein gelassen, aber es wurde bisher auch nicht gezielt die Gemeinde aufgebaut. Das deutsche Ehepaar, das seit zwei Jahren ebenfalls in Vicenza arbeitet, würde gerne mehr in diese Richtung arbeiten, wird aber durch den Buchladen völlig in Anspruch genommen. Hier wird jetzt ein anderes Problem deutlich:

2. Es gibt zu wenig Mitarbeiter in Vicenza, die mit der Nacharbeit beginnen und die Gemeinde aufbauen können oder auch im Buchladen weiterhelfen. Es werden dringend Mitarbeiter gesucht. Mit Kinderarbeit wurde jetzt angefangen.

3. Die Gemeindemitglieder besuchen die Stunden sehr unregelmäßig. Sonntags kommen erfreulicherweise alle, mittwochs zur Gebetsstunde und donnertags im Durchschnitt nur ca. 4 Personen. Es liegt an der Mentalität der Italiener, daß sie so unregelmäßig kommen. Die Menschen haben ganz andere Lebensweisen als wir in Deutschland. Während der Deutsche vorrangig an Arbeit denkt, sucht der Italiener das Vergnügen und fragt sich, wie er sich das Leben möglichst schön gestalten kann. Wenn man Deutsche und Italiener nebeneinander stellen würde, könnte man sagen: "Die Italiener arbeiten, um zu leben, und die Deutschen leben, um zu arbeiten." Jeden Pfennig, den ein Italiener verdient, wird er auch gleich wieder ausgeben für das Feiern. Sicherlich könnten sich manche Deutsche etwas von der Lebensfreude der Italiener abgucken, aber diese Denkweise birgt viele Gefahren in sich, die den Missionaren sehr zu schaffen macht. Die Leute sind nicht bereit, konsequent den Weg zu gehen, der ja auch Kampf bedeutet. Sie gehen stattdessen viel lieber Kompromisse ein. Deswegen übernehmen sie auch keine größeren Aufgaben, in denen Treue verlangt wird, in der Gemeinde, so daß die Missionare alle tragende Arbeit weiterhin selbst tun müssen. Auch hier liegen die Ursachen für das nichtvorhandene Wachstum.

4. Die Italiener besitzen wenig Organisationstalent. In der Nachbargemeinde (Verona) fährt der australische Missionar jedes Jahr für ein paar Monate in Heimaturlaub. Wenn er wiederkommt, ist die Gemeinde soweit zusammengefallen, daß er wieder von vorne anfangen kann. In Süditalien hatten Amerikaner einen Buchladen mit Verlag usw. erfolgreich aufgebaut und als alles blühte, übergaben sie die Leitung an Italiener. Innerhalb kürzester Zeit war alles so heruntergewirtschaftet, daß viele Teilbereiche wieder aufgegeben werden mußten. Das große Ziel aller Missionare in Italien ist, daß die Gemeinden selbständig werden, um an anderen Orten neue Gemeinden zu gründen. Letztens kam in Süditalien ein amerikanischer Missionar wieder von seinem Heimaturlaub zurück in seine Gemeinde und als er sonntags in den Gottesdienst ging, saß er alleine dort!

5. Im Gegensatz zur großen kath. Kirche ist die Gemeinde nur ein kleines Häufchen. Viele denken, das könne nichts Gutes sein oder hier würde nichts geboten.

Ich hoffe, daß ich nicht falsch verstanden werde, wenn ich sage, die Italiener hätten wenig Organisationstalent oder wären unzuverlässig. Ich selbst mag Italiener und kenne auch ihre Stärken, aber das sind Tatsachen und Erfahrungen, die Missionare gemacht haben und die leider auch sehr gravierend in Bezug auf Gemeindearbeit sind.

In Italien gibt es auch, wohl durch die kath. Kirche, sehr viel Okkultismus. Auf den Marktplätzen wird aus den Händen gelesen usw. Weil hier ein so großer Okkultismus herrscht, merken die Missionare besonders vor und in der Gebetsstunde, daß der Teufel alles versucht, um diese Stunde zu stören.

Es gibt allerdings auch erfreuliche Dinge. Inzwischen ist die Gemeinde größer geworden, die Leute kommen regelmäßiger und Ende Oktober fand auch eine Taufe statt. Man hofft, daß diese Geschwister Vorbilder für die anderen in Nachfolge und Konsequenz werden.

Die kath. Kirche ist in Italien wesentlich ausgeprägter als in Deutschland. Sie hat hier ein größeres Machtgefüge und die Leute sind mit ihr aufgewachsen. Viele bekehrte Italiener denken, daß sie nur sonntags in die Gemeinde gehen sollen oder brauchen, denn in der kath. Kirche war es nicht anders. Deswegen auch die wenigen Besucherzahlen in den werktäglichen Veranstaltungen.

