Zeitschrift-Artikel: Gewinn durch Verlust!

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Titel: Gewinn durch Verlust!
Typ: Artikel
Autor: Wolfgang Bühne
Autor (Anmerkung):

online gelesen: 2193

Titel

Gewinn durch Verlust!

Vortext

oder: Wozu es gut sein kann, wenn Bibeln geklaut werden

Text

Daß der Verlust von materiellen Gütern oft mit geistlichem Gewinn verbunden sein kann, wissen wir aus eigener Erfahrung oder aus Zeugnissen anderer Christen. Doch es gilt auch geistliche Lektionen zu lernen, wenn einem Bibeln gestohlen werden, in denen man jahrelang gearbeitet hat und die mit vielen wertvollen Erinnerungen verbunden sind.

Wuppertal 1969

Die erste Bibel wurde mir 1969 geklaut. Wir waren damals erst einige Monate verheiratet und hatten in meiner Heimat Schwelm eine evangelistische Arbeit an jungen Leuten begonnen, als der bekannte und originelle Straßen-Evangelist Wolfgang Dyck zu einer Evangelisation in die Nachbarstadt Wuppertal kam. Jeden Abend evangelisierte er in einem anderen Saal und da mich und einige andere Freunde seine unnachahmliche Evangelisationsmethode ziemlich beeindruckte, waren wir jeden Abend dabei um zu lernen.
Nach jedem Vortrag gab es im Saal oder auf der Straße heftige Gespräche mit den oft aufgebrachten oder herausgeforderten Zuhörern und bei einer solchen Gelegenheit passierte es dann: Ich hatte nicht nur einen teuren, geliehenen Fotoapparat in meiner Aktentasche, sondern auch meine mir sehr vertraut und lieb gewordene Bibel, vollgeschrieben mit vielen Notizen. Und diese Aktentasche samt Bibel und Fotoapparat war nach einer solchen Diskussion plötzlich spurlos verschwunden und tauchte nicht wieder auf.
Was man nach einem solchen Diebstahl empfindet, kann nur der nachfühlen, der ähnliches erlebt hat. Ich war wie betäubt. Meine jungen Freunde litten mit mir und wollten mich trösten: "Vielleicht liest der Dieb in der Bibel und bekehrt sich!" Nun, ich hatte da meine Zweifel, obwohl ich es von Herzen wünschte, denn dann wäre die Chance groß gewesen, meine geliebte Bibel zurückzubekommen. Aber wahrscheinlich ist sie damals achtlos in einen Mülleimer gelandet.
Doch dieser schmerzliche Diebstahl hatte eine sehr positive Nebenwirkung: Ich mußte mir eine neue Bibel kaufen - diesmal war es eine größere mit Schutzklappen - und begann von neuem darin zu arbeiten und stellte fest, welch ein Segen damit verbunden ist, die Schätze der Bibel neu aufzuspüren.

Rom 1990

Das ging etwa 20 Jahre gut und ich hatte mir inzwischen zusätzlich eine alte Elberfelder Hausbibel einbinden lassen, die viel Platz für Parallellstellen und Anmerkungen bot und die ich dann als Arbeitsbibel benutzte. Im Sommer 1990 wurde mir die zweite Bibel geklaut. Diesmal befand ich mich mit dreien unserer Kinder auf der Rückreise von Süditalien. Wir hatten dort sehr gesegnete Tage mit vielen jungen und älteren italienischen Geschwistern erlebt. Unser Freund Walter Adank hatte uns zum Camp Palazzo eingeladen. Müde, aber sehr dankbar traten wir um Mitternacht in einem Linienbus die beschwerliche Rückreise an. Bis Rom befanden wir uns in diesem Fahrzeug, eingekeilt von schnarchenden Mitreisenden, die uns weder Platz noch Ruhe zum Schlafen gönnten. So kletterten wir am anderen Morgen ziemlich müde und steif aus diesem ungastlichen Gefährt, stellten unser Gepäck zusammen und dann machte ich mich mit Daniel auf den Weg, um eine Fahrmöglichkeit zum Flugplatz zu erkunden. Vorher gab ich Deborah und Johannes noch Instruktionen, gut auf das Gepäck aufzupassen , weil mir bekannt war, daß die "Heilige Stadt" ein Tummelplatz für allerhand lichtscheues Gesindel und Diebe ist. Als wir nach einer halben Stunde zurückkamen, saßen die beiden wie ein Häufchen Elend bei den restlichen Sachen und ich erkannte mit einem Blick: Meine beiden Taschen sind weg! Die Bibel, auch diesmal ein geliehener Fotoapparat, der Filmapparat und das Tagebuch waren verschwunden. Was mich zusätzlich ägerte war die Tatsache, daß sie auf einen uralten, primitiven Trick hereingefallen waren. Während Deborah sich interessiert in der Gegend umschaute, kam ein freundlicher Afrikaner und wollte irgendeine Auskunft haben. Johannes, der sich freute, seine Englischkenntnisse anzuwenden, merkte viel zu spät, daß inzwischen ein Komplice zwei Taschen packte und damit verschwand. (Die geistliche Anwendung dieser Geschichte bleibt jedem Leser selbst überlassen.)
Ein Trost blieb: Meine große Arbeitsbibel lag im Koffer, und damit hatten sich die Diebe nicht belastet. Auch in dieser Situation versuchten meine Kinder mich zu trösten: "Vielleicht kommt durch die geklaute Bibel jemand zum Glauben!" - Ich hatte inzwischen meine Erfahrungen gemacht und blieb eher skeptisch. Klar wurde mir damals allerdings, daß der Herr diesen Diebstahl zugelassen hatte, damit ich auf diese Weise lernen sollte, in einer neuen, bisher nicht benutzten Bibel zu lesen. Ich hatte schon seit einiger Zeit gemerkt, daß meine Augen in der Stillen Zeit oft an den angestrichenen Worten oder Versen hängenblieben und ich mich dadurch hindern ließ, altes und neues aus diesem Schatz zu schöpfen.
Ich entschloß mich also, mit dem Studium einer neuen Bibel zu beginnen. Doch wie es mit den meisten guten Vorsätzen geht, auch dieser versandete mit der Zeit, weil ich ja immer noch meine Arbeitsbibel hatte...