In den Dörfern ist es noch so, daß der Priester alles ist: Apotheker, Arzt, Lehrer usw. In den Städten ist inzwischen vieles liberaler, aber die Menschen haben immer noch gewaltigen Respekt vor der Kirche. Hier liegt auch einer der Gründe, warum die Menschen sich scheuen, klare Entscheidungen zu treffen. Sie haben Angst vor der kath. Kirche. Sie müssen auch damit rechnen, daß sie aus der eigenen Familie ausgeschlossen werden. Der Gemüsehändler in der Nachbarschaft des Buchladens weiß genau, daß er sich bekehren muß und er würde auch gerne in die Gottesdienste gehen, aber der Priester hat ihm schon gesagt, daß, wenn er der kath. Kirche abtrünnig werden würde, er seinen Laden zumachen könne.

Letztens kam eine Frau in den Buchladen und wollte nur ein Buch für sich kaufen - der Mann zerrte sie wieder heraus. Einige Stunden später rief sie an und fragte, ob nicht jemand ihr das besagte Buch zukommen lassen könne, aber nur zu einer ganz bestimmten Uhrzeit, denn ihr Mann hatte es ihr verboten, solch eine Art von Literatur zu lesen. Leider hat der Mann mitbekommen, daß sie mit uns Kontakt auf genommen hat.

Der Buchladen

Im Buchladen wird ein Sortiment aus mehreren italienischen Verlagen angeboten, natürlich auch aus dem eigenen. Leider kann man aus den anderen Verlagen nur ausgesuchte Bücher verkaufen, denn es gibt sonst mit wenigen Ausnahmen nur noch charismatische oder stark liberalisierte Verlage in Italien. Aus dem Waldenser Verlag z.B. kann man guten Gewissens nur noch Bücher über Kirchengeschichte anbieten. Erfreulich ist, daß in der letzten Zeit sehr viele Bibeln gekauft werden. Ein Renner ist ein Buch über Depressionen. Viele Menschen leiden hier unter Depressionen, weil sie nirgendwo Trost gefunden haben. Kürzlich kam ein junger Mann in den Buchladen und berichtete, daß er durch dieses Buch zu dem HERRN Jesus gefunden hat.

Viele Kunden haben lange Anfahrtswege, weil dies der einzige Buchladen weit und breit ist. Der nächste, in Florenz (150km), gehört leider zu einem charismatischen Verlag. Ähnlich wie zu den Gemeindestunden kommen die Leute von weit her, doch die meisten Bücher gelangen per Post zu den Kunden. Das Einzugsgebiet reicht ca. 300 km weit in alle Himmelsrichtungen.

Der Buchladen hatte Ende November 25-jähriges Jubiläum. Man kann Gott wirklich für das Wunder danken, daß der Buchladen sich bis jetzt gehalten hat. Denn auch der Arbeit im Buchladen wird von allen Seiten widerstanden. Obwohl theoretisch Gleichsetzung und Religionsfreiheit gewährt wird, benachteiligt die Stadtverwaltung den Buchladen fast immer. So wird z.B. die Genehmigung für einen Büchertisch auf dem Markt entweder gar nicht, so wie im letzten Jahr, oder nur mit Sonderauflagen erteilt. Auch von der kath. Kirche her wird systematisch versucht, die Arbeit zu stören.

Der Verlag

Viele Italiener in Vicenza wundern sich darüber, daß der Verlag immer noch besteht. Aber inzwischen ist er zu einem festen Bestandteil der Stadt geworden. Auch was das Interesse betrifft, ist in Italien eine völlig andere Situation als in Deutschland, wo es fast an jedem Ort mehrere Gemeinden gibt, ja wo sich die Christen teilweise gegenseitig auf die Füße treten. So kommt es, daß in Italien eine wesentlich kleinere Nachfrage vorhanden ist als in Deutschland.
Das erste Buch, das dieser kleine Verlag herausbrachte, hatte eine Auflage von 3000 Stück und war erst nach 15(!) Jahren vergriffen. Hier muß man "mit kleineren Brötchen backen" als in Deutschland. Inzwischen hat der Verlag ca. 15 Bücher herausgebracht, teilweise Übersetzungen aus dem Amerikanischen oder Deutschen. Vor ein paar Wochen erschien das Buch "Fragen, die immer wieder gestellt werden". Es hat bisher großen Anklang gefunden.
 
Insgesamt kann man sagen, daß Missionsarbeit in Italien etwas ganz anderes ist als in den "klassischen" Missionsländern. Dort kommen die Menschen wegen der sozialen Not leichter zum Glauben, während man hier noch damit rechnen muß, daß die Menschen noch nie eine Bibel von innen gesehen haben und keine Grundlage vorhanden ist, auf der man aufbauen kann. Hier ist also noch echte Pionierarbeit.
Viele Missionare sind in der Vergangenheit wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, weil sie einfach keine Frucht sahen. Wir können nur hoffen, daß die Zeit kommt, wo dieses Volk "hören wird".

Nachtext

Quellenangaben