Korsika 1992

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich am Strand von Calvi/Korsika. Und was der Leser bereits ahnt: auch diese Arbeitsbibel ist nun verschwunden. Heute morgen kam ich mit meinen vier älteren Kindern hier an, um in den Osterferien eine Woche lang Zeit für sie zu haben und auch um den Kontakt zu den kleinen Gemeinden auf dieser Insel etwas aufzufrischen. Wir hatten unser Gepäck vor unserem Quartier abgestellt und ich mußte kurz in die Stadt, um den Schlüssel zu holen. Als ich zurückkam, suchten  meine Augen vergeblich nach der Aktentasche mit den Büchern und der Bibel. Es war unbegreiflich, wie trotz der vier "Bewacher" ausgerechnet diese eine Tasche verschwinden konnte, aber sie war und blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Die Arbeit von vielen Jahren befand sich nun wahrscheinlich in der Hand von abgebrühten Dieben, die aus dieser Beute nun wirklich kein Kapital schlagen konnten und die Bibel sicherlich ärgerlich in einen Abfalleimer werfen würden, weil sie alles andere in der Tasche erwartet hätten. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und doch fühlte ich keinen Zorn, denn ich wußte: Es ist der Herr! Er hatte den Verlust dieser Tasche zugelassen, um mich zu bereichern. Und während meine Kinder keine Worte fanden um mich zu trösten, weil sie ahnten, was mir diese Bibel bedeutete und wohl auch inzwischen Zweifel bekommen hatten, ob Diebe auf diese Weise zur Bekehrung kommen, wurde ich von einer tiefen Freude und Dankbarkeit erfüllt. Ich hatte nicht einmal mehr die Freiheit dafür zu beten, daß die Bibel wieder auftaucht. Wir haben uns dann niedergekniet und dem Herrn im Gebet den Schmerz über den  Verlust hingelegt. Und dann riefich meine Frau an, sie möchte auf dem schnellsten Weg eine neue "alte" Elberfelder Hausbibel mit breitem Rand schicken, dazu Tuscheschreiber und Markierstifte. Und so erfüllt mich am ersten Tag unseres Urlaubs eine große Vorfreude auf die erneute Entdeckungsreise in dieses wunderbare alte Buch und ich kann dem Herrn nur von Herzen für Seine liebevolle Erziehung danken, die manchmal schmerzlich, aber immer gesegnet ist.
Er, ohne dessen Willen kein Haar von unserem Haupt fällt, bereichert uns manchmal durch Verluste.

P.S. Zwei Tage später bekam ich die neue Arbeitsbibel und konnte wieder von vorne beginnen. Vier Tage später bekam ich die Nachricht, daß meine Aktentasche mit der alten Arbeitsbibel am Hafen von Bastia bei der Hinreise stehen geblieben war und zur Abholung bereit stand. Wie weise und gütig ist der Herr!

Nachtext

Quellenangaben